Vierzehn
"Ach halt doch die Klappe.", murmelte ich und schmiss mein Telefon durch mein Zimmer.
Dankbarkeit gehörte zu dieser Zeit nicht zu meinen Stärken.
Langsam und komplett fertig richtete ich mich auf. Ich hatte keine Lust. Natürlich nicht. Es war die verdammte High School und ich kam mir vor wie im High-School-Musical-Miller-Special.
Genervt lief ich ans andere Ende meines Zimmers, um dieses sündhaft teure Handy vom Boden aufzusammeln. Die Nachrichten auf Facebook und co. interessierten mich dabei recht wenig. Ich wollte wissen, ob er mir geantwortet hatte.
Seit zwei Wochen gehörte ich nun ganz offiziell zum Interieur dieser stereotypischen Einrichtung namens Schule. Ich hasste es, obwohl das noch recht freundlich ausgedrückt war. In den naturwissenschaftlichen Fächern verstand ich kein Wort. Auf dem deutschen Gymnasium als 1er Schülerin gelobt, war ich hier nichts weiter als Durchschnitt. Durchschnittlich sein, war beschissen.
Meine Selbstzweifel erreichten ihren Höhepunkt und stöhnten vor Erregung, als ich nackt in den Spiegel sah und mich selbst am liebsten bespuckt hätte. Meine Mom hasste Durchschnitt. Sie sagte immer, dass es in Mathe keine klaren Regeln für den Durchschnitt gäbe. Median, Arithmetisches Mittel oder doch das Quadratische? Dinge die man nur verstand, wenn man Ahnung von Stochastik hatte. Ich hatte sie, nur leider verstand ich diese dämlichen Begriffe nicht in der Muttersprache meiner himmlisch gluckenden Familie.
Mittlerweile hatte ich meine Nachrichten gecheckt. Natürlich hatte er nicht geschrieben. Lediglich Coby hatte mir mal wieder eine seiner garstigen Voicemails hinterlassen. Ich atmete tief durch und sah also in den Spiegel meines Kleiderschrankes. Zerstört glich einem Kompliment für das, was ich sah. Das einzig Schöne an mir war Coby's Kette.
Ich trug sie immer noch. Natürlich. Zu einhundert Prozent würde ich irgendwann mal neben seiner Kette auch seinen Namen tragen und wenn nicht in Echt, dann eben in meinen Träumen.
Aber irgendwann war nicht heute.
Ich lief ins Bad, um in die Dusche zu stolpern. Die Narbe an meinem Arm war mittlerweile ansehnlicher. Nachdem mir die Fäden gezogen wurden, sah sie nicht mehr aus wie ein überfahrenes Stachelschwein.
Ich war das Stachelschwein los und Naomi fünfhundert Dollar. Ein Hoch auf das amerikanische Gesundheitssystem.
Nachdem ich aus mir etwas Ähnliches wie einen Menschen gemacht hatte, stürmte ich mit falschem Lächeln bewaffnet in die Küche.
Der Bruder taugte als Chauffeur, der Vater hatte glücklicherweise bereits früh das Haus verlassen und der Kaffeebecher stand bereit. God bless the Queen herself, Naomi fucking Miller.
"Guten Morgen, Nam. Hab einen schönen Tag.", säuselte ich liebreizend und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange, während ich mir meinen Becher schnappte und mit Kyle das Haus verließ. „Dir auch Süße und denk dran, pünktlich heute!", rief sie mir hinter.
Kyle sprach kein Wort mit mir.
Der Gedankentumor hatte in den letzten Wochen einen weiteren Sparringpartner im Hause Miller gefunden. Nachdem ich Coby mit seinen Hintertürchen-Storys überrumpelt hatte, war Kyle nicht wirklich begeistert von mir und dem vorlauten Mitbewohner in meinem Kopf. Er sagte, ich würde sein ganzes Leben durcheinander bringen. Well, welcome to my life, sweetheart.
Während Avril Lavigne lauthals besang wie complicated ihr Leben doch war, tat ich das, was ich am Besten konnte. Ich starrte aus dem Fenster, bis mein Telefon vibrierte. Endlich.
Ich, 02:59 Uhr
Wir müssen uns vor der Schule treffen.
