Kapitel 71
An diesem Tag fand ich meine Leichtigkeit wieder. Meine Unbeschwertheit. Ich hatte sie schön öfter mal für kurze Augenblicke oder vorübergehende Momente wieder. Aber dieses Mal war es anders. Dieses Mal würde sie bleiben. Ich würde sie mitnehmen.
Ich hatte mich lange gefragt, wie ich geworden wäre, wenn alles anders gekommen wäre. Und ich hatte heute die Antwort bekommen. So wäre ich geworden.
Unbeschwert, frei, glücklich.
Und an der Art, wie Vaughn mich ansah wusste ich, dass er dasselbe dachte. Trotzdem oder gerade deshalb konnte ich endlich Frieden mit meiner Vergangenheit schließen. Sie war nicht zu ändern, ich konnte es nicht rückgängig machen und ich hatte es überstanden. Und das war in Ordnung. Es war nicht meine Schuld und endlich konnte ich das akzeptieren, was ich schon lange wusste. Dass ich unschuldig war.
Ich erzählte Vaughn von dem Tag mit Villain und Coilin an dem wir einen Trainingskampf zu einer eisigen Rutschpartie umfunktioniert hatten, wie wir dem kleinen Eisbärjungen begegnet waren und obwohl ich mir sicher war, dass er das durch seine Spione längst wusste, erzählte ich ihm von den Halbfae und Wilkies, die Phineas auf seinem Fest in einem Käfig gehalten hatte.
„Und konnten sie fliehen?", fragte er leise. Seine Finger strichen über meine und unsere Köpfe waren nur eine Handbreit voneinander entfernt an den Stein gelehnt.
„Nicht alle."
Er nickte knapp. „Und dennoch. Wieder sind da Leben, die du gerettet hast. Woher wusstest du, dass ihr genau an diesem Tag reagieren musstet?"
Ich schluckte. Das Thema war heikel, obwohl es das eigentlich nicht war. Es war nicht unüblich das Könige und Königinnen eine Verbindung zu ihrem Land hatten. Doch seit der Spaltung des Reichs der Fae in fünf Länder gab es das nur noch sehr selten. Entweder war die Magie des Königs oder der Königin stark genug oder sie waren direkte Nachfahren von der ursprünglichen Königsfamilie Azralons. Durch den Missbrauchs des dunklen Königs eben dieser Verbindung war es ein mit Spannung verbundenes Thema geworden.
„Zufall und ein wenig gute Intuition?" Es klang mehr nach einer Frage als nach einer Antwort. Doch Vaughn hakte nicht nach. „Wie ist es bei dir? Hast du eine Verbindung zu deinem Land? Spürst du wenn etwas in Arubien vorgeht?"
„Ja." Er schien nachzudenken. „Ich fühle Veränderungen, manchmal auch schlechte Nachrichten oder Aufstände. Es ist wie eine Gewissheit, die plötzlich in meinem Bewusstsein ist. Früher habe ich mir immer vorgestellt, dass dieses Gefühl an einer Stelle in den Boden sickert und die Magie sie an mich weiterleitet. Oder der Wind sie zu mir trägt. Da war ich mir nie sicher." Er lachte leise. Ich hatte das Bild von Keno, schlafend in meinem Zimmer, vor mir. Und fragte mich nicht zum ersten Mal, wie ähnlich der König seinem kleinen Bruder war.
„Kann ich mir Keno wie eine jüngere Version von dir vorstellen?", fragte ich mit einem vorsichtigen Seitenblick, der unwillkürlichen auf seine zu einem Lächeln verzogenen Lippen fiel.
„In gewisser Weise schon." Als würde sich eine dunkle Gewitterwolke vor sein Lächeln schieben, verlor es plötzlich an Kraft. „Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Mein Vater gehörte nicht zu den wenigen Fae, die viel von Liebe und Zuneigung halten. Er hatte seine eigenen Prinzipien und ich war der älteste Sohn, der Thronfolger. Er hat mich früh darauf vorbereitet zu herrschen, wie man herrscht, wie das Volk einen König zu respektieren lernt, was man tun muss, was man bereit sein muss zu opfern."
Ich beobachtete ihn genau. Sah wie seine Augen an Glanz verloren, während er über seinen Vater sprach. Wie sich ein verbitterter, harter Zug um seine Mundwinkel legte und eine Hand in seinen Nacken wanderte. Ich meinte zu verstehen, auch dass, was er nicht sagte.
„Du hast gefragt, wen ich liebe." Ich nickte. Verwundert darüber, dass er das Thema von allein noch einmal ansprach. „Ich liebe meine Geschwister. Ich liebe mein Land, mein Volk. Auf irgendeine Weise auch meine Mutter." Er räusperte sich und hob mein Kinn, damit ich ihn ansah. Dieses Mal war er es, der mich ganz kurz küsste. Seine Lippen warm und weich auf meine legte und mein Herz damit aussetzen ließ.
Ich konnte nicht realisieren, dass das wirklich wir waren, die sich hier küssten. Dass wir es waren, die dieses Gespräch führten, das weit über bloßes Vertrauen hinaus reichte. Dass es meine Lippen waren, die er küsste.
