19.Liebe
Alles war so dunkel und still.
Ob ich schon tot war?
Wenn ja, dann tat mir wirklich vieles leid, was ich in meinem Leben nie erreicht hatte. Ich bereute nie wirklich Freunde gefunden zu haben, nie wirklich Menschen geliebt zu haben. Ich bereute es nie eine Person kennengelernt zu haben, der mich mit all meinen Fehlern akzeptieren konnte. Es tat mir unendlich leid, dass ich mein ganzes Leben lang zu schwach war mich meiner eigenen Problemen zu stellen. Ich bereute es nie wirklich gute Entscheidungen getroffen zu haben.
Wie konnte ich nur Akira und Keisuke, meine einzigen richtigen Freunde von damals, einfach nur so zurücklassen? Wie konnte ich nur mein einmaliges Leben einfach nur für Geld wegwerfen, meine Unschuld berauben lassen und mich selbst zerstören? Wieso taten Menschen nur so viele dummen Sachen? Wieso tat ich nur solche dummen Sachen?
Mein Leben war doch viel mehr wert.
Ich hätte auch auf einer anderen Weise dieses Geld beschaffen können. Ich hätte eine andere Arbeit finden können. Ich hätte mir selbst eine Chance geben können. Ich hätte anderen Menschen eine Chance geben können.
Ich hätte so vieles richtig machen können.
Gunji's Gesicht tauchte vor mir auf. Seine schulterlangen verwuschelten blonden Haare, seine unfassbar gruseligen verrückten blauen Augen, seine Tattoos, seine Piercings, sein hysterisches Lachen, sein beruhigendes Summen und seine Tränen; zum ersten Mal nahm ich wahr, wie sehr ich mich an ihm gebunden fühlte.
Ob es wohl daran lag, dass er der einziger Mensch auf Erden war, der mich liebte? Nein. Er liebte mich, zugleich er mich abgrundtief verabscheute. Und ich? Tat ich nicht das gleiche? Tief in mir wusste ich, wie er sich fühlte. Ich konnte seine Gefühle nachvollziehen. Niemand hatte ihn jemals geliebt. Niemand hatte sich wirklich um ihn gekümmert. Wenn das noch nicht reichte, wurde er von seiner eigenen Mutter misshandelt und gehasst worden.
Er wollte doch nur Liebe. Er wollte jemanden haben, der ihn akzeptieren konnte, der ihn verstehen konnte. Und er wusste, dass ich im selben Boot mit ihm steckte. Er sah es mir an, weil er diese Gefühle kannte und verstehen konnte. Und natürlich musste ich alles zerstören. Nur, weil ich immer weglaufen musste. Nur, weil ich mich nie meinen Problemen stellen konnte. Es tat mir so leid. Es tat mir so verdammt leid, dass ich ihn unnötig verletzt hatte, dass ich ihn unnötig verlassen hatte. Er wurde sein ganzes Leben lang nur weggestoßen und verletzt und ich tat das gleiche mit ihm.
Nicht Gunji war das Monster.
Ich war es.
»Kätzchen.«
Nun bildete ich mir sogar schon seine Stimme ein.
Musste er mich wirklich noch im Totenreich verfolgen?
»Kätzchen, ich hab' dich gefunden«, flüsterte seine Stimme in meinem Ohr.
Das hatte er wohl.
Er fand mich immer. Egal, ob ich ihn verletzt hatte oder nicht, er würde mich nie zurücklassen.
Ich hatte das Gefühl aufgehoben und gegen etwas warmes gelegt zu werden.
»Lass uns nach hause gehen, Kätzchen.«
Ja. Lass uns wieder nach hause gehen. Lass uns für immer zusammen bleiben. Lass uns gegenseitig für immer lieben.
Bitte lass mich nie wieder alleine.
Bitte hasse mich nicht mehr.
Bitte verzeih mir.
Bitte.
Ich will lieber für immer dein Kätzchen sein als wie ein streunender Hund behandelt zu werden.
»Kätzchen.«
Seine Stimme hörte sich so echt an, als wäre er nur ein paar Zentimeter von mir entfernt.
