Kapitel 2
Das Mädchen auf dem Spiegel blickte mich völlig erstarrt an. Ihre vom schlafen aufgeschwollenen Lippen standen leicht auseinander. Die Pupillen in ihren ozeanblauen Augen waren übermäßig geschrumpft. Sie stand stocksteif da, wartend, auf eine Erklärung für all das was bis jetzt geschehen ist.
Diesesmal kriegst du mich nicht!
Ohne weiter nachzudenken, schlug ich meine Faust mit voller Wucht gegen den Spiegel. Unwillig sah ich beiseite. Der stechende Schmerz auf meiner rechten Hand ließ mich aufschreien. Ehe ich mich überhaupt wieder eingekriegt hatte, verlor ich das Gleichgewicht und fiel hart auf den Boden.
Stöhnend setzte ich mich aufrecht hin. "Lloyd, sag mal, wozu bist du eigentlich zu gebrauchen?"
Als ich den Blick von meiner Blut beschmierten Hand abwand, sah ich wie mich Lloyd panisch musterte. "Alles okay?"
Ich hörte jemanden die Treppen hinaufsteigen.
"Aqua?", rief mir mein Vater zu.
"Scheiße.", fluchte ich und rappelte mich schnell wieder auf. "Versteck dich sofort!"
Lloyd kroch fix unters Bett, wonach sich meine Zimmertür öffnete. Ich legte meine Hände hinter den Rücken. "Alles bestens Dad. Ich hab aus Versehen den Spiegel..." Er unterbrach mich, "Das sehe ich. Hast du dich verletzt?"
"Nein."
"Warum verhältst du dich so komisch? Zeig mir deine Hände.", forderte er mich auf.
"Ich bin kein kleines Kind mehr. Würdest du bitte raus gehen? Ich möchte heute auch allein zur Schule gehen. Du musst mich nicht hinfahren.", zitierte ich in einem Atemzug.
Er lächelte schief. "Du bist eine scheußliche Lügnerin. Als ob ich meine Tochter nicht kennen würde. Ich weiß ganz genau das mit dir was nicht stimmt."
Der Adrenalin rannte wild durch meine Adern. Schweißperlen bildeten sich langsam auf meiner Stirn. Bevor ich erst den Mund öffnen konnte, legte mein Vater seine Hand auf die Türklinke. "Nur dieses eine Mal, werde ich das durchgehen lassen."
Nachdem er endlich weg war, ließ ich einen Seufzer raus. "Puh, das war knapp Lolly."
"Das kannst du laut sagen." Er krabbelte zu mir. "Ich sollte lieber nen Abgang machen"
"Du lässt mich also alleine?" Der Brand in meinen Augen ließ die Tränen aufquollen.
"Warum bist du so emotional?"
"Bin ich nicht. Meine Hand brennt bloß wie die Hölle."
Lloyd wischte mit einem leicht durchnässten Tuch das ganze Blut weg, wonach er die winzigen Glasscheiben aus meiner Hand zog. Ich hatte mir ein Kreischen bloß schwer unterdrückt. "Was hast du in deinem Traum gesehen?"
"Das erzähle ich dir nur, wenn du heute mit mir zur Schule kommst."
Er zog verblüfft die Augenbrauen hoch. "Ich und Schule? Ich gehe seit Jahren nicht mehr zur Schule. Das kannst du knicken."
"Ach komm schon." Ich legte meine Unterlippe vor und sah ihn flehend an. "Nur dieses eine Mal."
"Wie kann ein Teufel wie du bloß so niedlich sein?", nuschelte er, wobei er sanft mit seinem Finger über meine geröteten Wangen strich.
"Ist das ein Ja?"
"Nein, das ist ein 'Entweder machst du dich sofort fertig, oder Ich ändere meine Meinung'."
* * *
Ich drückte meiner Mutter einen dicken Kuss auf die Wange. Sie wirkte völlig schlapp. Ihr Gesicht schien viel fahler als sonst. "Bist du krank?"
