Kapitel 05
Rosa und ich haben uns die ganze Nacht über Daisy unterhalten und Kakao geschlürft, bis uns schlecht wurde. Als ich meine Augen öffne, begrüßt mich das helle Tageslicht. Zu meiner Linken schläft Rosa wie ein Seestern ausgebreitet und ohne sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Kurz sehe ich nach, ob sie noch atmet und muss kichern, wie fest sie schläft und wie wenig es ihr ausmacht, dass man ihr in die Wange piekst. Sie hatte mir versprochen, die Klamotten zu waschen, bevor ich gehen würde. Ich krieche aus dem schmalen Bett und wundere mich, wie wir es geschafft haben, beide auf dieser kleinen Matratze zu schlafen. Die Blase drückt mir und ich presse beim gehen meine Oberschenkel zusammen. Ich muss dringend ins Bad.
Doch als ich die Tür öffne, steht der Boden unter Wasser. "Mist!", fluche ich und schmeiße hektisch den Stapel Handtücher auf den Boden. Was ist hier bloß passiert? Ich hebe den Deckel der Toilette an und sehe, dass sie verstopft ist. Mist. Mist. Mist. Bei diesem Anblick wird mir bewusst, dass ich die Toilette nicht benutzen kann. Ich muss zum Bad im Flur gehen, mit der bequemen Badewanne und dem viel zu großen Spiegel.
Rosa schläft weiterhin tief und fest, als ich ihr Zimmer verlasse. Wieder sehe ich mich in der Spiegelglasvitrine den Flur entlanghuschen. Im angrenzenden Flur zu Damiens Schlafzimmer verharre ich kurz. Ist er da?, denke ich. Nein, er ist auf Geschäftsreise, erinnert mich meine innere Stimme. Ich zwinge mich also dazu, meine Gedanken zu ignorieren und aus irgendeinem Grund versuche ich trotzdem so leise wie möglich zu gehen, denn egal wer hier sein oder nicht sein mag, ich möchte auf keinen Fall erwischt werden.
Als ich endlich das Badezimmer erreiche, mit dem ich so viele Erinnerungen teile, vergesse ich meine Absicht, leise zu sein, und stürme in den Raum. Die Badewanne zieht meine Aufmerksamkeit auf sich, dann der große Spiegel, den ich nach all diesen Wochen auf der Straße am liebsten wieder verdecken würde. Ich kann meinen Anblick nicht ertragen. Ich fühle mich wie am ersten Tag in diesem Apartment. Verletzt und fehl am Platz.
Kurze Zeit später wasche ich mir die Hände am Waschbecken und ignoriere mein Spiegelbild, das mir so unter die Nase gerieben wird. Ich muss hier raus. Bevor ich es realisieren kann, stürme ich aus der Tür und renne direkt in die Arme einer Person, die mich so sehr erschreckt, dass ich ein lautes Kreischen von mir gebe. Zuerst denke ich, dass es Rosa ist, aber schnell wird mit bewusst, dass sie es nicht sein kann. Vor mir steht Sebastian mit einem ebenso erschrockenen Stirnrunzeln und ich öffne meinen Mund, um etwas zu sagen, bekomme aber nichts heraus. Wir betrachten uns für einige Sekunden schweigend und ich bewundere seine Augen, die mich an Damiens erinnern. Hör auf damit! Ich bewege verwirrt meinen Kopf, als könnte ich meine Gedanken einfach so abschütteln.
"Hallo. Kennen wir uns?", lautet seine erste Frage, bevor er einen Schritt zurücktritt. "Du musst Daisy sein, richtig?", ist seine zweite. Ich will meinen Kopf schütteln, aber im nächsten Moment betritt Rosa mit gemachten Haaren und ihrer Arbeitskleidung den Flur. Sie blickt auf zu mir und Sebastian, aber nur ich bemerke ihren hektischen Blick, der zwischen uns hin- und herschweift. "Rosa. Daisy ist hier?", murmelt Sebastian und kaut unbeeindruckt auf einem Kaugummi, dessen Minzgeruch ich bis hier hin riechen kann. Auf mich wirkt er nicht wie ein Krimineller. Ich frage mich, was er in seinem Wohnheim angestellt haben mag. Das würde mich wirklich interessieren.
