Kapitel 3
Revanna
Als ich aufwachte, dröhnte mir der Kopf.
Mir war kalt und meine Kleidung war seltsam feucht. So viel nahm ich auf Anhieb wahr.
Meine Augenlider schienen Tonnen zu wiegen, als ich versuchte meine Augen zu öffnen und ein unglaublicher Schmerz zog sich durch meinen gesamten Körper.
Nachdem ich nur wenige Sekunden später an diesem herunterblicke, wusste ich auch wieso. Meine Beine wiesen beide offene Brüche auf, meine Kleidung war zerfetzt und offenbar hatte ich hunderte, blaue Flecke, Schürfwunden, Hämatome und Quetschungen. Meine Arme waren schlaff und das laute Knacken, das ertönte, als ich versuchte mich hochzudrücken verriet mir, dass sie ebenfalls gebrochen sein mussten. Eine Platzwunde befand sich an meiner Stirn, meine Lippe war aufgerissen und ich konnte spüren wie mein Genick gerade dabei war zu heilen. Ich fing nur langsam an meine restliche Umgebung wahrzunehmen.
Ich lag an der Kreuzung. Am Straßenrand nahe des Gehwegs.
Horst. Oh mein Gott, wo war Horst?! Eilig versuchte ich hochzukommen. Fehlanzeige.
Mein Körper war noch am heilen und die einsetzende Dämmerung verriet mir, dass Horst schon lange von hier weg sein musste. Ich stöhnte einmal genervt auf und blickte hinunter zu meinem Armreif, der zum Glück auf weder berührbar, hörbar noch sichtbar stand. Mein Armreif leuchte sonst fast schon in einem hellen Silber, doch glimmerte er jetzt nur noch gräulich vor sich hin.
Na klasse! Das auch noch! Jetzt ging mir auch noch die Energie aus. Das erklärt auch, warum ich bewusstlos hatte werden können.
Keine Sorge, ich war kein Roboter. Auch wenn es, glaube ich, gar nicht mal so uncool wäre, einer zu sein. Keine Gefühle und Wut und, mein Bein knackte laut auf, keine Schmerzen. "AU! Verdammte Scheiße!", winselte ich und legte mich schwach wieder zurück auf den Rücken. Ich wäre ein cooler Roboter. Mein Name wäre dann Wall-E und ich würde in einem anderen Roboter meine große Liebe finden. Oh und ich könnte in meinem Bauch Kuchen backen. Mhm, das wäre toll..
Als die meisten meiner Verletzungen nach wenigen Minuten geheilt waren, stand ich vorsichtig auf und humpelte auf eine der nahegelegenen Hauswände zu. Die Rune auf meinem Handgelenk brannte unangenehm stark. Ich würde nach Horst sehen müssen, soviel stand fest. Also atmete ich einmal tief aus und wieder ein und erlaubte meinen Flügeln wieder hervor zu kommen. Ich konnte mich noch gut an den Tag erinnern, als ich sie bekommen hatte. Es war schmerzvoll gewesen. Sehr, sehr schmerzvoll. Jeder Knochen in meinem Rücken war gebrochen, meine Haut hatte gebrannt, als hätte man einen Flammenwerfer darauf gerichtet, meine Muskeln und meine Gewebe waren gerissen und als die spitzen Federn sich erstmals aus meiner Haut gerungen hatten, hatte ich das Bewusstsein verloren. Meine Haut hatte danach um die Stellen an meinen Schulterblättern, wo die Flügel heraus gewachsen waren, immer wieder geblutet. Die Last der riesigen Schwingen, die einen Durchmesser von mindestens vier Metern hatten und über eineinhalb Meter über meinen Kopf ragten, hatten meinen Rücken immer wieder kaputt gemacht. Wenn mir jetzt jemand mit Bandscheibenproblemen kommen würde... Das war ein Scherz dagegen.
Doch ich hatte mich an die Flügel gewöhnt. Nun waren sie nicht da, solange ich es nicht wollte und wenn ich sie haben wollte, tauchten sie einfach auf und wuchsen nicht jedes Mal neu. Ein riesiges, schwarzes Tattoo auf meinem Rücken, welches Engelsflügel zeigte, repräsentierte die Flügel, solange sie nicht wirklich da waren. Kompliziert, unnötig, aber leider wahr.
