
Fifteen
Fifteen:
Ehrlichkeit währt am Längsten
„Die Idee ist gut."
Rachel staunte nicht schlecht. Denn sie musste zugeben, es gab schon schlimmere Dates in ihrem Leben.
„Ich weiß." Lennox lächelte mit vollem Mund, die Manieren völlig außer Acht lassend. „Es war auch meine Idee." Er biss nochmal ab.
So hatte sie ihn noch nie erlebt. So... entspannt.
Sie hatte ihn noch nie so frei bemerkt, wie er völlig entspannt in sein Essen biss und es dermaßen genoss, dass er wie Teddy leise Geräusche von sich gab.
Es ließ ihr Herz höher schlagen als sie diese Kleinigkeit erkannte und mit ihrem Sohn in Verbindung bringen konnte.
Schmunzelnd hob Rachel ihr Pizzastück an. „Besserwisser", schimpfte sie ihn und biss auch von der Pizza ab, die sie sich bestellt hatte.
„Hey!" Der Soldat haute der sechsunddreißigjährigen leicht gegen ihren Arm. „Stimmt nisch", nuschelte er und zog seinen Becher Cola zu sich heran. „Ich habe auch dämliche Ideen."
„Zum Beispiel?"
„Im Winter schwimmen gehen."
Rachels Mundwinkel zuckten stark. „Will, das war damals meine Idee gewesen", sagte sie ihm.
„Ich habe die Vorlage geliefert."
Sie hob kurz eine Augenbraue an, ließ sie aber direkt wieder sinken. „Gut, mag sein." Sie überlegte. „Aber der Einzige, der doch schwimmen ging, war-"
„Epps. Ich weiß." Er schmunzelte vor sich hin und sie kicherte.
„Wie geht's ihm?", fragte Rachel vorsichtig nach.
Dass sie es besser wusste als wahrscheinlich er, machte ihr im Moment nichts aus. Sie wollte ihn wohl auch etwas auf den Zahn fühlen.
„Um ehrlich zu sein." Er seufzte und legte die Pizza genau wie sie zum selben Zeitpunkt beiseite. „Ich glaube du weißt es besser." Er sah auf und zuckte mit den Schultern. „Wir haben keinen so guten Kontakt mehr zueinander."
„Warum ist das so?" Sie legte den Kopf schief. „Rob, er... wollte nicht drüber sprechen."
„Wir haben uns erst über meine Entscheidung gestritten", erzählte Lennox. „Nur dann wurde es persönlich und... ging um dich."
„Um mich?" Sie hob beide Augenbrauen und er zuckte nochmal mit den Schultern.
„Er wusste es, Rachel. Er wusste, was wir miteinander hatten."
Sie legte den Kopf auf die andere Seite schief. „Ich dachte nicht, dass ihr euch deswegen zerstritten habt", sagte sie leise. „Es ist zehn Jahre her."
„Er würde auch jetzt nicht begeistert sein." Der dreiundfünfzigjährige rollte mit seinen Augen.
„Ich verstehe nicht, dass ihr das nicht einfach beiseite legt."
„Ich würde gern", gestand Lennox. „Aber er anscheinend nicht. Jedes Mal, wenn ich mich zu entschuldigen versuche, sagt er, es wäre zu spät. Meine Entscheidung wäre bereits gefallen und ich müsste damit leben."
„Ja, Rob kann furchtbar konsequent sein." Rachel seufzte und atmete tief ein. „Soll ich mit ihm reden?"
Er schüttelte den Kopf. „Das ist mein Kampf, Rachel."
Sie sah auf seine Hand als er sie ohne nachzudenken wieder ausstreckte und ihr über die Wange streichelte.
„Es fühlt sich unwirklich an", gestand er ihr. „Wie es sich real und wie früher anfühlt."
Sie seufzte, legte ihre Hand an seine und nahm sie in ihre. „Ich weiß, was du meinst."
Es trat Stille ein. Stille, die die ehemalige Liaison sofort wieder durchbrechen wollte.
„Wieso kamst du auf die Idee, hier zu essen?", fragte sie ihn. „Der Central Park hätt's doch auch getan."
