Kapitel 13
Drei Tage später rief Javed Mara und Will ins Wohnzimmer.
Da die Schwarzhaarige bis dahin gelesen hatte, kam sie einige Augenblicke nach dem Vampir an. Sie hatte schließlich zumindest noch den letzten Absatz beenden müssen.
Aber als sie schließlich da war, hatte es sich gelohnt, das Buch mitten im Kapitel wegzulegen. Vor ihr stand eine wunderschöne Frau, die nicht viel älter aussah als Mara selbst. Vermutlich war sie aber mindestens ein paar hundert Jahre alt. Doch selbst wenn, sie sah unfassbar lebendig aus. Ihr orangerotes Haar lockte sich, sodass es ihr kaum bis zur Brust reichte. In ihren grünen Augen lag ein freudiges Funkeln und ihre Haut... Mara hatte nie so helle Haut gesehen. Vielleicht ließ es das enge schwarze Kleid aber auch nur so aussehen.
Mara blinzelte ein paar Mal um sich von diesem überwältigenden Anblick loszureißen. Die Frau bemerkte das und grinste. Sie wusste genau, welche Wirkung sie hatte. Dagegen kam Mara sich eher wie ein dummes Kind vor.
"William, Amara, ich möchte euch Fallon vorstellen", verkündete Javed. "Fallon, das sind William, mein Schützling, und Amara. Sie ist die, die es zu beschützen gilt."
Angesichts dieser Worte hätte Mara gerührt sein können, doch sie wusste genau, dass er mit beschützen nur ihr Blut meinte. Aber das war ihr mehr als nur recht. "Einfach nur Mara", sagte sie zu Fallon.
"Will", stellte auch Will sich vor.
Fallon lachte. "Ich sehe schon, Javed, du hast es noch immer nicht aufgegeben, alle mit deiner Namensbesessenheit zu nerven."
Er schüttelte den Kopf. "Ich werde stets jeden mit vollem Namen ansprechen."
"Ich würde mir auch große Sorgen machen, wenn es nicht so wäre", meinte sie. "Also, wieso genau bin ich hier?"
"Die Tenebris sind zurück", erklärte Javed. "Wir brauchen deine Hilfe um sie wieder loszuwerden."
Fallon ließ sich aufs Sofa fallen und schlug die Beine übereinander. "Und was hast du damit zu tun, Mara?", erkundigte sie sich.
Mara zögerte kurz. Sie wusste nicht, wie viel sie verraten sollte, welches Maß an Informationen sicher war. "Na ja, ich..."
"Die Tenebris wollen sie, also lassen wir nicht zu, dass sie sie bekommen", mischte Javed sich ein.
Tadelnd schüttelte Fallon den Kopf. "Jetzt lass das Mädchen doch selbst reden. Was hast du ihr über mich erzählt? Sie ist ja völlig verschreckt!"
Mara wollte etwas sagen, doch Javed stoppte sie noch bevor sie den Mund öffnen konnte. Dieser verdammte Idiot. "Sie weiß selbst nicht genug."
"Das wage ich zu bezweifeln. Du bist zu paranoid, alter Freund. Lass uns doch eine Weile allein. Und nimm deinen Schützling dort mit. Geht etwas trinken. Ich denke, Mara und ich haben einiges zu bereden." Sie lächelte zuckersüß und ließ ihre Fangzähne aufblitzen.
Obwohl alles in Mara sich zusammenkrampfte, weigerte sie sich, zurückzuweichen. Langsam musste sie sich wirklich an diesen Anblick gewöhnen. Angst zu haben brachte nichts.
"Ich werde sie nicht allein lassen", stellte Will klar.
Fallon verzog amüsiert das Gesicht. "Oh, er spricht also doch. Okay, hör mir zu, Kleiner. Ich werde deiner Freundin nichts antun. Mach dir einen schönen Abend mit Javed. Geht zu einem Footballspiel oder sucht euch ein paar frische Menschen. Ein bisschen Blut tut dir sicher gut. Ihr könnt meine Hilfe nämlich vergessen, wenn ich nicht ein paar Stunden mit Mara reden kann. Allein."
"Wenn du ihr etwas antust...", warnte Javed.
"Könntest du nichts ausrichten", vollendete Fallon seinen Satz. "Und jetzt geht schon. Ich werde ihr schon den Kopf nicht abreißen."
Mara nickte Will versichernd zu. Sie kam klar. Und wegen der Verbürgung konnte ihr ohnehin nichts passieren. Also war alles in Ordnung.