„Was ich noch sagen wollte." Er räusperte sich kurz. „Cailyn hat mir erst gestern erzählt, dass du kein Fleisch isst. Ich wusste es vorher nicht. Es war also keine Absicht, dass ich das am Tag deiner Rückkehr servieren ließ."
„Ich habe es mir schon gedacht." Meine Lider flatterten, als ich seinem durchdringenden Blick auszuweichen versuchte. „Und die Kleider?", wisperte ich so leise, dass ich es selbst kaum verstand.
Er sah mich erstaunt an. „Was genau meinst du?"
Ich schluckte. „War es Teil deiner Strategie, diese Kleider auszuwählen?"
Ich wollte zurückrudern, als ich seinen Ausdruck sah, doch es war zu spät. Er war schockiert. Ungläubig und ich bereute es nachgefragt zu haben. Jetzt musste ich es ihm erklären, da er augenscheinlich keinen Schimmer hatte, wovon ich redete.
„Phineas hat genau denselben Kleidungsstil für mich bestimmt." Ich drängte das Brennen in meiner Kehle zurück. „Mit deiner zurückhaltenden Art und deinem aufreizend schamlosen Kleidern kannst du den Männern alles entlocken." Ich räusperte mich, als ich die Tonlage wahrnahm, die seiner so sehr ähnelte. „Er hat meinen Körper genauso als Waffen benutzt, wie alles andere von mir auch."
Als Vaughn still blieb und ich einen Blick riskierte, wusste ich augenblicklich, wieso er nichts sagte. Er war wütend. Nahezu zornig. Angespannter als ich ihn je zuvor gesehen hatte.
Ich war alarmiert. „Was ist los? Spürst du etwas? Stimmt etwas nicht?"
Irritation breitete sich über seinem Gesicht aus und verdrängte die Wut etwas. „Ich kann nicht glauben, dass Königin Helena das alles wusste und nicht einmal versucht hat, dich da rauszuholen." Noch immer war sein Kiefer angespannt und seine Lippen hart aufeinander gepresst.
Ich zuckte mit den Schultern. „Ihr Land hatte Priorität."
„Zwischen ihrem und Phineas Land liegt die gesamte Weite des tückischen Meeres. Wie viel hätte es ihren kostbaren Regenbogenpalast kosten können ihre Nichte zu befreien? Sie hat es nicht einmal versucht. Und dann das mit den Hexen und die Tatsache, dass sie unsere Briefe nicht beantwortet. Da stimmt etwas nicht, Belle."
Die Möglichkeit hatte ich schon länger in Betracht gezogen, sie aber von ihm bestätigt zu bekommen, ließ mich schaudern. „Wenn es so wäre, hätte sie mir doch aber diese Erinnerungsperlen nicht von meiner Mutter gegeben", überlegte ich laut.
„Könnte auch ein Ablenkungsmanöver gewesen sein", antwortete Vaughn nach einer Weile.
„Wir werden es bald herausfinden, schätze ich." Mein Blick wanderte das Tal hinauf. Wir saßen ganz unten, wo das Tausend Wasser Tal wieder in den Wald überging. Nur in weiter Ferne konnten wir ganz hoch oben den Wasserfall erkennen. Noch immer glitzerte und schimmerte alles, obwohl die Sonne bald untergehen würde.
„Deine Geschichte vorhin hat mich auf eine Idee gebracht", raunte Vaughn mir zu. Er stand auf, nahm meine Hand und zog mich hoch. „Kleines Wettrennen nach oben gefällig?" Herausfordernd blitzten seine Augen und ich lachte leise.
„Du hast keine Ahnung worauf du dich einlässt, Königlein." Dann rannte ich los. Wenn Cailyn wusste, dass ich nachts trainierte, dann er vermutlich auch. Ich war mehr als gespannt darauf herauszufinden, was Vaughn drauf hatte.
Ich spürte ihn direkt hinter mir. Er sprang in riesigen Sätzen auf dieselben Steine wie ich. Taktisch klug, aber nicht klug genug.
Ich hörte ihn fluchen, als eine der Steine auf den ich gesprungen war, plötzlich im Wasser versank. Im Gegenzug verlor ich das Gleichgewicht, als das Plateau, das ich anpeilte, plötzlich von einer grünen, schleimigen Schicht bezogen war und ich aufpassen musste, dass ich nicht direkt über die Kante segelte. „Na, warte", fluchte ich und vernahm sein kehliges Lachen hinter mir. In meinen Bauch begann ein kleiner Sturm Schmetterlinge aus ihren Kokons zu schlüpfen und wild herumzuflattern..
Ich wich verschiedenen Wurzeln aus, als ich den Rand des Tals ansteuerte und direkt am Waldrand weiterlief. Auch hier folgte Vaughn mir und nur mithilfe einiger kleiner Stolperschwierigkeiten sorgte ich dafür, dass er mich nicht überholte.
„Gut, Prinzessin. Sehr gut", ertönte seine Stimme und plötzlich lag ich auf dem Rücken. Den Blick in die Wolken erhoben, bis sich smaragdgrüne Augen in mein Blickfeld schoben.