"Ich hab nur ein wenig Fieber das ist alles. Mach ja keinen Ärger, nochmal umziehen wird nicht in Frage kommen Liebling.", ermahnte sie mich, wonach sie mir ebenfalls einen Kuss auf die Wange gab.
Sie deutete auf den dünnen Schal den ich mir um den Hals gewickelt hatte. "Ein neuer Look oder ist es draußen zu kalt?"
Ich nickte nervös. "Ja, ja, genau. Es ist kalt, super kalt sogar! Uhm... wo ist Dad?"
"Er hat sich zurück ins Bett gelegt. Dieses Faultier ist bestimmt schon ins zehnte Traumland gereist.", meinte sie lachend.
Das sagt genau die Richtige.
"Gut. Wir sehen uns." Ich winkte ihr noch schnell zu bevor sie die Tür schloss und rannte danach zügig auf die Straße zu.
"Lloyd!", rief ich, als ich mich genügend von Zuhause entfernt hatte. Ich sah schon wie er an der Straßenlaterne gelehnt stand und die Hände in die Taschen seines schwarzen Kapuzenpullis gesteckt hatte.
Außer Atem hielt ich neben ihm an. "Wir können gehen."
Lloyd nahm mich nicht einmal wahr. Ich steckte ihm meine Hand in die Fresse. "Hallo?! Erde an Lolly. Erde an Lolly. Können Sie mich hören? "
"Lass den Quatsch." Zu meiner Überraschung klang er ziemlich ernst, das war überhaupt nicht seine Art.
"Hast du deine Tage oder was?"
"Ich kann mich nicht daran erinnern eine Gebärmutter zu haben."
Ich legte den Kopf schief. "Sag doch gleich dass deine Eier meine Kicks vermisst haben!" Mit einer schnellen Wendung schlug ich mein Knie fest gegen seine intimen Stellen.
Völlig erschrocken zuckte er zusammen, wobei er schmerzhaft das Gesicht verzog. Fluchend kniete er zu Boden.
"Ups. Hat's weh getan?"
Lloyd's zu Schlitzen geformten Augen funkelten gefährlich. "Nö, überhaupt nicht. Ich genieße es."
"Tut mir leid. Mach ich nie wieder, versprochen."
"Das hast du auch letztens gesagt und auch das Mal davor und..."
"Ja, ja schon klar." Ich kniete mich zu ihm. "Geht's wieder?"
"Natürlich.", meinte er ironisch und rollte die Augen.
"Gut dann warten wir bis es dir besser geht." Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter, wonach er seinen Kopf gegen meinen lehnte. "Du könntest mir in der Zeit erzählen wovon du geträumt hast."
"So sei es.", flüsterte ich. Mein warmer Atem stieß eine kleine Rauchwolke in die kalte Luft aus. Mit jedem Wort, welches ich nutzte um Lloyd meinen Traum zu erzählen, sank die Lautstärke meiner Stimme. Bis ich schließlich verstummte und die Stille für mich weiter sprach.
* * *
"Hier ist es!", quiekte ich, wobei ich Lloyd's Hand noch fester umfasste und ihn in Richtung Klassenzimmer zerrte.
"Woher weißt du ob das auch wirklich der richtige Raum ist?"
"Ich war mit meiner Mutter schon mal hier. Für die Anmeldung." Ich sah auf den Schild worauf "11-F" stand. Noch ein letztes Mal atmete ich tief ein bevor ich die Tür öffnete.
Ich streifte mit den Augen durchs ganze Klassenzimmer entlang, bis mein Blick an einem Mädchen haftete. Ihre lockigen Haare, das schmale Gesicht und die großen braunen Augen... Ich erkannte noch zwei weitere Mädchen auf den ersten Blick.
Mir stockte der Atem. Es fühlte sich so an als ob die Zeit still stehen würde. Nur mein wild fließendes Blut und das harte Schlagen meines Herzens war zu fühlen.
Diese Mädchen, waren die Leichen aus meinem Traum.
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