"Ihr habt Zeit bis vier", entschied Javed.
Jetzt war bereits ein Uhr. Doch drei Stunden schienen Fallon nicht zu reichen. "Fünf."
"Na schön. William, wir gehen." Javed verließ den Raum und sagte aus dem Flur: "Ich erwarte, das Haus so vorzufinden, wie ich es hinterlasse."
"Aber natürlich", versprach Fallon. "Und jetzt husch. Verschwindet."
Danach schwieg sie, bis die beiden Männer aus dem Haus waren und wohl auch das Grundstück verlassen hatten. Erst dann wandte sie sich mit einem Lächeln an Mara: "Also, wieso wollen die Tenebris dich unbedingt haben? Aus dem gleichen Grund, aus dem du damals halb verblutet im Wald lagst?"
Die Schwarzhaarige war wie eingefroren. "Was?"
"Setz dich doch erstmal." Fallon klopfte neben sich.
Vorsichtig nahm Mara Platz. "Wovon hast du geredet?"
"Vor zwei Jahren im Wald. Deine Kehle war fast aufgeschlitzt. Ich hab dich ins Krankenhaus gebracht. Was ist damals passiert? Du sahst kaum aus wie vierzehn."
"Ich war sechzehn", korrigierte Mara. "Aber... das warst wirklich du, die mich gerettet hat?"
Fallon nickte. "Ich wollte Javed besuchen, aber zu der Zeit war er nicht da. Auf dem Rückweg habe ich dann das Blut gerochen und dachte, irgendein Wanderer hätte sich verletzt. Leichte Beute eben. Aber du warst zu jung, deshalb habe ich dich lieber zum Krankenhaus gebracht."
"Und du hast die Arztrechnung bezahlt."
"Mit der Zeit habe ich sehr viel Geld verdient. Da war das gar nichts."
Mara konnte es nicht glauben. Sie saß tatsächlich neben ihrer Retterin. "Danke", hauchte sie.
"Keine große Sache", winkte Fallon ab. "Du kannst es mir zurückzahlen, indem du mir sagst, wieso du damals fast ins Gras gebissen hast. Und wieso die Tenebris dich unbedingt haben wollen."
Sie biss sich auf die Lippe. Es zu erzählen, war riskant. Wenn Fallon doch nicht auf ihrer Seite stand... Andererseits hatte sie sie schon einmal gerettet.
"Also?", hakte die Vampirin nach.
"Javed wird mich umbringen, wenn ich es dir sage."
"Das wird er schon nicht, dafür sorge ich", ermutigte Fallon sie.
Mara seufzte. Scheiß drauf. "Es ist wegen meinem Blut."
"Dein Blut? Die Tenebris sind Menschen, was sollten sie mit deinem Blut wollen?"
Was hatte sie nur getan? Nicht nur Javed würde sie umbringen. Will ebenso, wenn er herausfand, wie leichtsinnig sie sich hier in Gefahr brachte. "Die Tenebris sind Vampirjäger. Mein Blut erschwert ihren Beruf."
"Inwiefern?"
"Es erlaubt Vampiren, in die Sonne zu gehen. Sagt dir das Blut des Lebens etwas?", fragte Mara und schluckte. Jetzt war es raus.
"Du meinst das Blut aus der Legende des Lichts? Sag bloß, du bist das Licht?" Fallons Gesicht hellte sich noch mehr auf, als es ohnehin schon leuchtete.
Mara nickte. "Wenn so die Person mit diesem Blut heißt, dann ja."
Die Vampirin lachte fasziniert. "Das ist unglaublich! Kannst du es mir beweisen?"
"Ich denke schon." Es war nur ein Biss, das würde sie schon überleben. Deshalb hielt sie ihr auch fast ohne zu zögern das Handgelenk hin. "Du musst eigentlich nur ein bisschen von meinem Blut trinken."
Fallon drückte ihren Arm ein wenig weg. "Ich bevorzuge Bisse am Hals. Das ist etwas... persönlicher. Findest du nicht auch?"
Mara schluckte nervös. "Ich weiß nicht. Das letzte Mal, als ich am Hals gebissen wurde, bin ich fast gestorben."
"Wenn du Angst hast, dann nicht", versicherte die Vampirin und nahm ihre Hand. "Es ist deine Entscheidung."
