F Ü N F
Will antwortet nicht auf meine Frage. Alles, was er tut ist, seine Lippen um die Zigarette zu legen und einen tiefen Zug einzuatmen.
»Will, bitte. Ich möchte nicht, dass wir-«
»Was möchtest du nicht? Du kannst nicht damit umgehen, dass ich keinen Bock mehr auf dich habe, nachdem du mich einfach abgewiesen hast, weil dir dein Job plötzlich doch wichtiger war«, zischt er.
»Aber so war das doch gar nicht. Natürlich bist und warst du mir wichtig, aber es hat sich einfach nicht richtig angefühlt«, erwidere ich und will nach seiner Hand greifen, doch er tritt einen Schritt zurück und drückt im nächsten Moment seine Zigarette aus und wirft sie in einen Aschenbecher.
»William, bitte«, sage ich leise.
»Warum kannst du nicht verstehen, dass ich an einem klärenden Gespräch mit dir nicht interessiert bin? Ich mache das, worum du mich gebeten hast. Ich ignoriere dich nicht mehr und rede mit dir«, sagt er und sieht mich genervt an.
»Weil mir das nicht reicht, Will. Ich möchte meinen besten Freund wieder, meinen großen Bruder den ich nie hatte. Ich will, dass alles wieder wie früher wird«, sage ich leise.
Will sieht mich einen Moment lang an.
»Leider stimmen unsere Wünsche nicht überein, Avery. Ich wollte dich damals und du lässt mich zurück. Du verschwindest nach New York und sagst mir, dass es all das ist, was du immer wolltest. Wenige Wochen bevor du gegangen bist, hast du gesagt, du würdest mich lieben. Du hast mir deine Gefühle gestande, obwohl du wusstest, dass ich eine Freundin habe. Du hast mich geküsst, obwohl du-«, er bricht am Ende ab und schüttelt den Kopf. »Weißt du eigentlich, was du in mir ausgelöst hast? Du hast mein Herz dazu gebracht schneller zu schlagen, nur um es an diesem beschissenen Flughafen zu brechen!«
Ich schlucke leise.
»Dreizehn Jahre, William. Dreizehn beschissene Jahre habe ich meine Gefühle für dich geheim gehalten. Ich habe zugesehen, wie du andere Frauen reihenweise flachgelegt hast, habe dir gesagt, dass ich mich für dich freue, sobald du eine neue Freundin hattest, aber ich konnte es nicht länger für mich behalten - nicht, wenn du nach dreizehn Jahren, in denen es immer wieder Momente zwischen uns gab, noch immer nicht zu deinen Gefühlen stehen kannst.«
»Ich... Ich wusste es doch nicht. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass ich so für dich empfinde«, sagt er und sieht mich wütend an. »Es passt noch immer nicht damit zusammen, dass du mich abblitzen lässt, wenn ich dir sage, dass ich deine Gefühle erwidere und dich um eine Chance bitte.«
»Das kam reichlich spät, meinst du nicht? Ich wäre nicht einmal mehr da gewesen, wenn mein Flug nicht ausgefallen wäre. Ich war auf dem Weg nach New York. Ich hatte meine Wohnung gekündigt und meine Möbel verschickt. Wie hätten wir zusammen sein können, wenn ich in New York City gewesen wäre und du hier?«
»Wir hätten eine Lösung gefunden. Wenn du es wirklich gewollt hättest, hätten wir eine Lösung finden können. Ich... keine Ahnung. Du hättest bei mir einziehen können, ich hätte mich versetzen lassen oder wir hätten eine Fernbeziehung ausprobiert. Alles, was du gewollt hättest, hätte ich in die Wege geleitet, weil ich dich verdammt noch mal geliebt habe, okay? Ich wäre dir gefolgt, doch du hast nicht eine Sekunde an uns geglaubt. Du sagst, du hast dreizehn Jahre deine Gefühle unterdrückt und dann, wenn ich endlich kapiere, dass du die Frau bist, die ich will, ziehst du den Schwanz ein!«
Ich schlucke als er seine Stimme mit jedem Wort lauter wird. Ich will etwas erwidern, aber ich weiß nicht was. Ich wusste nicht, dass er es so ernst gemeint hat und sogar überlegt hatte, mir zu folgen.
»Will... Ich wusste nicht, dass du...«
»Ach - vergiss es«, fährt er mich an und setzt sich in Bewegung. Er stößt die Tür wieder auf und läuft die Treppe hinunter. Ohne zu zögern folge ich ihm. Wir befinden uns unten im Flur, als ich nach seiner Hand greife und ihn festhalte.
»Will, bitte. Ich habe das alles nicht gewollt. Ich... Wenn ich gewusst hätte, dass es dir so ernst, dann hätte ich-«, beginne ich, doch seine aufgebrachte, laute Stimme unterbricht mich.
»Was hättest du, Avery? Mir eine Chance gegeben? Willst du mich eigentlich verarschen?«, fährt er mich an und reißt seine Hand von mir los. Ich weiche zurück. Seine Brust hebt und senkt sich in einem schnellen Tempo und die Emotionen in seinen Augen schnüren mir die Kehle zu.
»Ich bin nicht mehr daran interessiert, okay? Ich will nicht reden. Ich will keine Entschuldigung und schon gar nicht will ich so tun, als wäre alles okay. Zwischen uns ist gar nichts okay und das bringt mir auch nichts, wenn ich meine Geschwister anlügen soll, nur damit du nicht schlecht darstehst. Ich habe an keiner Freundschaft mit dir Interesse und auch nicht daran, dass jemals wieder mehr daraus wird. Du hast mich verletzt und ich habe genug davon. Ich habe es satt, dass alle Frauen mir auf der Nase rumtanzen, wenn es ernst wird oder ich mich nicht so verhalten, wie sie es gerne hätten. Und ja, ich meine dich damit genauso wie alle anderen Frauen!«
»Aber, Will...«, sage ich und will etwas sagen, doch es gelingt mir nicht. Meine Stimme ist leise und ich habe das Gefühl zu ersticken, als seine Worte mich mitten ins Herz treffen.
»Es tut mir so leid, William!«
»Deine Entschuldigung bringt mir nichts, Avery. Ich will sie nicht hören, verstanden? Ich wäre nicht einmal hier, wenn ich gewusst hätte, dass es eine Party ist, die Quinn für dich schmeißt, kapiert? Ich bin gekommen, weil ich meiner Schwester einen Gefallen tun wollte und mich nicht wieder wie das letzte Arschloch benehmen wollte. Ich dachte, es geht um meine Nichte. Hätte ich mir gleich denken können, dass das keine Party für ein Neugeborenes ist!«
Er atmet einmal tief durch.
»Du gehst mir am Arsch vorbei, okay? Alles, was dich betrifft - es interessiert mich nicht mehr und es ist mir scheißegal, ob es dir leid tut. Ich habe genug leere Worte von dir gehört. Ich habe keinen Bock mehr, als tu du mir den Gefallen und halte dich aus meinem Leben heraus!«, brüllt er und ich zucke zusammen.
Augenblicklich ist es still.
Mein Blick fällt hinter ihn und ich erkenne, dass sämtliche Gäste sich in den Türrahmen quetschen, angeführt von Quinn, Noah, Diana und Drake. Mit großen Augen sehen sie zu uns herüber.
Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen schießen und ein Gefühl der Trauer und Blöße sich in mir breitschlägt.
Diana macht ein paar Schritte auf uns zu, doch ich wende den Blick ab, als ich sehe, dass Will sich umdreht. Augenblicklich zuckt er zusammen, wendet sich mir zu und will nach meiner Hand greifen, doch mache einen Schritt nach hinten und halte meine Hände abwehrend hoch.
