Kapitel 34
April, 1997
Die Tage vergingen wie im Flug. Die Abschlussprüfungen rückten näher. Hermine ging langsam den Weg zum Raum der Wünsche mit einem Gefühl von allgemeiner Traurigkeit. Sie ließ sich auf ihren üblichen Platz fallen und lehnte sich auf dem Sofa zurück, Gar böse Zauberey schwebte über ihrem Kopf, und die Seiten blätterten wie von Geisterhand über ihr.
Sie hatte den Einband inzwischen so verzaubert, dass er wie Geschichte Hogwarts aussah, und Severus hatte sich schon darüber lustig gemacht, dass sie es schon wieder las. Aber es war besser - ihm keinen Hinweis auf ihre aktuellen Nachforschungen über Horkruxe zu geben. Es gab immer noch einige Dinge, die verborgen bleiben sollten, einige Dinge, die sie nicht riskieren wollte, egal wie sehr sie sich um ihn sorgte. Ein paar Geheimnisse können nicht schaden.
Sie versuchte zu lesen, aber sie hatte einfach nicht die Kraft dazu. Resigniert wand sie ihren Blick von den Seiten ab und betrachtete die Schatten, die über die Farben am Fenster huschten.
Vertraute Schritte lenkten sie von der Ruhe ab, die sie gefunden hatte. Nur eine Person würde wissen, dass sie hier war, und als sie den Kopf wandte, stand da Severus Snape, ganz in Schwarz gekleidet und ziemlich erwachsen. Im letzten Jahr hatte er endlich den letzten halben Zentimeter seiner vollen Größe erreicht, und er sah tatsächlich aus wie Professor Snape, nur jünger, um Jahrzehnte weniger abgekämpft und deutlich gesünder - viel glücklicher und entspannter.
Sie sah ihm nach, wie er auf sie zukam, ihre Augen klebten an seinen Stiefeln - wann hatte er aufgehört seine schwarzen Lederschuhe zu tragen?
Sie nahm sein Gesicht in Augenschein und versuchte, es sich einzuprägen, denn sie wusste, dass es sich in den kommenden Jahren noch sehr verändern würde. Aber im Moment sah er menschlich aus, ganz wie ein junger Mann, der eine Zukunft vor sich hatte.
Erlegte seine Robe bei ihrem Sessel ab und ging zu seinem Tisch hinüber. In diesem Moment schien alles absolut ruhig zu sein, perfekt sogar. Das Sonnenlicht strömte durch das Fenster, es war gnädig ruhig, so ruhig wie seit Wochen nicht mehr.
Sie seufzte und las noch einmal die eine Zeile, die das Buch über Horkruxe zu bieten hatte: "Über den Horkrux, die bösartigste aller magischen Erfindungen, werden wir nicht sprechen und keine Anweisungen geben."
Was war der verdammte Sinn eines Buches mit dem Titel Gar böse Zauberey, wenn es nicht den bösesten Teil der Zauberei beschreiben wollte.
"Alles in Ordnung da drüben, Hermine?" sagte Severus aus der Ecke des Raumes, wo er mittlerweile wieder einmal über einen Kessel - Kupfer, Größe 12 - gebeugt war.
"Mmmm?"
"Du hast geseufzt."
"Oh, es ist nichts", sie winkte mit der Hand, "Nur dieses Buch..."
"Ist die Beschreibung der verzauberten Decke in der Großen Halle nicht mehr so orgasmisch wie beim ersten Mal, als du es gelesen hast?", lachte er und fügte dem Kessel einen Haufen geschnittener Molchschwänze hinzu.
Die Röte stieg ihr in die Wangen. Hermine warf ihm eine ziemlich unhöfliche Handbewegung zu, "Halt du doch die Klappe" , als sie das Buch mit einem Knacken zuklappte und es in ihre Tasche steckte, wobei sie darauf achtete, den Zauber auf dem Einband nicht zu lösen. Hermine kroch vom Sofa hinüber zu Severus Kessel und schaute auf seine Hände hinunter, während er rasch Rosenstiele zerkleinerte.
"Was braust du da?"
"Das geht dich nichts an", antwortete er grinsend, fügte die Stiele hinzu und rührte viermal gegen den Uhrzeigersinn.
Hermine rollte mit den Augen, "Es geht mich etwas an, wenn du den Raum mit giftigen Dämpfen füllst. Du solltest wissen, wenn Molchschwanz und Rosenblätter reagieren entsteht -"
"Würgegas", antwortete Severus, "offensichtlich."
Er rührte den Zaubertrank erneut um, viermal im Uhrzeigersinn, während Hermine skeptisch auf die zarten Dämpfe blickte, die aus der violetten Flüssigkeit aufstiegen.
"Wirst du es mir dann sagen?", fuhr sie fort.
"Dir was sagen", grinste Severus jetzt.
"Wie du es geschafft hast, Molchschwanz und Rosen zu mischen, ohne uns beide zu töten."
Ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, "Das ist ganz einfach. Ein so kluges Mädchen wie du kann das doch sicher herausfinden."