Nein.
Er war wirklich nur ein paar Zentimeter von mir entfernt.
Meine Sicht war zwar verschwommen, aber ich sah ihn. Seine langen blonden Haare kitzelten mein Gesicht und seine blauen Augen starrten mir tief in meine.
»Kätzchen ist aufgewacht!«
Er strahlte mich wie ein kleines Kind an.
Ich dachte er würde mich hassen. Ich dachte, er würde mir wieder weh tun, mich töten, da ich ihn verlassen hatte, da ich ihn verletzt hatte.
Wieso tat er dies also nicht? Wieso freute er sich über so einen grausamen Menschen? Wieso? Wieso? Wieso? Verdammt!
»Hey Kätzchen, wieso weinst du?«, fragte er mich überrascht und hob mich höher, damit er mein Gesicht besser sehen konnte.
Es tat mir leid. Es tat mir so leid! Es tat mir so verdammt leid!
»Ich liebe dich«, hörte ich mich selbst flüstern, bevor wieder alles dunkel um mich wurde und ich mein Bewusstsein in den starken und warmen Armen von dem blonden Scharfrichter verlor.
Ich brauchte niemanden mehr. Niemanden, außer ihn. Niemanden, außer den einzigen Menschen, der mich für mich liebte.
Als ich wieder aufwachte, lag ich auf einem bequemen und kuscheligen Bett. Ich war in einer warmen und dicken Decke eingerollt und schaute mich nun im Raum um. Ein kalter Lappen befand sich auf meiner Stirn. Ich bemerkte auch ein Glas mit Wasser gefüllt und zwei Stück Solid neben dem Bett auf dem Nachttisch stehen. Vorsichtig drehte ich mich um und bemerkte Gunji neben mir liegen. Doch nicht wie das letzte Mal, hielt er ein bisschen Abstand von mir und hatte sich überhaupt nicht eingedeckt.
War das etwa ein Traum? Oder war ich wirklich schon tot? Ich konnte mir nicht vorstellen, weshalb ausgerechnet er sich so sehr um mich kümmern würde. Ich wusste nämlich ganz genau, dass seine Liebe etwas anderes zu bedeuten hatte. Er konnte nur auf seiner Art lieben, auf der Art eines Menschen, der dieses Gefühl nicht durch Hass unterscheiden konnte.
So wie ich.
Nur, dass es bei ihm mehr ausgeprägt war, Menschen generell zu verletzen, zu demütigen.
Ich rückte etwas näher an dem blonden Scharfrichter und nahm seinen Körper unter der Decke. Daraufhin öffnete er seine blauen Augen und starrte mir tief in meine.
»Kätzchen ist wieder wach«, nuschelte er etwas verschlafen. Seine Stimme klang irgendwie anders. Viel beruhigender und rauer. So gefiel sie mir viel mehr, als wenn er immer hysterisch herumschrie.
Ich nickte nur.
Das ganze fühlte sich wie eine Illusion an. Konnte das alles also wirklich der Realität entsprechen?
Das alles erschien mir viel zu friedlich.
Auf einmal schlang Gunji seine Arme um meine Körper und drückte mich fest zu sich. Es tat schon fast weh.
»Hey Kätzchen, wieso hast du mich verraten?«
Mit der Beendung seines Satzes, erwachte ich mit einem Schlag aus meiner Trance.
Gunji ergriff diese Chance, stürzte sich auf mich und umfasste mit einer Hand meinen Hals. Ich konnte gar nicht richtig reagieren, da drückte er schon leicht zu.
»Wieso warst du bei Shikitty?« Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich für Sekunde zu Sekunde immer mehr.
»I-Ich-«, fing ich an, doch konnte nicht weiterkommen, als der blonde Scharfrichter mich an meinen Haaren packte und zuschlug. Ich zischte aufgrund des unerwarteten Schmerzen und fühlte, wie sich Tränen in meinen Augen bildeten.
Das war die Realität.
Das war Gunji's Liebe.