...
Ich hatte ihn verloren. Ich hatte allen Ernstes Horst verloren!
Dabei war ich überall hingeflogen. Zu Grace, zu seinem Zuhause, zum Park und sogar zu seiner Arbeit und zu sämtlichen Pubs. Aber er war wie vom Erdboden verschluckt!
Oh, ich würde gefeuert werden! Man würde mich in die Hölle schicken oder noch Schlimmeres mit mir anstellen. Ich könnte mich wieder vor ein Auto schmeißen. Nein lieber nicht. Zu schmerzvoll.
Wieso machte ich mir überhaupt Sorgen? Ich war unbedeutend. Ein einfaches, vergessenes Kind, ein junger und unerfahrener Animus Perditus. Der hohe Rat und die Menschen im Institut würden mir niemals so viel Aufmerksamkeit schenken. Ja, ich war mir sicher, dass ihnen mein kleiner Fehler nicht auffallen würde. Sie würden mich ja sicher nicht rund um die Uhr beschatten.
"Revanna!" Ein Aufschrei entwich mir, als ich mich panisch umdrehte und auf die andere Straßenseite blickte. Wie viel Pech hatte ich denn bitte?
Ein Mann, komplett in schwarz gekleidet stand auf dem Gehweg und sah sich suchend um. Auf seinem Rücken waren zwei Dolche befestigt, sein schwarzes Haar war streng nach oben frisiert und die Rune, die man trotz seiner Handschuhe, an seinem Handgelenk sah, zeichnete ihn als einen Artgenossen von mir aus. Oh Gott, ich war erledigt!
Jetzt schickte mein Boss schon irgendwelche Schlägertypen nach mir!
Nein, ich musste optimistisch sein!
Vielleicht steckte er auch gar nicht hinter dem Auftauchen dieses Klischee Badboys. Vielleicht war der Typ ja auf der Suche nach einer anderen Revanna! Ja, das musste es sein! Optimismus!
"Revanna! Ich weiß, dass du hier irgendwo bist!" Fick dich Optimismus!
"Scheiße."
"Fearghas schickt mich!"
"Doppelte Scheiße."
Ich drückte mich noch weiter gegen die Hauswand hinter mir. Der Mann konnte mich nicht sehen, berühren oder hören und dennoch hatte ich Angst. Große Angst.
"Er sagt, wenn du bis morgen früh, um sieben nicht in der Zentrale bist", ein Grinsen huschte über sein Gesicht, „wird das große Konsequenzen für dich haben! Du weißt schon", grinste er teuflisch und zog dabei langsam seinen Daumen an seinem Hals entlang. Ich schluckte. Ich wusste ganz genau, wovon er sprach und es machte mir Sorgen. Wenn Fearghas nun schon einen anderen sandte, nur um mir eine Nachricht zu überbringen, steckte ich echt tief im Schlamassel.
"Tikk Tack, Kleines." Mit diesen Worten tauchten zwei riesige schwarze Schwingen auf seinem Rücken auf und er verschwand.
Kleines?! KLEINES?! Oh, wie konnte er es nur wagen?! Das würde noch ein Nachspiel haben!
...
"REVANNA! Als ich Ihnen John zuteilte, hatten wir doch vereinbart, dass ich Sie NICHT jede Woche in meinem Büro sehen möchte, oder?!"
Ohhh... John. Richtig. Das war sein Name.
"SIE haben MICH hier her rufen lassen! Technisch gesehen, ist es also Ihre Schuld. Wenn ich Sie also so sehr störe, kann ich auch wieder gehen..."
Ich weiß. Angesichts meiner Situation sollte ich mich wohl respektvoller und freundlicher gegenüber meines Auftraggebers zeigen, aber... aber ich schätzte, ich war einfach zu dämlich, um das einzusehen.
"Sie haben ihre Pflichten als Beschützer und Animus Perditus vernachlässigt! Mal wieder, wenn ich das so sagen darf. Ihre Inkompetenz und Ihr Verhalten gegenüber den Menschen werde ich erst gar nicht ansprechen. So viel Zeit haben wir beim besten Willen nicht! Ich meine. Haben Sie allen Ernstes eine alte Frau getreten!?"