Er entfernte sich von dem Kessel und lehnte sich an einen der großen Tische im hinteren Teil des Raumes.
Hermine verschränkte ihre Arme.
"Na los, schlauste Hexe ihres Alters", grinste Snape, "wie hab ich es gemacht?"
"Nun, ich nehme an," sagte Hermine, "du hast etwas benutzt, um den Trank zu stabilisieren."
"5 Punkte für Gryffindor", sagte Snape sarkastisch, "Und was wäre dieses Etwas?"
Hermine warf einen Blick auf seine Schneidebretter, die nicht zu gebrauchen waren, da Severus seinen Arbeitsplatz immer tadellos hielt, "Minze? Feigenblätter? Salamander Eier? Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung."
"Das ist das Problem mit euch Gryffindors", tadelte Severus, "keine Fantasie."
Hermine rollte mit den Augen, "Nicht jeder kann Gedanken lesen, Snape."
"Wirklich?", fragte er und begutachtete eine Schnittwunde an seinem Daumen, die er sich beim Schneiden der Rosen zugezogen haben musste, "Ich dachte, jeder wäre von Natur aus ein so begnadeter Legilimens, wie ich."
"Du bist unausstehlich", sagte Hermine und stieß ihren Finger in seine Brust.
Severus grinste zu ihr hinunter, "Du selbst bist auch nicht ganz leicht zu ertragen, weißt du."
Hermine rollte mit den Augen, "Flubberwurmschleim? Ich weiß, dass er das Mittel gegen Furunkel verdickt und stabilisiert, aber ich wüsste nicht, wie das gegen das giftige -"
"Da müssen Sie sich schon mehr anstrengen, Miss Granger", lachte Severus.
Hermine warf ihm einen bösen Blick zu, "Verpiss dich, Professor Snape."
"Sie, Miss Granger, werden für diese Aufgabe ein Troll bekommen."
"Das werde ich nicht."
"Dann sagen Sie mir", sagte Severus, verließ den Tisch und trat näher an sie heran, "was habe ich benutzt?"
Hermine wich einen Schritt von ihm zurück, "Ich versuche nachzudenken - wenn du mir nur eine verdammte Minute geben würdest."
Severus trat wieder auf sie zu und sie wich zurück, bis sie mit dem Rücken gegen eines der Bücherregale an den Wänden gepresst war, "Na los, denk nach."
Er grinste sie an und stützte einen Arm auf das Regal neben ihrem Kopf.
"Honigwasser?"
"Nein."
Hermine spürte, wie die Buchrücken gegen ihren eigenen gedrückt wurden, während Severus sie festhielt.
"Iguana Blut?"
"Schon wieder falsch", lachte er.
"Lavendel?"
"Nicht einmal annähernd", antwortete Severus und beugte seinen Kopf zu ihrem Ohr, "Granger."
Hermine fühlte sich plötzlich ganz warm. Sie schaute noch einmal zu seinem Arbeitsplatz hinüber und hoffte vergeblich, dass sie etwas übersehen hatte. Aber sein Schneidebrett war noch genauso leer wie vor ein paar Minuten, der tiefrote Zaubertrank blubberte in seinem Kessel vor sich hin.
Und dann wurde es ihr klar, "Du hast Blutwurz verwendet."
"Meine Güte, Miss Granger, ich glaube, ich muss Gryffindor 10 Punkte geben."
"Das Gift des Blutwurz ist hochgradig basisch, was den sauren Anteilen des Würgegases entgegenwirkt und trotzdem die Konsistenz und Farbe des Trankes erhält."
"Braves Mädchen", grinste Severus und Hermine spürte, wie sich ihr Magen bei seinen Worten umdrehte.
Sein Mund war nur Millimeter von ihrem entfernt. Er zog sich nicht sofort zurück, und als sie wieder zu ihm aufblickte, sah sie, wie sich mehrere Ausdrücke auf seinem Gesicht abwechselten. "Dich beschäftigt etwas." Seine Stimme war ungewohnt sanft, frei von Spott oder Schärfe.
Hermine öffnete die Lippen, aber kein Wort kam heraus. Ihr Kopf fühlte sich plötzlich schwer an, überladen mit zu vielen Gedanken, zu vielen unausgesprochenen Dingen. Sie konnte noch immer seinen Atem auf ihrer Haut spüren, das Echo seines herausfordernden Grinsens lag noch in der Luft, und doch - jetzt war sein Blick ernst, bohrend. Der Kontrast ließ sie stocken.
"Ich..." Sie zwang sich zu einem Lächeln. "Ich brauchte nur etwas Ruhe."
"Das ist es nicht."
Er ließ ihr keine Möglichkeit, sich hinter Ausflüchten zu verstecken. Hermine schluckte. Die Leichtigkeit, die eben noch zwischen ihnen geherrscht hatte, war verschwunden.
Sie schloss die Augen und atmete tief durch, bevor sie es aussprach, "Du wirst nächstes Jahr nicht mehr hier sein."
Er schien von dieser Aussage grundlos überrascht zu sein. "Wirst du mich etwa vermissen?"
