//DAS DOPPELTE HEXCHEN//
»GUTEN ABEND, SIR«, begann Amy den Fremden vorsichtig anzusprechen. »Suchen Sie jemanden? Kann ich Ihnen helfen? Ich, ähm, nehme an, Sie kommen nicht aus der Gegend.«
Amy musterte diskret die Klamotten des älteren Herrn. Er trug einen eigenartigen Anzug und darüber eine Art Mantel oder Umhang. Ob er von einem Wanderzirkus oder etwas Ähnlichem kam?
Schließlich bemerkte Amy, dass der Mann sie ansah, als würde er sie kennen. Als er begann zu sprechen, wurde diese Vermutung rätselhafterweise bestätigt.
»Miss Owens! Schön, Sie zu sehen«, sagte er in aller Herzlichkeit und lächelte Amy breit an. Sein junger Begleiter schaute jedoch mit einem Mal so, als ob ihm ein Pferd auf den Fuß getreten wäre. »Wie ich sehe, sind Sie immer noch zu kleinen Scherzen aufgelegt, nicht wahr?«, fuhr der Alte fort. »Tun so, als würden Sie mich nicht kennen. Mich! Nicht kennen! Hat man denn so was schon gehört?«
»Das ist nicht Manda, Professor«, flüsterte der junge Mann seinem ältlichen Gefährten zu. Dabei ließ er seinen argwöhnischen Blick weiterhin auf Amy ruhen. Der Bärtige schien nicht darauf zu achten und plapperte munter weiter drauf los.
»Wir hätten Sie hier fast gar nicht gefunden. Ziemlich abgelegen, was? Aber schön. Doch. Der Strand, genau vor der Haustür. Ich denke, jetzt verstehe ich, warum Sie hierhergezogen sind, obwohl ich es nicht vermutet hätte. Immerhin wollten Sie nach Ihrem Abschluss fürs Zaubereiministerium –«
»Sie ist nicht die Richtige!«, rief der Dunkelhaarige nun etwas forscher dazwischen.
»Und einen Crup haben Sie sich zugelegt, wie ich sehe. Ja, man merkt, dass Sie sich sehr für magische Tierwesen interessieren. Haben Sie schon eine Lizenz?« Der übereifrige Bartträger ließ sich nicht stoppen. »Schade, dass Sie eine Absage erhalten haben. Sehr schade, wirklich. Aber ich habe ein Angebot –«
»Professor Dumbledore. Das ist nicht Amanda Owens!«, rief der Jüngere jetzt deutlich hörbar und trat ein Stück näher an den Älteren heran.
»Tom, was reden Sie denn da? Natürlich ist das Amanda Owens. Sie sind Amanda Owens, richtig?«, wand der Bärtige sich an Amy zurück. Diese war für einen Augenblick so verwundert über all das eben gehörte, dass sie nur zögerlich antworten konnte.
»Ähm, also, ja. Ja! Ich bin Amanda Owens. Amanda Rhena Owens. Ich, ich wohne hier schon immer. Ich bin nicht hierhergezogen. Port ist meine Geburts- und Heimatstadt, Mister. Das müssen Sie verwechseln«, stammelte Amy und blickte abwechselnd den älteren und den jungen Mann nervös ins Gesicht.
»Aber nein, mein Kind«, fuhr der Alte nicht mehr ganz so euphorisch wie zuvor fort. »Sie haben in Swansea gelebt. Dorthin haben wir all die Jahre Posteulen zu Ihnen geschickt.«
»Post-, wie bitte? Wovon reden Sie denn die ganze Zeit?«, wurde Amy ebenfalls resoluter. »Hören Sie, wenn Sie einer dieser Typen sind, die von Haustür zu Haustür latschen und den Leuten irgendeine Sekte aufschwatzen wollen, dann sind Sie hier ganz falsch. Wir haben andere Sorgen. Also gehen Sie bitte wieder und fragen Sie auch unsere Nachbarn nicht. Hier ist niemand interessiert an ihren pseudoreligiösen Anschauungen. Guten Abend.« Amy nahm Gwyns Leine straffer und ging ins Haus. Doch sie sollte nicht lange Ruhe haben, denn die beiden Männer ließen sich nicht so einfach abwimmeln.
»Verzeihen Sie, aber wir müssen darüber reden. In aller Vertraulichkeit, Miss, ähm, Owens«, hörte Amy die Stimme des Alten hinter ihrer Haustür.
»Meine Mutter kommt jeden Moment nach Hause und sie ist krank. Ich möchte nicht, dass sie solche Klinkenputzer wie Sie hier vorfindet. Also haben Sie bitte etwas Anstand und gehen Sie«, rief Amy durch die Tür nach draußen.
»Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich muss auf dieses Gespräch bestehen. Wenn Sie wirklich Amanda Owens sind und nicht wissen, wer wir beide sind, dann ist das vielleicht ein größeres Problem, als Sie sich vorstellen können, und zwar für alle Beteiligten«, ließ der Mann mit dem komischen Umhang nicht locker.
Widerwillig öffnete Amy die Tür. »Kommen Sie also rein, wenn es Sie glücklich macht«, gab die junge Frau nach. »Ich kann Ihnen aber nicht viel mehr als ein Glas Wasser und trockenes Brot anbieten.«
»Danke, wir möchten nicht um Almosen betteln. Wir möchten wissen, wer Sie sind«, erklärte der unerwartete Besucher und zog eine halbmondförmige Brille aus seinem Umhang hervor, mit deren Hilfe er Amy noch aufdringlicher beäugte. »Sind Sie sicher, Tom, dass es nicht Miss Owens ist?«, fragte er seinen Begleiter.
»Sie ist viel zu dürr. Ihre Haare sind stumpf und ihre Augen sind blaugrau und nicht blau. Wollen Sie noch mehr Unterschiede?«, ratterte der junge Mann seine Beobachtungen herunter, die in Amys Ohren alles andere als schmeichelhaft klangen.
»Ist das so?«, wunderte sich der Alte, kniff seine blauen Augen zusammen, schob die Brille auf seiner Hakennase etwas höher und nickte leicht. »Ich wusste nicht, dass Sie auf solche Details achten, Tom.«
»Ich kannte Manda sechs Jahre lang, Professor und Teutates Nott hat uns in mindestens drei davon nahezu täglich von ihren äußerlichen Reizen vorgeschwärmt. Ich denke, Letzteres sollte sich ändern, nachdem sie ihn per Eule abserviert hat«, erzählte der Jüngling und versuchte offenbar, nicht so abschätzig zu klingen, wie er es vermutlich meinte.
»Wirklich? Interessant!«, murmelte der sonderbare Senior vor sich hin und schien Amy für einen Augenblick vergessen zu haben. Der junge Mann jedoch schaute sie unverändert misstrauisch an und in seinen dunklen Augen lag ein eigenartiges Funkeln.
»Entschuldigung«, warf Amy ihr Wort in die Runde. »Nachdem wohl geklärt ist, dass Sie bei der falschen Amy Owens gelandet sind, würde ich Sie bitten, mein Haus wieder zu verlassen, um meine attraktivere Namensvetterin aufzusuchen. Ich bin sicher, sie freut sich um einiges mehr, als ich es tue, Mr – ähm ...«
»Verzeihung! Wie ungehobelt von mir! Dumbledore. Albus Dumbledore. Professor für Verwandlung an der –«
»Wollen Sie ihr das wirklich erzählen, Professor? Einer Muggel-Frau?«, ermahnte sein Gefährte erneut den ambitionierten älteren Herrn, der erschrocken seine ausgestreckte Hand zurückzog.