»Avery, ich...«, sagt er nun deutlich leise. Die Wut ist aus seiner Stimme gewichen, doch ich schüttele den Kopf.
»Du hast deinen Standpunkt klargemacht«, sage ich mit heiserer Stimme und wende mich ab, um nach meiner Jacke zu greifen. Schnell ziehe ich sie mir an und greife nach meiner Tasche, ehe ich aus dem Haus flüchte.
Weg von den Blicken voller Fragen, voller Schock. Weg von Diana, die mir einen einfühlsamen Blick zugeworfen hat und weg von Quinn, die in ihrer Vermutung, dass zwischen mir und ihrem Bruder doch nicht alles okay ist, nur noch bestätigt wird.
Meine Schritte hallen dumpf auf den Pflastersteinen, als ich meinen Weg zur Straße laufe, um nach Hause zu gehen. Es ist kalt und der Wind ist stärker geworden, weshalb ich meine Arme um mich schlinge. Vielleicht zittere ich aber auch, weil in mir ein Gefühlschaos wütet, dass ich wohl nicht so schnell loswerde.
»Avery«, höre ich Will hinter rufen, doch ich beschleunige meine Schritte, renne beinahe vor ihm weg, doch ich weiß, wenn er wirklich will, holt er mir trotzdem ein. Gerade als ich denke, dass er aufgegeben hat, packt er mich am Arm und wirbelt mich herum.
»Ich habe es verstanden, okay? Ich halte mich zurück. Keine Entschuldigungen mehr, keine Freundschaft. Du hast dich deutlich ausgedrückt. Lass mich jetzt los, William!«, sage ich bittend und versuche mich aus seinem Griff zu befreien, doch er lässt es nicht zu.
»Will... Lass sie in Ruhe«, höre ich Diana sagen.
Will sieht mir in die Augen, doch ich wende den Blick ab. Erst einige Sekunden später lässt er meinen Arm los und macht auf dem Absatz kehrt. Ohne sich umzudrehen, läuft er in die entgegengesetzte Richtung.
Diana wirft ihm einen Blick zu, doch er ignoriert sie, weshalb sie auf mich zukommt. Sie schlingt einen Arm um meinen Oberkörper und lächelt mich aufmunternd an.
»Ich fahre dich nach Hause, okay?«
Ich nicke leicht, ehe sie mich zu Drakes Wagen führt.
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Irgendwann später hält sie bei mir am Straßenrand an. Die gesamte Fahrt über habe ich kein Wort von mir gegeben und Diana hat mich auch nicht dazu gedrängt zu sagen, was los ist. Ich liebe diese Eigenschaft an ihr. Sie erkennt, wann jemand sich mitteilen möchte und wann er lieber in Ruhe gelassen werden möchte.
Sie stellt den Motor ab und seufzt leise, ehe sie sich auf ihrem Sitz zu mir dreht.
»Wirst du mir bald erzählen, was los ist?«
Ich lächle leicht, ehe ich langsam nicke.
»Bald, ja. Gerade kann ich nicht drüber reden«, erkläre ich leise und sie nickt.
»Danke fürs Fahren«, sage ich und öffne die Tür. Gerade als meine Füße den Boden berühren und ich aussteige, sagt sie noch etwas.
»Morgen sieht die Welt schon wieder anders aus, okay?«
»Bestimmt«, sage ich leise und zwinge mich zu einem Lächeln. Dann lasse ich die Tür des Wagens zu fallen und gehe in Richtung des Hauses.
Ob es wirklich so ist, dass die Welt morgen anders aussieht, wage ich zu bezweifeln. Viel mehr habe ich das Gefühl, dass sie grau und kalt sein wird.
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Das war ein tolles Gespräch, oder? 😇
Was sagt ihr zu Will's Ausraster? Er scheint verletzte zu sein, oder?
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