"Natürlich", antwortete Hermine leise. "Du bist mein bester Freund. Wir hatten unsere Meinungsverschiedenheiten, und ich vermute, das werden wir auch immer haben, aber so ist es nun mal."
Er betrachtete ihr Gesicht genau. "Ist das alles?"
Hermine schüttelte den Kopf. "Wie wird es enden?", flüsterte sie, und die Gedanken, die sie in den letzten Wochen geplagt hatten, kochten langsam an die Oberfläche. Sie schloss die Augen und wünschte sich, dass die Tränen, die in ihren Augenwinkeln kribbelten, verschwinden würden.
Es herrschte ein langes Schweigen zwischen ihnen über diese Enthüllung, und dann umfassten seine Hände zu ihrer Überraschung langsam ihr Gesicht und hoben es an, damit sie ihn ansah. Mit dem Handballen wischte er die schwache Tränenspur weg, die sich über ihre Wangen kräuselte, und anstatt sie zu verspotten, war sein Blick sanft und nachdenklich, wenn auch etwas grüblerisch.
"Wir werden uns wiedersehen. Du weißt das wir uns wiedersehen.", versprach er und schenkte ihr eines der seltenen halben Lächeln, die von echter Zuneigung zeugten. "Ich bin sicher, dass es Zeiten und Orte geben wird, an denen wir uns sehen können und werden, nicht als Schülerin und Professor, sondern einfach als Freunde." In seiner Stimme lag eine schwache Spur von Unsicherheit. "Das haben wir die ganze Zeit ja auch getan, nicht wahr?"
"Stimmt", erwiderte Hermine. Sie lächelte ihn an, ein sanftes Lächeln.
Er schien mit sich selbst zu hadern, als hätte er sich bereits dazu durchgerungen, es zu tun, und versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, es tatsächlich zu tun. Einen Moment später verfestigte sich sein Gesichtsausdruck zu dem von Entschlossenheit, und er beugte sich vor. Er zögerte nicht, nahm ihr Gesicht in eine Hand und küsste sie.
Hermines Augen weiteten sich überrascht, aber sie protestierte nicht und zog sich nicht zurück. Seine Lippen glitten vorsichtig auf die ihren, und als er auf keinerlei Widerstand stieß, erforschte er ihren Mund und kostete ihn. Hermine registrierte schließlich, was geschah, und spürte dabei das vertraute Flattern in ihrem Magen, und in dem Entschluss, diesen Moment nicht zu sehr zu analysieren, ging sie mit ganzem Herzen darauf ein. Er hatte sie in einen langsamen, betäubenden Kuss verwickelt, ihr fielen die Augen zu und das Bücherregal drückte ihr in den Rücken.
Einen Moment später zog er sich zurück und starrte sie mit einem Ausdruck an, den sie nicht ganz einordnen konnte, der aber wie eine Mischung aus Lust und Bedauern aussah.
Sie starrte zu ihm auf, leckte sich unbewusst über die Lippen, um das Gefühl zu verlängern, und schloss dann für einen kurzen Moment die Augen, um den Moment auszukosten. Nicht in der Lage, etwas Sicheres zu sagen, aber sie zermarterte sich das Hirn nach etwas.
Er entfernte sich, und dann wurde sein Gesichtsausdruck still und verschlossen, sorgfältig maskiert. "Du brauchst besseren Lesestoff." , tadelte er sie plötzlich.
Das Bild von dem, was bei ihrem ersten Kuss passiert war, war noch zu lebendig in seinem Kopf. Sie hatten nicht darüber gesprochen, was vor ein paar Wochen zwischen ihnen passiert war, und das schien in Ordnung zu sein. Er würde also nicht reden.
Severus nahm ein Buch aus dem Regal über ihrem Kopf. Wandlos ließ er es vor ihren Augen schweben.
Hermine holte zittrig Luft, "Zögern der Zeit von Eloise Mintumble". Ihre Augen wurden von der Seite gefangen halten die Severus aufgeschlagen hatte.
Die Zeit ist eine unbeständige Sache, voller Wendungen und unerwarteter Sackgassen.
Vor dem achtzehnten Jahrhundert glaubten die meisten Menschen - auch wir von der Mysteriumsabteilung - dass ein Zeitreisender wirklich die Zukunft verändern könnte.
Diese Vorstellung ist ein Irrtum. Es gibt keine Paradoxien, keine Möglichkeiten zur Korrektur oder Modulation.
Zeit ist eine Schleife.
Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden. Und was jetzt ist, wird immer sein.
Der Zeitreisende muss sich immer daran erinnern, dass man weder die Vergangenheit noch die Gegenwart ändern kann, sondern nur die Zukunft.
Das Buch fiel zu Boden als Severus den Raum verließ.
Hermine stand da und sah ihm nach, ihre Beine reagierten nicht mehr und sie versuchte, ihren Verstand zusammenzunehmen. Als sie es endlich schaffte, ihre Füße vom Boden zu lösen und sich zu bewegen, rannte sie schnell los, duckte sich auf den Gang hinaus.
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