Zwei
Alle Augen waren auf den neuen Jungen gerichtet, der gerade den Gang herunter schlenderte, wie ein Model auf dem Laufsteg. Beinahe erwartete ich, dass er am Ende des Flurs seine Hände in die Hüfte stemmte, breit lächelte und sich von allen Seiten präsentierte.
Cecilia neben mir hatte ihren Mund leicht geöffnet und sich ein wenig nach vorne gebeugt, so dass man durchaus einen Blick auf ihr Dekolleté werfen konnte, wenn man die Absicht dazu hatte. Sie war eine Meisterin im flirten und konnte über mich nur den Kopf schütteln.
»Kein Wunder, dass du noch Single bist, bei deinen Anmachsprüchen«, sagte sie immer, aber ich ignorierte das gekonnt. Ich brauchte keine Freundin. Ohne Beziehung hatte man viel weniger Sorgen und konnte sich besser auf die Schule konzentrieren.
»In echt sieht er ja noch viel heißer aus, als auf dem Foto«, hörte ich meine beste Freundin mit Amelie tuscheln, während wir auf dem Weg ins Klassenzimmer waren.
Ich trottete hinter den beiden Mädchen her und war so gezwungen, ihren Gesprächen zu lauschen.
»Ja, nicht? Denkst du, er ist nett?«, fragte Amelie zögerlich und Cecilia zuckte mit den Schultern. Ich seufzte nur und überholte die beiden.
In der Klasse angekommen, setzte ich mich auf meinen Platz und blickte nach vorne. An der Tafel stand die chemische Formel für Fotosynthese. Ich war nicht gut in Chemie und ich war froh, dass wir nun Geschichte hatten und jemand diese grässliche Kombination aus Buchstaben und zahlen von der Tafel löschte.
»Hey, ist hier noch frei?«
Beinahe erschrocken zuckte ich innerlich zusammen, hob meinen Blick und hielt augenblicklich die Luft an, als ich dort den Neuen erblickte, der mir sanft zu lächelte. Seine Eckzähne ragten spitz ein wenig über die Unterlippe, als er lächelte und es sah ein bisschen so aus, wie ein Vampir.
Himmel, beiß mich doch!
Hastig schüttelte ich über mich selbst den Kopf, doch mein Gegenüber schien dieses Kopfschütteln falsch gedeutet zu haben, denn sein Lächeln erstarb und er trat einen Schritt zurück.
»Okay, sorry für die Störung«, meinte er nur, aber ich hielt ihn fest.
Reflexartig schoss mein Arm vor und ich packte ihn leicht an Unterarm.
»Nein, sorry, du kannst dich gern setzen. Es ist frei. Ich war gerade in Gedanken«, beeilte ich mich zu sagen und verhasple mich total.
Zu allem Übel sah Cecilia zu mir herüber, die sich neben Amelie gesetzt hat, um über den Neuen zu reden. Sie hatte mein Theater natürlich mitbekommen und grinste mich breit an.
Das lief ja toll. Ein heterosexueller Junge verhaspelt sich wegen einem neuen Jungen, der extrem gut aussah. Bestimmt dachten jetzt alle, ich hätte mich schockverliebt und mit einem Mal störte es mich doch, dass ich bisher keine Freundin hatte. Es gab keinen Beweis, dass ich nicht schwul war. Genauso gab es aber auch keinen Beweis, dass ich es war.
Warum gab es überhaupt solche Schubladen? Warum musste man sich überhaupt damit auseinandersetzen und wissen, was man für eine Sexualität hatte? Es war doch viel einfacher und stressfreier, wenn man es einfach auf sich zukommen ließ. Was passierte, passierte eben.
Nein, Menschen machten es sich immer komplizierter, als es eigentlich war und warum? Weil sie Angst vor den Ungewissen hatten. Sie mussten immer alles bis ins kleinste Detail durchgeplant haben und wenn mal jemand kam, der anders war, erfand man sofort eine Schublade, in die man ihn stecken konnte.
»Ist alles okay bei dir? Du siehst irgendwie verbissen aus«, meinte der Junge neben mir. Er trug eine rote Lederjacke, ein beiges T-Shirt und dazu eine dunkelblaue Skinnyjeans und schwarze Turnschuhe. Es stand ihm. Er sah wirklich aus, wie ein Model.
»Alles bestens warum?«
Eine dumme Frage, denn ich musste ausgesehen haben, wie vor der PlayStation, wenn man kurz davor war, eine wichtige Mission zu schaffen. Lippen zusammen gekniffen, Zähne aufeinander gepresst und den Körper komplett angespannt.
Gerade als der andere antworten wollte, trat der Lehrer ins Klassenzimmer. Hinter ihm zwei Schüler aus meiner Klasse, die das Pech hatten, ihm vor Unterrichtsbeginn noch über den Weg zu laufen.
Sie trugen eine große Karte, die sie im Anschluss umständlich an einen Kartenhalter befestigen mussten.
Der Neue beobachtete die dabei und ich genehmigte mir einen Blick auf den Jungen zu werfen.
Er hatte Locken, die die gleiche Farbe hatten, wie meine. Seine Lippen waren perfekt geschwungen und weder zu voll noch zu schmal. Er hatte eine Stupsnase und wenn man ganz nah an sein Gesicht heran kommen würde, könnte man vielleicht vereinzelte Sommersprossen finden.
»Guten Morgen, liebe Schüler und Schüler!«, rief unser Geschichtslehrer aus und brachte wieder seinen üblichen Spruch, den er für besonders witzig hielt.
»Guten Morgen, Herr Miller«, raunten wir gelangweilt im Chor.
Ich sah, wie der Schönling neben mir wieder sein umwerfendes Lächeln aufsetzte und ja, vielleicht konnte ich die Mädchen verstehen, dass sie sich wegen ihm so verrückt machten. Er sah wirklich gut aus.
»Heute werden wir uns mal mit der Karte beschäftigen, da mir zu Ohren gekommen ist, dass eure Geografiekenntnisse zu wünschen übrig lassen«, verkündete der Lehrer und sah zu den zwei Schülern, die sich noch immer mit der Karte abmühten. Er übernahm selbst und schickte die beiden in die Bank.
»Zum Glück muss ich hier nicht raus kommen und mich vorstellen. Du glaubst ja gar nicht, wie sehr ich das hasse«, flüsterte der Neue mir zu, als Miller gerade mit dem Rücken zu uns stand und die Karte aufhängte.
Ich schluckte schwer. Er hatte einfach so mit mir gesprochen. Normalerweise ignorierten mich Leute wie er mich einfach, weil sie zu beliebt waren, um mit mir zu sprechen.
Ich antwortete auf seine Aussage mit einem Lächeln.
»Ich wüsste aber trotzdem gerne, wie du heißt«, säuselte ich und hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt. Wenn ich mich so benahm, konnte ich mir doch gleich einen Stempel auf die Stirn drücken lassen mit der Aufschrift hallo, ich bin schwul.
Gleich würde er sich abwenden und dann war's das mit dem freundlich sein, dabei war ich doch gar nicht schwul oder? Ich hatte mich noch nie damit beschäftigt. Mir war es immer recht gewesen, dieses Thema ganz weit weg zu schieben. Ich konnte mich ja auch später drum kümmern.
Der Lockenkopf lachte jedoch nur leise auf und sah mich an. Er schien zu überlegen, ob er mit seinen Namen verraten durfte. Dann beugte er sich zu mir rüber.
»Okay, überredet. Ich heiße Noah«, flüsterte er und ich bekam ungewollt eine Gänsehaut. Sein Atem kitzelte meine Haut und ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro