Kapitel 49
Ich lebte bei der Herde. Tagsüber brannte die Sonne auf meinen Kopf. Nachts ruhten wir im schimmernden Licht des Mondes. Die einzigen Geräusche, die ich hörte, waren die der Pferde. Warmes Pusten der Nüstern, ungeduldiges Scharen der Hufe. Das Trommeln, wenn die Herde in Bewegung war, das Knacken der Äste, wenn wir einen Wald durchquerten, das Flüstern des Windes, das Plätschern von Flüssen. Ich aß, wenn ich etwas fand, damit mein Körper funktionierte, aber Hunger verspürte ich kaum.
Ich brauchte diese Zeit um zu mir selbst zu finden. Ich musste mich fragen, wer ich sein wollte. Wie ich sein wollte. Ich hatte diese eine Möglichkeit mich vollkommen neu zu erfinden. Völlig frei von irgendwelchen Regeln oder Verpflichtungen. Ich hätte dieses Leben für immer führen können. Nachts, eng an Osmium gekuschelt einschlafen. Morgens, bei einem Spaziergang die Gegend erkunden, nach Wasser und essbaren Pflanzen und Beeren suchen. Den Tag auf demRücken von Andalessio verbringen und den Abend damit, zu beobachten, wie die Sterne am Himmel aufgingen.
Doch ich wusste, dass es nur eine Auszeit war, die ich brauchte, um mich auf das zu besinnen, was wichtig war. Die Menschen, die Fae. Darum ging es mir. Ich erinnerte mich an Arya, unsere Ausflüge, unsere Abenteuer. An Jolyn, die mir die herrlichsten Törtchen gebacken hatte, wann immer ich Lust auf etwas Süßes hatte. An Villain, dessen Geschenk mir das Leben rettete. An meine Mutter, die mir sagte, dass ich nur bis zu meinem achtzehnten Geburtstag durchhalten müsste. An die Gewissheit, die ich in mir trug. Dass ich es schaffen würde. Dass ihr Tod nicht umsonst gewesen war, ihr Opfer, mich zu schützen. Mir ihren letzten Rest Magie zu schenken, damit ich eines Tages die Kraft hatte mich von diesem Bann zubefreien.
Ich wurde mir über einiges klar. Ich sah die Dinge in einem anderen Licht. Ein zweiter Blick lohnte sich öfter als vermutet. Ich fragte mich zum Beispiel, ob es Berechnung war, dass Vaughn mich so sehr gereizt hat. Ob es seine Art war, mir zu helfen, mich aus meinem selbstauferlegtem Gefängnis zu befreien. Oder eben nur seine Art mich zu bestrafen. Ich hatte meine Magie weggesperrt. Ich hatte mich so sehr verschlossen, dass ich sie fast verloren hatte. In einigen Büchern habe ich über Fae gelesen, bei denen das der Fall gewesen war. Die Schäden waren irreversibel.
Mein Ziel blieb dasselbe, aber das Ergebnis nun ein anderes. Ich würde dabei nicht drauf gehen. Mein Vater würde sterben und ich leben. Das war die größte Strafe für ihn.
Als Andalessio sich von der Herde entfernte und ich spürte wie, wir die Grenzen Avaleas übertraten, richtete ich mich automatisch auf. Ich wusste augenblicklich wo wir waren. Verschiedene Karten breiteten sich in meinem Kopf aus und sagten mir ganz genau, wo wir lang mussten.
Seit wir die Grenzen überschritten hatten wurden wir beobachtet. Das Verhältnis zwischen Helena und meinem Vater war nie gut. Ihre Ansichten zu verschieden und ihre Art zu herrschen könnte kaum unterschiedlicher sein. Niemand machte Anstalten uns aufzuhalten, als wir uns der Stadt näherten.
Tiara lag am Fuß einer mächtigen Gebirgskette. Um die Stadt herumwaren unzählige kleine Seen verteilt, dessen Oberfläche im Lichtder Sonne glitzerten Wir standen auf einer kleinen Anhöhe und ich ließ den Anblick auf mich wirken. Ein einziges Mal war ich in dem Land gewesen, in dem meine Mutter aufgewachsen war. Doch die Realität schaffte es meine Erinnerungen zu übertreffen.
Die Menschen und Fae in den Dörfern waren wohl genährt. Viele grüßten freundlich, einige Blicke waren voller Neugier, doch keiner hasserfüllt. Andalessios Brust schwoll mit jedem weiteren Besuch eines Dorfes an, so viel Lob erreichte seine schlauen, und viel zu eitlen, Ohren.
Die Bewunderung der Menschen war greifbar. Kinder waren fasziniert, selbst Erwachsene waren oft sprachlos. Nachdem ich in einem Dorf einem kleinen Mädchen erlaubte auf ihm zu reiten, sprach sich die Nachricht schneller herum, als wir voran kamen. Man erwartete uns und ich begann mit jedem Gespräch, mit jedem Lächelnmehr, wieder an das Gute zu glauben. Das Gute in den Menschen, das Gute in den Fae.
Noch einmal atmete ich tief durch, saugte den fernen Anblick der Stadt in mich auf. Schöpfte Mut und Zuversicht und klammerte mich an den kleinen Funken, der sich darüber freute wieder hier zu sein. Die Ungewissheit, was mich erwarten würde, war dennoch greifbar.
In der Stadt war es laut, chaotisch. Die Luft war so erfüllt von Gerüchen, dass meine Nase vollkommen überfordert war. Andalessio bahnte sich einen Weg durch die Menge, geradewegs auf das Zentrum zu. Er wusste, wo es hinging.
Der strahlende Palast war nicht zu übersehen, er überragte alle restlichen Gebäude. Jeder der kleinen Türmchen trug eine unterschiedliche Farbe und so machte der Regenbogenpalast seinem Namen alle Ehre. Ich konnte kaum fassen, dass sie es tatsächlich getan hatte. Dem träumerischen Ideen eines kleinen Mädchens zufolgen würden viele nicht ernsthaft in Betracht ziehen. Aber meine Tante hatte meine Vision umgesetzt. Ich wertete das als gutes Zeichen.
Als wir auf die breite Straße ritten, die direkt auf das große Palasttor führte, wuchs eine kindliche Freunde in mir, dessen Existenz ich nicht mehr für möglich gehalten hatte. Nicht nach allem was geschehen war. Doch sie war da.
Um uns herum herrschte reges Treiben, einige Künstler boten ihr Talent dar, Händler ihre Waren, Käufer feilschten, Kinder spielten miteinander, mit ihren Geschwistern oder Eltern. Ich hatte lange keinen Ort mehr gesehen, der so viel Harmonie ausstrahlte.
Ich saß ab und steuerte eine der Wachen an, die direkt am Tor postiert waren. Ihre Miene war offen und ihr Blick lag auf einer Gruppe junger Hunde, die am Ufer einer der zahlreichen Kanäle in ein wildes Gerangel verwickelt waren.
Als sie den Blick hob und ihre Aufmerksamkeit auf mich richtete, öffnete sich das große Tor neben ihr. Alarmierte Blicke wurden ausgetauscht, die Haltung änderte sich im Bruchteil eines Augenblicks. Und entspannte sich sofort, als eine schlanke blonde Fae durch das Tor schritt.
Sie war schön, nicht besonders alt und alles an ihr strahlte vor Eleganz und Autorität, aber auch vor Gutmütigkeit und Freundlichkeit. Sie hielt genau auf mich zu. Auf ihren Lippen lag ein strahlendes Lächeln und erst jetzt erlaubte ich mir jegliche Anspannung loszulassen. Ich machte zwei Schritte auf meine Tante zu und schon schlang sie ihre Arme um mich.
Mein Herz klopfte vor Freunde und lange genoss ich die Berührung, die mir viel mehr gab, als möglich sein konnte. Ich hörte wie ihr Atem immer wieder stockte. Ich fühlte das Beben unserer Körper und wusste, dass es nicht allein meiner war.
Es dauerte bis sie sich von mir löste um mich genau anzusehen. In ihren Augen lag eine tiefe Traurigkeit. „Es tut mir so leid, Arabella", sagte sie schließlich. „Ich hätte dir helfen müssen, aber ich konnte mein Land nicht im Stich lassen. Ich konnte es ihm nicht ausliefern und riskieren, dass es ihm Untertan wird."
„Ich weiß", antwortete ich ruhig. „Ich verstehe dich."
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Letztes Kapitel der Lesenacht ❤️ ich muss meinen Freund abholen und dann gehe ich schnell schlafen. Gute Nacht ❤️
Übrigens glaube ich, dass die Hälfte der Geschichte jetzt ungefähr erreicht ist. geplant ist jedoch noch einiges😏☺️
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