Kapitel 2
Jackson
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht und sehr zufrieden mit mir selbst verließ ich an diesem Dienstagnachmittag die Albyn School. Ich lebte erst seit knapp drei Wochen in Aberdeen und ging erst seit zwei Wochen hier zur Schule und trotzdem lief schon jetzt alles perfekt. Wahrscheinlich war ich es mittlerweile einfach gewöhnt, mich in einer neuen Stadt und in einer neuen Schule einzugewöhnen, weil ich und Dad so oft umzogen. Entweder wegen seinem Job oder aber wegen seinem sehr ausgeprägten Verfolgungswahn, der immer schlimmer wurde seit Mum gestorben war (diesmal war ersteres der Fall). Mittlerweile hatten wir wahrscheinlich so ziemlich jede Stadt in Großbritannien durch, aber Aberdeen, was eigentlich sogar die Heimatstadt meiner Eltern war, gefiel mir jetzt schon am besten.
„Und wie lief es?", begrüßte mich Cole als ich zu der Gruppe von Jungs stieß, mit denen ich mich in den letzten Wochen angefreundet hatte.
Mein Grinsen wurde wenn möglich noch breiter. „Ratet mal, wer am Freitag ein Date mit dem heißesten Mädchen der Schule hat?"
„Sie hat ja gesagt?", fragte Zac ungläubig.
„Natürlich hat sie ja gesagt! Oder glaubt ihr irgendein Mädchen würde hierzu nein sagen?" Ich deutete auf meinen perfekt durchtrainierten Oberkörper. Das mochte jetzt vielleicht eingebildet klingen, aber ich war stolz auf mein Aussehen und mir war nur allzu bewusst, welche Wirkung ich auf Mädchen hatte. So natürlich auch auf Chestity, das mit Abstand hübscheste und beliebteste Mädchen der Schule.
„Alter, Sylvester wird sterben vor Eifersucht!", grinste Cole. Ja, vermutlich würde er das. Sylvester war bis vor zwei Wochen noch mit Chestity zusammen gewesen, solange bis sie an meinem ersten Schultag hier in der Cafeteria mit ihm Schluss gemacht hatte und ihn damit vor der ganzen Schule bloßgestellt hatte.
Außerdem war Sylvester der Kapitän der Rugby Mannschaft, da ich aber um Meilen besser spielte als er, könnte sich das schon bald ändern, weshalb er sowieso schon nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen war.
„Fahren wir noch zusammen an den Strand ein bisschen chillen?", fragte Jack in die Runde. „Oder schreibt jemand von euch ernsthaft den Englischaufsatz für morgen?"
Da ich weder vorhatte diesen Aufsatz zu schreiben, noch heute Nachmittag von meinem Dad genervt zu werden, stimmte ich genau wie die anderen drei Jungs seinem Vorschlag zu.
Also stiegen wir alle in unsere Autos und hielten bevor wir uns auf den Weg zum Strand machten noch an einem Supermarkt, um Bier, Zigaretten und etwas zu essen zu besorgen.
Dann fuhren wir zu „unserem" Strand, der etwas abseits von der Stadt lag und wo außer uns nie jemand war, weil fast niemand von diesem Ort wusste. Nachdem wir durch das alte Industriegebiet an der Küste gefahren waren, hielten wir vor einem verlassenen Fabrikgelände und quetschten uns durch ein Loch im Zaun, das „Betreten verboten" Schild ignorierend. Wenn man das Gelände überquerte, kam man an die Klippen, von wo ein schmaler Trampelpfad, der wahrscheinlich entstanden war, bevor die Fabrik gebaut wurde, zum Strand runterführte. Der Strand war eigentlich nur eine kleine Bucht, die zwischen zwei Klippen lag, aber er war perfekt, weil man hier immer seine Ruhe hatte.
Unten angekommen ließen wir uns in den Sand fallen und Cole verteilte Bier und Zigaretten, während Will Musik anmachte.