»Tut mir leid, ihr beiden«, verteidigte sich Dumbledore. »Ich merke schon, ihr würdet diesen Besuch sehr gerne so schnell wie möglich abbrechen, aber ich fürchte, das geht nicht. Tom, bei allen von Ihnen sicher korrekt erkannten Unterschieden müssen Sie mir dennoch beipflichten, dass diese verblüffende Ähnlichkeit und auch die Übereinstimmung des Namens eine Prüfung der Personalien dieser, wie Sie sagen, Muggel-Frau, notwendig machen.«
Amy wurde ganz schwindelig zumute. »Hören Sie«, mischte sie sich erneut in die Unterhaltung ein. »Ich habe nach wie vor keine Ahnung, was hier vor sich geht oder wovon Sie da reden, Mr Trampelohr, oder so. Aber ich möchte Sie nun beide bitten, mein Haus zu verlassen und mich mit diesem Unsinn zu verschonen.«
»Wie lange haben Sie diesen Crup schon?«, fragte Dumbledore, ohne auf die Bitte von Amy einzugehen.
»Sie meinen Gwyn? Ein was? Ein Crup?«, Amy betrachtete ihren kleinen Freund, der aufgeschlossen auf die beiden Fremden zu reagieren schien. Er verhielt sich völlig anders, als zuvor ihrer Freundin Elaine gegenüber. »Ich, ich habe ihn erst vorhin gefunden. Er hat eine Verletzung an der Pfote. Sehen Sie? Was mit seinem Schwanz ist, weiß ich nicht. Aber ich würde fast behaupten, dass er den schon immer hatte. Halt, seien Sie vorsichtig!«, rief sie, als sich der junge Mann neben das Tier hockte, um es zu beiläufig streicheln. »Zu meiner Freundin war er vorhin äußerst aggressiv. Ich bin nicht sicher, ob er überfordert ist, wenn zu viele Fremde um ihn herum stehen.«
Amy nahm Gwyn wieder zu sich heran und kraulte ihn beruhigend, was das Geschöpf zu genießen schien. Es wedelte mit seiner Gabelrute und winselte glücklich, während es sich an Amys Beine kuschelte.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, meinte der junge Mann plötzlich. »Sie sind keine Muggel-Frau. Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht beleidigen.«
»Ja? Ähm, schön. Ich meine, ich weiß nicht einmal, was Muggel bedeutet. Von daher habe ich mich nicht beleidigt gefühlt ... wie war doch gleich Ihr Name?«
»Wieder muss ich um Verzeihung bitten, Miss Owens«, entschuldigte sich der junge Mann betont höflich und wischte seine rechte Hand an seinem mitgenommen aussehenden Jackett ab, welches so gar nicht zu seinem gepflegten Äußeren und vornehmen Verhalten passen wollte. Dann reichte er Amy eben diese Hand und stellte sich ihr als Tom Riddle vor.
»Mr Riddle. In Ordnung. Mr, ähm, Professor, richtig? Professor Trommeltor und Mr Riddle«, wiederholte die junge Frau die Namen der beiden mysteriösen Besucher.
»Nennen Sie mich Tom«, bot ihr der Bursche an und Amy war sich nicht sicher, ob sie sein Grinsen als freundlich oder genervt verstehen sollte.
»Mich können Sie gern Professor Dumbledore nennen, wenns nichts ausmacht«, fügte der Bärtige augenzwinkernd hinzu.
»Äh, ja. Gut. Also ich bin Amy, wenn Sie wollen.«
»Ihre Doppelgängerin nannte sich Manda und sie war meine Schülerin. Ganze sieben Jahre lang. In Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei. Sie kennen diese Schule, nehme ich an?«, fragte Dumbledore vorsichtig nach.
»Es tut mir leid, nie davon gehört. Sag-, sagten Sie Hexerei und Zauberei? Soll das etwa bedeuten, dass meine Doppelgäng-, die andere Amanda Owens, eine Hexe ist?«, fragte Amy und ließ ihren Blick erneut zwischen den beiden hin und her schweifen.
»Eine Hexe, ja. Genau wie du, Amy«, sagte Tom und hob die rechte Augenbraue.
Amy war sprachlos. So langsam konnte sie nicht mehr sagen, ob sie nicht vielleicht nur einen verrückten Traum hatte. Erst der seltsame Hund, der offenbar gar kein Hund war. Jetzt stehen zwei wildfremde Männer in ihrer Küche und behaupteten, sie sei eine Hexe und es gäbe eine andere Version von ihr, die eine Hexenschule besucht haben soll. Zu viel für eine Person. Langsam ließ sich Amy auf einen Stuhl nieder und atmete tief durch.
