Mord oder kein Mord. Das ist hier die Frage
Die Arbeit ist vorbei. Ein Nervenzusammenbruch würde sich gern anbahnen. Stumm gehe ich, gefolgt von Tim, wieder zum umziehen und wir gehen auch die Gänge wieder entlang. Ich kann die Blicke von ihm auf mir spüren. Als ob er will, dass ich jetzt und sofort alles ausspucke. Normalerweise darf ich so etwas nicht an mich heranlassen. Patienten sind auch im Stress. Sie haben Angst vor möglichen neuen Diagnosen. Haben vielleicht schlechte Neuigkeiten bekommen. Ich wurde heute öfters beschimpft und beleidigt. Ich sei eine Hure. Eine, die man vergasen sollte. Und meine Familie mit dazu. Ein Dreckspack, dass sterben sollte.
Es trifft einen schon hart, wenn so etwas gesagt wird. Wenn man so etwas mitten in das Gesicht gesagt bekommt. Die Patienten scheinen heute alle noch relativ vom alten Schlag gewesen zu sein. Ziemlich... rechts. Ich habe dunkelbraune Haare, die ich links rasiert habe und oben und rechts sind sie ein wenig länger und blau gefärbt. Ich scheine ihrem Arischen Standard nicht entsprochen zu haben. An sich kann ich so etwas abprallen lassen. Aber in meinem Hinterkopf ist so viel los und ich kann sie immer noch hören. Ein ziemlich komischer Tag heute und ich habe das erste mal die Behandlung an einem Patienten verweigert.
"Spucks endlich aus.", knurrt Tim und öffnet die Tür nach draußen. Ich sehe zu ihm. "Hm? Was soll ich ausspucken?", frage ich hingegen und er zieht nur eine Augenbraue hoch. "Sonst meckerst du über deinen Tag. Und irgendwas war in deiner Abteilung. Wollte schon nachsehen, aber da war es wieder ruhig." Ich nicke. Atme tief ein und lächle gezwungen. "Ich soll... laut einem Patienten der ganz alten Generation... vergast werden. Weil ich nicht blond bin. Oder blaue Augen habe. Man soll auch meine Familie vergasen. Ich weiß, dass ich das nicht ernst nehmen sollte und ich versuche es wirklich! Aber-"
Eine erhobene Hand des braunhaarigen unterbricht mich. "Du sollst... was?" Seine Stimme klingt ungläubig. "Vergast. Ich meine... ich hab kein Problem, wenn es eine Drohung gegen mich ist. Aber gegen meine Familie? Das geht dann schon an seine Grenzen." Tim schüttelt den Kopf. "Ich HABE ein Problem damit, dass es eine Drohung gegen dich ist, klar? Wer. Sag mir den Namen und die Station und morgen werden ein paar Betten frei sein. Ich schwöre es..." Sofort hebe ich meine Hände und schüttle den Kopf. "Woah! Ganz ruhig, brauner!", rufe ich mit großen Augen und lächle wieder ein wenig normaler.
"Es ist echt süß, dass du für mich jemanden töten willst. Wirklich. Aber ich kann dir versichern, dass sie eh nicht mehr lange leben. Also lassen wir ihnen noch ihre letzten Tage und dann wird alles wieder gut, ja?" Tim scheint überhaupt nicht davon überzeugt zu sein und stampft neben mir her. Blickt finster zum Klinikum, als ich die Tür zum Wohnheim aufsperre und wir endlich rein gehen. "Wenn du mir wirklich einen gefallen tun willst, dann tu es nicht. Sie werden die paar Tage noch leiden, obwohl die Schwestern alles tun werden, um ihnen die Schmerzen zu nehmen. Aber sie werden leiden."
Wir steigen in den Aufzug. "Also wenn du jetzt ihr Leben beendest, würdest du ihnen einen gefallen tun, nicht wahr?" Irgendwie MUSS ich ihn doch von einem Mord abhalten, oder? Oder einem Mehrfachmord... Tim's Augen werden schmal. Er scheint nicht zugeben zu wollen, dass ich recht habe. Also verdreht er nur seine Augen, seufzt und entspannt sich wieder einigermaßen. "Wie lange hast du Urlaub?", fragt er und ich gehe als erstes aus dem Aufzug. "30 Tage. Also jetzt einen Monat am Stück. Und das ist mein gesamter Urlaub! Ich hoffe, dass sich da was finden lässt. Ein Glück hatte ich noch keinen verplant."
Vom Gang gelangen wir, nach dem aufsperren meiner Wohnungstür, in die kleine Wohnung und wir ziehen erst einmal die Schuhe aus, ehe ich alles verräume, was mit der Arbeit zu tun hat. "Ich muss Wäsche waschen. Kommst du schnell mit?" Masky, der sich gerade erst hingesetzt hat, steht murrend wieder auf. Ich schnappe mir den Wäschekorb, gehe mit einem grummelnden Anhängsel runter in die Waschküche, schmeiße das Geld in eine Waschmaschine und lasse die Maschine laufen. Dann dackeln wir wieder hoch und ich gehe duschen, bevor ich dann nur mit einem Handtuch um den Körper gewickelt aus dem Bad trete.
"Zieh dir was an!", ruft Tim und ich sehe zu ihm. Seine Augen vehement auf die Seite gehend. Ja nicht auf mich. "Will ich ja. Aber ich hab vergessen, mir was mitzunehmen.", erwidere ich und mache meinen Kleiderschrank auf. Was könnte ich anziehen... Was gemütliches. Also... das... und das. Und das! Nach und nach ziehe ich mir mein Zeug aus dem Schrank und sehe aus dem Augenwinkel, wie Tim mich anstarrt. "Nicht so glotzen. Sonst fallen die Augen raus!", sage ich, grinse ihn an und gehe wieder in das Bad, um mich anzuziehen, ehe ich dieses wieder verlasse.
Frisch geduscht, geselle ich mich wieder zu dem braunhaarigen, setze mich neben ihn auf das Bett und lege mich dann einfach hin. Mein Kopf auf seinem Schoss, meine Beine angewinkelt, mein Handy vor mir haltend. "Deine Haare sind noch nass.", brummt Tim und ich sehe zu ihm hoch. "Jap. Und jetzt? Ich habe keinen Föhn." Er sieht mich fragend an. "Und dann musst du deine Haare an meiner Hose trocknen?" Ich grinse zufrieden und sehe wieder auf das Handy. "Ich muss doch wenigstens einmal für feuchte Stellen auf der Hose sorgen." Ich kann das rattern der Räder in seinem Hirn bis zu mir hören.
"Ich kann verstehen, wieso LJ dich Schweinchen nennt. Bist ein kleiner Perversling, was?" Ich lache leise vor mich hin. "Wenn du meine Geschichten kennen würdest, dann würdest du es wissen. Klein kannst du wegstreichen." Vorsichtig luke ich hinter dem Handy hervor und sehe, dass er nicht weiß, wie er jetzt darauf wieder antworten soll. "Egal was ich sage, es ist falsch, oder?", meint er geschlagen und ich drehe den Kopf von links nach rechts. "Überhaupt nicht! Hau raus!", rufe ich und lege mein Handy auf meinen Bauch. Jetzt hat er meine volle Aufmerksamkeit. Ich bin gespannt, was er sich dazu gedacht hat.
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