"Daisy.", Rosa lächelt und ich verstehe die Welt nicht mehr. Sie sieht doch, dass ich ihren Schlafanzug trage und Sebastian nicht dumm ist. Er wird merken, dass hier etwas faul ist. "Wir haben uns letzte Nacht ausgesprochen.", fügt sie zu ihrer Notlüge hinzu und Sebastian zuckt mit den Augenbrauen.
"Ausgesprochen.", wiederholt er Rosa, die daraufhin mit den Augen rollt, und zuckt ein weiteres Mal mit den Brauen, bis ich verstehe, was er da gerade versucht anzudeuten. Warte, weiß er etwa von Daisy und Rosas Streit? " Na ja, ich lasse euch beide mal in Ruhe. Wer weiß, vielleicht gibt es ja noch mehr zu besprechen.", lacht er und verschwindet im Wohnzimmer. Ich hätte wissen müssen, dass Sebastian im Apartment sein könnte!
"Tut mir leid. Ich dachte, er würde nach dem Gerichtstermin bei seinen Eltern übernachten.", gibt Rosa flüsternd zu und ich presse die Lippen zusammen. Im Hintergrund höre ich ein Klingeln. "Wer ist das denn...", murmelt sie verwundert. "Sebastian, machst du auf?", ruft sie ihm hinterher und nun bin ich mir sicher, dass die beiden auf jeden Fall ein anderes Verhältnis zueinander haben, als Rosa zu Damien. Er ist schließlich ihr Boss und Sebastian nur sein kleiner Bruder. Ich hätte trotzdem nicht erwartet, dass sie ihm an ihren Beziehungsproblemen teilhaben lässt und ihn dann auch noch mit Vornamen ansprechen darf.
"Jup.", hören wir ihn aus der Ferne antworten, bevor er mit einem Pfeifen zu einem Schalter geht, um einen leuchtenden Knopf zu drücken.
"Spiel einfach mit, okay? Niemand darf wissen, dass du, Birdie, hier warst. Dann bist du heute eben mal Daisy.", versucht sie zu scherzen, aber merkt selbst, wie unangebracht es ist. Ich schnaube nachdenklich und denke kurz darüber nach. Mir wäre es schon lieber, wenn Damiens Bruder nicht weiß, wer Birdie ist und dass sie, also ich, hier war, um es ihm dann später zu erzählen.
"Na gut."
"Du hast was gut bei mir.", sagt sie, aber ich erkläre ihr, dass das nicht stimmt, da sie schon so viel für mich getan hat und sie dies einfach als ein Dankeschön anerkennen soll. "Lass uns etwas frühstücken. Du hast sicherlich Hunger." Ich nicke, fühle mich aber seltsam, mich wieder an Damiens Kühlschrank zu bedienen, obwohl er es nicht weiß und ich eigentlich nie wieder dieses Apartment betreten wollte.
"Kannst du mir bitte auch einen Pfannenkuchen machen, Rosa?", fragt Sebastian, der sich mit seinem Smartphone auf die Couch geschmissen hat. Er ist wirklich das komplette Gegenteil von Damien. Ich hoffe, dass er sich nicht an die Begegnung von vor wenigen Wochen erinnert, als mir seine Mutter den Regenschirm geschenkt hatte. Das wäre das Letzte, was wir jetzt gebrauchen könnten. Es würde zwar nichts daran ändern, er würde mich trotzdem nicht kennen, aber vielleicht könnte er eins und eins zusammenzählen und dann irgendwann selbst drauf kommen. Alles ist möglich...
Ich setze mich auf den Barhocker und Rosa macht sich an unsere Pfannenkuchen, nachdem ich sie gefragt habe, ob ich ihr irgendwie helfen kann, sie meine Hilfe jedoch ablehnte. Das Klingeln des Fahrstuhls erschreckt uns alle. Ich habe vollkommen vergessen, dass Sebastian ja jemanden hereingelassen hatte. Jetzt frage ich mich, wer es sein mag. Die schweren Türen gehen auf und ich kann meinen Augen nicht trauen. Als ich zu Rosa herübersehe, bemerke ich dieselbe Panik in ihren Gesichtszügen, die sich gerade bei mir ausbreitet. Nur Sebastian hat keine Ahnung, wer dort gerade mit blutunterlaufenen Augen vor ihm steht.
Es ist Daisy. Nur diesmal die richtige Daisy, die sich hektisch im Raum umsieht, bevor ihr Blick auf Rosa fällt.
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