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Zitternd klopfte ich an die Tür, jedoch war es nichts weiter als ein dumpfer Schlag, der beim Zwitschern der Vögel unterging. Ich war mir sicher, dass meine Tante mich nicht gehört hatte (vor allem weil laute Countrymusik die Nachbarschaft füllte, die aus ihrem Garten drang - sie musste mal wieder eine Gartenparty steigen lassen), trotzdem blieb ich einige Minuten an der Schwelle stehen.
Meine Klamotten waren zerissen, mein Fuß schmerzte und mein Körper war überseht mit kleinen Kratzern, die ich den Dornen im Wald zu verdanken hatte. Ein qualvolles Stechen durchschüttete meine Lunge bei jedem Atemzug, immerhin war ich drei ganze Tage unterwegs gewesen. Mein Mund war staubtrocken und mein Kopf pochte von meiner Dehydration.
Doch nichts davon beschrieb die Qualen, die in meinen Inneren tobten.
Die Erinnerung an Oliver schien mich von Innen langsam aufzufressen. Bis jetzt hatte ich es geschaft, den Gedanken zu meiden. Stattdesssen rief ich mir immer wieder den Weg zum Haus meiner Tante in den Kopf. Ich bin noch nie auf diesem Weg zu meiner Tante gelaufen - eigentlich bin ich noch nie zu ihr gelaufen. Den Weg kannte ich von meinen Eltern, sie haben die Schwester meiner Mum öfter auf diese Art einen Besuch abgestattet.
Wenn jedoch mal eine dieser seltenen Situationen eintraf und ich sie besuchte, fuhr ich meistens mit dem Bus. Das letzte Mal, als ich vor diesem Haus stand, war ich dreizehn. Jetzt war ich sechzehn.
Ich hob die Hand und legte meine Finger auf die Klingel, drückte sie aber nicht. Meine Hand zitterte; ich warf einen letzten Blick über meine Schulter, dann drückte ich.
"Ascarda?", fragte eine männliche Stimme hinter mir. Ich drehte mich erschrocken um und starrte ich das lächelnde Gesicht von Luke. Hinter ihm standen zwei Jungs und zwei Mädchen, deshalb zwängte ich mir ein Lächeln auf und ging auf ihn zu.
"Ich wusste nicht, dass du kommst!", sagte er noch immer mit einem glücklichen Grinsen im Gesicht und ging mir entgegen. Sein Lächeln verschwand jedoch, als uns nur noch wenige Meter trennten. Seine Augen wanderten über meinen zerschundenen Körper, bevor er mir wieder erschrocken in die Augen schaute.
"Ascarda, was-" Doch bevor er weiterreden konnte, hatte ich mein Gesicht schon in seiner Schulter vergraben. Tränen floßen über mein Gesicht und durchnässten Lukes Shirt. Ich spürte, wie sich seine Arme um meinen Rücken legten und er sanft mit seiner Hand auf und ab fuhr. Lukes Arme war das einzige, dass mich davon abhielt, auf dem Boden zusammen zu brechen.
Die Haustür öffnete sich; Gelächter und laute Musik, diesmal ein Popsong aus den 80ern, dröhnte aus dem Haus. Ich hörte, wie Tante Maggie erschrocken Luft holte und konnte mir bildlich vorstellen, wie sie ihre Hände über den Mund schlug, als sie das Bild sah, dass sich ihr bot. Luke und Tante Maggie redeten kurz miteinander, doch ich konnte sie nicht verstehen. Mein Herz schlug mir so laut in den Ohren, dass mir nur das Gefühl von Lukes Armen um meinen Körper Sicherheit boten, so kam es mir zumindest vor.
Alle Ereignisse der letzten Tage brachen nun über mich herein: das Buch, der Mord an den Mann, als wir an der Straße angegriffen wurden, der Streit mit Oliver und all die Geschehnisse, die danach passiert waren. Doch ich weigerte mich, an Oliver zu denken. Oder Selena, oder Alec, Deborah, Silas oder sonst wen aus meinen alten Rudel.
Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, doch als ich meinen Kopf von Lukes Schulter hob, war ich in seinem Zimmer. 'Love me like a Love Song' von Selena Gomez füllte inzwischen das Haus (auf den Partys meiner Tante wurden von jeder Musikrichtung Songs gespielt).
Ich saß auf Lukes Bett, vor uns hockte Tante Mag. Ich spürte die Blicke auf mir, doch ich wagte es nicht einen von beiden anzusehen. Ich hab meine Tante und meinen Cousin das letzte Mal vor drei Jahren gesehen, und jetzt bin ich einfach so bei ihnen aufgetaucht und heulte ihnen das Haus voll. Was hab ich mir dabei nur gedacht?!
"Schätzchen.", sagte Tante Maggie, nahm meine Hand und lächelte. "Hast du hunger?"
Tessa, Lukes Zwillingsschwester und meine Cousine, borgte mir eine Hose und ein T-Shirt von ihr. Außerdem half sie mir, meien Fuß zu verbinden und blieb mit mir solange in ihrem Zimmer, bis die roten Flecken vom Weinen aus meinen Gesicht verschwunden waren.
Keiner der drei hat mich gefragt, was passiert war. Genau darum liebte ich meine Familie - sie drängten mich zu nichts und ich wusste, sie waren für mich da, wenn ich sie brauchte.
"Was ist das für eine Party? Irgend ein bestimmter Grund?", fragte ich um die Stille zu brechen. Tessa und ich saßen auf ihrem Bett; Luke und Tante Magg waren wieder im Garten verschwunden, als Tessa angeboten hat, mir Kleidung von ihr zu borgen und in ihrem Zimmer verschwanden.
Tessa lehnte sich an die Wand und lachte kurz. "Mum finden immer einen Grund zu feiern. Wir haben einen neuen Griller, den sie sofort testen musste." Sie verzog das Gesicht, als der iPod auf den nächsten Song wechselte - Rock or Bust von AC/DC.
"Von Enya auf AC/DC?" Sie schüttelte den Kopf. "Ich habe schon oft versucht, ihr zu erklären, dass es einfach schrecklich ist wie sich die Songs von Tecno auf Indie wechselten. Außerdem, Enya, auf einer Gartenparty? Kurz bevor du ankammst, hat sie doch tatsächlich 'Hallelujah' gespielt. Hallelujah! Ich dachte, die Leute sollten Spaß haben und nicht das Gefühl bekommen, dass sie bei einem Leichenschmaus sind. Sie meint, dass so für jeden etwas dabei ist...."
Tessa redete noch ewig weiter, doch während der nächsten halben Stunde warf sie immer einen Blick aus dem Fenster. Sie wollte wieder runter, vermutlich zu ihren Freundinnen. Luke saß mit einigen Teenagern in unserem Alter an deinem Tisch, genau dort, wo Tessa immer hinschaute.
"Du kannst ruhig runter gehen.", versicherte ich ihr, "Ich bleib einfach hier." Ich wollte nicht allein sein, genauso wenig wollte ich aber auch zu den ganzen Menschen gehen, aber immerhin war ich auch ohne Vorwarnung in ihr Haus geplatzt.
"Bist du verrückt? Du kommst mit!", rief Tessa aufgeregt und zog mich vom Bett.
"Nein, Tessa, ich will wirklich nicht-"
"Stell dich nicht so an! Du hängst hier herum wie ein Häufchen elend, und auch wenn ich es vor Mum nur ungern zugebe, aber dieser Griller ist der Beste, den wir je hatten. Mum hat ihre berühmten Burger gemacht, und Lillys Mum hat Eiersalat gemacht." Als ich mich nicht bewegte, fuhr sie mit einer Stimme fort, die eindeutig keinen Wiederspruch zuließ: "Komm einfach. Ich stell dir meine Freunde vor und du kannst einen von Mums Burgern essen. Das wird lustig!"
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Ich weiß dass das KApitel nicht gerade spannend ist, aber es ist eher ein Übergangskapitel :)
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