Ich hab nix mehr...
Ich, 03:26 Uhr
Ernsthaft, J, antworte!
Justin, 06:59 Uhr
Entspann dich mal...treffen uns am Feld.
Selber Ort wie immer...
"Lass mich hier raus.", forderte ich meinen Bruder auf. "Warum?"
Sein Ernst? Das erste Wort seit zwei Tagen war "Warum", obwohl er die Antwort genauso gut kannte wie ich.
Ich runzelte die Stirn und sah ihn fordernd an. Genervt rollte er die Augen und hielt den Wagen auf dem Bürgersteig, bevor ich aus dem Auto hüpfte wie das Duracellhäschen höchstpersönlich.
So schnell und unauffällig ich konnte, rannte ich über das Feld. Justin hatte was ich brauchte, um diesen kleinen Motherfucker in meinem Gehirn ruhig zu stellen. Ich wollte diese Gedanken nicht mehr. Ich wollte diesen Drang nicht mehr. Ich wollte einfach nur ruhig atmen und vor mich hinstarren.
„Cara Miller, da ist sie ja."
Der Spott in Justins Stimme war nicht zu überhören. Er hatte mich da, wo er mich ganz offensichtlich haben wollte. Ich war abhängig von ihm.
Unter der Tribüne des Footballspielfeldes streckte er mir das entgegen, was ich brauchte. Sofort nahm ich ihm den Joint ab und zündete ihn an.
Ich inhalierte den bitteren Rauch, der mein Gehirn in Zuckerwatte verwandelte und behielt ihn solange in meinen Lungen, bis mein Körper nach Sauerstoff schrie.
Justin lachte nur in sich hinein und musterte mich sehnsüchtig mit seinen stahlblauen Augen. „Und ich dachte immer, dass man von THC nicht süchtig werden kann.", spottete er wieder.
Ich war mir nicht sicher, ob Justin versuchte zu flirten oder sich tatsächlich über mich lustig machte. Streng genommen war es mir auch egal.
„Es ist nicht das Gras, was süchtig macht.", murmelte ich genervt und lehnte mich dabei an einen der Pfosten, um nicht umzufallen.
Endlich war Ruhe. Kein Schmerz, keine Angst, keine dämlichen Stimmen in meinem Kopf, die mir versuchten zu erklären, wie armselig ich doch wäre. Einfach nur quietschsüße, rosafarbene Zuckerwatte.
Nachdem ich den grünen Klimmstängel vollständig vernichtet hatte, liefen wir in die Schule.
Es war noch nicht einmal acht Uhr am Morgen und ich war schon so zugedröhnt, wie Christiane F vorm Bahnhof Zoo. Damit ich den Weg ins Klassenzimmer nicht auf allen Vieren erreichen musste, hakte sich Justin bei mir ein und gab mir den nötigen Halt, um mich aufrecht zu bewegen.
Er war ein wahres Geschenk was das Halten betraf. Er hielt mich, wenn ich high durch die Schule watschelte. Er hielt mich, wenn wir die Abende in dieser schäbigen Hütte im Wald verbrachten. Er hielt mich mit seinen Joints ganz nah bei sich und fütterte meine Zuckerwattensucht, bis ich Nachts ins Bett fiel.
Justin Crimes war alles aber kein guter Einfluss.
Er stand auf mich. Das hatte er mir bereits mehrfach sehr deutlich gesagt, doch ich konnte mit Typen wie ihm nichts anfangen. Er war hippelig und ziemlich offensiv, viel zu durchschaubar für meinen Geschmack.
In diesem Highschooltraum gab es nur einen für den ich Augen hatte, doch dieser jemand klebte mit den Seinen viel lieber am perfekt geformten Hintern von Ashley Thomas.
Die Gerüchteküche gab ziemlich viel von deren Bilderbuchbeziehung Preis. Gossip war sonst nicht mein Ding, doch für Coby's Ding interessierte ich mich viel zu sehr, um den Toilettentratsch zu überhören.
„Guten Morgen, Cara, na mal wieder im Delirium versunken?"
Grinsend sah ich in das Teddygesicht von Hasel Smith. Seit Tag Eins war Hasel eine sehr angenehme Zeitgenossin. Sie war genau das, was ich zu dieser Zeit brauchte. Schlau, hübsch, locker und unglaublich witzig. Wir waren sofort auf einer Wellenlänge. Sie hatte absolutes Freundinnenpotential.
„Guten Morgen, Hasel. Es ist auch schön dich an diesem erfrischenden Mittwochmorgen zu sehen.", erwiderte ich, während sie nur mit dem Kopf schüttelte. „Du solltest aufhören dich schon vor der Schule mit Justin zu treffen.", schlug sie vor, doch ich lehnte dankend ab, schließlich kannte ich niemanden außer ihn, der mir meine Zuckerwattensucht hätte befriedigen können.
Und so startete ich gemeinsam mit Hasel und meinen süßen Gedanken an Coby's Ding in den Tag, während ich mich mit englischer Literatur, Gleichungssystemen und Sport auseinandersetzen musste.
Nachdem ich auch den Fotografiekurs, in Form meiner Nachmittagsaktivität, hinter mich gebracht hatte, wartete Mr Crimes bereits vor der Tür im Gang auf mich.
„Kommst du noch mit?", fragte er verschmitzt. „Nein, wir bekommen heute Gäste. Irgendein Vorgesetzter von meinem Dad kommt.", verneinte ich seine Bitte und setzte meinen Weg aus dem Schulgebäude fort, ohne Justin großartig zu beachten.
„Komm schon. Nur eine Stunde. Ich fahr dich auch pünktlich nach Hause."
Justin bettelte und mein Gedankentumor gab nach.
Ruckartig blieb ich stehen und grinste ihn an. „Von mir aus. Eine Stunde, Crimes und dann fährst du mich heim!" - „Versprochen.", säuselte er leise und grinste nur wenige Zentimeter entfernt. Langsam beugte er sich näher und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Sofort ging ich einen Schritt zurück und lachte. „Justin lass das!", motzte ich ihn lachend an und ging mit ihm gemeinsam auf den Parkplatz.
Kurz bevor ich in sein Auto einstieg, hörte ich das Grölen meines Bruders.
„Cara! Falsches Auto!"
Ich lief knallrot an. Nicht aus Scham. Aus Wut.
Hätte Kyle mir freundlich und respektvoll gesagt, dass ich bei ihm mitfahren musste, wäre ich in sein Auto gestiegen. Ich hätte Justin versetzt. Es war eh eine dumme Idee. Doch in dem Moment in dem Kyle entschied, mich vor dem halben Jahrgang mit seinem gehässigen Gegröle bloßzustellen, war mein Gedankentumor bereit für den Kampf.
Tumor: 6. Kyle: 1
Wutentbrannt stieg ich in Justin's heruntergekommenen Ford. „Was war..." - „Halt die Klappe und fahr!", brüllte ich wütend.
Mein Schoßhündchen tat wie befohlen und raste vom Parkplatz.
Die gesamte Fahrt starrte ich wütend aus dem Fenster. Mein Handy hatte ich in den Flugmodus geschaltet. Wer auch immer versuchte, mich zu kontaktieren, sollte wissen, dass Cara Miller not amused war.
In der schäbigen Hütte taten wir das, was wir immer taten.
Justin machte furchtbaren Rap an.
Ich bettelte nach Gras.
Das Schoßhündchen gab nach und versuchte mich zu küssen.
Ich lehnte flirtend ab, um ihn zu halten.
Justin war high. Ich war high.
Mein Zuckerwattengehirn tanzte an der Decke der einsturzgefährdeten Hütte und beobachtete die tanzenden Bretter.
„Fuck! Wie spät ist es?!", schrie ich und sprang aus seinen Armen. „Ist doch egal oder?", maulte Crimes und griff meinen linken Arm.
Ein Fehler mein Freund.
„Lass mich los!", brüllte ich und rannte aus der Hütte.
In diesem Moment dachte ich, dass ich den Tiefpunkt erreicht hatte. High und völlig verstört rannte ich nach Hause. Ein Glück, dass meine Lunge genauso zugedröhnt war und das Pfeifen in sich ignorierte.
Ich hatte ihr versprochen pünktlich zu sein.
Ups.
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