„Also was machst du mit Chestity am Freitag?", fragte Will mich nachdem er sein Bier aufgemacht und einen großen Schluck genommen hatte. Normalerweise durfte man in Schottland nur an ausgewiesenen Orten Alkohol trinken und da gehörte der Strand nicht zu, aber das interessierte uns hier eher wenig, weil uns ja eh keiner sah.
„Ich denke ich gehe mit ihr ins Silver Darling", antwortete ich und nippte an meinem Bier.
„Ins Silver Darling?!", fragte Jack ungläubig. „Das ist doch voll der Nobelschuppen!"
„Eben!", verteidigte ich mich. „Mädchen wie sie stehen auf so was und glaubt mir ich hab da Erfahrung mit."
„Wenn du meinst", erwiderte Jack.
„Und meinst du, es geht direkt zur Sache?", Zac beugte sich interessiert vor.
„Wahrscheinlich schon. Ihr hättet sehen müssen, wie scharf sie darauf war mit mir auszugehen." Es war doch immer wieder befriedigend zu sehen, wie sehr das weibliche Geschlecht auf mich abfuhr.
Wir verbrachten noch den ganzen Nachmittag am Strand und redeten über alles Mögliche, hauptsächlich über Mädchen und Musik.
Irgendwie passte ich nicht so ganz in diese Gruppe. Ich war an meinen alten Schulen immer mit den Jungs aus dem Rugbyteam befreundet gewesen, aber hier hatte sich das ziemlich schnell erledigt, weil Sylvester mich von Anfang nicht hatte leiden können. Dafür war ich in meinem Englischkurs auf die Jungs getroffen, die mich sofort in ihre Gruppe aufgenommen hatten, obwohl ich da auf den ersten Blick wirklich nicht so ganz reinpasste. Außer mir war nur noch Zac im Rugbyteam, der für einen Rugbyspieler zwar ziemlich klein war, dafür aber sehr kräftig. Jack und Cole fuhren Motor Cross Rennen und waren beide ein Stück kleiner und um einiges schlaksiger als ich. Will spielte Golf, sah aber mit seinen kurzgeschorenen dunklen Haaren, den vielen Tattoos und Piercings nicht aus wie der typische Golfer und schien in den Sport nicht so ganz reinzupassen, trotzdem war er einer der erfolgreichsten in seinem Alter.
Kurz gesagt stach ich mit meiner Größe, den blonden Haaren und der Tatsache, dass ich als einziger nicht komplett mit Tattoos und Piercings übersät war ziemlich raus, was aber nichts daran änderte, dass ich mich unheimlich gut mit den Jungs verstand und sie tausendmal cooler waren als meine bisherigen Freunde.
Um kurz vor sechs vibrierte mein Handy. Eine SMS von Dad.
„Wo bist du? Du solltest direkt nach der Schule nach Hause kommen und was für die Schule tun!"
Ups! DAS hatte ich irgendwie wieder verdrängt.
„Bin noch mit freunden an den strand gegangen."
„Du kommst sofort nach Hause!", kam natürlich prompt die Antwort.
Seufzend erhob ich mich aus meiner halbliegenden Position. „Sorry Jungs, ich muss nach Hause. Mein Alter stresst rum." Ich verdrehte genervt die Augen.
„Okay, wir sehen uns dann morgen", verabschiedete sich Jack, genau wie die anderen drei.
Ich lief den schmalen Pfad wieder hoch, kletterte durch das Loch im Zaun und stieg dann in meinen BMW. Ich war ungefähr fünf Minuten durch das verlassene Industriegebiet gefahren, als der Motor plötzlich zu stocken anfing und schließlich ganz ausging. Ich versuchte ein paar Mal den Wagen neu zu starten, aber es tat sich nichts. Also stieg ich aus, um mir den Motor mal anzusehen, nur leider verstand ich so gut wie gar nichts von Autos und konnte keine Veränderungen feststellen. In diesem Moment ärgerte ich mich ein bisschen, dass ich mich nie dafür interessiert hatte, wie ein Auto funktioniert, sondern mir immer nur wichtig gewesen war, dass es schnell fuhr, gut aussah und hübsche Mädchen anzog.
So ein Mist aber auch! Ich hatte das Auto noch nicht so lange und mein Vater würde ausflippen, die Schuld auf mich schieben und mal wieder behaupten, dass ich nicht vernünftig mit meinen Sachen umgehen konnte. Und nachdem ich schon mein letztes Auto kaputt gefahren hatte (wie das passiert war, ist eine etwas längere Geschichte), würde er mir auch garantiert kein Neues mehr kaufen.
Aber mir blieb nichts anderes übrig, als ihn anzurufen, damit er mich abholte und sich um den liegengebliebenen Wagen kümmerte. Ich wählte seine Nummer, aber es ging nur die Mailbox ran. Das auch noch! Jetzt konnte ich entweder zum Strand zurücklaufen und einen der Jungs bitten, mich nach Hause zu fahren oder nach Hause laufen. Da ich die Jungs nicht stören wollte und ich es nicht allzu weit nach Hause hatte, beschloss ich zu laufen.
Nachdem ich nur wenige Meter gelaufen war, hörte ich hinter der nächsten Ecke plötzlich Stimmen.
„Es tut mir so leid. Bitte lasst mich gehen!", wimmerte eine verängstigte Frauenstimme. Ich schlich mich langsam näher, um das Gespräch besser zu verstehen.
„Dein „Tut mir leid" kannst du dir in den Arsch schieben, dämliche Schlampe!", erwiderte eine gehässige Männerstimme.
„Das war deine letzte Chance und wir haben dir oft genug gesagt, wie du bezahlst, wenn du das nicht hinbekommst", sagte eine weitere ziemlich dunkle Männerstimme.
„Bitte! Gebt mir nur noch eine einzige Chance. Ich -", das Flehen der Frau wurde abrupt unterbrochen, als man ein dumpfes Plumpsen hörte, wie wenn ein Körper auf den Boden aufschlägt.
Sie hatten sie doch nicht etwa zu Boden geschlagen? Vorsichtig und obwohl alles in mir sich dagegen sträubte, schob ich mich um die Hausecke und erstarrte.
Meine Vermutung hatte sich nicht bestätigt. Es war sogar noch viel schlimmer, als ich gedacht hatte. In der Dämmerung erkannte ich drei breitschultrige komplett in schwarz gekleidete Männer, die mir alle glücklicherweise den Rücken zukehrten. In der Hand des mittleren blitzte in den letzten Sonnenstrahlen die Klinge eines Messers auf und vor ihnen lag eine kleine zierliche Person in einer Blutlache, die immer größer wurde.
Ich war gerade tatsächlich Zeuge von einem Mord geworden! Und zum ersten Mal verstand ich, warum die Typen in Filmen, über die ich mich immer so aufregte, in solchen Situationen nie wegliefen. In meinem Kopf schrie alles danach wegzulaufen, aber meine Beine ließen sich nicht bewegen, ganz so als wären sie mit der dreckigen Straße verwachsen.
Plötzlich drehte sich der eine Typ auch noch um und sah mir direkt in die Augen. Sein Blick wechselte von überrascht über genervt zu aggressiv.
„Männer, ich glaube wir haben einen ungebetenen Gast.", presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Als die anderen beiden sich umdrehten konnte ich in ihren Augen die gleiche Aggressivität lesen, wie bei dem ersten und mein Herz schlug, wenn möglich noch schneller. Dann kamen sie dritt auf mich zu. Mein einziger Gedanke war: „Jackson, renn um dein Leben!", aber meine Beine ließen sich noch immer nicht bewegen.
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