Slenderman reißt Tim das Blatt Papier so schnell aus der Hand, dass dieser leise aufzischt und sich jene hält. Skeptisch runzle ich die Stirn und hebe mein Kinn kurz um stumm zu fragen, was los ist. Doch er winkt ab. Hält sich aber seine Hand weiterhin. Hat er sich am Papier geschnitten? Ein letzter Misstrauischer Blick zu Tim, ehe ich wieder zu dem Anzugträger sehe, der offensichtlich angestrengt über etwas nachdenkt. Eine gewisse Unruhe macht sich breit. Wie lange will er die Zahlen denn bitte noch anstarren? Helfen sie ihm jetzt, oder nicht? Denn ich glaube nicht, dass ich mehr aus dem Hut zaubern kann! Oder mein kleiner Bruder.

Ungeduldig und nervös spiele ich mit meinen Fingern herum. Kaue auf meiner Unterlippe. Sehe immer wieder zwischen Tim und Slenderman hin und her. Keiner sagt etwas. Es ist eine verdammt unangenehme stille. Sehr gut. Damit kann ich etwas anfangen. Gibt es noch mehr? Ansonsten würde ich mich gleich an die Arbeit machen. Der weiße Kopf dreht sich zu mir, doch ich schüttle nur entschuldigend den Kopf. Mehr gibt es nicht wirklich. Gut gemacht. Alle beide. Timothy? Es war gut, dass ich dich ausgewählt habe, um Alexandra zu überwachen und zu schützen. Ich muss nun los.

Keine Sekunde später und ohne ein 'Tschüss', abzuwarten, verschwindet er wieder. Als wäre nie etwas gewesen. Als wäre nicht vor einem Augenblick noch ein riesiger Kerl ohne Gesicht, mit Anzug und Krawatte hier gestanden. Ich starre noch einen Moment, ehe ich mich zu Tim drehe und mir seine Hand einfach ansehe, in dem ich sein Handgelenk nehme und es drehe. "He! Was soll-" "Ist die Wundheilung bei euch so gut, wie alle sagen?", frage ich leise und sehe zu ihm hoch. Der braunhaarige zögert einen Augenblick, ehe er nickt. "Das sollte in ein paar Minuten wieder verschwunden sein."

Wieder sehe ich auf seine kleine Schnittwunde auf der Innenseite seiner rechten Hand, ehe ich nicke und sein Handgelenk loslasse. "Ich... geh schlafen. Willst du dich noch umsehen, oder kommst du mit?" Eine gerunzelte Stirn ist meine Antwort. "Was ist los? Du benimmst dich nicht wie... du selbst." Süß, dass er sich um mich kümmert. "Wie soll ich deiner Meinung nach sein?", frage ich und knie mich zu meiner Tasche runter, um mir mein Schlafzeug zu holen. Nur eine kurze Hose und ein weites Shirt. "Ich... keine Ahnung. Aufgedrehter? Kälter? Humorvoller? Alles, außer dein jetziger zustand! Ich habe einiges gesehen bei dem ich mir sicher bin, dass das im Moment nicht normal ist."

Amüsiert schnaube ich. "Was ist denn bitte jetzt noch normal?" Ich nehme meine Schlafklamotten und stehe auf. Sehe ihn einfach nur an. "Was ist deiner Meinung nach in meinem Leben noch normal?" Tim antwortet nicht. Er weiß, dass einfach nichts mehr so ist, wie es einmal war. Und dass dieses Leben nie wieder in die alten Bahnen zurückkehren wird. Einen Fluss kann man auch nicht mehr umkehren. Mein Leben wurde nur in andere Bahnen gelenkt. Ist eine Frage der Zeit wann ich wissen werde, ob dieser Fluss noch einmal abbiegt, oder endet.

"Und es ist meine Schuld, dass es so ist. Als wir herausfanden, dass Brian vorher noch woanders gesichtet wurde, habe ich gesagt, dass wir diese Person unbedingt brauchen. LJ hat dich bis zu deiner Wohnung aufgespürt und ich wollte nur Informationen, damit wir Brian wieder finden. Ich..." Er seufzt und fährt sich mit beiden Händen einmal über sein Gesicht. "Ich hätte dich nach dem Austausch von Information sogar selbst getötet! Meine Fresse... Du kannst Slenderman und Jane danken, dass sie erst einmal Infos über dich haben wollten. Als BEN herausfand, dass du uns an sich schon kennst... war Slenderman nicht davon abzubringen, dass du uns lebendig mehr nützen kannst!"

Ich kann Schuld sehen. Echte, wahre Schuld in seinen Augen. Im ersten Moment wollte ich ihn schlagen. Er hat mich in diese Scheiß Situation gebracht! Doch je länger ich darüber nachdenke... Ich würde das selbe für Kathrin tun. Wenn mir die Mittel zur Verfügung ständen, wie Tim sie jetzt hat. Er dreht seinen Kopf weg, dann seinen Körper. Geht zur Couch, setzt sich hin und lehnt sich nach vorn. Seine Ellenbogen auf seinen Oberschenkeln, sein Gesicht in seinen Händen. "Ich hätte dich einfach so getötet... Mir nichts, dir nichts. Wie alle anderen.", murmelt er immer wieder.

In meinem Kopf rast es. Aber ein Gedanke kristallisiert sich immer mehr heraus. Es ist nicht seine Schuld. Er kann nichts dafür, wie Brian reagiert hat. Was er getan hat. Und was nicht. Ohne mein Gesicht zu verziehen, gehe ich zu ihm. Stelle mich direkt vor Tim hin und sehe auf ihn runter. "Ja. Du hättest mich wahrscheinlich getötet.", fange ich leise an und der braunhaarige hebt seinen Kopf. Ich lege meinen nur leicht schief. Mein Blick kalt. "Und ich hätte dich dafür gehasst. Ich habe dich gehasst. Als du meintest, dass du Schuld an meiner Scheiß Lage bist."

Er ist geschlagen. Tim ist fertig mit allem. Der Welt. Sich selbst. Mit der Zeit. Sein Blick geht auf die Seite und seine Schultern sinken nach unten. Alle Anspannung geht aus seinem Körper. Er richtet sich auf und nickt. "Kein Wunder. Ich kann es dir nicht verdenken, dass du mich hasst.", meint er und schafft es nicht, Blickkontakt herzustellen. Ich schnaube und einer meiner Mundwinkel geht nach oben. "Du hast doch echt nicht gedacht, dass jetzt kein 'aber' kommt, oder?", brumme ich und bin so frei und setze mich auf seinen Schoss. Sein Oberkörper zwischen meinen Beinen, die sich um seinen Rücken schlingen.

Ich umarme ihn fest. "Aber ich kann dich verstehen, Tim. Du willst Brian wieder. Ich würde das gleiche für Kathrin machen!" Kurz lache ich leise. "Ich würde sogar für sie morden!" Und das meine ich Todernst. Mein Kinn liegt auf Tim's linker Schulter und ich starre gegen die weiße Wand, vor der die Couch steht. "Aber ich hätte nicht so viel Geduld aufgebracht, wie du. Ich hätte meinen Informanten schon lange getötet. Weil er oder sie mir auf den Sack gegangen wäre. Du hast ein verdammt starkes Nervenkostüm, dass du es so lange mit mir aushältst.", murmle ich und lehne meinen Kopf an seinen. "Du bist an nichts Schuld. Zumindest gebe ICH dir nicht die Schuld an irgendwas."