
05. Streng geheim
Jack
Den ganzen Vormittag über war es still gewesen. Der Postbote hatte zwar Post gebracht, wie Jack auf dem Bildschirm im Überwachungsraum hatte sehen können, aber nach der ersten Aufregung hatte sich das nur als eine Grußkarte der Verwandschaft herausgestellt. Mr. King hatte gesagt er hatte die restliche Familie noch nicht über Charlottes Entführung aufgeklärt. Und Jack konnte nach allem nicht einschätzen, ob es sie überhaupt interessieren würde oder ob sie weiter fröhlich ihren Urlaub genießen würden.
Am vorigen Abend hatte er sich noch lange mit Tim und Aurí unterhalten, vor allem darüber wie unmöglich sich Mrs. King verhielt, aber auch über die strenge, kühle Art von Mr. King und das keine der beiden besorgt oder aufgewühlt wegen Charlotte schien.
Mr. King hatte anordnen lassen, dass sie ihr Essen im Überwachungsraum bekamen. Die Haushälterin hatte gekocht, weil sie scheinbar auch die Köchin der Kings war und Jack konnte sich nicht entsinnen jemals einen besseren Flammkuchen gegessen zu haben. Sie waren alle auch sehr froh darüber gewesen nicht unten mit den Kings essen zu müssen, das wäre bestimmt sehr ungemütlich geworden.
Manchmal drang Mrs. Kings genervte Stimme auch bis nach oben in den Überwachungsraum. Ihr Mann hatte ihr erklärt, dass die vier Unbekannten in ihrem Haus von seiner Arbeit waren und sie helfen würden Charlotte wieder zu befreien. Zu Jacks Überraschnung hatte sie es nichtmal wirklich in Frage gestellt, es schien ihr weitestgehend egal zu sein, Hauptsache sie waren ihr nicht im Weg.
Zum Mittagessen hatten sich jetzt also alle im Überwachungsraum eingefunden, sogar Luna, die sich aber nicht wirklich am allgemeinen Gespräch beteiligte.
"Was denkt ihr, wie es Charlotte jetzt geht?", fragte Aurí.
"Solange noch kein Anruf oder Brief eingegangen ist, denke ich, dass es ihr den Umständen entsprechend gut geht. Die Entführer wollen ja wahrscheinlich etwas von den Kings, deswegen werden sie ihr wohl kaum etwas tun."
Luna schnaubte. "Glaubt das ruhig weiter. Vielleicht ist sie auch längst tot, wer weiß."
Jack wechselte einen Blick mit Tim, der nur die Augen verdrehte. Luna und ihr sadistischer Pessimismus.
"Was denn? Wollt ihr mir etwa sagen, ihr denkt hier geht es mit rechten Dingen zu? Denen ist ihre Tochter doch scheißegal, Mrs. King geht es nur um sich selbst und Mr. King schert sich nur um seine Arbeit, was auch immer die genau beinhaltet. Ich finde wir sollten da nachforschen, anstatt hier wie Salzsäcke auf einen Anruf zu warten, der vielleicht nie kommen wird."
Luna stand wütend auf und hatte schon die Tür hinter sich zugeknallt, bevor Jack auch nur eine Antwort formulieren konnte. Warum war sie nur bloß ständig so schnell angepisst und negativ?
"Naja, sie hat irgendwie einen Punkt", meldete sich Aurí schließlich zögerlich zu Wort. "Es ist schon alles ein bisschen komisch. Erinnert ihr euch noch an das, was Lynn am Anfang gesagt hat? Dieses Waffenprojekt, woran Mr. King und sie gemeinsam arbeiten und weshalb er über Magie bescheid weiß? Ich würde schon gerne wissen was es damit zum Beispiel auf sich hat."
Tim sah etwas skeptisch drein. "Mag sein, aber was hat das mit Charlottes Entführung zu tun? Die Kings sind steinreich, die Entführer sehen die Tochter zufällig ungesichert auf der Straße und ergreifen ihre Chance ein bisschen Geld abzustauben. Ich denke nicht..."
Jack rückte plötzlich näher an die Kante seines Stuhls. "Und was wenn nicht?", fragte er mit leuchtenden Augen. "Was, wenn es hier nicht um Geld geht, sondern um Mr. Kings Arbeit? Wenn die Entführer die Waffe oder die Dokumente zur Erstellung davon haben wollen?"
"Aber sie ist doch noch nicht fertig", warf Aurí ein. "Lynn sagte sie sei erst in der Entwicklungsphase. Was würde es denen dann bringen?"
"Dann haben sie vielleicht auch einen Techniker oder so mit an Bord, der sie vollenden könnte, keine Ahnung. Oder sie verkaufen sie weiter an irgendein anderes Land", versuchte Jack seine Idee zu verteidigen. "Jedenfalls würde es den Suchradius erheblich verkleinern, weil viele wissen, dass Mr. King reich ist, aber nicht viele über seinen Job eingeweiht sind."
"Es hilft trotzdem nicht", entgegnete Tim. "Im Endeffekt könnte es beides sein, Waffe oder Geld und wir wissen nichts Genaueres, wenn sie sich nicht melden."
"Stimmt", sagte Aurí leise. "Warum brauchen sie bloß so lange dafür? Charlotte ist vor zwei Nächten entführt worden, warum haben sie noch nichts von sich wissen lassen?"
▪︎▪︎▪︎
Es dauerte noch weitere zwei Stunden, bis endlich etwas passierte. Die Polizei war mittlerweile unten im Haus und hatte ebenfalls eine Apparatur eingerichtet, womit Anrufe zurückverfolgt werden konnten. Von dem Überwachungsraum oben wussten sie nichts und Luna, Tim, Aurí und Jack hockten mucksmäuschenstill in dem Zimmer, während die gedämpften Stimmen der Polizisten hinauf drangen.
Lynn hatte sich vor kurzem verabschiedet, weil sie wieder durch ein Portal zum Sonnenhof verschwunden war, sie vertraute den vieren, dass sie es hinbekommen würden und würde am Abend wieder auftauchen.
Plötzlich ging die Tür auf und Mr. King trat ein. Wie immer verriet sein kühler, grauer Blick nichts über sein Gemüt. Leise schloss er die Tür wieder hinter sich und sah sie nacheinander an.
"Die Polizei ist jetzt fertig mit der Installation. Sie hatten Glück, dass sich noch niemand gemeldet hat und ich selber meinen Teil getan habe, sonst hätte ich sie gleich verklagt, weil sie erst jetzt damit ankommen. Wenn angerufen wird, dann hört ihr mit und gebt die Informationen an eure Basis weiter. Danach besprechen wir zusammen mit Lynn den weiteren Plan."
Mr. King nahm seine Brille ab und rieb sich müde über das Gesicht, als hätte er Kopfschmerzen. Das war das erste Anzeichen davon, dass ihn Charlottes Entführung tatsächlich etwas ausmachte, bemerkte Jack.
"Was denken Sie denn, wonach die Entführer fragen werden?", fragte Luna betont beiläufig. Jack hätte es nicht gewundert, wenn sie bei der Unterhaltung vorhin, wo sie über Geld oder Waffe gesprochen hatten, noch an der Tür gelauscht hätte.
Mr. King sah sie geradeheraus an. "Das weiß ich nicht, aber ich möchte hoffen es ist nur Geld."
"Ist diese Waffe denn so schlimm?", hakte Luna weiter nach.
Jack hielt die Luft an. Er schätzte Mr. King zwar nicht so ein, dass der schnell ausrastete, aber was Luna fragte ging sie eigentlich nichts an. Trotzdem musste er zugeben, dass auch an ihm die Neugier nagte.
Einige quälende Sekunden lang blieb es still, bis Mr. King endlich wieder das Wort ergriff, dabei Luna aber immer noch ansah, als hätte sie sich gerade gehörig Ärger eingehandelt.
"Diese Waffe könnte unsere Welt revolutionieren. Und neugierigen Schülern, egal ob mit magischen Fähigkeiten ausgestattet und mit einer wichtigen Mission betraut oder nicht, geht sie nichts an. Lynn hat euch bereits gesagt, dass ihr keine weiteren Informationen bekommt, also werde ich sie euch auch nicht geben. Und wenn ich merke", fuhr er leiser fort, den Blick jetzt deutlich nur auf Luna gerichtet, "dass ihr mir nachschnüffelt, dann seid ihr ganz schnell wieder im Sonnenhof, ist das klar?"
Nacheinander nickten sie, keiner traute sich noch ein falsches Wort zu sagen, und Mr. King verließ wieder den Raum.
Erleichtert stieß Jack die Luft aus, die er anscheinend die ganze Zeit angehalten hatte.
"Das war mal eine deutliche Ansage", murmelte Tim und auch Aurí blickte etwas besorgt drein.
"Immerhin hat er uns nicht schon direkt zurückgeschickt. Oder zumindest dich, Luna."
"Ach, das war doch nichts. Er kann drohen wie er will, er wird mich eh nicht davon abhalten können ein bisschen zu spionieren. Manchmal vergesst ihr anscheinend wozu ihr ausgebildet seid", verdrehte sie die Augen.
Jack erinnerte sich wieder daran, dass auch Luna es gewesen war, die am Ende des letzten Jahrs Maximilian Ignis enttarnt hatte. Wäre sie nur manchmal bloß nicht so... gemein.
Sie wurden von einer weiteren Diskussion abgehalten, weil plötzlich das Telefon klingelte. Es war Mr. Kings Handy. Beziehungsweise die Kopie davon, denn Jack hatte es geklont.
Es war eine unbekannte Nummer und anscheinend nahm Mr. King unten den Anruf entgegen, denn eine tiefe, verzerrte Stimme ertönte.
Jack aktivierte sofort die Zurückverfolgung am Computer und gebannt lauschten sie der Stimme.
"Wir haben Charlotte. Willst du sie jemals lebend wiedersehen, dann besorge uns die Papiere deines Projekts, Arnold King. Wir rufen morgen wieder an mit näheren Informationen zur Übergabe. Halte dich bereit."
Mehr kam nicht und ein Klicken verriet, dass schon wieder aufgelegt worden war. Mr. King hatte keine Chance gehabt weitere Fragen zu stellen, Charlottes Stimme zu hören oder sonst irgendetwas zu tun. Und für eine Zurückverfolgung war der Anruf auch viel zu kurz gewesen.
"Scheiße", flüsterte Jack, als das Signal sich verlor. "Aber zumindest wissen wir jetzt, dass es wirklich um seine Arbeit geht und nicht nur um Geld. Das schränkt die Verdächtigen ziemlich ein. Die anderen sollten das sofort erfahren und sich ans Werk machen."
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Auftritte:
Jack Olson
Tim Johnson
Aurí Loédo
Luna Night
Mal wieder ein etwas kürzeres Kapitel mit viel Dialogen, damit es ein wenig in der Story vorankommt. Ich habe nämlich sehr viel Lust auf Band zwei momentan, aber das hier will ich erst beenden. Und ich habe auch in diesem Buch noch so viele schöne Szenen zu schreiben, hehe.
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