»Also noch mal zum Mitschreiben«, begann sie schwer atmend, aber dennoch bestimmt zu sprechen. »Sie verlassen jetzt sofort dieses Haus und nehmen ihre verrückten Geschichten wieder mit. Sie denken doch hoffentlich nicht, dass ich irgendetwas von dem Unsinn glaube, den Sie mir auftischen? Ich habe auch ohne Ihre Märchen genug um die Ohren. Meine Mutter lebt möglicherweise nicht mehr sehr lange, mein Vater ist seit Jahren verschollen und dass wir nicht gerade in Saus und Braus leben, können Sie mit Sicherheit selbst sehen. Also hören Sie auf mich zu verarschen!«
In dem Moment, in dem sich Amy in Rage schimpfte, fiel ein Tongefäß aus dem Regal über der Küchenzeile. Alle drei Personen und auch Gwyn schauten erschrocken in die Richtung, aus der dieser Krach kam. Letzterer gab einen empörten Laut ab.
»Das ist mir als Kind auch ein paar Mal passiert«, sagte Tom trocken und hob das zerbrochene Gefäß vom Boden auf. »Hast du das gemalt?« Er deutete auf die Blumenverzierungen auf den Scherben.
»Ja, das war ich«, antwortete Amy, die keinen Nerv dazu hatte, näher auf Toms Aussage über fliegende Gegenstände einzugehen. »Gehen Sie jetzt bitte einfach«, sagte sie und wollte gerade damit beginnen, die Tonscherben aufzusammeln.
»Ich mach das schon!«, rief ihr Tom zu und holte etwas aus seinem Jackett, das wie ein Stock aussah. Er hielt diesen Gegenstand, über die Bruchstücke des Tongefäßes und sprach: »Fictile Reparo!«, woraufhin sich die Scherben in die Luft erhoben und wie durch Zauberei wieder zusammenfügten.
»Da- das war ... Das war –«, stammelte Amy und stand mit geöffnetem Mund neben dem jungen Mann mit dem Zauberstab.
»Zauberei, wolltest du sagen?«, setzte dieser ihren angefangenen Satz fort und lächelte gleichgültig selbstherrlich in Richtung des nun wieder vollkommen heilen Gefäßes. »Ein einfacher Reparaturzauber. Das kann jede Hexe und jeder Zauberer. Du müsstest das auch können. Aber offenbar hast du wirklich keine Ahnung, wer oder was wir sind – was du bist.«
»Nein, habe ich nicht!«, rief Amy energisch, wie zur Verteidigung ihres Lebens. »Ich habe all das noch nie zuvor gesehen oder von etwas Vergleichbarem gehört. Außer in Märchen. Aber mein Leben ist kein Märchen. Ich bin ein gewöhnliches Mädchen. Meine Mutter ist eine normale Frau. Sonst hätte sie sich ihre Krankheit ja schon längst wegzaubern können.«
»Das geht leider nicht so einfach«, unterbrach sie Dumbledore. »Es gibt eine Vielzahl an Heilungsmöglichkeiten in unserer Welt, von denen die Muggel sicher gern Kenntnis hätten. Aber gewisse Dinge – Dinge, die einem natürlichen Gesetz folgen – all das kann man nicht so leicht wegzaubern oder reparieren, wie eine kaputte Schale.«
»Aber nicht so leicht bedeutet, dass es vielleicht doch eine Möglichkeit gibt?«, fragte Amy vorsichtig. »Irgendein sehr schwieriger Zauber oder eine Art –«
»Ist gut, Miss Owens«, gebot ihr Dumbledore Einheit. »Wenn ich sage, dass es keinen Weg gibt, Ihrer Mutter zu helfen, dann sage ich das nicht, weil ich keine Lust auf einen komplizierten Zauber habe. Sie müssen es akzeptieren und ich kann ihren Schmerz und ihre Wut darüber nachempfinden.«
»Können Sie das? Können Sie nur ein klitzekleines bisschen von dem verstehen, was ich all die Jahre durchgemacht habe? Was ich jeden Tag durchmache?«, schluchzte Amy und drehte den Fremden den Rücken zu.