Sie lenkte das Thema auf den von Lennox sorgfältig gewählten Platz.
„Ich fand ihn gut als wir daran vorbeigefahren sind." Er zuckte mit seinen Schultern. „Es ist nicht weit von deiner Wohnung entfernt und so hast du die Möglichkeit, jederzeit zu flüchten, wenn ich dir zu viel werde."
„Du solltest doch wissen, dass ich nicht abhaue", widersprach sie ihm.
Er zog eine Augenbraue hoch. „Ausgerechnet ich sollte das wissen?", meinte er. „Wer ist denn vor mir davongelaufen?"
„Ich war sechsundzwanzig", merkte sie an. „Und du hast mich manchmal nicht fair behandelt."
„Siebenundzwanzig", korrigierte er sie. „Und für den Rest, den du eben sagtest, muss ich mich wohl entschuldigen." Er lächelte matt. „Ich habe mich vor zehn Jahren wie ein Arschloch verhalten. Das tut mir leid, Rachel."
Sie atmete tief ein und wandte den Blick ab. „Ich glaube, ich habe dir schon vor einiger Zeit vergeben", stellte sie klar. „Ich weiß nicht genau wann, aber... irgendwann."
Er neigte den Kopf. „Ich kann trotzdem nur sagen, wie leid es mir tut. Ich war egoistisch und ich habe dich angelogen und verletzt. Das lag nie in meiner Absicht. Ich... hab es einfach nicht gesehen."
„Du kannst es wiedergutmachen", sagte Rachel ihm und drehte ihren Kopf und sah ihm wieder in die braunen Augen. „Sei diesmal ehrlich mit mir."
Er sah sie an und seine Mundwinkel bewegten sich. „Ehrlich?" Sie nickte. „Was möchtest du wissen?"
„Was zwischen Sarah und dir vorgefallen ist", bat sie ihn. „Du hast dich für sie damals entschieden und... das hat wehgetan."
Er atmete tief ein. „Ich entschied mich für sie, weil sie Krebs hatte."
Rachels Miene wurde von nachdenklich zu bedrückt. Beinahe auf der Stelle.
„Oh Gott, es tut mir so leid." Sie streckte eine Hand aus und ergriff seine.
Er sah darauf und seufzte. „Sie besiegte ihn", erzählte er ihr und begann mit ihren Fingern zu spielen. „Aber er kam vor zwei Jahren wieder. Noch stärker als zuvor."
Sie ahnte, worauf das hinauslief. „Sie ist gestorben."
Er nickte und hob den Blick, lächelte leicht. „Annabelle hat es nicht leicht, ich sagte es ja."
„Aber was ist mit dir?" Sie legte ihren Kopf schief. Einen mitleidigen Gesichtsausdruck aufgelegt. „Auch für einen Erwachsenen ist das unfassbar belastend. Und sie war deine Frau, Will."
„Ist das die Ärztin, die da aus dir spricht?" Er schmunzelte. „Rachel, ich komme klar", sagte er ihr. „Sarah und ich haben schon vor langer Zeit unseren Frieden gefunden."
„Es kann mir trotzdem leid tun", sagte sie. „Egal was war, das hat deine Familie nicht verdient." Sie wunderte sich im Innern ein wenig. Epps hatte einst erzählt, wie nah Sarah und er sich standen. Er hatte mit keinem Wort erwähnt, dass sie verstorben war.
„Lass uns bitte das Thema wechseln", bat er sie.
„Worüber möchtest du denn sprechen?"
„Deinen Job?", entgegnete er.
„Als Ärztin?" Sie lachte leicht. „Glaub mir, das ist langweilig."
„Menschenleben zu retten ist langweilig?", hinterfragte er.
„Ja", sagte sie. „Ist es."
Sie nickte, ging aufs neue Thema ein. Sie wollte ihn nicht drängen, sich ihr mitzuteilen. Allein das er so ehrlich zu ihr gewesen war, bedeutete ihr viel. Nur jetzt hatte sie ein noch stärkeres schlechtes Gewissen ihm gegenüber – weil sie nicht ganz ehrlich zu ihm war.