„Aber, aber, seid Ihr etwa schon aus der Puste?"
„Ich dachte, ich lasse euch lieber einen kleinen Vorsprung. Der Fairness halber." Ich lächelte ihn selig an und schaute demonstrativ an ihm vorbei in den Himmel, der von Wolken verschiedener Töne durchzogen war.
„Ich hatte nicht gedacht, dass aufgeben für euch eine Option wäre", stichelte er und ich biss die Zähne fest zusammen. Sobald er sich abwendete, ließ ich ihm einen Ast ins Gesicht schnellen und ein paar Wurzeln über seine Füße wandern, die ihn festhielten.
„Denk daran, bloß keine Zerstörung anzurichten. Die Waldfeen wären sicherlich nicht begeistert, wenn du ihren guten Freunden wehtust." Mit zuckersüßer Stimme beugte ich mich über ihn und strich ihm eine Strähne aus der Stirn.
„Wir sehen uns oben." Dann war ich weg. Meine Füße fanden Halt, wo eigentlich keiner war. Wie vom Wind getragen, hatte ich innerhalb kürzester Zeit die Spitze erreicht. Ich legte mich auf den steinernen Felsvorsprung und sah wieder hinauf in den Himmel.
Schneller als ich erwartet hatte, betrat Vaughn die Lichtung und hob mich hoch. „Das hättest du nicht tun sollen", raunte er. Ich wehrte mich gegen seinen Griff, doch er sprang bereits und als ich mich von ihm löste, waren wir bereits im freien Fall.
Wir tauchten ein, schnellten aber sogleich wieder in hohem Bogen aus dem Wasser heraus. Vaughn grinste und ich spürte das Schutzschild, das er um uns beide geworfen hatte. Wie in einer Blase glitten wir einen kleineren Wasserfall hinunter und schnellten pfeilschnell über kleine Flüsse. Es endete damit, dass Vaughn die Blase auflöste, als wir gerade in hohem Bogen auf einen See zuflogen und ich somit kopfüber darin landete. Dazu hatte ihn meine kleine Geschichte also inspiriert.
„Das war toll", prustete ich sobald ich wieder auftauchte. „Weißt du, wie viel Spaß das Keno gemacht hätte?" Ich lachte, über seine verblüffte und etwas missgünstige Miene, weil mir das Ganze mehr Spaß gemacht hatte, als er geplant hatte.
Wir ließen uns auf den Felsen trocknen und warteten bis die Sonne unterging, erst dann zogen wir uns wieder an.
„Danke, Belle. Für diesen Tag." Als wäre es selbstverständlich lag sein Arm an meiner Taille.
„Ich danke dir. Dieser Tag war unglaublich schön." Als sich unsere Lippen dieses Mal trafen, war sofort klar, dass es keiner dieser kurzen Küsse sein würde. Er zog mich näher und meine Hände wanderten über seine Schultern zu seinem Hals. Während einer seiner Arme an meiner Taille lag, tastete die andere Hand sich von meinen Schulter zu meinem Hals nach vorn. Sein Daumen hob mein Kinn und seine langen Finger lagen warm an meiner Wange.
Der Kuss wurde stürmischer, genauso wie mein Herzschlag und das Atmen verlor mit jedem Augenblick mehr an Bedeutung. In Anbetracht dessen, was wir heute erlebt und geteilt hatten, sollte es mich nicht überraschen, dass sich dieser Kuss anders anfühlte. Viel vertrauter, viel inniger und viel intensiver spürte ich seine Lippen, seine Berührung, seinen Körper.
Ein lautes Krächzen nahm das Drängende aus dem Kuss und hinterließ eine bittersüße Schwere. Noch ein Streichen. Ein weiterer Kuss. Dann lösten wir uns voneinander. Die Lippen geschwollen, die Pupillen geweitet. Ich sah Vaughn an, strich über seine Wange und sah zu, wie seine Lider sich flatternd schlossen. Seine Hand strich hauchzart über meine Lippen, fuhr ihre Konturen nach und jetzt war ich es die noch einmal kurz die Augen schloss, mich seiner Berührung hingab.
„Ich habe dich noch nie so gesehen wie heute, Belle. Und ich wünschte, es wäre öfter so zwischen uns."
Ich lächelte und sein Atem geriet kurz ins Stocken.
Den Rückflug verbrachten wir eng aneinander gekuschelt und mein Lächeln blieb, bis wir zur Landung ansetzten. Noch ein Kuss. Noch ein letzter. Dann machte ich mich bereit von Azra zu springen. Ohne ihn anzusehen, sagte ich: „Aurin kann die Täterin nicht gefunden haben. Es gibt keine weitere Gefahr, weil es mein Pfeil war."
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Mega langes Kapitel, das euch hoffentlich gefällt ♥
Ich hatte super viel zu tun, mit den neuen Arbeitsverträgen und der Besorgung und Beantragung aller Bescheinigungen und Co, bin jetzt aber endlich durch damit! Was steht bei euch am Wochenende an? Ich bin heute in der Nachtschicht, also ist die Wahrscheinlichkeit hoch, das heute noch ein Kapitel kommt ♥
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