17. Dezember
Junge, Finn, bist du bescheuert?
Der Junge, der sich mit langen Beinen über den noch halbgefrorenen Weg bewegte, schmunzelte.
"Ich hätte schwören können, du hättest mal wieder deinen Spruch losgelassen, Lio. Wegen meiner kurzen Hosen. Ich hab ihn einfach zu oft gehört. Das langgezogene 'Junge' wird für immer in meinem Kopf leben."
Er schob seine Hände in seine Jackentaschen.
"Also, hier bin ich. An deinem Grab und das ist immer noch nicht eingesickert. Nicht nach drei Wochen. Immer noch nicht. Ich kann es nicht glauben. Dass du weg bist."
"Talin braucht dich wieder, glaube ich. Seine Augen haben den Glanz verloren, sie sind immer irgendwo verloren, in einer anderen Welt, vermutlich bei dir. Er hat von dir geschwärmt, weißt du. Caspar und ich konnten es schon langsam nicht mehr hören. Aber jetzt wünsche ich mir ernsthaft, ich könnte einfach immer weiter Erzählungen von eurer gemeinsamen Zeit bekommen, weil das heißen würde, dass du noch da bist. Man weiß immer erst, dass man die Zeit genießen muss, wenn sie vorbei ist. Das ist traurig."
Er atmete durch.
"Wir kannten uns nicht wirklich."
Ein Kopfschütteln.
"Nein, du wusstest viel über mich. Du hast mich einmal dabei erwischt, als ich in eine andere Welt versunken bin, aus Schuldgefühlen und danach hast du mich dazu gezwungen, dich anzurufen oder anzusprechen, bevor es nochmal passiert. Du warst mein Sorgenfresser und ich mochte das nicht, jemandem mit eigenen Problemen, meine auch noch aufzudrücken. Und ich hasse mich jetzt dafür, es getan zu haben, weil du wahrscheinlich nicht noch mehr Probleme brauchen konntest. Aber gleichzeitig warst du das auch. Immer für jeden da. Verdammt, du hast Bianca geholfen manchmal, Estelle, egal wie zickig sie war, etwas ausgeliehen und Jaron nie ausgelacht. Warum werde ich nie mehr verstehen. Weil du es mir nicht mehr erzählen kannst."
"Ich vermisse deinen braunen Haarschopf vor mir, in Französisch. Das ist zu meinem Hassunterricht geworden, weil dort alles an dich erinnert. Du übernimmst dann meine Gedanken. Du hast mir einmal erzählt, dass dein Vater aus dem Teil von Kanada kam, wo man Französisch redet. Du saßt vor mir. Warst mein Partner bei Arbeiten, weil unsere Freunde in anderen Klassen waren. Und außerdem erwähnt Frau Goldschmidt dich in jeder verdammten Stunde. Das ist nicht gut. Absolut nicht. Alles hat sich geändert und mein Körper kommt damit nicht klar."
"Ich würde nur noch einmal mit dir reden können."
"Von Angesicht zu Angesicht."
"Aber das wird nicht mehr funktionieren, was?"
"Lebwohl, Liora."
"Danke dafür, dass ich dich kennen lernen durfte."
Du hast Recht.
Es geht nicht mehr.
Ich hätte gern auch noch einmal mit dir gesprochen.
Aber es ging nicht mehr.
Und es tut mir vollkommen und ehrlich Leid.
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