»Glauben Sie mir, das kann ich sehr gut.«, sagte Dumbledore mit gesengter Stimme.
»Dann haben Sie jetzt endlich den erforderlichen Respekt, mich mit ihrem Hokuspokus zufriedenzulassen, bitte«, bat Amy die ungebetenen Gäste erneut, zu gehen.
»Diesen Brief wollte ich Ihnen oder besser gesagt, der anderen Amanda Owens heute übergeben«, sagte Dumbledore stattdessen und tat, als hätte er Amys flehende Worte nicht gehört. »Es ist ein Angebot für ein Überbrückungsjahr. Ein weiteres Schuljahr, das Sie in Hogwarts hätten verbringen können. Als Praktikantin mit dem Ziel, Sie für eine Ausbildung als Lehrkraft vorzubereiten, falls Sie, oder besser, die andere Miss Owens das gewollt hätte. Darum sind wir beide hier. Mr Riddle ...« Dumbledore deutete mit seinen langen Fingern auf den jungen Mann mit den schwarzen Haaren »... war mit ihrer Doppelgängerin befreundet. Er sollte mich begleiten, um Ihnen dieses Angebot zu unterbreiten. Aber da Sie nicht Sie sind ... Verzeihung. Nicht die, die wir erwartet hatten, hier anzutreffen, stehen wir vor der Frage, wo die richtige Amanda Owens ist.«
»Ich bin die richtige Amanda Owens!«, protestierte Amy.
»Verzeihen Sie, ich meinte die Amanda, die wir all die Jahre kannten.«
»Ist das mein Problem?«, wollte Amy wissen und drehte sich wieder zu den Herren um.
»Ich fürchte, ja«, sagte Dumbledore und ging ein paar Schritte auf Amy zu. »Hören Sie. Ganze sieben Jahre lang haben wir Posteulen – ja, wir Zauberer versenden unsere Briefe mit Eulen – also jedenfalls haben diese Briefe all die Jahre eine junge Frau erreicht, die entweder zufälligerweise denselben Namen wie sie trägt und auch eine Hexe ist, oder nur eines von beiden. Und ein Muggel – ein nicht–magisch–begabter Mensch – war sie definitiv nicht«, erklärte der Alte.
»Sie meinen also, dass, wenn diese andere Amanda Owens –«
»Amanda Rhena Owens, wenn Sie es genau wissen wollen«, unterbrach Dumbledore Amy ein weiteres Mal und schaute sie eindringlich mit seinen blauen Augen an. »Um Ihnen die Frage vornweg zu beantworten, Amy, glaube ich, dass diese Frau Ihre Identität gestohlen hat.« Der bärtige Zauberer kramte den Brief hervor, brach das Siegel der Hogwarts-Schule und holte das Schreiben heraus. »17. Juni 1926«, sagte er knapp.
»Mein Geburtstag«, hauchte Amy erschrocken.
»In Swansea?«, hakte der Professor nach.
»Nein, das sagte ich bereits. Ich bin in Porthmadoc geboren worden und auch hier zur Schule gegangen. Bis vor vier Jahren war ich auf der Ysgol Eifionydd Sekundarschule.«
»Sie müssen verstehen, dass ich diesen offensichtlichen Betrug nicht so stehen lassen kann, Miss Owens«, redete Dumbledore auf Amy ein. »Über Jahre hinweg hat sich eine aus jetziger Sicht uns völlig unbekannte Person unter Ihrem Namen in unsere Schule eingeschlichen. Das ist nicht nur ein extremer Fall von Sicherheitsgefährdung und Betrug, der unsere Schule betrifft. Es geht womöglich auch um Ihre eigene Sicherheit. Ich fürchte, wir müssen die Angelegenheit melden.« Dumbledore sprach seinen Schulsprecher an, der verhalten nickte. »Ich fürchte außerdem, dass Sie nicht drumherum kommen werden, uns dabei zu helfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen«, richtete er das Wort wieder an Amy, die ihn mit aufgerissenen Augen ansah. »Sie müssen mit uns als Zeugin vor dem Zaubergamot aussagen.«
»Dem Zaubererklamott, was? Ich, ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich meine, ich habe keine Ahnung von all diesem Zauberkram.«
»Was sehr bedauerlich ist. Sie sind um Ihr Leben betrogen worden, Miss Owens. Ihr Leben als Zauberschülerin in Hogwarts. Und ich denke, ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass dies ein sehr schöner Ort ist, um aufzuwachsen. Stimmts nicht, Tom?«
»Sie haben völlig recht, Professor. Es gibt keinen besseren Ort, die Zauberei zu erlernen«, pflichtete der junge Riddle seinem Lehrer bei, klang dabei allerdings etwas einstudiert.
