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Nachdem ich alles aufgeklärt habe, umarmen mich Joe und Sten ganz fest. So, als sei es ein Abschied für die Ewigkeit. Joe rollt eine Träne über die Wange. Ich habe sie noch nie zuvor weinen sehen. Auch Sten lässt es nicht kalt.
"Ihr seid die Besten", flüstere ich in ihre Ohren: "Macht Core Basis zu einem besseren Ort. Ich meine Free Basis."
"Das machen wir. Danke, dass du uns die Wahrheit erzählt hast", antwortet Joe und wischt sich übers Gesicht. Ich hätte nie gedacht, dass ein geplanter Abschied schlimmer sein könnte, als ein plötzlicher, der unerwartet kommt. Joe und Sten wurden mir vom Weisen so plötzlich entrissen, dass ich ihn am liebsten ermordet hätte. Es hat die falschen getroffen. Doch nun gehe ich freiwillig von hier fort. Ich verlasse freiwillig meine Familie, um meinem Schicksal entgegenzutreten, so schwer es auch ist.
"Geh schon", meint Sten und klopft mir noch einmal auf die Schulter: "Und grüß Keira von uns allen."
"Und danke ihr dafür, dass sie uns alle erschaffen hat", fügt Joe hinzu. Ich nicke, habe aber kaum das behalten, was mir aufgetragen wurde. In meinem Kopf geistern nur meine Freunde umher. Ich gebe sie auf, freiwillig. Aber es muss sein. Für Free Basis und die Charaktere.
Ich schaue noch einmal zurück auf die Leute, die mir tuschelnd hinterherschauen. Es ist gut zu wissen, dass sie jetzt wieder ihre Meinungsfreiheit zurückerlangt haben. Was wäre eine richtige Politik, ein richtiges Leben, ohne die Freiheit, seine eigene Meinung auszusprechen? Ich bin so dankbar dafür, dass der Weise nun keine Chance mehr haben wird, sie uns wegzunehmen. Ich weiß, dass Sten und Joe dafür sorgen werden, dass die Rechte der Charaktere gesichert bleiben.
Mit den lateinischen Worten auf den Lippen reise ich zurück in Keiras Welt. Wie am ersten Tag, als ich hier unwissentlich gelandet bin, sitzt Keira wieder an ihrem Schreibtisch. Sie blickt auf ihren Laptop, vertieft in die Musik auf ihren Ohren. Lächelnd schleiche ich mich an und erkenne, dass sie etwas liest.
"Hey", sage ich und lege die Hände auf Keiras Schultern. Sie zuckt abrupt zusammen, zieht aber die Mundwinkel nach oben, als sie mich erblickt. Die Kopfhörer nimmt sie ab und umarmt mich eine ganze Weile. Es hat sich wie eine Ewigkeit angefühlt, als ich sie zum letzten Mal so halten durfte.
"Ich habe dich so vermisst."
"Was machst du da?", frage ich schnell.
"Ich lese deine Geschichte. Naja, es ist schon zwei Jahre her, seit ich sie geschrieben habe. Da wollte ich mein Gehirn mal wieder etwas auffrischen." Keira blickt einen Moment auf den Monitor. Sie ist gerade bei Kapitel zwei angekommen.
"Hast du davon eine Kopie?", wechsel' ich das Thema.
"Nein, noch nicht. Aber gut, dass du mich daran erinnerst. Die sollte ich gleich mal anlegen. Aber jetzt erzähl erstmal, wie es gelaufen ist. Ist alles gut gegangen?", fragt sie besorgt. Ich nicke.
"Ja, alles ist glattgelaufen. Dank dir." Ich streiche ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und blicke glücklich in ihre Augen. "Ich muss mich für mein Verhalten entschuldigen. Ich war kalt und angespannt und habe dich wie Dreck behandelt. Aber die Wahrheit ist, ohne dich wäre der Weise jetzt immer noch da und ich liebe dich, Keira."
Ihr Lächeln wird breiter, als sie ihre Lippen auf meine legt. "Ich liebe dich auch, Brian. Aber erzähl. Was ist passiert?"
"Wir haben die Villa gestürmt und den Weisen vor ganz Core Basis bloßgestellt. Dann ist er auch schon verschwunden. Er wurde endgültig gelöscht. Danach musste ich noch meiner Sekte das ganze mit dem Mord erklären. Die waren zunächst überhaupt nicht begeistert. Ich hatte totale Angst, dass sie mich nun dafür umbringen würden. Aber Sten und Joe haben die Situation gerettet und den anderen klargemacht, dass mein Schicksal vorbestimmt war und ich Core Basis und sie nun alle gerettet habe. Stell' dir vor; sie wollten mich als neuen Weisen haben."
"Und, hast du angenommen?", fragt sie neugierig. Ich halte sie immer noch umschlungen in meinen Armen und schüttel' amüsiert den Kopf.
"Ich als Weiser wäre völlig unbrauchbar. Da würde die Stadt ganz sicher im Chaos versinken. Wir haben Core Basis jetzt übrigens umbenannt zu Free Basis, mit neuen Rechten und keinen Klassenunterschieden mehr. Sten und Joe werden dafür sorgen, dass neue Häuser gebaut werden, in denen dann alle wohnen können, egal in welcher Sekte man vorher war. Die Tattoos haben nämlich überhaupt nichts auszusagen, außer, dass man derselben Geschichte angehört, wie du ja weißt. Meine Freunde werden das schon machen. Sten wollte auch schon immer Präsident werden. Das habe ich dank deines Notizbuches erfahren, wofür ich sehr dankbar bin. Er wird Free Basis zu einem besseren Ort verhelfen."
"Und was machst du jetzt? Schwebt dir da schon etwas vor?", fragt sie vorsichtig, als ich mit der Erzählung fertig bin. Ich tue so, als würde ich eine Sekunde darüber nachdenken, obwohl mein Entschluss längst feststeht.
"Ja, das weiß ich."
Ich küsse sie noch einmal zärtlich und klammere mich an ihren Körper. Ich rieche noch einmal ihr Kräuter-Shampoo, spüre noch ein letztes Mal ihre Körperwärme und flüstere leise zwischen uns: "Ich werde dich niemals vergessen. Du warst meine Protagonistin, die ganze Zeit. Ich liebe dich, Keira Taylor." Mit diesen Worten drücke ich auf die Taste ihres Laptops, ohne, dass sie davon etwas mitbekommt.
Als sie wieder die Augen aufschlägt, fragt sie verwirrt: "Was? Was soll das heißen? Brian, ich-." Ihre Stimme bricht in tausend kleine Scherben. Tränen fallen zu Boden. Ich bin weg. Kein Brian, der vor ihr steht. Kein Protagonist, der die Welt gerettet hat. Kein Liebhaber, der Keira noch einmal in den Arm nehmen kann, um ihr zu sagen, dass alles gut werden wird. Ich bin weg. Game over. Sie hat mich verloren...
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