Kapitel 22
Du warst noch so klein, als ich dich das letzte Mal sah. Entsetz starrte ich ihn an. Was sollte das bedeuten? Woher wusste er wie ich heiße? Woher kannte er mich? Kannte er meine Eltern? War er mit ihnen befreundet? War er früher sogar einer von uns? Ungefähr hundert ähnliche Fragen stappelten sich zu einem Turm in meinen Kopf.
Zum ersten Mal, seit ich hier war, war ich froh, dass mein Mund verklebt war, so musste ich nämlich nichts antworten. Mein Kopf war wie leergefegt. Verzweifelt suchte ich in den Erinnerungen meiner Eltern nach dem Gesicht dieses Mannes.
Du warst noch so klein, als ich dich das letzte Mal sah. Ich musste noch ein Kind oder sogar ein Baby gewesen sein. In den frühesten Erinnerungen war ich zwischen fünf und sieben Jahre alt. Ich durchforstete sie alle bis auf die letzte Sekunde, doch nirgends tauchte er auf.
Plötzlich riss er mir das Klebeband vom Mund. Ich verzog das Gesicht und schaute nach einen Moment in seine Augen.
"Wer bist du?", zischte ich.
Ares grinste hämisch und legte den Kopf in den Nacken. Kein Ton verließ seine Lippen, er starrte nur grinsend in die Luft. Er drehte sich um und breitete stumm seine Hände aus. Ares steuerte die Mitte des Raumes an, wo er schließlich auch stehen blieb. Lächelnd schaute er zu seinem Rudel.
"Meine Lieben", hallte seine Stimme durch den Raum und verursachte eine Gänsehaut auf meinem Körper. Er ließ die Hände sinken und schaute zu mir, dann wanderte sein Blick über Oliver, Nathan, Silas und Alec. Alec knurrte, als Ares' Augen seine trafen, doch er ignorierte es und hob den Blick.
"Lasst uns unsere Gäste Willkommen heißen. Auroa, tust du uns den Gefallen?" Entschied er nach einem Moment und deutete mit einer Hand auf uns.
Auroa, das Mädchen mit dem rotem Haar, kam auf mich zu, ein Messer in der Hand. Sie hockte sich vor mich und schnitt meine Fußfesseln durch. Ich nutzte die Chance und trat mit meinen Füßen sofort gegen ihre Brust. Auroa wimmerte und krümmte sich am Boden zusammen.
Ich stand auf, als Ares das Wort erhob: "Na na, Ascarda, du musst doch nicht gleich gewalttätig werden."
Plötzlich wurde ich an den Schultern gegen die Wand gedrückt, das Messer an meiner Kehle. Auroa fletschte die Zähne und zischte: "Tu das nie wieder. Verstanden?!"
Als ich nicht reagierte, drückte sie das Messer fester an meinen Hals.
Ares stieß genervt Luft aus, seine Stimme war aber so ruhig, als würde er versuchen, einem Kindergartenkind den Unterschied zwischen der Sonne und den Mond zu erklären. "Auroa, lass Ascarda los. Wir wollen doch, dass sie sich hier wohl fühlt."Ares lächelte, aber ich sah es kaum. Meine volle Aufmerksamkeit galt Auroa. Ich reckte das Kinn, doch das führte nur dazu, dass sich das Messer nur noch mehr in meine Haut bohrte. Aber ich würde sicher nicht nachgeben.
Als sie weder sich selbst noch das Messer nach Aros Worten bewegte, lächelte ich sie kurz an und sagte, dass nur sie es verstehen konnte: "Fahr zur Hölle, Auroa."
Auroa fauchte, wurde aber von mir weggezogen. Ein blonder Mann deutete mit dem Kinn auf Oliver und stellte sich dann wieder in die Menge. Sie warf mir noch kurz einen bösen Blick zu, bevor sie sich mit schnellen Schritten zu Oiver begab. Sie schnitt ihm ebenfalls die Seile um den Fußknöcheln auf, ließ aber wie bei mir die Hände hinter dem Rücken verbunden. Das gleiche machte sie bei Alec, Silas und Nathan.
Als ich bemerkte, wie nahe ich neben dem fremden Rudel stand, wich ich sofort eine paar Schritte zurück.
Olivers Fußfesseln waren weg, und nicht wie ich versuchte er Auroa zu bekämpfen, sondern kam sofort zu mir. Er legte seinen Kopf in meine Halsbeuge und flüsterte: "Wir müssen hier weg."
Ich wiederstand der Versuchung, die Augen zu verdrehen.
"Wirklich? Ich finde es hier eigentlich ziemlich gemütlich.", flüsterte ich zurück.
Bevor Oliver etwas sagen konnten, stand bereits der Rest meines Rudels vor uns.
"Wieso können wir unsere Kräfte nich einsetzten?", fragte Nathan und schaute dabei wütend zu Ares.
Verwirrt schaute ich durch die Menge. Es waren circa fünfzehn Leute, mehr als die Hälfte waren erwachsen. Fast alle schauten abwechselnd gebannt von uns Aros und warteten auf seine nächsten Worte.
Alle, bis auf eine: Ein Mädchen mit schönem braunen Haar, dass ihr mit sanften Wellen über die Schultern fiel schaute nur zu uns. Sie knetete nervös mit den Händen und spielte auch zwischendurch mit ihrem weißen Kleid. Ihre Augen waren auf Nathan, Silas, Oliver, Alec und mich gerichtet, aber hauptsächlich auf die Jungs. Auf ihrer Stirn glänzten Schweiperlen und sie murmelte ständig etwas vor sich hin. Außerdem hätte ich schwören können, etwas grünes zwischen ihren zu Fäusten geballten Händen gesehen zu haben. Ich wettete, sie hatte etwas damit zu tun, dass unsere Kräfte nicht funktionierten.
Aros ließ mit einem lauten Knall ein altes Buch auf den Tisch fallen, dass er aus einem Regal geholt hatte. Lächelnd starrte er auf es hinab und fuhr mit der flachen Hand darüber. Das war das Buch über unseren Stamm.
"Darauf habe ich schon so lange gewartet.", sagte er und schaute zu uns.
"Ich bin froh, dass wir dich nicht in die Höhle des Löwen treiben mussten. Ihr habt uns ja so viel Arbeit erspart."
Er lachte kurz, bevor er wieder fortfuhr: "Nun gibt es kein Entkommen mehr, Alpha."
Alec runzelte verwirrt die Stirn: "Beck ist unser Alpha. Und falls es Ihnen entgangen ist, er ist nicht hier."
Aros lachte und legte den Kopf in den Nacken. Sein Lachen erfüllte den ganzen Raum und ließ ihn erzittern.
So abrupt, dass ich vor Schreck zusammenzuckte, hörte er auf und kam einige Schritte auf uns zu. "Alec, oder?" Aros wartete gar nicht auf eine Antwort, sonder redete einfach weiter. "Hast du schon mal was vom dem Bluterbe gehört? Das bedeutet, dass das Kind des Alphas Stammesführer wird. Und sonst keiner." Den letzten Satz sprach er mit so viel Wut in der Stimme, dass ich einen Schritt zurückwich.
Wieder hoben sich seine Mundwinkel: "Beck ist nicht der Sohn eures verstorbenen Alphas. Es ist einer von euch." Er kam noch näher, schaute jeden von uns einige Sekunden in die Augen und drehte sich wieder um. Einige Schritte vor uns blieb er wieder stehen und hob den Kopf, als hätte er vergessen uns etwas zu sagen. Dann drehte er seinen Kopf und sagte: "Und ich weiß auch schon genau wer."
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