Achtzehn
Ich blieb bei Noah. Eine ganze Weile. Wir lagen uns in den Armen und streichelten uns, doch irgendwann war mir klar, dass ich nach Hause musste. Meine Mutter würde mir nicht abkaufen, dass ich so lange in einem Café ausharren konnte, auch wenn ich mit Cecilia dort war.
Ich löste mich aus den starken Armen und richtete mich auf. »Ich denke, ich muss langsam gehen. War schön wieder hier bei dir zu sein«, sprach ich und blickte in die klaren, blauen Augen Noahs. Dieser schluckte schwer. Ich konnte sehen, wie in seinem Blick wieder die Panik empor kroch. Ich musste gehen, doch offenbar bescherte ihm das Angst.
»Hey, ich komme ja wieder. Du bist nicht alleine. Ich bin für dich da und Josh ist auch noch da«, redete ich beruhigend auf ihn ein. Noah nickte nur und schluckte. Dann stand er auf und ging zu seiner Zimmertür als Zeichen, dass er mich noch ein Stück begleiten würde. Noch immer ließ Noah nicht zu, dass ich alleine durch diese Siedlung gehen musste, auch wenn ich mich heute getraut hatte, als ich zu ihm gegangen bin.
Schweigend stiegen wir die Treppen des miefenden Stiegenhauses hinunter und unten hielt der blonde Junge mir die Tür auf.
Ich schlüpfte hinaus und atmete die frische Luft ein, die selbst hier draußen nicht frisch war. Es roch nach Rauch, als wäre die ganze Siedlung ein riesiger Aschenbecher.
Ein Stich ging durch mein Herz. Warum mussten Menschen wie Noah bloß hier leben. Das musste die Hölle sein. Sofort umschloss ich die Hand von Noah und drückte sie. Er sollte wissen, dass ich da bin. Immer. Egal was passieren würde.
Noah begleitete mich noch ein ganzes Stück weiter, als er eigentlich müsste. Er konnte sich wohl nicht von mir lösen, aber damit hatte ich kein Problem. Schließlich standen wir vor meiner Haustür und ich schluckte.
»Danke, das ist lieb«, sagte ich und meinte damit seinen Begleitservice. Noah lächelte mir sanft zu und strich über meine Wange.
»Ich warte, bis du drin bist«, hauchte er und ich nickte. Hastig küsste ich ihn. Dann öffnete ich die Tür und trat ein.
Es tat weh, Noah den Rücken zuzukehren, aber ich konnte leider nicht ewig mit ihm vor meiner Haustür stehen.
»Oh, du hast dir aber Zeit gelassen. Ich warte schon eine Stunde mit dem Abendessen auf dich. Es gibt Lasagne«, sprach Rebeka fröhlich und kam auf mich zu. Sanft küsste sie meine Stirn, bis sie plötzlich inne hielt.
»Hast du geraucht? Oh bitte sag nein.«
Ich sah sie entsetzt an und schüttelte sofort den Kopf.
»Nein, warum?«
»Weil du nach Rauch stinkst.«
Oh, das war die Siedlung!
Ich lächelte und legte eine Hand auf ihre, die sie auf meine Schulter gelegt hatte.
»Ich versichere dir, dass ich nie in meinem Leben eine Zigarette anrühren werde. Ich mag das Zeug nicht«, sagte ich ehrlich und sie schien erleichtert zu sein.
»Na gut, dann komm.« Meine Mutter führte mich in die Küche, wo es immer noch herrlich nach Lasagne duftete. Mein Magen knurrte augenblicklich und ich setzte mich an den gedeckten Tisch. Gar nicht so schlecht, wenn man zu spät zum Essen kam, wie es aussah.
Sofort stand ein dampfender Teller vor meiner Nase und ich fing gierig an zu essen. Meine Mutter musterte mich und lachte leicht.
»Du bist echt manchmal wie ein Hund. Die schlingen doch auch immer so.«
Ich machte ein gespielt empörtes Gesicht, das vermutlich mit Tomatensoße verschmiert war und aß eilig weiter. Nicht dass das gute Essen kalt wurde.
Meine Mutter aß ebenfalls und als wir fertig waren, räumte ich mein Geschirr brav in die Spülmaschine.
»Ich bin in meinem Zimmer ja?«, sagte ich zu Rebeka und sie nickte mir zu. Dann huschte ich die Treppe hinauf und warf mich auf mein Bett.
Schnell zog ich mein Handy aus der Tasche und beschloss nachzusehen, wie schlimm die Lage bezüglich Noah und mich wirklich war, doch ich wünschte mir, ich hätte es nicht getan.
Das kleine Filmchen war bereits auf Instagram auf sämtlichen Seiten meiner Mitschüler oder besser gesagt Schülern meiner Schule gepostet worden. Gott, warum waren Menschen so grässlich? Warum erfreuten sie sich daran, anderen Menschen sowas anzutun?
Mir wurde schlecht und ich hatte Angst, dass die Lasagne wieder hoch kam.
Hastig legte ich mein Handy auf meine Kommode, doch die Bilder hatten sich bereits in mein Hirn eingebrannt. Ich hatte schon gesehen, dass alle Bescheid wussten und ich hatte die Kommentare darunter gelesen. Neben denen, die beschrieben, wie süß sie es fanden, waren wüste Beschimpfungen zu finden gewesen.
Schließlich griff ich doch nach meinem Handy, um Noah zu schreiben.
Meine Hände zitterten und in meinem Bauch wütete ein Wirbelsturm.
Der blonde las die Nachricht, doch er antwortete nicht und meine Gedanken reimten sich wieder irgendwas zusammen, was vielleicht gar nicht stimmte. War er sauer? Hatte er die Kommentare auch gelesen?
Verdammt, ich wollte doch nicht, dass sich das alles für ihn wiederholte. Er würde doch niemandem mehr vertrauen. Ich wollte ihm nur helfen und nun hatte ich ihn da mit rein gezogen. Okay, er wollte es genauso aber trotzdem.
Das war zu viel. Ich sprang auf und rannte ins Bad, wo ich mich erstmal übergeben musste. Schnell knallte ich die Tür zu und ließ mich auf den Fliesenboden sinken. Schwach umklammerte ich die Kloschüssel.
Immer wieder musste ich zusehen, wie ich den Mageninhalt runterspülte, bis ich irgendwo in weiter Ferne ein klopfen hörte.
»Marcus? Ist alles okay? Mach die Tür auf.«
Meine Mum.
Zittrig öffnete ich die Tür und schluckte. Sie sah mich entsetzt an und kniete sich neben mich. Verdammt, ich musste es ihr erzählen. Ich musste einfach mit jemandem reden, doch mein Outing hatte ich mir definitiv anders vorgestellt.
Sanft streichelte Rebeka über meinen Rücken und ich beruhigte mich tatsächlich ein wenig.
»Was ist los? Du weißt, dass du über alles mit mir sprechen kannst«, sagte sie sanft und ich nickte.
Ich fühlte mich total schwach und ausgelaugt, aber dennoch begann ich zu erzählen. Alles was ich hoffte war, dass sie nicht blöd reagieren würde, denn das konnte ich jetzt nicht auch noch verkraften.
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