[𝟑] 𝐌𝐫. 𝐀𝐝𝐚𝐦𝐬
Ich war aufgeregt. Ich war mehr als nur aufgeregt. Ich konnte meinen Kakao kaum herunterschlucken, weil meine zierlichen Hände ungewollt zitterten. Nachdenklich saß ich auf meinem Küchenstuhl und versuchte mich die letzten zehn Minuten, die ich noch Zeit hatte, vergebens, zu beruhigen. Doch in meinem Gehirn schwamm immer wieder und wieder die Welle der Aufregung herum.
»Es ist schön, dass sie dir so eine Chance gegeben haben«, hörte ich Mary aus der Küche rufen. Ich nickte, wollte mich aber nicht großartig mit ihr unterhalten. Sie konnte nichts für meine distanzierte Einstellung ihr gegenüber.
Trotzdem schien es meiner Meinung nach so, als würde sie dieses Interesse mir gegenüber nur vorspielen. Sie schien etwas unbeeindruckt, weil ich vielleicht nicht ihr eigenes Kind gewesen bin oder weil sie mich vielleicht nicht leiden konnte, denn wie sie für mich empfand wusste ich nicht genau. Ich wusste nicht, was sie über mich dachte und ich wusste ebenfalls nicht, ob sie mich als ihre Stieftochter anerkannte.
Mein Praktikumsangebot interessierte meine beiden Elternteile nicht wirklich, denn als ich ihnen davon erzählte, aßen sie gemütlich ihr Essen, als hätte ich ihnen gerade nicht erzählt, dass ich ein Interview mit dem reichsten Mann Kanadas führen würde. Vielleicht lag es daran, dass mein Vater in der Anwalt-Branche tätig gewesen ist und mich schon seit langen davon überzeugen wollte Anwältin oder Richterin zu werden. Tatsächlich hatte ich mich eine Weile mit diesem Thema beschäftigt doch fand einfach keinen Anschluss dazu. Das Jurastudium erweckte einfach nicht mein innerliches, berufliches Interesse. Seitdem betrachtete er jeden meiner Schritte in Richtung Zukunft mit zugekniffenen Augen und wollte sich nicht eingestehen, dass ich einfach nicht in die juristische Richtung gehörte. Mein Gewissen wollte nicht bei diesem Beruf mitmachen, denn ich würde nicht nur Unschuldige Menschen vertreten, sondern müsste wahrscheinlich auch schuldigen Menschen, die tatsächlich eine schlimme Straftat begangen hatten, den Rücken freihalten und mit diesem Gedanken konnte und wollte ich nicht leben. Meine Mutter hatte mir immer beigebracht nicht zu lügen, weswegen eine Lüge nur schwer über meine Lippen huschte. Man sah es mir förmlich an, wenn ich nicht die Wahrheit sagte.
Und mein Vater konnte es einfach nicht wahrhaben, dass seine Tochter genau so ein Freigeist wie seine Exfrau gewesen ist, die er mittlerweile verabscheute.
Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich mich vielleicht langsam auf den Weg machen sollte und mir meine gute Laune am frühen Morgen nicht mit meinen abwegigen Familiengedanken vermiesen sollte, jedoch dachte ich öfter über diese ausweglose Situation in diesem Haus nach: Es gab meinen Vater, welcher seinen Abstand zu mir hielt weil ich ihn zu sehr an meine toxische Mutter erinnerte, seine neue Frau die mich wahrscheinlich nicht leiden konnte aber so tun musste, und ihr Sohn, welcher mich definitiv aus irgendeinem komischen Grund nicht leiden konnte. Ich atmete kurz auf und schloss meine Augen. Es belastete mich daran zu denken, dass das Bild unserer einst glücklichen Familie in tausend Splitter zertrümmert ist, nachdem meine Mutter uns freiwillig und ohne richtigen Grund verlassen hatte. Seufzend ließ ich mein angebissenes Toast auf meinem Teller liegen und stellte mich auf meine vor Aufregung wackeligen Beine. Ich hatte schon fast vergessen, dass ich gleich und die nächsten zwei Wochen ein wichtiges Interview führen musste.
Ich war zwar noch nicht zu spät dran, aber ich wollte auf keinen Fall zulassen, dass ich die Zeit ansatzweise überschritt. Alles musste seine Richtigkeit haben und ich musste daran denken einen guten Eindruck zu hinterlassen, anstatt die Verhältnisse von mir zu meiner Familie zu analysieren.
