Drei
Naomi hatte mir meine langen, dunkelbraunen Haare zu großen Locken frisiert, sodass ich mich nur noch um mein Make-up kümmern musste. Ich legte etwas maronefarbenen Lidschatten auf, um meine grünen Augen zu betonen, und rundete das kleine Kunstwerk mit Mascara und blutrotem Lippenstift ab. Es gab Mädchen auf diesem Planeten, welche den Anblick im Spiegel nicht ertrugen. Zu jener Zeit gehörte ich nicht dazu. Zu behaupten, dass mich mein Aussehen zufriedenstellte, wäre wohl zu viel des Guten gewesen, doch hässlich fand ich mich auch nicht. Im Großen und Ganzen gefiel mir, was ich sah.
Die dunkelbraunen Haare lockten sich wild bis zu meinen Brüsten und meine grünen Augen stachen hervor, wie Smaragde. Da ich keine Ahnung hatte, was mich heute bei Zac erwarten würde, suchte ich mir eines meiner schwarzen Leggins aus und kombinierte das Teil mit einem weißen Levis-Shirt. So war ich für jegliche Eventualitäten bereit. Bevor ich mein Zimmer wieder verließ, schnappte ich mir schnell eine der rot-weißen Sportjacken meines Bruders und legte mein Parfum auf. Mit meinem Handy bewaffnet, hüpfte ich die Treppe hinunter. Mein Vater saß mit Kyle am Tresen der Küche und ich hörte, dass er ihm schon wieder auftrug, auf mich aufzupassen.
„Wenn sie irgendeiner anfasst, dann ist das deine Schuld Kyle! Du hast die Verantwortung, wenn deine Schwester hier ist", ermahnte er meinen Bruder. Dieser grinste mich nur an und nickte höflich. Augenrollend schlenderte ich zu ihnen und legte meinem Vater den Arm um die Schulter.
„Dad, lass ihn doch. Ich kann schon auf mich selbst aufpassen. In Deutschland gibt es auch niemanden, der auf mich aufpasst." Mürrisch rümpfte mein Vater die Nase, bevor ich ihm einen Kuss auf die Wange gab. Naomi trocknete das Geschirr ab und war wie immer amüsiert über das Verhalten ihres Ehemannes. Kopfschüttelnd sah ich zu ihr rüber und zog dabei meine Augenbrauen hoch, bevor ich nach der Hand meines Bruders schnappte, um uns beide aus dieser merkwürdigen Situation zu befreien. Gemeinsam stiefelten wir zu seinem schwarzen Truck und stiegen ein. Kyle startete die Zündung und sah dabei verschmitzt zu mir herüber.
„John hat keine Ahnung, was du in Deutschland machst, oder?" Sofort riss ich empört meine Augen auf. „Bist du des Wahnsinns?! Ich hätte schon längst einen Keuschheitsgürtel um und würde meine Ferien in einem dieser christlichen Ferienlager verbringen müssen!", antwortete ich und ließ meiner Entrüstung lachend freien Lauf.
Zac wohnte nur zehn Autominuten von unserem Haus entfernt. Als wir ankamen, sah ich, dass bereits mehrere Autos vor seiner Einfahrt standen. „Wie viele kommen denn?", fragte ich leise und rieb meine schwitzigen Handflächen an meiner Hose trocken. „Keine Ahnung ein paar Leute aus der Schule", antwortete mein Bruder kurz und stieg aus dem Wagen.
Sofort schlug mir das Herz bis zum Hals. Bislang hatte ich hier kaum Leute in unserem Alter kennengelernt. Immer wenn ich meine Familie besuchte, hatte mein Bruder längst Sommerferien oder wir verbrachten Weihnachten zusammen. Klar gab es ab und zu mal ein freundliches „Hi", wenn wir jemanden in der Mall trafen, aber so richtig befreundet war ich nur mit Zac und nach allem, was mir mein Bruder über die Mädels an seiner Schule erzählt hatte, fingen meine Beine nur noch mehr an zu zittern.
Vor ein paar Monaten hätten unsere Ansichten über Spaß am Wochenende kaum unterschiedlicher sein können. Zac und Kyle hatten erst vor kurzem angefangen, ihre Zeit auf Partys zu verbringen. Mittlerweile hatte Zac den Reiz an Homepartys für sich entdeckt und der Anzahl an Autos in der Einfahrt nach zu urteilen, war er in diesem Augenblick zum Gastgeber einer solchen Veranstaltung mutiert. Ich atmete tief durch.
„Alles gut?", wollte Kyle besorgt wissen, während wir zur Tür des Mobile Homes der Morris-Familie liefen. Wieder atmete ich tief durch. Nickend summte ich ein stummes „Ja". Sofort griff mein Bruder nach meiner Hand und stoppte mich. „Hey, die sind alle nett. Mach dir keine Gedanken. Sie werden dich lieben", versuchte er mir Mut zuzusprechen. Etwas misstrauisch sah ich in seine blauen Augen und erwiderte dabei sein Lächeln. „Amerikaner können komisch sein", flüsterte ich. Sofort fing Kyle an, zu lachen, und schüttelte seine blonden Haare. „Deutsche auch, Cara!", konterte er und ließ von mir ab, um an der Haustür zu klingeln. Das Dröhnen der lauten Musik brachte den Holzboden der Veranda zum Vibrieren und ich bezweifelte, dass uns irgendjemand da drin hören würde. Doch im nächsten Moment wurde ich von Zacs euphorischem Gegröle überrascht.
„Cara motherfucking Miller!", schrie er regelrecht und brachte mich damit zum Lachen. Seine braunen Augen strahlten und tauchten sein gesamtes Gesicht in den Ausdruck purer Freude. Gepaart mit etwas Whiskey und stolzer Überschwänglichkeit stürmte er die paar Schritte auf mich zu und wirbelte mich durch die Luft, bevor ich überhaupt begriff, was da genau passierte. „Zac!", kreischte ich und versuchte, mich aus seinen Fängen zu befreien. Doch Zac ließ sich nicht beirren und presste mich fest an seinen Körper, während er sich drehte wie ein hippeliger Kreisel. Um nicht abzustürzen, schlang ich meine Beine um seine Hüfte und erwiderte seine Umarmung. Genau das schien er beabsichtigt zu haben, denn sofort hörte er auf sich zu drehen und platzierte seine Hände verdächtig nah an meinem Hinterteil. An seinem dämlichen Grinsen erkannte ich, dass er soeben über sich selbst triumphierte. Genervt schnaufte ich und legte meinen Kopf schief.
„Lass mich runter, du notgeiles Etwas!", befahl ich ihm und löste meine Beine von seiner Hüfte. Lachend gab Zac nach und begrüßte meinen Bruder mit einem kurzen Handschlag, bevor er uns ins Haus geleitete. Dort fand ich mich in einem amerikanischen Teenietraum wieder. Im kleinen Wohnzimmer tummelten sich zwölf Jugendliche, welche allesamt mit den typisch roten Partybechern bewaffnet, angeregt ihren Unterhaltungen folgten. Zu meiner Erleichterung schienen sie uns gar nicht bemerkt zu haben. Ich atmete tief durch und die Aufregung legte sich.
„Und? Halb so wild, oder?" Ich spürte die beschützende Hand meines Bruders an meiner Taille und drehte mich grinsend um. „Das werden wir noch sehen", murmelte ich und beobachtete, wie Zac ein Paar der roten Becher auf dem Couchtisch mit irgendeinem Getränk befüllte. In diesem Moment drehten sich zwei Mädchen aus der Runde um und musterten mich. Die beiden Blondinen saßen auf der Lehne der Couch. Sie entsprachen genau der Definition der amerikanischen High School Zicke. Beide waren zugekleistert mit Make-up und Lidschatten. Während sich die Rechte mit ihren eigenen Wimpern zufriedengab, hatte die Linke ihre braunen Augen mit einem Paar billigen Fakelashes geschmückt. Naomi hätte in diesem Moment wohl wild um sich geschlagen. Ich sah, dass sie über mich sprachen, auch wenn die Linke zumindest den Anstand besaß, mich künstlich anzugrinsen. Wohlerzogen erwiderte ich das Grinsen und hob mir das Augenrollen für den Moment auf, als ich mich zu Kyle drehte und mit meinen Blicken um Hilfe bettelte. Mein Bruder schien zu verstehen, was ich wollte, und nahm meine Hand. Gemeinsam liefen wir die paar Schritte ins Wohnzimmer und setzten uns neben die Mädchen auf die Couch. Fakelash-Barbie musterte meinen Bruder sehnsüchtig. Nun wurde mir auch klar, warum sie mich vor ein paar Sekunden mit ihren Blicken töten wollte.
„Hi, ich bin Cara. Kyles Schwester", grinste ich ihr vielsagend entgegen. Die Überraschung in ihrem Gesicht sprach Bände.
„Was denn Kayla? Warst du etwa eifersüchtig?", kommentierte Kyle gehässig und sofort fuhr ich erschrocken herum. Solch selbstbewusste Töne hätte ich nie aus dem Mund meines Bruders erwartet. „Und wenn? Hätte es dir gefallen?", flirtete sie zurück und mir wurde klar, dass er wohl lieber derjenige gewesen sein sollte, der neben ihr saß.
„Ich geh mir mal mein Getränk von Zac abholen."
Stolz auf so viel Wagemut seitens meines Bruders schlich ich zu Zac am anderen Ende des Raumes und nahm ihm einen der Becher aus der Hand. Euphorisch stellte er mich den anderen Jungs in der Runde vor, während ich Kyle beobachtete, welcher unheimlich selbstbewusst mit Kayla ins Gericht ging. Mir wurde bewusst, dass ich wohl nicht die Einzige gewesen war, die ihre Erfahrungen sammelte.
„Du sag mal, ist Kyle ein Player?", wollte ich leise von meinem besten Freund wissen und brachte ihn damit zum Lachen. Er legte seinen Arm um meine Schulter und folgte meinem Blick. „Das sind wir alle, Liebes", flüsterte er in mein Ohr. Grinsend fuhr ich herum und tat seine Bemerkung mit einem beschämten Kichern ab. Mit den anderen Jungs in der Runde unterhielt ich mich eine Weile über Deutschland. Wie immer wollten sie möglichst viel über die Ausländerin wissen. Ich hasste es.
In solchen Momenten fühlte ich mich wie ein Exponat in einem Museum. Alle begafften mich und versuchten, meine Lebensgeschichte aus mir herauszuquetschen. Gerade als ich mich auf die Toilette retten wollte, spürte ich eine Hand auf meinem Rücken. Kyle schien meine stillen Hilferufe erhört zu haben. Dankbar drehte ich mich um und sofort stockte mir der Atem. Es war nicht Kyle, der mich rettete.
Ich blickte in zwei strahlende, rehbraune Augen. Aus der Nähe war sein Lächeln noch bezaubernder und er roch besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Coby Hastings roch süß, nach Minzbonbons und einem Parfum, welches ich unbedingt auf meinem Kopfkissen riechen wollte. Am liebsten hätte ich meine Nase in seinem Hals vergraben und jedes Molekül seines Geruchs aufgefressen.
„Hi", brummte er so leise, dass ich seine tiefe Stimme kaum hören konnte. „Hi", erwiderte ich völlig perplex.
Mein Blick wanderte an seinem Körper hinab. Er sah umwerfend aus. Das schwarze Achselshirt betonte seine durchtrainierten Oberarme und lag eng an seinem muskulösen Oberkörper an, an welchem Fett quasi nicht zu existieren schien. Seine braunen Haare waren kurz geschnitten, sodass der ausrasierte Nacken die Muskeln an seinen Schultern einrahmte wie ein köstliches Gemälde. Die graue Jogginghose gab mir den Rest. Dieser Kerl war heiß und ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Coby lachte leise in sich hinein und biss sich kurz auf die Unterlippe, bevor er für einen kurzen Moment zur Decke sah. Seine Hand lag immer noch auf meinem Rücken. Hätte er sie weggenommen, wäre ich vermutlich umgekippt.
„Warum so sprachlos?", flüsterte er und blieb mit seinen rehbraunen Augen auf meinen Lippen hängen. In diesem Moment bemerkte ich selbst, dass ich unabsichtlich meinen Hundeblick aufgesetzt hatte. Wie sonst hätte ich die Augen dieses 1,90 m großem Bild eines jungen Mannes von meinen Lippen reißen sollen? Grinsend schüttelte ich den Kopf und wand mich aus seinem Griff. „Nicht sprachlos nur etwas perplex. Willst du auch was trinken?", erwiderte ich flirtend und genoss, wie mir seine Blicke folgten. Ganz offensichtlich gefiel ich ihm, was wiederum mir gefiel. Zu dieser Zeit hätte ich alles darauf verwettet, dass Gefallen alles war, was ich an Coby Hastings finden sollte. Ohne dessen Antwort abzuwarten, lief ich in die Küche, um meinen Becher nachzufüllen und ihm ebenfalls einen zu organisieren.
„Ich trinke keinen Alkohol", hörte ich seine Stimme hinter mir, während ich zwei Becher mit etwas befüllte, was die Amerikaner Bier nannten. Schulterzuckend und mit zwei vollen Getränken bewaffnet, drehte ich mich um. „Ok, dann bleibt mehr für mich", lachte ich und stieß mit mir selbst an. Kopfschüttelnd fing dieses Schmuckstück an zu lachen und griff nach einer Colaflasche neben mir auf der Küchenanrichte, um sich auch einen Becher zu füllen. Er lehnte sich neben mich an die Küchenschränke. Ohne mich anzusehen, nahm er einen Schluck aus dem Becher.
„Gehst du morgen mit mir aus?", fragte er selbstbewusst. Sofort kribbelte mein Bauch so heftig, dass ich lauthals anfing zu lachen. Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet. Erst jetzt sah er mich wieder an und lächelte bis über beide Ohren. „Du kennst mich doch gar nicht", ließ ich die Antwort offen und zog meine Augenbrauen fragend zusammen.
„Das ist der Grund von Dates. Man lernt Leute kennen", antwortete er. Kichernd nahm ich einen Schluck aus dem Becher in meiner linken Hand.
„Leute lernt man auf Partys kennen", schoss es aus mir heraus. Damit schien ich ihn zu belustigen. Coby drehte sich ein Stück zu mir. „Ok, das haben wir ja jetzt. Also?", erwiderte er. In seinem Tonfall erkannte ich, dass ich den Ehrgeiz dieses Sportlers geweckt hatte. Ich nahm einen Schluck aus dem Becher in meiner rechten Hand und entschied mich, die typische Millershow abzuziehen.
Der erste Schritt war getan; seine Aufmerksamkeit gehörte mir allein und mein Ehrgeiz erwachte ebenfalls aus seinem Schönheitsschlaf.
„Man lernt Leute auf Partys kennen und wenn man sie besonders mag, lädt man sie auf ein Date ein, Hastings", zwinkerte ich ihm zu. Sein Lachen war Musik in meinen Ohren. „Besonders mögen, wäre zu viel gesagt. Ich würde sagen, besonders attraktiv finden, Miller", flirtete er zurück.
Schritt zwei: Der Becher in meiner linken Hand fühlte sich vernachlässigt.
„Ok, das war schon besser", flüsterte ich und drehte mich ebenfalls zu ihm. „Ich verliere nicht gern", stellte Coby seine Absichten klar und berührte schüchtern meine Hüfte. Mein kurzes Japsen versteckte ich bei einem Schluck aus dem rechten Becher.
„Wir haben doch gerade erst angefangen, zu spielen", hauchte ich und legte meinen Kopf schräg. Coby kam mir langsam immer näher. Mit seinem Daumen streichelte er sanft über meine Hüfte. „Also ist das ein Ja?", sicherte er sich ab und rückte ein weiteres Stück zu mir. Sein heißer Atem prallte gegen meine Stirn und ich spürte, wie mein Herz den nächsten aufgeregten Satz gen Hose rutschte. Seufzend gab ich dem Betteln des linken Bechers nach. Den leeren Nervzwerg stellte ich ab und legte meine Hand auf Cobys an meiner Hüfte, während ich mir genüsslich auf die Lippe biss und zaghaft nickte. Das Strahlen in seinen Augen war ansteckend. Am liebsten hätte ich seinem Versuch, mich zu küssen, nachgegeben, aber ich musste zugeben, dass Spielen mit Coby Hastings extrem Spaß machte.
„Ok, ich hole dich um drei ab", hauchte er und spitzte langsam seine Lippen.
Schritt drei: Ich leerte den Becher in meiner rechten Hand und stolperte ruckartig einen großen Schritt nach hinten, während ich meine Hüfte aus Cobys Griff befreite. Enttäuscht rümpfte er die Nase. Schnellen Schrittes stürmte ich aus der Küche. Kurz bevor ich sie verließ, drehte ich mich nochmal zu diesem Schmuckstück um.
„Alles klar! Und denk dran; wir Deutsche lieben Pünktlichkeit!", rief ich ihm mit einem Augenzwinkern zu. Sein lautes Lachen ließ die kleinen Falten an seinen Wangen um die Wette tanzen. Für einen kurzen Moment zögerte ich. Am liebsten wäre ich an Ort und Stelle über ihn hergefallen, doch das hätte das Spiel viel zu früh enden lassen. „Du bist ein Biest, Cara Miller!", grölte er mir lachend hinterher und ich verschwand zufrieden aus der Küche, um meinem Bruder zu eröffnen, dass der Abend an dieser Stelle vorbei war.
Das Spielen forderte manchmal Opfer, auch wenn Kyle das ganz anders sah; Fakelash war hierbei eben die Leidtragende.
Leid sollte ich in naher Zukunft zu Genüge tragen. Das Leben hielt mich zum Narren und das Schicksal verriet mich in Momenten, in denen ich mich in wohliger Sicherheit wiegte. Das Leben war ein verdammter Endzeit-Blockbuster und ich war der Protagonist. Zu dieser Zeit spielte ich jedoch noch in der Überzahl. Ich liebte das Spiel, den Sommer und ich liebte durchtrainierte, amerikanische Football-Gs, die der Meinung waren, in Deutschland würden wir mit Pferdekutschen zur Schule fahren. Ich kleiner, grünäugiger Dummkopf.
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