»Das musste er jetzt sagen, immerhin ist er Schulsprecher, Vertrauensschüler und unser bester Schüler«, zwinkerte Dumbledore Amy zu und beide mussten ein wenig kichern, während Tom seine kühle Fassade aufrechterhielt.
»Wie geht es jetzt weiter? Was soll ich tun?«, wollte Amy endlich wissen.
»Sie machen erst einmal nichts. Nun ja, vielleicht hören Sie sich ein wenig in Ihrer Familiengeschichte um, ob Sie nicht doch von Hexen und Zauberern abstammen –«
»Jetzt, wo Sie meine Familie erwähnen«, unterbrach Amy den Professor. »Ich habe meine wahren Großeltern nie kennengelernt. Meine Mutter wuchs bei einer Pflegefamilie auf, weil ihre Eltern von hier vertrieben wurden. Wegen des Vorwurfs der Hexerei.« Diese Erkenntnis ließ Amys Gesichtsfarbe fahl werden.
»Das ist doch schon mal ein Anhaltspunkt«, murmelte Dumbledore und kratzte sich am Bart. »Wo leben sie jetzt und was ist mit Ihrem Vater?«
»Leider weiß ich nicht, wo meine Großeltern heute wohnen. Sie wollten nicht, dass meine Mutter das jemals erfährt, um sie zu schützen. Aber in einer Gegend wie dieser bleibt nichts lange geheim. Mein Vater, nun, der kam ursprünglich nicht von hier. Er hat uns verlassen, als ich neun war. Wollte Menschen helfen und hat sich nie wieder gemeldet. Ich habe seine Eltern nie kennengelernt«, berichtete Amy, was sie über ihre Familie wusste.
»Versuchen Sie ein wenig mehr herauszufinden. Jedes Detail könnte dem Zaubergamot einen wichtigen Hinweis liefern, die andere Amanda Owens zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen.«
»Denken Sie, dass ich mit ihr verwandt sein könnte, Professor? Ich meine, wegen der Ähnlichkeit und immerhin scheint sie viel über mich zu wissen.«
»Das würde ich zumindest nicht ausschließen«, antwortete Dumbledore. »Wir melden uns bei Ihnen, wenn das Zaubergamot eine Sitzung zu diesem Fall einberuft. Bleiben Sie auf Abruf und kümmern Sie sich weiterhin gut um den Crup. Aber halten sie ihn von Muggeln fern. Die kann er nicht leiden.« Dumbledore wollte bereits das Haus verlassen, als Amy noch eine letzte Frage loswerden musste.
»Wird das Zauberdingens mich bestrafen oder so was? Wie soll ich mich verhalten?«
»Lassen Sie mich nur machen. Sie sagen einfach die Wahrheit, so wie Sie sie uns eben auch erzählt haben, und dann werden wir gemeinsam eine Lösung oder zumindest eine weitere Herangehensweise an diese Problematik finden. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und alles erdenklich Gute für Ihre Mutter. Beunruhigen Sie sie lieber nicht mit dieser Sache.«
»Werde ich nicht, Professor. Ihnen auch einen schönen Abend. Entschuldigen Sie mein schroffes Verhalten«, sagte Amy und lächelte die beiden magischen Männer freundlich an.
Während Dumbledore dieses Lächeln erwiderte, hatte sie das Gefühl, dass Tom sie nach wie vor misstrauisch beäugte.
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