Keine Fails
Es sind keine Fails. Aber ich wollte einfach einmal wieder einen Oneshot schreiben. Ich schreibe sehr gerne, um Menschen zu berühren. Zumindest versuche ich es. Meine Inspiration zu diesem Oneshot: Das Lied "The Swan Song" von Within Temptation (welches ich dank Traumkatze gefunden habe, danke nochmals dafür❤️)
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Ich trage ein weißes Kleid. Es ist lang und leicht. Leicht wie ein Schmetterlingsflügel. Leicht, um davonzufliegen, nie mehr wiederzukehren. Die Farbe ist weiß. Weiß, das Zeichen der Unschuld. Welche Ironie. Niemand ist unschuldiger als er. Und ich konnte ihm nicht helfen. Ich konnte ihn nicht retten. Er war zu jung. Auch ich war zu jung. Aber ich war alt genug, um es mir nie zu verzeihen. Und er. Er kann mir nicht mehr verzeihen. Bittersüßer Schmerz, gewohnte Kälte. Er ist weg. Und kommt nie wieder. Genau wie meine Schwester. Meine beiden Brüder. Meine Eltern. Nie wieder. Ich bin gebrochen.
Es scheint, als leuchte das Kleid im Mondschein. Sanft streicht es um meine Beine, als ich den schmalen Weg entlanggehe. Es ist ein Waldweg. Ich stehe. Mitten im Wald. Auf einer Lichtung. Und da, da fängt es zu schneien an. Kleine, zarte Flocken finden ihren Weg nach unten. Ich strecke meine vernarbte Hand nach oben und fange ein paar der Flocken auf. Ich schrecke zurück. Der Schmerz, der süße Schmerz der Kälte, einer anderen Kälte, als die, welche ich gewöhnt bin. Eine greifbare Kälte. Wann habe ich das letzte Mal etwas greifbar Kaltes gespürt? Lange nicht. Zu lange nicht. Der Schnee in meiner Hand schmilzt, kühlt die vernarbten Wunden meiner Hände. Der Schnee verschwindet und mit ihm auch meine Verkrampftheit. Meine Müdigkeit. Meine Verzweiflung. An ihre Stelle tritt eine seltsame Leere. Eine Gelassenheit. Ein Zauber. Ich nehme meinen ganzen Mut zusammen. Ich habe es lange nicht mehr getan. Zu lang. Weil ich Angst hatte. Weil sie zerbrachen, in der Nacht, in der meine Seele zerbrach. In tausend Splitter. Und nichts, nichts auf der Welt kann sie wieder komplett zusammenfügen. Es bleiben immer Risse, es fehlen immer kleine Teile. Es dringt immer Wasser ein. Trotzdem. Ich muss nachsehen. Die ganzen Jahre, in welchen ich mich nicht traute. Vorsichtig befühle ich meine Schulterblätter. Wird es überhaupt noch funktionieren? Oder bin ich zu spät? Meine Sorgen verdrängend, öffne ich meine Flügel. Das letzte Mal. Ich erstarre. Schreie vor Schmerz, Entsetzen und Verzweiflung. Sie sind zerissen. Komplett. Meine Flügel waren einmal weiß; Jetzt sind sie blutig, Fetzen hängen herunter. Ich kann sie nicht bewegen. Schwer fallen sie von meinen Schultern. Kaum von mir gelöst, zerfallen sie zu Staub. Ich laufe. Schneller. Weg von hier. Weg von dieser Stelle. Auch wenn ich ihr doch nie entfliehen kann, so sehr ich es auch versuche. Als ich an einen See gelange, bleibe ich stehen. Das Wasser ist kristallklar. Der Nachthimmel spiegelt sich mysteriös im Wasser, welches sich leicht kräuselt, sanfte Wellen schlägt. Es hat aufgehört, zu schneien.
Vor mir sehe ich sie. Alle, welche ich liebe. Leise rufen sie meinen Namen. Flüsternd, hauchend. Wispernd. Ihre Stimmen vermischen sich zu einem Chor, werden zu einem Lied. Es ist, als könne ich ihr Lied sehen. Als wäre es ein goldener Schimmer in der völligen Dunkelheit. Der Schimmer kommt auf mich zu, wärmt mein Gesicht, streicht es sanft. Mein Herz fängt zu tauen an. Solange hatte ich es eingefroren, gefühlslos versteckt. Zu lang. Ich lächle. Der Schimmer kitzelt ein letztes Mal zärtlich meine Haut, bevor er sich zu einer goldenen Kugel zusammenzieht. In dieser Kugel sehe ich sie. Meine Vergangenheit. Die schönen Tage, die Tage der glücklichen Zeit. Bevor der Schrecken mich einholte. Das Grauen, die Angst. Sein Tod. Die Verzweiflung. Bevor meine Seele zersplitterte, mein Herz brach und einfror. Ich will nach der Kugel, welche vor mir schwebt, greifen, sie halten, nie wieder loslassen, beschützen, vor dem Grauen der Zukunft. Doch als ich sie berühre, zerfällt auch sie und regnet in kleinen Funken auf die Erde. Ich drehe mich zum See. Es ist Zeit. Zeit, loszulassen. Zeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Aber in meinem Herzen weiß ich; Ich kann nicht loslassen. Zumindest nicht vollständig. Und das ist in Ordnung. Sonst würde ich anfangen, zu vergessen. Und das will ich niemals. Ich steige in den See. Das Wasser ist eiskalt, raubt mir den Atem. Mein Kleid saugt sich voll, wird schwerer. Zieht mich nach unten. Inzwischen geht mir das Wasser bis zum Hals. Ich spüre den Boden unter meinen Füßen und stoße mich ab. Schwimme. Mitten im See fühle ich plötzlich, wie meine Wunden verheilen. Die Narben verschwinden. Meine Haut ist blass und rein. Und ich merke noch etwas: Meine Flügel. Sie wachsen. Heute Nacht wachsen mir neue Flügel. Meine Seele heilt. Mein Herz schlägt. Nur ein paar kleine Risse zeugen davon, dass meine Seele und mein Herz gebrochen waren. Meine Flügel fangen zu schlagen an. Sie sind stark. Sie tragen mich aus dem See, lassen mich durch die Lüfte fliegen. Ich bin frei. Vorsichtig lande ich an schneebedeckten Ufer des Sees. Ich sehe mein Spiegelbild im Wasser. Meine Haare sind in einem kunstvoll geflochtenen, mit silbernen Steinen geschmückten Zopf um meinen Kopf geschlungen. Mein Kleid ist hauchdünn und weiß, der Rock besteht aus Schwanenfedern und geht mir bis zu meinen Oberschenkeln. Das Kleid ist schulterfrei und eher schlicht. Ich trage eine weiße, ebenfalls hauchdünne Strumpfhose und an meinen Füßen- an meinen Füßen trage ich weiße Spitzenschuhe. Wann habe ich das letzte Mal getanzt? Das letzte Mal Musik meine Seele berühren lassen? In der Vergangenheit. Weit zurück in der Vergangenheit. Ich lächle. Und fange zu tanzen an. Zuerst unsicher, ich muss mich erst wiedet daran gewöhnen. Mit jedem Schritt werde ich sicherer. Es ist perfekt. Doch- irgendetwas habe ich noch zu tun. Da sehe ich es. Am Rand der Lichtung, fast vollständig im Wald verschwunden. Sein Grab. Ich nähere mich ihm. Mit jedem Schritt, den ich mache, hinterlasse ich einen Fußabdruck im Schnee. Der Abdruck ist rot. Wie das Blut, das so oft aus meinem Körper floss. Damals. Als er noch lebte. Und auch, als er schon tot war. Vor seinem Grab angekommen, bleibe ich stehen. Es sind Rosen. Weiße Rosen. Er hasste weiß. Er sagte, niemand sei unschuldig. Dabei war er es. Ich war es. Wir beide waren es. Zu jung und unschuldig. Er hätte nicht sterben dürfen, er wollte doch nur fliehen! Ich beuge mich hinunter zu seinem Grab und küsse die Rose. Sie verfärbt sich schlagartig blutrot. Wie seine Leiche. Die Erinnerung lässt mich zittern. Ich war elf. Mit elf Jahren die Leiche des besten Freundes zu sehen, lässt einen nicht kalt. Schuldig. Blutrot. Ich hätte ihn retten sollen. Ich konnte nichts für ihn tun. Schuldig. Blutrot.
"Es tut mir Leid. Das alles. Was wir durchmachen mussten. Dass du gestorben bist. Wovon wir geträumt haben", sage ich. Ich muss schlucken. Schlucke die Tränen herunter. Mein Hals fühlt sich rau an, brennt. Trotzdem spreche ich weiter: "Aber hier stehe ich jetzt. Und lebe weiter- für dich. Für uns beide. Und vielleicht- vielleicht höre ich dich auch. In der Stille. Wenn du mir etwas zuflüsterst." Ich drehe mich um. Und gehe. Ans Ufer. Starre abwesend in den See. Dann fliege ich. Erhebe mich in die Lüfte, steige höher. Spüre den Wind in meinen Haaren, fühle mich frei. Und zum ersten Mal seit Jahren. Bin ich glücklich. Komplett. Nicht nur für einen kurzen Moment. Ich tanze leicht durch die Luft, den Sturm, den Schnee. Alle, die ich liebe, sehen mich. Und ich sehe sie. Als ich mich schließlich ans Ufer setze, weiß ich es plötzlich. Meine Liebe, meine Hoffnung, meine Träume- egal was passiert, mir kann sie keiner nehmen. Ich bin menschlich. Und was mich nicht umbringt, macht mich stärker.
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Das war es. Ich hoffe, euch hat es gefallen. Dies ist die Geschichte, die mir immer einfällt, wenn ich das Lied "The Swan Song" höre. Was hätte ihr bei diesem Lied hineininterpretiert oder euch ausgedacht?
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