»Hat er dich gefickt?«, fragte er mich mit solch einer Wut, dass ich das Gefühl hatte, er würde mich jede Sekunde umbringen. Ich nickte beschämt, woraufhin er mich erneut schlug. Diesmal mit seiner Faust.
Er brauchte eigentlich keine Antworten.
Er wusste schon alles.
Auf einmal fing der blonde Scharfrichter an hysterisch zu lachen. Mein Blut gefror in meinen Adern, als er die Decke von mir riss und mich in seinem Schoß nahm. Aufgrund des Fiebers, was ich anscheinend überstanden hatte, fühlte ich mich sehr schwach.
Ich wehrte mich also nicht, als Gunji seine Hose auszog und mit seinem Glied in mich drang. Ich hielt mich nur wie beim ersten Mal an seinem tätowierten Rücken fest, während er immer härter und schmerzvoller in mich stoß. Und irgendwie bedrückte mich dieses Gefühl nicht mehr, dass ich nicht mehr gegen ihm kämpfte. Mein Kopf fühlte sich so leer und leicht an.
Ich dachte zum ersten Mal nicht mehr nach.
Ich hörte nur leise zu, wie Gunji stöhnte, während er immer schneller in mich drang. Nach einer Weile berührte mit meinen beiden Händen fest und schaute ihm tief in die blauen Augen. Ich konnte mir gar nicht erklären, weshalb ich dies tat. Irgendwie erschien es mir so wie ein Reflex. Gunji musterte mich mit einem schmerzvollen Gesichtsausdruck, obwohl seine Absichten waren, nicht sich selbst, sondern mich zu verletzen.
»Ich liebe dich«, flüsterte ich, als wir uns schon eine lange Zeit einfach nur angeschaut hatten.
Ich war mir nicht sicher, ob ich mich selbst oder ihn davon überzeugen wollte.
»Ich liebe dich«, wiederholte ich also diesmal lauter und versuchte zu lächeln, was ich aber unter diesen Schmerzen nicht wirklich schaffte.
Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich.
Tat ich dies aber wirklich?
Auf einmal hörte Gunji auf sich zu bewegen und umfasste mein Gesicht auch vorsichtig mit seinen beiden großen warmen Händen.
»Mama hat auch das gleiche gesagt«, begann er an zu erzählen, während sein Gesicht immer näher zu meinem kam und unsere Lippen sich schon fast berührten. Jedoch bevor er nur etwas anderes dazusagen konnte, kam ich ihm mit einem kurzen Kuss zuvor.
Wieso ich das wohl tat?
Ich wollte das wieder nur auf meinen Reflex schieben.
»Ich bin aber nicht Mama«, flüsterte ich, nachdem unsere Lippen sich wieder entfernt hatte. »Denn Mama hat ihr Versprechen gebrochen, aber ich werde das nie tun. Ich werde für immer mit dir bleiben.« Kurz nachdem ich meinen Satz beendet hatte, drückte diesmal der blondhaariger Mann seine Lippen gegen meine und schlang seine Arme fest um meinem nackten und im Gegensatz zu ihm winzigen Körper, damit wir uns noch näher sein konnten. Als unser Kuss dann wieder gebrochen wurde, ließ er mir etwas Zeit zum Atmen.
»Du bist wirklich nicht so wie Mama«, verkündete Gunji. »Du bist wie ein Kätzchen«, setzte er an. »Mein Kätzchen.«
Erneut küsste mich der blondhaariger Scharfrichter und begann wieder in mich zu dringen.
Das war Liebe.
Dieses Gefühl, welches wir schon als kleine Kinder spüren wollten.
Dieses Gefühl, was wir gerade beide zum ersten Mal richtig verspürten.
Oder nicht?
Ich wusste es nicht.
Und ehrlich gesagt, wollte ich das auch nicht.
Es fühlte sich nämlich gut an.
Ja.
Es war alles in Ordnung.
Er liebte mich.
Ich liebte ihn.
Er verzieh mir.
Ich akzeptierte ihn.
Und so würde es bleiben.
Für immer.
Aber eine Frage ließ mich trotzdem nicht zur wirklichen Ruhe kommen.
Wie lange war ich schon gebrochen?
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