Lügen Revanna. Lügen sind deine besten Freunde. Oh Gott, er sah mich mit DIESEM Blick an...
"Das mag sein, ABER, obwohl ich es wirklich wollte, habe ich ihr nicht ins Gesicht gespuckt!"
"Wow! Sie machen Fortschritte!"
Ein begeistertes Quietschen verließ meine Lippen. Verdammt. Spiel die Situation ganz cool runter, ohne dabei unprofessionell zu sein, flüsterten meine verwirrten Gedanken mir zu.
"Sie müssen meine Überraschung entschuldigen, aber ich weiß, dass Sie keinen Sinn für Humor oder Sarkasmus haben und das hat die ganze Situation so unfassbar cool gemacht... Deswegen habe ich mich auch so gefreut." Ich war am Arsch. "Wenn es um die Sache mit der alten Frau geht. Sie hat mich provoziert und meinen Schützling angegriffen und..."
"Darum geht es mir nicht!"
"Dann vielleicht um die Sache im Einkaufszentrum letzte Woche! Hören Sie. Der fette Typ ist vor Horst, ich meine John, auf der Rolltreppe gelaufen und als dieser gestürzt ist, ist der Typ ja mehr oder weniger von selbst gefallen und später... gesprungen. Und es waren ja auch nur knapp eineinhalb Meter. Ihm geht es gut! Ja, er hatte nur ein gebrochenes Bein und eine geprellte Rippe! UND ich habe Horst, ähm John, ja dennoch beschützt."
"Revanna! John, liegt im Krankenhaus mit Verbrennungen zweiten Grades!"
Warum ich?! Nein, wirklich jetzt. Warum? Was hatte ich denn so Schlimmes getan!?
"WIE?! Ich meine, WIE konnte das passieren?!"
"Er hat, so wie es aussieht, bei dem Versuch zu kochen, seine Küche in Brand gesteckt und eine kleine Gasexplosion verursacht. Ihm geht es, den Umständen entsprechend gut."
Das konnte nicht sein Ernst sein. Er hatte eine Explosion verursacht! Dieser debile, beschränkte, unreife und dämliche Idiot. Oh, wie ich ihn hasste. Ich hasste ihn, hasste ihn, hasste ihn!
Für alle zum Mitschreiben: Das war dann wahrscheinlich der Moment wo ich dem kompletten Irrsinn verfiel...
"Wie bitte!? Das kann doch nicht Ihr ernst sein!" Und wieder bekam ich DEN Blick. Es war sein Ernst.
"SIE sind zweifelsfrei der unqualifizierteste Animus Perditus, den ich je gesehen habe. Sich vor ein Auto zu werfen ist nobel. Das ist klar! Doch Ihr zweiter Schützling ist nun, durch Ihre schlechte Arbeit ebenfalls im Krankenhaus gelandet!"
"Das ist doch nicht meine Schuld! Mein erster Schützling war ein Adrenalinjunkie, der versucht hat, ohne Sicherung, aus über 2 Metern in einen kleinen Swimmingpool zu springen und Horst, ach meine Fresse JOHN, war ein absolut beschränkter, naiver und leichtgläubig Mensch, der es selbst geschafft hätte, sich in einer weißen Gummizelle umzubringen!"
"Sie sind ein Animus Perditus!! Es ist Ihre, nein, es ist UNSERE Aufgabe mit solchen Menschen klarzukommen und sie haben es nie gekonnt und auch nie gelernt!"
Fearghas fuhr sich mit einer Hand über sein Gesicht. Er war noch nicht alt, zu mindestens sah er nicht so aus. Braunes, kurzes Haar mit ein paar silbernen Strähnen, einen Drei-Tage-Bart, einen dünnen, hoch gewachsenen Körper und dunkelbraune Augen. Manchmal machte er mich für die wenigen grauen Haare verantwortlich. Doch das hielt ich dann doch eher für unwahrscheinlich. Dabei wusste ich, dass er schon seit tausenden von Jahren auf dieser Erde wandelte.
Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzten, als die Bürotür aufschwang und ein weiterer Mann den Raum betrat. Als ich den Mann erkannte, senkte ich sofort meinen Kopf und auch Fearghas nickte ihm einmal zu.
Ennis Dorchadas (übersetzt: der Anführer, der Dunkle) war einer der Ersten unserer Art gewesen. Er war der erste Animus Perditus, der jemals auf der Erde gewandelt war, das Oberhaupt des Rates, der Mächtigste Animus Perditus, den es gab. Eine lange Narbe zog sich über eine Seite seines Gesichts, seine eisigen, blauen Augen schimmerten kühl und sein schwarzes, längeres Haar hing leicht in seine Stirn. Er war ähnlich groß wie Fearghas und dennoch breiter gebaut. Jedoch sah er höchstens aus wie Ende dreißig, auf jeden Fall jünger als Fearghas und dennoch war er, rein technisch gesehen, um einiges älter.
"Fearghas, ich muss mit Ihnen reden", sein Blick glitt für Bruchteile von Sekunden zu mir, „Unter vier Augen. Wir haben einen Neuen zugeteilt bekommen."
Oftmals vergaß ich, dass Fearghas einer der Ratsmitglieder war und damit in einer der höchsten Positionen stand. Er war das sechste Mitglied des hohen Rats, der sechste Animus Perditus, der wieder auf die Erde geholt worden war, schon vor tausenden von Jahren. Doch, soweit ich wusste, war er, hier im Institut in erster Linie nur für die Aufgabenverteilung zuständig.
"Aber natürlich. Revanna. Warte draußen!"
Ich nickte und drehte mich wieder in Richtung Tür um.
"Und glauben Sie ja nicht, dass Sie jetzt einfach so verschwinden können!" Konnte er jetzt auch noch Gedanken lesen?
Mürrisch stapfte ich auf den Gang zurück und sah mich um. Mein Armreif hatte wieder angefangen zu leuchten, aufgeladen durch die Energie, die direkt aus der Zwischendimension in die Institute gechannelt wurde.
Die Zwischendimension. Ein Ort außerhalb der Zeit. Irgendwo zwischen Himmel und Hölle und der Welt der Sterblichen. Dort kamen wir alle her. Jeder Einzelne Animus Perditus (lateinisch, übersetzt "Verlorene Seele"). Im Himmel nannte man uns "The Forgotten ( Childeren )", die vergessenen Kinder, denn genau das waren wir. Wir waren Menschen, die man übersehen hatte, deren Seelen weder Himmel noch Hölle zugeordnet worden waren.
Ennis war der Erste, den man jemals vergessen hatte. Er war damals in einem dunklen Loch aufgewacht. Nicht vollständig Dämon und nicht vollständig Engel, nicht lebendig aber auch nicht tot, von den Erzengeln übersehen. Aber er konnte der Zwischendimension entkommen. Bis heute weiß keiner wie, aber seit dem Ennis auf der Erde wandelte, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, den Erzengeln zu helfen. Er bot ihnen ein Geschäft an, welches sie überraschenderweise annahmen. Er durfte auf der Erde wandeln, in regelmäßigen Abständen Andere aus der Dimension außerhalb der Zeit holen und die Energie der Zwischendimension channeln, um uns Andere auch hier bei Kraft zu halten. Ennis schuf unsere Armreifen und versprach den Erzengeln, bei der Behütung der Menschen zu helfen. Bis heute sind viele der Meinung, dass er dies nur getan hat, um sich einzuschleimen und vielleicht doch einmal in den Himmel auffahren zu dürfen, aber Genaueres wusste niemand.
Für gewöhnlich war es der Erzengel Uriel, der sich um das Aufstellen von Schutzengeln und anderen "himmlischen" Beschützern kümmerte, doch alle Schutzengel unterlagen acht grundlegenden Regeln:
1. Schutzengel müssen ihren Schützling in jeder Situation beschützen und ihm zur Seite stehen.
2. Schutzengel müssen zu jeder Zeit in der Nähe ihres Schützlings sein.
3. Schutzengel dürfen sich ihrem Schützling nicht zeigen und kein Unheil anrichten.
4. Schutzengel dürfen nicht töten.
5. Wird der Mensch durch einen Unfall, den der Schutzengel hätte verhindern können, umgebracht oder verletzt, wird der Engel vor das oberste Gericht gestellt, wo ihm der Ausschluss aus dem Kreis droht.
