Acht
Genervt wartete ich an meiner Haltestelle auf meinen Bus.
Gestern noch war ich unglaublich stolz darauf, dass mein schrottiges Fahrrad noch fuhr und fast perfekt funktionierte. Dann wurde mir heute Morgen bewusst, als ich es wie immer aus dem Schuppen herauszerren wollte, dass es wirklich nur ein Haufen metallischer Müll war.
Aus einem unerklärlichen Grund heraus war die Kette abgesprungen, obwohl mit der noch gestern ohne Zwischenfälle alles gut gelaufen ist.
Naja, mehr hatte sich zwar über Nacht an dem Fahrrad auch nicht verändert, aber in dem Sonnenlicht sah das Teil gleich noch schlimmer als sonst aus und der Ärger über die abgesprungene Kette trug den Rest dazu bei, dass ich vor zehn Minuten beinahe vor Frust geschrien hätte.
Ich hasste es wie die Pest mit dem Bus zu fahren.
Bei meinem Glück bekam ich nie einen Sitzplatz und musste mich irgendwo im Mittelgang hereinquetschen, spürte den Atem von irgendeinem anderen Menschen im Nacken, roch den Schweiß von denen, die kein Deo kennen oder musste Wurstduft inhalieren, weil irgendjemand vor mir sein Frühstück noch vertilgte.
Einfach nur ewwww.
Laufen könnte ich theoretisch auch - nur wollte ich keine zwanzig Minuten durch die Stadt latschen und fast von jedem Auto umgefahren werden. Außerdem luden die Schaufenster mancher Läden absolut dazu ein, stehenzubleiben und sich alles anzuschauen oder sogar hineinzugehen.
Zum Beispiel gab es auch ein Schokoladencafe direkt auf meinem Weg und da konnte man nicht einfach so vorbeigehen.
Das ging nicht.
Ich bekam da regelrecht Schmerzen, wenn ich die Auswahl ignorierte und an diesem besonderen Laden vorbeiging. Das konnte ich auch mit meinem Gewissen gar nicht richtig ausmachen.
Jedenfalls, die gesamte Auswertung meiner Überlegungen, den Bus zu nehmen, war besser als zu Laufen.
Eine Windböe wirbelte den McDonalds Plastikbecher hoch, der nur weniger Meter von mir entfernt noch hin und hergerollt ist.
Ich hatte das Gefühl, dass heute anscheinend noch ein richtiger Sturm anstand. Vielleicht hatte ich sogar Glück und der fand nachmittags statt, sodass ich mit den anderen früher gehen konnte, aufgrund der Wetterlage, wie unser Direktor bei einer solchen Durchsage immer besonders betonte.
Meine Augen wanderten zu den anderen Leuten, die sich nun ebenfalls an der Bushaltestelle versammelt hatten und genauso wie ich warteten.
Bis jetzt kam mir keiner von denen besonders bekannt vor. Sicherlich hatte ich sie in der Schule schonmal flüchtig gesehen, das war es aber schon. Ich hatte keinen Kurs mit denen zusammen.
Der laute Motor vom Bus riss mich aus meinen Gedanken und zusammen mit den anderen vier Leuten schob ich mich zu ihm vor.
Während ich weiter ungeduldig darauf wartete, endlich auch in den Bus steigen zu können, wischte ich mir alle paar Sekunden die Haare aus dem Gesicht, die mir der Wind gegen die Haut drückte.
Ich hätte mir heute morgen einen Zopf machen sollen.
Tja, aber momentan konnte ich nicht verhindern, garantiert wie gerade erst aufgestanden mit dieser nun entstandenen Zottelmähne den Bus zu betreten.
Und natürlich war beim schnellen Herüberschauen der Reihen kein Platz frei.
Hätte ja auch zu schön sein können.
Trotzdem bahnte ich mir einen Weg durch die im Gang stehenden Menschen in den hinteren Teil, weil wir noch einige Haltestellen passieren und es am Eingang, beziehungsweise im vorderen Teil immer voller und stickiger werden wird.
Das hatte ich mir von den wenigen Malen, in denen ich Bus gefahren bin, als prägende Erfahrung gemerkt.