Ich nahm mir meinen Rucksack, versicherte mich selbst noch einmal, die Fragebögen mitgenommen zu haben und verließ mit einem leisen »Bis später« das Haus. Ich lief aufgeregt die Straßen entlang und lächelte, auch wenn mich ein paar an mir vorbeilaufende Personen befremdend beäugten. Es war nicht typisch an einem Montagmorgen gute Laune zu haben, aber ich hatte sie nunmal und strengte mich an, diese nicht abzuwerfen, egal wie sehr das Gefühl von familiärer Unvollständigkeit in mir herumschwirrte. Es würde eine neue Erfahrung sein, die ich die nächsten zwei Wochen machen würde. Schließlich würde ich das Gebäude der Firma nicht nur von Außen angaffen, wie ich es sonst immer auf meinem langweiligen Nachhauseweg tat, sondern würde wahrhaftig einen internen Einblick erhaschen können.
Ich schreckte hoch, als mein altbekannter Klingelton mich aus meinen Vorstellungen weckte. Ich sah, dass Molly mich anrief und hob natürlich sofort ab. »Ava Maria Johnson.«, erklang ihre ernste, tadelnde Stimme an dem anderen Ende des Hörers. »Ja Molly-Mops?«, fragte ich in mein Handy zurück, weil ich wusste, dass dieser Name ihr nicht gefiel und sie dadurch immer ihre Fassung verlor, wenn sie versuchte in ernster Weise mit mir zu reden.
Ich stellte mich an die Ampel und wartete auf das grüne Licht, während Molly sehr verärgert schien und sofort auf mich losging. »Du hast mir nicht gesagt, dass du während der Schulzeit dort bist. Ich dachte du musst nur nachmittags dorthin, du Judas, du Verräterin.« Ich musste auflachen und konzentrierte mich gleichzeitig darauf den Sprung der Ampelfarbe von Rot auf Grün nicht zu verpassen.
»Wieso bin ich denn ein Judas? Wann denkst du denn sollte ich das Interview machen, um Mitternacht?« stieß ich lachend hervor und wartete auf ihre Antwort. »Du bist Judas, eine Verräterin, die mich Winterbottom alleine zum Fraß vorwirft.« Metaphorisch, und als hätte ich gerade Shakespeare höchstpersönlich am Telefon, machte sie mir Vorwürfe.
Ich wollte antworten, doch hörte das sich wiederholende Piepen der Ampel, die mir nun deutlich anzeigte, dass ich die Straße überqueren durfte.
»Wenn du schon beschließt, mir so etwas anzutun, dann sorg wenigstens dafür, dass du ihn ins Bett kriegst.« Ich verdrehte mal wieder meine Augen obwohl ich genau wusste, dass sie es vollkommen ernst meinte. Sie hatte Hoffnung in meinem kleinen, viel zu schüchternen Dasein. Sie würde es an meiner Stelle tatsächlich tun, denn schließlich war Leo Adams, wie jede junge, pubertierende Kanadierin wusste, nicht gerade unattraktiv. Auch mir was sein anziehendes, wunderschönes Gesicht nicht entgangen, doch trotzdem hatte ich keine unartigen Träume mit ihm. Wieso sollte ich denn auch?
»Mach es gut, und Molly nimm mir bitte meine Arbeitsblätter mit.«, versuchte ich das Thema zu wechseln um nicht noch röter in meinem Gesicht zu werden, als ich es schon war.
»Geht klar, Nerdie. Ruf mich später an und erzähl mir, wie heiß er wirklich ist.«
Ich und auch Molly wussten genau, dass ich mir dessen bewusst gewesen ist. Jedoch wussten wir beide, wie abwegig der Gedanke ist, dass Mr. Adams sich jemals für mich interessieren würde. Er war, wie ich mitbekommen hatte, Mitte Zwanzig und da ich vor ungefähr zwei Wochen neunzehn geworden bin, wäre nichts an dieser Situation illegal. Trotzdem war das alles ziemlich unrealistisch. Sie ärgerte mich nur aufgrund meiner Schüchternheit gegenüber Jungs und ich wusste genau, dass sie sich einen Spaß erlaubte. Und vielleicht ein kleines bisschen hoffte, es würde wirklich etwas zwischen uns passieren.
Kopfschüttelnd und gleichzeitig schmunzelnd ließ ich mein Handy wieder in meine Hosentasche gleiten und bemerkte, dass ich überraschenderweise schon fast an meinem Ziel angekommen war. Stolz beäugte ich die aus Glas errichteten Etagen, durch die jeder hindurch blicken konnte. Ich beobachtete die Sauberkeit und Ordnung, welche dieses Unternehmen sogar von außen ausstrahlte. Es ist unglaublich, welch eine Wirkung dieses Unternehmen auf meine Laune hatte. Ich strahlte augenblicklich. Jede Menge Menschen betraten sowie verließen das Gebäude und ich musste mich räuspern, um nicht wie ein verrücktes Groupie auszusehen. Vorsichtig und mit Bedacht setzte ich einen Fuß vor den anderen und wollte nicht, dass jemand bemerke wie nervös ich wirklich gewesen bin.
