⌛Kapitel 14⏳
Shairion
Für heute hatte er also noch frei.
Seufzend schlenderte Shai durch Dalarans noch immer verregnete Straßen.
Er musste zu Khadgar.
Der Erzmagier hatte ihn endlich bemerkt und er hatte mit ihm reden wollen.
Und er war weggegangen.
Hoffentlich wartete Khadgar noch.
Shai betrat den Turm.
Sofort lag der Blick von zwei eisblauen Augen auf ihm.
"Die Tage?", schmunzelte der Erzmagier.
" 'Die Tage' könnte vielleicht in grünem Feuer stehen.", erwiderte Shai und gab mit einem kurzen Nicken zu verstehen, dass er den Witz zwar verstanden hatte, aber gerade nicht im Modus für Scherze war.
"Verstehe. Ich denke, Ihr habt meine Frage vorhin schon erraten." Khadgar bemerkte offensichtlich mehr, als Shai das einem Menschen zugetraut hätte.
"Ich nehme an, Ihr wollt wissen, warum ich hier mein Unwesen treibe, anstatt gegen die Legion zu kämpfen."
Khadgar nickte.
"Ganz einfach." Shai kramte sein Tagebuch hervor. Der schwarze Ledereinband sagte schon, wessen Haut es war. Das Buch war quasi ein Teil von ihm geworden. "Ich wollte sichergehen, dass ich wirklich Eure volle Aufmerksamkeit erlange. Ich hätte etwas, was helfen könnte." Er drückte Khadgar das Buch in die Hand. Die blauen Augen musterten den einfachen Deckel, seine Hände strichen über die warme Lederhaut. Es war, als wäre das Buch lebendig, und Shai wusste, dass Khadgar das selbe dachte. "Es ist mein Tagebuch. Ich habe nicht nur eigene Erlebnisse während des Kriegs der Ahnen, sondern auch die von Rabenkrone und Schattensang herausgearbeiteten Taktiken der Legion niedergeschrieben. Ich dachte mir, dass das erste Mal nicht das letzte bleiben würde."
"Dieses Buch ist..." Khadgar fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. "...ungeheuer wertvoll. Seid Ihr sicher, dass ich- "
"Ich kenne keinen besseren, Erzmagier." Shai versuchte zu lächeln, merkte jedoch schnell, dass das nicht möglich war, also ließ er es.
"Ich danke für Euer Vertrauen.", murmelte Khadgar überwältigt und schlug die erste Seite auf.
Seine Augen strichen über die ersten Zeilen, bis sie sich weiteten, dann nickte er nachdenklich.
Als er die Seite zuende gelesen hatte, sah er zu Shai auf. "Shairion, ein ausgestoßener Schwarzdrache?"
"Ja." Shai nickte. "Auf der ersten Seite steht das allerdings nicht. Woher wisst Ihr das?"
"Eine Nachtgeborene, Thalyssra, brachte mir ein Buch, in dem Ihr oft erwähnt wurdet." Khadgar zückte das Buch mit einem seidenen Einband, der zweifellos von Meisterhand gefertigt worden war.
Thalyssra war allerdings keine Handwerkerin.
"Thalyssra kenne ich gut genug, um sagen zu können, dass sie weder Tagebuch schreibt, noch dass sie sich handwerklich betätigen würde." Shai musterte das Buch. "Aber sie lebt noch, ja? Das sind gute Nachrichten."
"Das Buch ist auch nicht von Thalyssra, sondern von einer Bekannten, Chalan Lefaire, soweit ich das richtig erinnere."
Shai nahm das in Seide eingeschlagene Buch.
Chalan hatte also genau wie er Tagebuch geführt, um es späteren Generationen zu hinterlassen.
Vielleicht stand in dem Buch auch noch, wo und wann sie zu finden war...
"Die Daten ihres Aufenthaltortes sind lange nicht mehr aktuell...", zerstörte Khadgar seine Hoffnungen. "...aber sie ist leicht zu erkennen, wenn sie hierher kommt."
"Chalan war schonmal hier?", fragte Shai hoffnungsvoll.
"Mehrmals. Ich wage zu behaupten, dass sie Euch sucht."
"Natürlich tut sie das...", murmelte Shai. "Es waren über zehntausend Jahre..."
Khadgar nickte langsam. "Wenn sie das nächste Mal kommt, soll ich ihr dann sagen, dass sie hier auf Euch warten soll?"
Shai nickte sofort.
Dann sah er auf das Buch in seinen Händen. "Dürfte ich mir das eventuell mal ausleihen?"
"Ich weiß nicht, ob sie das tolerieren würde..." Khadgar strich sich nachdenklich über sein Kinn. "Ich schlage vor, ich rufe sie mit einem Zauber. Wenn ich ihr sage, dass Ihr hier seid, würde sie bestimmt sofort kommen."
"Das wäre großa- "
"Erzmagier!" Die sanfte Stimme, die die "r"s leicht rollte, ertönte samt Hufgeklapper. "Die Legionsrichter erwarten Eure Anwesenheit und Unterstützung."
Khadgar seufzte. "Ich denke, Ihr wartet hier. Euer Gefährte ist nicht bei Euch. Den Schreien von draußen zufolge wage ich zu behaupten, dass..." Er sah mitleidig zu dem größeren Elf auf. "Ich wollte Euch mein Beileid aussprechen."
"Ach, die Leiche?" Shai lächelte schwach. "Das war der Assassine, der Xenon töten wollte. Xenon lebt noch, aber das wäre fast schief gelaufen." Er unterdrückte ein Seufzen, als er die Blutflecken auf seiner Kleidung betrachtete.
"Dann hattet Ihr wohl großes Glück...und er auch." Khadgar lächelte erleichtert, wohl den Fakt ignorierend, dass tatsächlich jemand gestorben war.
"Erzmagier!", donnerte die nicht mehr so sanfte Stimme durch den Raum.
"Verzeiht, Prophet, ich bin sofort bei Euch!", rief Khadgar über Shais Schulter hinweg zu der Person, Velen, ein Draenei. "Wartet hier, Shairion, Chalan wird sicher in vier Tagen wieder hier sein. Sie kommt jede Woche einmal, müsst Ihr wissen."
"Ich danke für die Information, Erzmagier, und viel Glück Euch. Die Dämonen an der Küste sind nicht ungefährlich."
"Welcher Dämon ist schon ungefährlich, Shairion...", seufzte Khadgar und schon sich an ihm vorbei. "Welcher Dämon?"
Ohne eine Antwort abzuwarten verschwanden Erzmagier und Prophet.
Seufzend verließ Shai den Turm.
Nicht weit von ihm entfernt, gingen die beiden wichtigsten Personen, die Azeroth der Legion entgegenstellen konnte. Nur Illidan fehlte.
Aber im Endeffekt kümmerte das niemanden.
Jedenfalls ihn nicht.
Shai hatte Illidan gut gekannt, nicht als Freund, sondern von der Ferne, dennoch bedauerte er den Wahnsinn, die Gier nach Macht, der Illidan verfallen war.
"Da bist du ja, du Vollpfosten."
Shai sah um sich, doch mittlerweile waren wieder ein paar mehr Leute draußen, sodass er vielleicht gar nicht mal gemeint war.
Er sah auch niemanden, der ihn angesprochen haben könnte.
"Hinter. Dir." Die ungeduldige Frauenstimme stöhnte. "Ach, wieso sage ich dir das überhaupt?"
Shai drehte sich um.
Offenbar war wohl doch er gemeint.
Doch die jung aussehende Elfe war weder eine, die er kannte, noch eine, deren Anblick ihn erfreute.
Goldene Augen mit Schlitzpupillen starrten ihn an.
Lange zusammengebundene schwarze Haare wehten in Wellen um das schmale Gesicht, das an manchen Stellen aussah, als wäre die Haut um nicht sichtbare Schuppen bräunlicher geworden.
"Bist du auch wieder eine von diesen Idioten, die Deathwings Wunsch nachgehen, obwohl er nicht mehr lebt?", fragte Shai ironisch. "Dann lass dir sagen, dass bis jetzt jeder den Rückzug angetreten hat. Ich war die zehntausend Jahre nicht tatenlos."
"Sehe ich aus, als wollte ich dir den Kopf von den Schultern reißen?", erwiderte die Drachin genauso ironisch.
"Um ehrlich zu sein: ja."
Die Drachin zog eine Augenbraue hoch. "Du hast also keinen blassen Schimmer, wer ich bin."
"Nicht im geringsten."
"Oh, das ist ja...zum Kotzen." Die Drachin trat näher, Shai wich automatisch zurück. "Das haben wir gleich."
Shai wusste zuerst nicht, was sie meinte.
Erst als eine heftige Welle durch den Boden in ihn fuhr und eine widerliche Schwäche in ihm verursachte, verstand er.
Sie betäubte ihn quasi, um Elune weiß was mit ihm zu tun.
Doch die zweite Welle raubte ihm das Bewusstsein, bevor er sich auch nur wundern konnte, dass die Augen der Drachen zu glühen begonnen.
Golden.
Golden wie etwas, das er kannte, das er verabscheute.
Golden wie...
...die Drachenseele...
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