Genaugenommen hatte ich vergessen zu zählen, wie oft ich kurz davor gewesen bin hysterisch kreischend das metallische, viel zu schmale Monster mit den ganzen ekligen Menschen zu verlassen.
Meine Mundwinkel zuckten plötzlich nach oben, als ich in der vorletzten Reihe auf der linken Seite noch einen freien Platz erspähte.
Ohne Rücksicht auf Verluste quetschte ich mich weiter durch, den Blick fest auf diesen Sitzplatz gerichtet.
Im Nachhinein hätte ich mal überlegen sollen, warum dieser Platz denn überhaupt frei und noch nicht besetzt war, wo doch so viele Leute schon im Gang stehen mussten. Da gab es keine wirkliche Logik.
Naja, Dummheit tat weh.
In diesem Fall nicht sehr, aber ein wenig weh und in abgewandelter Form, nämlich in Form eines kleinen Schocks.
Silas saß auf den Platz neben dem Freien, kaute monoton Kaugummi und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Er wirkte ziemlich schlecht gelaunt, denn seine braunen Augen taxierten düster die Umgebung und die roten Augenbrauen hatte er leicht zusammengezogen.
Oder aber er hörte irgendeinen Gangsterrap und versuchte sich in die Rolle eines Möchtegern Beleidigungen spuckenden Hipsters hineinzuversetzen.
Kopfhörer hatte er aufjedenfall drin, denn das schwarze Kabel lugte unter der grauen Kapuze seinen Hoodies hervor, die er sich halbherzig über den Kopf gezogen hatte. Die roten Haare schauten alles andere als ordentlich hergerichtet aus, zumindestens die, die ich sah und fielen teilweise unordentlich auf seine Stirn.
Ich wollte gar nicht wissen, was die Umstehenden, die mich eventuell beobachtet hatten, gerade von mir dachten.
Erst rannte ich wie eine Wilde zu diesem Sitzplatz, dann blieb ich mit aufgerissenen Augen stehen und nun starrte ich Silas Henderson an, als würde er einem Alien ähneln oder irgendein anderes unerklärliches Objekt sein.
Das Alien - äh, Silas natürlich - richtete die bernsteinfarbenen Augen auf mich.
Langeweile glänzte in ihnen, allerdings auch eine Menge...mhm, ja was? Ausdruckslosgkeit? Ich hatte noch nie gesehen, dass Augen zwei verschiedene Sachen widerspiegeln können. Zum einen eine ordentliche Spur Arroganz, die mich anfunkelte, andererseits eine gewisse Leere.
Als wäre ihm alles egal.
Irritiert hob er langsam eine Augenbraue an. Verständlich, ich meine, wenn ich da sitzen und vor mich hin chillen und plötzlich da so ein starrender Freak im Gang stehen würde, ich hätte ďa genauso reagiert.
Wahrscheinlich hätte ich mich auch etwas gegruselt, weil langes Anstarren nunmal echt sau komisch ist.
Ruckartig wandte ich mich von ihm und tat so, als würde der verdreckte Boden außerordentlich interessant sein. Natürlich war es jetzt viel zu spät und ich spürte wie meine Wangen heiß wurden vor Scham, dass er mich so ertappt hatte.
Peinlich, peinlich.
"Darleen von gestern, richtig?"
Beinahe zuckte ich bei seiner Stimme zusammen. Obwohl ich, wie gesagt, nie oft in der Nähe dieser Typen gewesen bin, konnte ich ihre Stimmen doch ganz gut zuordnen. Absolut verschroben, aber wahr.
Und in diesem Moment wusste ich, dass Silas mich gerade angesprochen hatte.
Zögernd linste ich zu ihm herüber. "Ja, richtig."
Anders als Jacob oder Evan grinste er mich nicht dreckig an oder packte das charmante Lächeln wie Antonio gestern aus.
Silas schaute mich nur weiter an, die Augen ein Tick nachdenklich zusammengekniffen. Er nickte lässig zu dem Platz neben sich. "Wolltest du dich nicht hinsetzen? Warum stehst du da denn schon eine gefühlte Ewigkeit? Traust du dich nicht oder was?" Nichtmal da grinste er belustigt. Nein, viel eher huschte ein höhnischer Zug über sein Gesicht.
Heiliger, der war noch überheblicher als Jacob gestern.
Gleich noch eine Erkenntnis reicher, sehr schön - oder auch wieder nicht, denn Silas wurde wohl von Sekunde zu Sekunde genervter, in denen ich nicht antwortete und weiter wie ein stummer Fisch schaute.
Langsam wurde es mal wieder Zeit für mein selbstbewusstes Ich.
"Ich habe nur etwas überlegt", entgegnete ich knapp, um mich von meiner Starrerei herauszureden. Um ihm zu beweisen, dass ich mich ja sehr wohl traute neben ihm zu sitzen, nahm ich gleich Platz. Meinen Rucksack packte ich mir auf meinen Schoß.
Sein stechender Blick ruhte noch kurz auf mir, bis ich aus den Augenwinkeln mitbekam, dass er seinen Kopf endlich wegdrehte.
Puh, dieser Typ machte mich echt nervös mit seiner Art.
Also saßen wir jetzt schweigend nebeneinander, leider auch noch zusätzlich Schulter an Schulter und es waren bis jetzt keine drei Minuten vergangen. Allerdings war ich jetzt schon mit meinen Nerven beinahe am Ende.
Ich weiß nicht, manche Leute besaßen eine so große Ausstrahlung, die einen so einschüchterte oder auch etwas verunsicherte, dass man gar nicht wusste, wie man mit der umgehen sollte.
Unglücklicherweise hatte Silas so eine Präsenz - großes Pech für mich.
Wenigstens musste ich heute keinen Schweiß oder irgendeinen Wurstgestank inhalieren, stattdessen umwirbelte mich sein Duft. Leider war das auch noch der Duft von diesem einem Aftershave, dass ich Valdin unbedingt mal aufzwingen wollte zu kaufen. Er hatte sich jedoch für ein anderes entschieden und nun saß ich hier neben Silas, der zufälligerweise genau diese Marke benutzte.
Verrückt.
"Hat Jacob dich eigentlich angeschrieben?"
Überrascht, dass er jetzt auch noch das Gespräch suchte, drehte ich mein Gesicht zu ihm. Sein bohrender Blick verunsicherte mich gleich noch ein ganzes Stück mehr. Meine Güte, ich musste mich langsam mal in den Griff bekommen. Die kleine Konversation mit Jacob gestern war auch fast ein Klacks, selbst mit Evan kann ich mich einigermaßen vernünftig unterhalten.
Und dann kam einmal Silas im Bus vor und ich hatte einen Totalausfall, obwohl ich nichtmal vom Herzrasen überschüttet werde oder von seinem Aussehen besonders beeindruckt bin.
Okay, er sah schon gut aus beim Näherbetrachten. Nur war er jetzt nicht unbedingt mein Typ, bei dem ich wirres Zeug stammeln würde und jeden Satz dreimal im Kopf umformulierte, nur um ihn dann mit meiner scheinbar lockeren Art zu beeindrucken.
Ich räusperte mich. "Äh nee." Jacob hatte ich voll vergessen. Hätte er mich jetzt nicht dran erinnert, dann wäre mir die Sache mit der Nummer erst spätestens dann eingefallen, wenn ich ihn heute morgen gesehen hätte.
Er nickte nur.
Mir fiel auf, dass er seine Kopfhörer gar nicht mehr drin hatte und sie auch nicht in einer seiner beiden Händen waren.
Wann hatte er die denn bitte weggepackt?
"Das war ein Fehler von dir gestern. Jetzt ist er interessiert an dir und wird nicht eher ruhen, bis er dich rumkriegt." Silas erläuterte mir das in so einem sachlichen Ton, als würde er vom Wetter für morgen reden.
Naja und mir?
Mir rutschte das Herz noch mehr in die Hose, weil es eine extreme Herausforderung sein kann, jemanden wie Jacob zu widerstehen.
Das ist natürlich noch nicht das Ende vom Gespräch zwischen den beiden haha, aber ich musste jetzt irgendwo einen Cut setzen, sonst wird das Kapitel so lang.
Wie findet ihr denn Silas bis jetzt?
Würdet ihr genauso wie Darleen überfordert in seiner Nähe sein oder eher ruhig und gelassen das Ganze betrachten?
♡
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