Dankbar lächelte Mara sie an. Es war schön, endlich eine Wahl zu haben. Bisher... nun, es war nicht so, als hätten Javed und Will sie dazu gezwungen, ihnen ihr Blut zu geben, aber keiner von ihnen hatte sie gefragt, ob sie es auch tatsächlich wollte.
Natürlich hätte sie es ihnen nicht verweigert, Himmel, sie fand es schrecklich, dass sie nicht in die Sonne konnten, aber eine simple Frage wäre angebracht gewesen. So schienen sie es schon jetzt als selbstverständlich anzusehen. Ansprechen wollte sie es aber auch nicht. Es kam ihr dumm vor, schließlich war es wirklich kein Weltuntergang.
"Mara?", fragte Fallon nun und ihr Gesicht tauchte vor Maras Kopf auf. "Ist alles in Ordnung?"
"Was?" Sie erschrak ein wenig. "Tut mir leid, ich war in Gedanken", gab sie zu und musste lachen. "Was hast du gesagt?"
"Alles gut, kein Grund zur Entschuldigung. Ich hab nur gefragt, ob du dich entschieden hast. Wenn du mir dein Blut nicht geben willst, ist das auch völlig okay."
Die spitzen Zähne, die sich beim Sprechen zeigten, ließen Mara tatsächlich kurz zögern, aber schließlich schüttelte sie doch den Kopf. "Ist schon gut. Ich gebe dir mein Blut. Mittlerweile sollte ich daran gewöhnt sein."
"Sicher?"
"Sicher." Mara schluckte ihre Nervosität hinunter und lehnte mit einem schiefen Grinsen den Kopf zur Seite. "Aber übertreib bitte nicht. Ich habe nicht unbedingt Lust, das Bewusstsein zu verlieren."
Fallon lachte und strich dem Menschen das Haar vom Hals, während sie sich ihr näherte. "Keine Angst, ich bin vorsichtig. Entspann dich einfach."
"Ich versuch's." Doch auch wenn sie sich wirklich bemühte, ruhig zu atmen, konnte sie das unwohle Gefühl in ihrem Bauch nicht vollständig unterdrücken.
Und dann biss Fallon zu. Schnell und ohne Vorwarnung versenkte sie ihre Zähne in Maras Halsgrube. Überrascht schnappte diese nach Luft. Es zog und stach doch sehr, aber es ließ sich aushalten. Auf jeden Fall war es nicht so schlimm wie damals, als Will sie gebissen hatte.
Bereits nach wenigen Augenblicken löste die Vampirin sich von ihr. Mara war etwas blass, aber der Anblick von Fallons strahlendem Gesicht war den Schmerz wert. Diese reine Freude... Wie sehr sie sich wünschte, das auch einmal verspüren zu können.
"Geht es dir gut?", fragte sie und verschwand einen Moment, um im Nächsten mit einem Tuch wiederzukommen, das sie auf Maras Hals drückte.
Doch die winkte ab. "Ist schon gut, ich lebe noch. So schlimm war das gar nicht."
Erleichtert atmete Fallon aus. "Gut. Das ist sehr gut."
"Aber was ist mit dir?", erkundigte sich Mara. "Du kannst theoretisch wieder in die Sonne. Wir müssen bloß noch ein paar Stunden warten, nachts ändert sich ja nichts. Und bis morgen hält die Wirkung auf jeden Fall noch an."
"Die Wirkung lässt irgendwann nach?"
"Ja. Nach ein bis zwei Tagen. Ob man es irgendwie permanent machen kann, weiß ich selbst nicht. Aber auf jeden Fall kannst du noch ein paar Stunden in die Sonne gehen."
Fallons freudiges Lachen war absolut ansteckend. "Danke", sagte sie immer wieder. "Ich danke dir."
"Kein Ding", meinte Mara bloß, doch auch sie wahr von einem unerklärlichen Glücksgefühl erfasst worden.
"Doch. Ich habe die Sonne seit 1480 Jahren nicht mehr gesehen. Dass ich das noch einmal tun kann, ist ein Wunder. Ich werde dir das nie vergessen. Und was die Tenebris angeht, werde ich nicht zulassen, dass sie dich kriegen. Nicht wegen deinem Blut, sondern wegen dir. Du bist ein guter Mensch. Sie werden dich nicht töten. Das schwöre ich."
Und als die beiden sich anlächelten, schien etwas in Mara aufzublühen. Etwas, das sie längst als verwelkt erklärt hatte. Hoffnung. Die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit. Ohne Angst.
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