„Nach einiger Zeit..." Lennox legte seinen Kopf schief und musterte sie, während sie sprach. „Da kommt es dir nur so vor als lebst du in den Tag hinein und tätigst dessen Routine, verstehst du?" Er nickte. „Es ist mittlerweile normal für mich, das Leben anderer zu retten oder es ihnen zu erleichtern."
Einige Sekunden herrschte Ruhe zwischen ihnen, die beide als Zeit zum Nachdenken nutzten.
Lennox sah einfach, wie sehr das innere Bild, dass er sich langsam über sie bildete, auch zu ihrem äußeren Profil passte. Sie war eine gutaussehende, kluge und ernsthafte Frau geworden. Das was er sich immer vorgestellt hatte, wenn er an sie gedacht hatte.
„Du hast dich verändert", bemerkte Lennox.
„Du dich auch", entgegnete Rachel augenblicklich. „Vor zehn Jahren, da... wäre unsere Unterhaltung ganz anders gelaufen."
„Du meinst im Bett?" Er legte den Kopf schief. „Wir waren sehr hormongesteuert." Er sah zu, wie sie im Schein der Laterne rote Wangen bekam. „Wo ist die niemals mundtote junge Frau hin?", hakte er belustigt nach.
„Sie hat ein Kind bekommen und musste erwachsen werden."
„Ich mag diese Frau." Er musterte sie und lächelte leicht. „Ich finde, sie ist sexy."
„Danke." Sie wusste nicht, was sie anderes hätte sagen sollen.
„Nur mir fehlt das Septum", bemerkte er.
„Oh", machte Rachel. „Aber mein Septum habe ich noch."
„Wirklich?" Er runzelte die Stirn.
„Ja." Sie legte ihren Kopf in den Nacken. „Ich habe mir einen Tunnel für das Piercing geholt. Bei der Arbeit darf ich aus hygienischen Gründen kein heraushängendes tragen." Sie zuckten mit ihren Schultern und sah ihm wieder ins Gesicht.
„Ist das deine Naturhaarfarbe?", fragte er sie und griff nach einer ihrer Haarsträhnen.
Rachel schüttelte den Kopf. „Sie sind etwas dunkler", erklärte sie ihm. „Aber das ist natürlicher als das was ich noch vor ein paar Jahren hatte."
„Das wäre?"
„Einmal komplett türkise Haare." Rachel grinste breit und er lachte kopfschüttelnd. „Das war voll cool", sagte sie ihm.
„Das glaube ich dir", erwiderte er und musterte sie nochmal.
Er nahm sich vor, ihr nicht allzu lang ins Dekolleté zu blicken, doch den Blick letztendlich rechtzeitig loszureißen erforderte eine Menge Kraft.
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„Der Arzt vorhin..." Lennox fing an die Stille zu durchbrechen, die auf dem Nachhauseweg zu Rachel herrschte. „Er meinte vorhin etwas wegen deinem Kind."
Rachel schmiss in einen nahegelegenen Mülleimer endlich ihr Getränk hinein. Sie wusste es nicht mehr auszutrinken.
„Ich wusste nicht, dass er keinen Vater hat."
Rachel atmete tief ein. „Er hat einen", sagte sie ihm. „Er... wir haben keinen Kontakt zu ihm."
„Das tut mir leid", merkte er an und sah geradeaus. „Ich merke, wie sehr ich Annabelle mit meiner Abwesenheit geschadet habe. Könnte ich es rückgängig machen, würde ich es auf der Stelle tun."
„Ehrlich?"
„Ja." Er nickte. „Verlief deine Schwangerschaft wenigstens ohne Probleme?"
„Naja, ich bin fett geworden." Rachel rollte mit den Augen. „Das war mein größtes Problem."
Er schnaubte. „Freut mich, zu hören."
Sie bogen um die Ecke und Rachels Haustür kam in Sicht.
„Da sind wir." Sie drehte sich beklommen zum Soldaten um.
Irgendwie wollte sie nicht, dass der Abend endete. Doch gleichzeitig wusste sie, es war besser, nun etwas Abstand zu gewinnen. Sie hatten heute viel miteinander an Geschichten und Informationen geteilt. Das Ganze musste erst verarbeitet werden.
„Jap." Er presste kurz die Lippen aufeinander, biss sich dann aber auf die Unterlippe. „Hey." Er hob ihr Kinn an, sodass sie gezwungen war, ihn anzusehen. „Der Abend war sehr schön."
Sie lächelte leicht. „Darf ich dir was sagen, was mir auf dem Herzen liegt?" Er nickte, also sprach sie weiter. „Ich hab mich vor zehn Jahren gefühlt, als wäre ich nur Spielzeug für dich gewesen", teilte sie ihm mit und biss sich kurz auf ihre Unterlippe. „Ich möchte nicht, dass wie damals alles wieder von vorne losgeht."
„Du warst niemals Spielzeug für mich, tut mir leid." Er schüttelte den Kopf. „Ich dachte, das hätte ich klargestellt."
Sie presste ihre Lippen aufeinander.
„Okay." Sie atmete tief ein. „Dann... hätten wir das geklärt." Sie nickte. „Der Abend war schön." Sie wusste, sie wiederholte seine Worte, doch tief im Innern wollte sie sich gerade vor der Verabschiedung drücken, weil sie nicht wusste, wie sie sich verabschieden sollte.
Seine Mundwinkel zuckten, ehe er einen Schritt näher an sie herantrat. Rachel blinzelte und schluckte leicht, während ihr Herz schneller zu schlagen anfing. „Gute Nacht, Miss Dumblin."
Rachel hatte schon ihre Augen geschlossen als er sich zu ihr hinabbeugte. Sie hatte sich schnell dem Gedanken ergeben, ihn zu küssen. Irgendwie kribbelten auch schon erwartungsvoll ihre Lippen.
Allerdings ergab sich ein Problem. Die Sprechanlage ging an und die Stimme eines Kindes ertönte daraus.
„Die zehn Minuten vor der Tür sich gute Nacht sagen sind um, Mom." Lennox blinzelte und seine Augen wanderten zur Tür. „Ich warte seit vier Stunden darauf, dass du heimkommst und mir noch einen Gute-Nacht-Kuss gibst." Rachel öffnete auch ihre Augen und ließ ihren Kopf hängen. „Bitte sei doch so freundlich, beende das Gespräch und komme rein. Danke." Teddy stoppte kurz. „Ach so!" Ihm fiel noch etwas ein. „Und an Sie, Sir." Lennox zog eine Augenbraue hoch als Rachel ihn entschuldigend ansah und ihre Lippen zusammenpresste. „Finger weg von meiner Mom. Sie ist meinem Dad versprochen." Danach verstummte Teddy endlich.
„Ehm..." Rachel kratzte sich am Hinterkopf. „Entschuldige." Sie konnte dazu letztendlich nichts anderes sagen. „Er scheint übermüdet."
„Er scheint frech zu sein", korrigierte Lennox sie und lächelte leicht, ehe er ihr über die Wange streichelte. „Nichts, was ich von einem Dumblin nicht kenne und gewohnt bin."
Die sechsunddreißigjährige errötete leicht, ehe Lennox ihr einen Kuss auf die Lippen verpasste, der ihrer Meinung nach aber viel zu kurz war. „Gute Nacht, Rachel."
Rachel seufzte. „Das war kein Gute-Nacht-Kuss." Sie zog ihn zu sich heran. „Auf mein Kind geschissen." Sie drückte ihre Lippen auf seine und schlang ihre Arme um seinen Hals.
Wenigstens diesen Kuss wollte sie sich stehlen können. Und das in völliger Ruhe.
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„Was denn?" Sie sah Teddy an.
„Auf mein Kind geschissen?", zitierte der neunjährige sie und tippte mit dem Fuß mehrfach auf dem Boden auf.
„Wieso bist du überhaupt noch wach?", fragte Rachel ihn. „Morgen ist Schule und du gehörst schon längst ins Bett."
„Sideswipe ist eingeschlafen und ich hatte Hunger. Danach konnte ich nicht mehr schlafen."
Rachel stöhnte und ließ ihre Handtasche fallen. „Verflucht seist du, Autobot."
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Datum der Veröffentlichung: 02.10.2022 13:29 Uhr
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