6. Schutzengel dürfen die Entscheidungen ihrer Vorgesetzten nicht hinterfragen und müssen Folge leisten.
7. Schutzengel müssen immer ein zuvorkommendes und nettes Wesen an den Tag legen.
8. Schutzengel müssen loyal sein und immer hinter ihrem Schützling stehen.
Um es kurz zu fassen: Schutzengel mussten immer freundlich und brav und anstrengend motiviert sein.
Gut, dass gerade wir diesen Regeln nicht unterstanden. Sollte ein Mensch also in wirklicher Lebensgefahr schweben, warum auch immer, lösten wir den gewöhnlichen Schutzengel ab, da wir den Menschen notfalls auch mit Gewalt beschützen und behüten durften. Na gut, auch wir mussten loyal sein und auf unsere Vorgesetzen hören, wir durften keinen Schaden anrichten und mussten das Leben unseres Schützlings bewahren.
Oh mein Gott! Ich war wirklich schlecht in meinem Job! Verdammt! Wie auch immer...
Ennis war der "Vermittler" zwischen uns und "Denen da Oben" und Gründer der Institute. Ja, es gab tatsächlich mehrere davon. Ein Institut und auch das Älteste von allen stand hier in Schottland, ein weiteres in Tokyo, eines in Sydney, Washington, Johannesburg und Rio. Sechs Institute. Für insgesamt circa 600 auf der Erde wandelnde Animus Perditus. Allesamt vom Rat der zehn Ältesten geführt. Ennis holte alle fünf bis zehn Jahre neue Animus Perditus aus der Zwischendimension, auch wenn die Abstände seit Jahren immer größer wurden. Wir wurden trainiert, überprüft und mussten schließlich unseren Dienst antreten.
Wie um alles in der Welt hatte ich es überhaupt geschafft diesen Job zu bekommen?
Doch jedes Jahr wurden einige Animus Perditus auch wieder zurück geschickt. Wegen Ungehorsam, auf Wunsch der Erzengel, oder aufgrund mangelnder Aufträge. So hielt sich unsere Anzahl stets in Grenzen. Jeder musste fürchten, als nächstes entlassen und wieder verbannt zu werden.
Ennis Wege und Intentionen blieben dabei unergründlich. Wieso half er gerade denen, die ihn einst übersehen hatten? Warum war er nie auf Rache aus gewesen? Wie war er der Dimension entkommen?
"Hey! Steh hier nicht so im Weg rum! Es gibt hier Leute, die arbeiten müssen", zischte plötzlich eine bekannte Stimme hinter mir. Und ohne mich umzudrehen, erkannte ich die Person sofort.
"Du!", knurrte ich und richtet wütend meinen Zeigefinder in seine Richtung, "Wie kannst du es wagen mich "Kleines" zu nennen, huh?!"
Es war der Möchtegern-Badboy von der Straße. Da ich ja eh gleich so gut wie Tod sein würde..
"Oh ja, richtig. Du bist das kleine Mädchen, das ich benachrichtigen sollte. Hab gehört dein Schützling liegt im Krankenhaus. Aber, wow, du bist noch hier... Und du lebst."
Was für eine Feststellung aber auch! Ich würde ihm dieses selbstgefällige Grinsen schon noch aus dem Gesicht schlagen. Und wenn es das, Wortwörtlich gesehen, Letzte war, was ich tat!
"Na du bist ja ein ganz Schlauer. Hör mir jetzt mal gut zu: Nenn mich noch einmal Kleines und du verlierst ein Auge." Ein Auge? Verdammt! Da hätte mir jetzt aber was Besseres einfallen können!
"Ach, tatsächlich? Ein Auge also? Ist das dein Ding", er legte eine kleine Pause ein und musterte mich grinsend von oben herab, "Kleines?"
"Willst du mich provozieren?!"
"Wer weiß. Vielleicht gefällt es mir ja, Kleines", grinste er, woraufhin ich fast kotzen musste.
"Lass es sein", fauchte noch einmal und meine Hand wanderte unbewusst hinunter zu meinen Dolchen. Impulsives Handeln. Schon immer eine meiner Schwächen.
"Ich werde es mir überlegen... Darling!"
"Okay! Das reicht!" Ich zog einen meiner Dolche aus meinem Gürtel und wollte gerade auf ihn losgehen, als die Tür hinter uns aufging.
Ich erstarrte in meiner Bewegung. Badboy-Klischee grinste gehässig. Mein Temperament verstand sich aber auch einfach zu gut mit meiner schlechten Laune.
"Ist sie das?", hörte ich die dunkle Stimme von Ennis fragen, wagte es aber nicht aufzusehen. Ein lautes Ausatmen von Fearghas war zu hören.
"Ja." Na klasse, das war es jetzt wohl für mich.
"Revanna. Glauben Sie an eine zweite Chance im Leben?", fragte er und sah mich mit einem seltsam düsterem Blick an. Ich schluckte einmal laut und ließ meinen Dolch wieder zurück an seine Position gleiten. Lügen Revanna. Lügen sind deine besten Freunde!
"Ja, Sir. Ich meine, sonst stände ich wohl kaum hier, oder?"
Was für eine Antwort! Man, war ich stolz auf mich.
"Es kam gerade ein Auftrag für uns rein und SIE könnten genau die Richtige sein...", meinte er und warf meinem direkten Vorgesetzten einen langen, undefinierbaren Blick zu. Irgendwas war da in seinem Blick, in der Art, wie er diese Worte ausgesprochen hatte, was mir ganz und gar nicht gefiel.
Aber das stellte ich erst einmal hinten an, denn in dieser Sekunde fiel es mir mehr als nur schwer, ein Grinsen zu unterdrücken. Ich würde nicht wieder zurück müssen! Wuhu! Yes! In your face, Badboy-Klischee! So einfach wird man mich nicht los!
"Fearghas wird Sie über Genaueres informieren. Aiden?", fragte er und sah zu Badboy-Klischee, der nun etwas abseits von mir stand. Sein Lächeln war verschwunden und kam auch nicht zurück, als er aufsah und Ennis zunickte.
"Ist alles vorbereitet?"
"Aber natürlich, Sir. Sie können sie gleich sprechen", sagte Badboy-Klischee und wies unserem Oberhaupt, mit einem kurzen Kopfnicken an, ihm zu folgen.
Wen konnte er gleich sprechen? Was wurde vorbereitet?
Doch noch bevor ich laut fragen konnte, zog mich Fearghas mit in sein Büro zurück. Alles was ich noch hören konnte, war wie Ennis die Worte "Keine weiteren Fehler" zischte, bevor ich mich wieder meinem "Auftraggeber" zuwandte.
"Worum ging es da gerade?", fragte ich, doch bekam nur einen Blick, der so viel sagte wie: "Das geht dich nichts an!", weshalb ich nicht noch einmal nachhackte.
"Sie können froh sein, dass wir vor wenigen Stunden einen neuen Auftrag erhielten. Ein junger Mann namens Jackson Graham war Zeuge eines Mordes. Die Mörder töteten ihn zwar nicht, aber wissen wo er lebt und wer er ist. Er schwebt in größter Gefahr und ist auch sonst nicht ganz einfach im Umgang mit Anderen. Uriel verlangte persönlich, dass sein Schutzengel abgelöst wird und da kommen Sie ins Spiel."
"Nein! Nein, nein, nein, nein, nein! Nein!"
"Jetzt verhalten Sie sich kindisch!"
"Sie verstehen das nicht! Sie sagten doch selbst, dass ich die Schlechteste in diesem Institut bin! Ich bin für diesen Job nicht gemacht. Ich bin schlecht darin! Warum also wollen sie mir, gerade MIR diesen Job geben?", schrie ich aufgebracht und lief in dem riesigen Büro auf und ab, während Fearghas mich, mit gelangweiltem Blick musterte. Das konnte nicht sein! Warum ich?!
Ich meine, es war toll nicht wieder zurück zu müssen aber DAS.
