Kapitel 1
Elian
Schon wieder dieser beschissene Tag! Schon wieder haben wir den 10.12.! Ich hasse diesen Tag, denn an diesem wurde vor genau fünf Jahren mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt.
»Elian«, ruft Jonas, einer meiner Mitbewohner von unten. Ich wohne in einer WG, obwohl ich eine eigene Firma besitze und womöglich hierfür zu alt bin. Aber ich fühle mich wohl hier und die Jungs lenken mich von meinen Problemen ab. Sie wissen nicht, wie es mir innerlich geht, und das soll auch so bleiben.
Sie vermuten nur, mit wem sie zusammen wohnen, jedoch scheinen sie es zu verdrängen und das ist besser so.
»Ja, ich komme!« Die Jungs wollen auf eine Hausparty von irgendwelchen Studenten und da ich heute so richtig in Stimmung bin, freue ich mich wie verrückt, nicht.
Vicky sitzt auf meinem Schoß und malt das Tattoo auf meiner Hand nach, was sie üblicherweise so macht, wenn sie vor Langeweile beinahe stirbt. Sie trägt heute mal wieder einen gefährlich kurzen Rock, an dem sie ständig herumzupft, damit niemand darunter sehen kann.
Obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass es hier jemanden gibt, der das noch nicht zu Gesicht bekommen hat.
Doch vielleicht Kevin, der würde sich womöglich selbst anpinkeln bei dem Anblick!
Sie ist nicht unansehnlich, aber ebenso wenig eine Schönheit. Ihre pinken Haare und oftmals grellen Klamotten, blenden mich mitunter so sehr, dass ich ihr nur mit einer Sonnenbrille entgegentreten will. An manchen Tagen bekomme ich fiese Kopfschmerzen, allein von ihrem Anblick. Dennoch finde ich, wäre sie eine klasse Frau, wenn sie sich nicht ständig so schlampig geben und sich zur Abwechslung normal verhalten würde.
Vicky ist diejenige, die ich damals als Erstes in einer Bar kennengelernt habe, nachdem ich in die gottverdammte Kleinstadt gekommen war. Sie hat mich ihren Freunden vorgestellt und so bin ich in deren Freundeskreis gekommen. Die Jungs sind fast alle drei Jahre jünger als ich und studieren noch, was mich jedoch nicht sonderlich stört. Sie sind zu sehr abgelenkt mit ihren eigenen Angelegenheiten und konzentrieren sich nicht darauf, was sich direkt vor ihnen abspielt.
Was ich direkt vor ihnen abspiele.
Ich ziehe soeben an meinem Joint und inhaliere den Qualm, um diesen einige Sekunden in der Lunge zu behalten, ehe ich ihn wieder durch Nase und Mund ausatme. Dabei ziehen sich meine Lungenflügel schmerzhaft zusammen und ich versuche, mir ein Husten zu unterdrücken. Der erste Zug beruhigt mich jedes Mal auf eine seltsame Art, auch wenn die eigentliche Wirkung erst später einsetzen wird. Ich nehme weitere Züge von dem Joint und meine Lunge gewöhnt sich langsam an das Gift, das ich kontinuierlich einatme. Meine Beine fangen nach einiger Zeit an, sich schwerelos zu fühlen. So, als wären sie gar nicht existent. Die Gedanken im Kopf werden ebenso leiser, bis sie zu einem unbestimmten Zeitpunkt nicht mehr da sind.
Das ist das Schönste am high sein. Endlich halten sämtliche Stimmen ihre Fressen und all das Schlimme in meinem Leben wirkt vergessen.
Mein Mund wird trocken, wie eine Wüste und ich spüre quasi die Kamele darauf traben. Ich sehe Vicky deutlich auf meinem Schoß sitzen, trotzdem fühle ich ihr Gewicht nicht mehr auf meinem Körper. Sie redet soeben auf Zayn ein, einer meiner Mitbewohner, während sie dabei wild herum gestikuliert, als würde es nicht ausreichen, ihm ihre Sichtweise nur mit Worten zu beschreiben. Meine Hände umfassen ihre Taille und ich schiebe sie beiseite, damit ich aufstehen kann, obwohl es schwer werden wird, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
»Ich hole mir fix ein Wasser«, erkläre ich, nachdem Vicky mich fragend ansieht. Ich stehe vorsichtig auf und stelle prompt fest, dass Fortbewegung weiterhin ausgezeichnet funktioniert.
Wie ein Astronaut und der erste Mensch auf dem Mond, schwebe ich schwerelos über den Boden, in Richtung Küche, um mir dort eine Flasche Wasser zu greifen und diese beinahe in einem Zug zu trinken.
Leider vertreibt es meinen Durst nicht. Mein Mund macht automatisch so seltsame Kaubewegungen, um die Trockenheit loszuwerden. Dabei kann ich mir vorstellen, wie bescheuert das aussehen muss. Nachdem ich eine Zeit lang einfach nur schmatzend in der Küche gestanden habe, entschließe ich mich dazu, frische Luft zu schnappen.
Sofort weht mir ein eisiger Wind entgegen, da wir schon wieder Dezember haben. Die Temperaturen haben dementsprechend den Gefrierpunkt erreicht. Ich hasse diese Jahreszeit.
Nicht wegen Weihnachten, was ich, so gut es geht, jedes Jahr ausblende, sondern weil mir diese Zeit immer wieder aufs Neue zeigt, dass Schmerz nicht vergänglich ist. Ich schlinge meine Jacke enger um meinen Körper, als ich eine Stimme höre, die mir bekannt vorkommt, jedoch niemals hier sein könnte. Ohne darüber nachzudenken, laufe ich in die Richtung, aus der ich den Klang vernommen habe. Ich würde alles dafür tun, die Person, der diese Stimme gehört, noch ein einziges Mal zu sehen!
Schnell stelle ich fest, dass ich mich bald darauf auf der Straße befinde, die zum Glück zu dieser Zeit fast gar nicht befahren ist. Die Stimme wird immer lauter, aber in meinem Unterbewusstsein weiß ich, dass sie es unmöglich sein kann.
Ich registriere einige Meter entfernt eine Silhouette und versuche, mehrmals zu blinzeln, um eine bessere Sicht zu bekommen, doch leider ist es hier draußen zu finster, um etwas erkennen zu können. Wieder hallt diese vertraute Stimme in meinem Kopf.
»Warum?«, schreit sie mich an und ich habe das Gefühl gleich den Verstand zu verlieren, weshalb ich meine Hände an meine Schläfen presse.
»Das ist nicht echt!«, rede ich auf mich selbst ein, aber es scheint nicht bis in mein Gehirn einzudringen.
»Warum hast du mich nicht gerettet?«
Fuck...
Ich renne eilig zurück in das Haus, um dieser Stimme zu entkommen, wobei ich feststelle, dass die Party weiterhin im Gang ist. Gleichwohl interessiert mich das nur mäßig, da ich ausschließlich ein einziges Ziel habe.
»Ich muss hier weg! Du musst mir helfen«, sage ich panisch zu Vicky. Sie versteht auf Anhieb, was ich damit meine. Wir gehen die Treppe nach oben und suchen uns dort ein freies Zimmer.
Was wir in diesem treiben, kann sich jeder denken. Falls nicht ... Ich habe ihren Oberkörper gegen die Wand gepresst und mich tief in ihre Mitte versenkt, bis mein Hirn endlich nicht mehr umgeben von Nebel war und diese Stimme mich in Ruhe gelassen hat.
Ich bin froh, Vicky zu haben. So absurd sich das anhört, aber sie versteht mich. Begreift, was ich durchmache, denn sie ist, ebenso wie ich, umhüllt von dieser Dunkelheit.
Sie fragt nicht nach und nimmt es so hin, wie es ist.
Sie ist mein Ventil. Ich kann jederzeit Dampf bei ihr ablassen und davon habe ich ausreichend. Sie ist nicht eines von diesen oberflächlichen Mädchen, die unbedingt darauf bestehen, eine Beziehung zu haben, denn ich kann keine Romanze gebrauchen. Ich habe schon mein Leben versaut, dank falscher Handlungen, das muss ich nicht gleichermaßen bei einer Frau tun. Jedem, dem ich zu nahe komme, ziehe ich mit in die Dunkelheit.
Ich bin schwierig und absolut abgefuckt.
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