Verfolgungswahn
Gehen. Einfach immer weiter gehen. Das dumme Gefühl in der Magengegend und den kalten Schauer auf dem Rücken einfach ignorieren. Es... Es ist nicht warm. Vielleicht es daran. Und das Gefühl verfolgt zu werden? Ich... eh... vielleicht der Horrorfilm? Wobei der letzte den ich angesehen habe... vier Jahre zurück liegt. Kann man darauf schieben, muss man nicht. Da will man einmal spazieren gehen, weil einem langweilig ist und man keine Lust auf den PC hat und dann kommt sowas. Entspannt etwas machen ist etwas anderes. Ich bin bei meinen Eltern zu Besuch. Sie leben ungefähr eineinhalb Stunden Autofahrt von mir entfernt. Ausgezogen bin ich, weil ich in einer anderen Stadt eine Ausbildung und dann auch meinen jetzigen Job gefunden habe.
Und hin und wieder komme ich eben auch zu besuch! Das ist normal. Man redet über die alten Zeiten, über neue und alte Nachbarschaftsstreitigkeiten, den neuesten Klatsch und Tratsch und so weiter und so weiter. Das meine Eltern auf einem Dorf leben, hilft der gesamten 'Jeder weiß von jedem bescheid'-Sache nicht wirklich, sich Gerüchtetechnisch irgendwann zu beruhigen. Einmal verschissen, bekommst du vielleicht eine zweite Chance. Aber du bist gebrandmarkt und wenn du diese Chance in den Sand setzt, bist du gearscht.
Um Dörfer herum gibt es meist Wälder und ich wuchs direkt vor einem auf. Das Haus steht auf dem Dorf, ein kleiner Garten auf einer Seite, dann ein kleiner gepflasterter Weg als Zugang für alle Gärten und auch gleichzeitig als Zugang zum Wald, der keine zwei Meter nach dem Gartentürchen anfängt. Dort ist erst einmal ein kleineres Waldstück. Übersichtlich. Direkt neben dem Kinderspielplatz, weswegen Kinder sich in dem kleineren hervorderen Teil öfters aufhalten. Dann gibt es eine kleine Unterbrechung, die früher nicht da war. Aber wegen den Hochspannungsleitungen die dort verlaufen, muss der Wald dort gerodet werden, auch wenn er immer wieder nach wächst.
Und dann beginnt der eigentliche Wald. Der Wald, der bis zur nächsten größeren Stadt geht. Unterbrochen wird dieser nur durch eine Hauptstraße, damit die Wege direkter sind. Und in diesem Hauptwald hat sich mein Kopf entschieden zu sagen, dass es JETZT an der Zeit wäre, Panik zu schieben. Auch, wenn nichts da ist. Ich habe weder ein Gespür für übernatürliches, noch für Sagen oder Legenden. Manchmal habe ich diese kleineren Panikattacken, die normalerweise aber schnell wieder weg gehen. Es ist nie irgend etwas. Und es passiert auch nichts. Aber sie sind da und ich habe gelernt, damit umzugehen. Die Angst nicht gewinnen zu lassen.
Ich merke, wie sich Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitet und wie sehr mich mein Gefühl hier weg lotsen möchte. Aber ich bin auch gern einmal komplett irrational. Und tue genau das Gegenteil von dem, was ich wahrscheinlich machen sollte. Ich seufze, hole mein Handy heraus, schreibe meiner Mutter eine Nachricht, dass ich noch länger unterwegs sein werde und stecke meine Kopfhörer in das Gerät rein. Ehe ich einen Kopfhörer in mein Ohr stecke, habe ich schon die Antwort meiner Mutter, dass ich mir das Abendessen dann auch einfach warm machen solle, wenn ich heim komme. Und dass sie mir viel Spaß wünscht.
Schmunzelnd schalte ich die Musik auf meinem Handy ein. 'Till I Collapse' von Eminem läuft als erstes und ich bleibe stehen. Drehe mich um und verschränke mitten auf dem Kieselweg mitten im Wald meine Arme. Ich hab ein Scheiß Gefühl. Und ich muss mir selbst beweisen, dass nichts und niemand da ist. Und wenn... Ich glaube, dass ich mich wehren kann. Vielleicht nicht so, wie es meine Charaktere in meinen Geschichten immer können. Aber diese haben das auch trainiert. Ich hab es bloß recherchiert. Ich kenne die Theorie. Von vielem. Wirklich praktisch kenne ich mich nur ein wenig mit Schusswaffen aus.
Abwartend sehe ich den Weg entlang, der ein wenig weiter hinten eine Biegung macht. Auch in den Wald sehe ich hinein. Warte auf etwas, dass irgendwie darauf hinweisen könnte, dass ich wirklich verfolgt werde. Aber weder ein Schatten noch eine wirkliche Person oder ein Tier bewegt sich oder lässt sich blicken. Ob ich Angst habe, dass man mich töten könnte? Wenn niemand da ist, kann dich auch niemand töten. Ich bin Realistin. Wenn ich etwas sehe, existiert es. Wenn nicht, muss es eine logische Erklärung für das geschehene geben. Deswegen hasse ich meine kleinen Panikattacken. Es gibt keinen Grund dafür.
Immer wieder sehe ich uninteressiert in der Gegend herum, sehe aber nichts. Das Lied ist fertig und das nächste, 'Gangstas Paradise', fängt an. Die Sonne geht langsam aber sicher unter und ich sehe auf mein Handy. Wenn ich die beiden Lieder zusammenrechne, was sie an Zeit gebraucht haben, dann bin ich jetzt ungefähr bei fünf Minuten. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, ist zwar immer noch da, aber mir ist es egal. Ich habe Hunger. Mir ist kalt. Ich muss aufs Klo. Ich habe keine Lust mehr auf etwas oder jemanden zu warten, der sich nicht zeigt. Oder überhaupt nicht existiert.
Schulterzuckend drehe ich mich um und gehe nun um einiges gemütlicher den Weg weiter. Betrachte den Wald im Sonnenuntergang und finde es eigentlich ziemlich friedlich und idyllisch hier. Ich sollte das öfters machen. Der Wald hat sich orange gefärbt und zeigt sich von seiner besten Seite. Langsam aber sicher entspanne ich mich immer weiter und switche auch die Musik. Ich lasse jetzt meine gesamte Alec Benjamin Playlist durchlaufen. Sie bringt mich in eine nachdenkliche Stimmung und meine Gedanken verlieren sich in einer anderen Welt. Sausen hier und dort herum. Ohne ein wirkliches Ziel.
Als ich bei dem Haus meiner Eltern ankomme, ist es schon dunkel geworden und mit einem quietschen mache ich die Gartentüre auf, ehe ich sie wieder schließe, die kleine Steintreppe hinunter gehe und meine Mutter in ihrem Schaukelstuhl sitzen und Rauchen sehen kann. "Wo hast du dich bitte rumgetrieben, dass du so lange weg warst?", fragt sie, grinst aber nur. Sie ist froh, wenn ich mal nicht am Handy bin und stattdessen frische Luft schnappe. Ich mache die Musik aus, wickle die Kopfhörer um mein Handy und stecke es weg. Während ich meine Schuhe ausziehe, schnaube ich amüsiert. "Ach weißt du... ich brauchte neue Ideen für meine Geschichten. Hab mich auf die Suche nach nem Mörder gemacht. Aber keinen gefunden.", erwidere ich und sie schüttelt lachend den Kopf, während ich durch die Terassentüre in das Wohnzimmer trete und mich am angefeuerten Holzofen ein wenig aufwärmen kann.
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