Auf einen debilen Idioten, (mit wahrscheinlich früher Demenz) aufzupassen war das eine! Einen Jungen zu schützen, den Menschen vollkommen absichtlich abmurksen wollten, war das andere!
Nein, nein und nochmals nein! Das konnte doch nicht sein ernst sein!
Ich rannte doch nicht, zwei Jahren hinter einem Psycho nach dem Anderen her, nur um dann gesagt zu bekommen, dass ich diese wundervolle Zeit noch einmal durchstehen musste... in noch schlimmer. In was für einer unfairen Welt lebte ich eigentlich?! Okay, oder eben nicht mehr so ganz leben.
"Revanna! Freuen Sie sich, dass ich Sie nicht auf direktem Weg wieder in die Zwischendimension schicke! Zeigen Sie also etwas mehr Dankbarkeit! Sie werden diesen Jungen beschützen! Sollten Sie sich weiterhin weigern, wandern Sie direkt wieder zurück! Und ich bin mir sicher dass Sie das nicht wollen." Verdammt, er hatte recht!
"Sie werden sich morgen an der Albyn School in Aberdeen mit Jackson und seinem Schutzengel treffen und seine Stelle übernehmen!"
Ich öffnete meinen Mund. "Keine Wiederrede!" Ich schloss meinem Mund wieder.
Fearghas nickte zufrieden und drehte sich zu den hohen, bodentiefen Fenstern seines Büros, von denen aus er einen perfekten Blick über den Innenhof und die Trainingsplätze des Schlosses hatte.
"Sie haben keine Wahl. Aber: Sehen Sie es als dritte und letzte Chance an, Revanna. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen."
"Aber ich... Argh!" Mit energischen Schritten verließ ich das Büro und stürmte die Treppenstufen hinunter zu den spärlichen Schlafeinrichtungen.
Natürlich war ich froh, nicht wieder verbannt zu werden, aber ich war auch sauer und entsetzt, geschockt, dass man mir sowas antun wollte.
Kaum kam ich an "meinem" Zimmer an, legte ich mein Handgelenk auf den Scanner, die Türen sprangen auf und fielen laut hinter mir zu. Ich ging duschen, schnappte mir neue Kleidung und warf die alten Sachen weg. Meine schwarzen Handschuhe landeten in einer Ecke.
Auf meinem linken Handgelenk ruhte die Rune der Animus Perditus. Ein Kreis, dessen Linie aus in einander geschlungenen Strichen bestand, in dessen Mitte ein Baum, dessen Wurzeln sich mit den Linien des Kreises verbanden. Auch die Baumkrone verband sich wieder mit den äußeren Linien. Die Kelten und Wikinger übernahmen schon vor tausenden von Jahren unsere Rune und nutzten sie als ihre Eigenen. Außerdem rangten sich zahlreiche Legenden um uns. Die Kelten bezeichneten uns als Abon Anextlo (altkeltisch: Dämon und Beschützer), die frühen Bewohner Schottlands nannten uns dìochuimhne (schottisches gälisch: Vergessene) und die frühen Bewohner Englands The Recurring ( die Wiederkehrenden ). Sie alle übernahmen Runen, die bei uns ihren Ursprung hatten und heute bei vielen Menschen, aber unter falscher Bedeutung bekannt waren. Copyright, war damals noch nicht so eine große Sache..
Ich konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Ich fühlte mich beobachtet und eingeengt, hatte Angst. Fearghas hatte mich wieder an die Zwischendimension erinnert. An diesen schrecklichen Ort, der meine Träume heimsuchte. Doch dies war nicht das Einzige was mir Angst bereitete. Der Junge, den ich morgen übernehmen sollte. Er schwebte in Gefahr. In Lebensgefahr! Und es wurde gerade MEINE Aufgabe ihn zu beschützen! Warum hatte Ennis MICH ihm zugeteilt?! Warum gerade ich?
Ich musste hier raus. Nur für diese eine Nacht und so befand ich mich nur wenige Minuten später weit weg vom Institut irgendwo zwischen den Wolken. Näher als an diesem Ort, würde ich dem Himmel selbst wohl nie sein.
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