Ich stellte fest, dass ein paar herumlaufende Angestellte mich musterten, was mir jedoch klar gewesen ist. Eine gerade mal neunzehnjährige Schülerin stach bestimmt besonders heraus, obwohl ich mir wirklich die ganze Woche Gedanken über mein Outfit gemacht hatte. Ich wollte so ordentlich und professionell wie möglich aussehen. Ich wollte Erwachsen scheinen. Doch mein inneres Fangirl konnte sich das Grinsen tatsächlich nicht verkneifen.
Ich benötigte eine kurze Zeit, um mich zu orientieren und zurecht zu finden. Von außen machte das Gebäude den Eindruck als wäre es sehr groß, vor Allem durch die unzähligen Etagen, die dieses ausmachten, jedoch musste ich feststellen, dass die Firma von innen noch größer gewesen ist, als ich es mir ausmalte.
Alles, wirklich so gut wie alles war aus Glas gebaut und somit war die komplette Abteilung, in welcher ich mich gerade fand, hell und wirkte dadurch unglaublich einladend. Die Morgensonne schien durch die Fenster und gestaltete den Raum strahlend schön, jedoch war es nicht zu warm und man spürte den Wind der Klimaanlagen, die ich vergebens suchte, aber nicht entdecken konnte. Es war sauber, ordentlich und vor allem modern. Es war nicht wie in anderen Firmen, es war übersichtlich und ich glaube Mr. Adams hatte erfolgreich dafür gesorgt, dass alles so ist, wie es sein sollte.
Als ich einen Schalter erkannte und nicht ansatzweise wusste, in welcher Richtung sich mein Ziel befand, steuerte ich geradewegs auf diesen zu. Eine freundliche junge Dame, welche ich auf Mitte zwanzig schätzte, lächelte mich willkommend an und wartete darauf, dass ich ihr mein Anliegen erklärte.
»Hallo, ehm..«, stotterte ich wieder vor mich hin. Da war es wieder, mein geläufiges Nervositäts-Problem, welches ich einfach nicht von mir abschütteln konnte. Doch ich musste mich endlich zusammenreißen. Ich musste beweisen, dass ich nicht nur ein schüchternes Mädchen aus der Vorstadt war, sondern musste sofort mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen zu zeigen, dass ich Potential ausstrahlte. Du kannst das, Ava.
»Ich bin Ava Johnson und gehe auf die East-High-School. Meine Lehrerin Mrs. Brown hat mir ein Interview mir Mr. Adams ermöglicht.« Ich kramte meinen Zettel, den sie mir letzte Woche in die Hand gereicht hatte aus meiner Tasche und reichte ihn der herzlichen Frau.
»Sehr schön, hier steht es auch. Du bist früh dran, aber das ist absolut kein Problem.« Sie tippte an ihrem Computer herum und das so schnell, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Sie war ohne Zweifel geübt darin.
Ihr Lächeln machte mich neidisch, ihre makellose Haut ließ mich bedauern, dass ich mich kaum um meine eigene kümmerte, außer diese einmal am Tag mit einer Gesichtscreme einzucremen und ihr Make-Up war dezent doch ließ ihre grünen Augen auf besondere Art und Weise herausstechen. Grüne Augen waren ein Geschenk und Neid kochte in mir hoch, weil ich nur langweilige, braune Augen erblickte, wenn ich in den Spiegel sah. Es war nicht dieses durchdringliche und schöne braun, wie manche Menschen es besaßen, es war ein ausdrucksloses, schlichtes braun. Ein braun, welches man meiner Meinung nach nicht gerne betrachtete.
»Ava Maria Johnson, richtig?« Mit einem Nicken bestätigte ich ihre Frage und sie lächelte mich freundlich an. Sie deutete auf den Lift.
»Dort musst du hinein, und dann auf die letzte Etage, dass ist die neunundzwanzigste. Mr. Adams erwartet dich oben.«
»Vielen Dank.« Ich lächelte zurück und mein Körper beförderte mich automatisch in Richtung Lift. Ich wartete bis mir das pling verdeutlichte, dass ich endlich einsteigen durfte. Es war glücklicherweise niemand außer mir drinnen und ich stieß ein erleichtertes Stöhnen aus. Der Lift war groß, sodass ich mich erst einmal orientieren musste. Er war komplett aus Glas, weswegen ich mich fragte, was Menschen mit Höhenangst wohl machten, wenn sie mit diesem Aufzug fahren mussten. Als ich den neunundzwanzigsten Knopf drückte, bemerkte ich, dass es noch eine dreißigste Etage gab. Ich fragte mich, ob die nette Frau am Empfang mir dies extra verschwieg oder es vielleicht einfach nur der unwichtige Dachboden gewesen ist.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro