Zweifel | 75
„Ich habe ihr das Versprechen abgenommen, auf sich aufzupassen." Peyton scheint durch diese Worte nicht ruhigzustellen zu sein. Verständlich, denn wenn ich an seiner Stelle stünde, wäre ich Violet schon längst nachgefahren. Dass er überhaupt so zumindest halbwegs ruhig ist, erstaunt mich ungemein, aber ich bin auch verdammt ungeduldig, deswegen wäre es dumm von mir, mich mit Peyton zu vergleichen.
„Das haben wir alle", stimmt Connor Daleyza zu und ein weiteres Mal frage ich mich, wann die beiden so gute Fast-Freunde geworden sind. Aber ich scheine hier ja sowieso einiges zu verpassen, deswegen ist das wohl nur halb so wild - oder doppelt, je nachdem, wie man das jetzt sehen will. Die Münze sieht in den meisten Fällen auf einer Seite auch anders aus, als auf der anderen, deswegen kann man das nicht pauschalisieren.
Verdammt, ich merke, wie ich selbst immer aufgeregter werde. Violet ist mir wirklich, wirklich wichtig und wenn ihr jetzt wegen meines Sturkopfes und aufgrund der Tatsache, dass ich unbedingt meinen Vater sehen wollte, etwas passiert, werde ich mir das nie - und damit meine ich niemals in meinem unsterblichen Leben - verzeihen.
Zweifel fressen sich in meinen Verstand und ich muss mich auf das Sofa in dem Hotelzimmer setzen, um nicht hinzufallen. Meine Knie fühlen sich so weich an, wie durchnässter Wackelpudding und mein Atem wird unruhiger. Mein Herzschlag gleicht einem Presslufthammer und ich habe die leise Ahnung, dass die anderen ihn hören können. Das Blut rauscht mir in den Ohren und obwohl Violet wahrscheinlich noch nicht einmal bei meinem Vater ist, kann ich zum ersten Mal ernsthaft darüber nachdenken, was alles passieren könnte. Abertausende Szenarien spielen sich in meinem Kopf ab und selbst wenn sie nur einen Autounfall hätte, würde ich mir die Schuld geben. Was haben wir uns nur dabei gedacht?
Ich reibe mir über die Stirn, da mir plötzlich der eiskalte Angstschweiß ausgebrochen ist. Manchmal wünsche ich mir, Nicolas hätte, als er mich erschaffen hat, es irgendwie geschafft, mir meine Angst und sämtliche Gefühle zu nehmen. Nicht alle, aber wenigstens die negativen, den Herzschmerz, die Trauer und die Wut. Es wäre so viel einfacher mit der aktuellen Situation klarzukommen.
Beim Gedanken an Nicolas beuge ich mich ein wenig vor, um zu überprüfen, ob Silver noch im Nachbarzimmer schläft. Da er keinen Kaffee bekommen hat und wir dafür gesorgt haben, dass er den ganzen Flug über wach bleiben musste, ist uns fast schon klar gewesen, dass er direkt ins Bett fällt, wenn wir hier ankommen. Vor allem, weil er schon, als wir beim Flughafen ankamen, ziemlich müde aussah und sich durch die Verspätung des anderen Fluges alles hinausgezögert hat.
Ein wenig beruhigt es mich, dass wenigstens dieses Problem eine Lösung gefunden hat und somit aus der Welt geschafft ist, aber der kurze Anflug von Ruhe kann meine Angst um Violet nicht verdrängen. Ich kenne meinen Vater vielleicht nicht und möglicherweise habe ich totale Vorurteile gegen ihn, aber man kann nie wissen, wie er reagiert, wenn plötzlich eine Schein-Reporterin vor seiner Tür steht und ihn über seine Arbeit ausfragt.
In dem Moment, als ich an besagte Arbeit denke - von der ich nicht zu hundert Prozent weiß, was genau sie beinhaltet -, fällt mir komischerweise mein seltsamer Traum ein. Der Traum, den ich eigentlich verdrängen wollte, weil ich Connor allem Anschein nach das Herz herausgerissen habe. Aber nachdem ich in Nicolas' Akten gesehen habe, dass mein Vater tatsächlich meine Augen hat - genau wie der Mann aus meinem Traum - und ich Alondra kennengelernt habe, ergibt es einen Sinn, dass ich darüber nachdenke. Warum mir jetzt erst auffällt, dass die Frau schon eine jüngere Version von Alondra sein könnte, verstehe ich nicht. Aber vielleicht war es so wichtig, dass ich es glatt übersehen habe.
Es ergibt schon Sinn, dass ich Alondra und meinen Vater nebeneinander gesehen habe, schließlich waren sie laut Nicolas mal zusammen. Aber was weiß ich denn sonst über meinen Vater? Wie er damals aussah und wo er jetzt wohnt.
Krampfhaft versuche ich mich daran zu erinnern, was noch in den Akten stand, das mit ihm zu tun hatte, aber ich kann mich nicht entsinnen. Ich weiß, dass ich Tränen im Gesicht hatte und kaum etwas gesehen habe. Und dass Connor neben mir saß. Aber mir will einfach nicht einfallen, was über seine Arbeit stand, wahrscheinlich, weil ich mich kaum dafür interessiert habe.
Aber ich kann nicht weiter über diese vielleicht wichtige Information nachdenken, denn Daleyza stört die Stille, die bis eben den Raum gefüllt hat: „Was, wenn sie es ist?" Ich hätte fast nicht verstanden, was sie gesagt hat, so sehr bin ich auf mich selbst konzentriert. Aber da ich es doch verstanden habe, runzele ich jetzt die Stirn - was soll das denn jetzt heißen?
„Das glaubst du doch wohl selbst nicht, Daleyza!", empört sich Peyton und ich schaue zu Connor. Aber auch er ist so verwirrt, wie ich es momentan bin. Statt etwas zu sagen - ich wüsste auch gar nicht, was das wäre -, lege ich meinen Zeigefinger an meine Lippen und weise auf die Tür, die zu einem der drei Schlafzimmer führt. Peytons Blick wirkt wutentbrannt, aber er lässt das nicht an mir, sondern an Daleyza ab und wendet seinen Blick schnell wieder auf sie, als er bemerkt, dass ich es nur gut meine.
„Es würde schon einen Sinn ergeben. Sie fährt zu diesem Informanten, um ihn zu foltern und dann umzubringen. Was gibt es denn für eine andere Erklärung dafür, dass sie unbedingt alleine zu ihm wollte?" Sie erwidert Peytons Blick und Connor und ich verfolgen währenddessen das Tischtennisspiel, das die beiden mit ihren Worten spielen, mit unseren Augen.
Peyton scheinen Daleyzas Worte richtig sauer zu machen, auch wenn er versucht, seinen Ton in einer angemessenen Lautstärke zu halten, um Silver nicht zu wecken. „So wie du Violet angreifst, habe ich fast das Gefühl, du wärst die Spionin!", zischt er sie an, was ihren Blick umso wütender werden lässt.
Aber auch Daleyza bemerkt, dass es ein nicht gerade kluger Zug wäre, Silver aufzuwecken. Aus diesem Grund sieht sie wohl auch vom Schreien ab und ich bin Silver gerade irgendwie dankbar dafür, dass er im Nebenzimmer schläft. Wenigstens müssen Connor und ich durch ihn nicht erleben, wie Daleyza und Peyton das gesamte Hotel zusammenbrüllen. „Ach, jetzt greifst du mich an? Fällt dir keine Strategie ein, deine Komplizin zu verteidigen? Wahrscheinlich hast du ihr noch beim Raub des Tagebuchs geholfen!"
Jetzt verstehe ich gar nichts mehr und auch Peyton wirkt überrascht über Daleyzas Anschuldigung. „Ich soll das Tagebuch geklaut haben?", fragt er neutral und noch leiser als zuvor, fast so, als hätte er die ganze Zeit über etwas anderes geredet und erst jetzt realisiert, dass das zwischen Daleyza und ihm nur ein Missverständnis war.
Aber die Blondine lässt sich von seiner Unwissenheit nicht täuschen und stachelt ihn weiter an - anders kann man das schon fast gar nicht mehr nennen. „Du bist doch superstark! Du hättest die Tür einfach aufreißen können." Daleyza macht die Handbewegung, die man dabei vollführt, demonstrativ nach, sodass auch Peyton versteht, was sie meint.
Dieser scheint jedoch, genauso wenig, wie Connor und ich, zu verstehen, was Daleyzas Problem ist. So langsam habe ich das Gefühl, sie würde sich einfach gern mit uns anlegen. Erst Connor, dann ich und jetzt Peyton und - so weit ich das mitbekommen habe - auch Violet. „Aber das hätte man doch gesehen!"
Sie hebt die Hand, fast schon gebieterisch, aber mehr in einer Habe-ich-doch-gesagt-Geste. „Deswegen weist auch alles auf Violet hin. Überleg doch mal! Sie hätte den Code gar nicht nötig gehabt, sie hätte einfach so die Tür aufmachen können." Jetzt wirkt sie fast schon aufgeregt, als wäre sie damit einer ganz großen Sache auf der Spur.
Peyton, der immer noch mitzukommen scheint, erwidert jedoch nur unbeeindruckt: „Du doch genauso! Du hättest in Nicolas Kopf herumkramen können und wärst drinnen gewesen!" Zuerst steckt er seine Hände in seine Hosentaschen, entscheidet sich dann jedoch dagegen und verschränkt schließlich die Arme.
„Mach dich nicht lächerlich, Peyton!"
Er schnaubt nur. „Tue ich nicht! Du bist diejenige, die Violet angegriffen hat, obwohl du keinen Grund dazu hast. Ihr seid doch Freunde!" Fast schon anklagend weist er mit dem Finger auf Daleyza und es kommt mir vor, als wäre ich in einem Kindergarten zu Besuch. Das ist ja nicht auszuhalten, vor allem nicht, da die beiden so unsagbar laut sind. Aber ich bin auch zu abgelenkt von ihrem Gespräch, als dass ich etwas hätte sagen können.
Die einzige Frau in diesem Raum weiß jedoch ganz genau, was sie sagen will. „Nein, ganz sicher nicht. Mit Verrätern bin ich nicht befreundet." Sie schüttelt den Kopf und ihr Blick zeigt, wie angeekelt sie von dieser Vorstellung ist. Als wäre Violet plötzlich ein ganz anderer Mensch und nicht die aufgeschlossene junge Frau, als die ich sie kennengelernt habe. Vielleicht reden wir ja von zwei verschiedenen Violets.
Peyton scheint im Gegensatz zu Daleyza nicht mehr zu wissen, was er sagen soll. Wie auch, schließlich sind die Wörter, die ihm zur Verfügung stehen, nach dieser Diskussion für die nächsten sechs Jahre verbraucht. „Was ist mit Silver? Der hätte die Tastatur auch nur anfassen müssen und wäre drinnen gewesen."
Die Blondine zeigt ihm den Vogel. „Silver. Ja, ganz genau, Peyton. Jetzt machst du dich aber wirklich lächerlich." Sie lacht freudlos und ironisch und von diesem Geräusch wird mir schlecht. Ich reibe mir über meine Arme.
„Was hat das überhaupt zu bedeuten?" Nach meiner Frage sind beide einen Moment still, als müssten sie für sich selbst erst einmal realisieren, dass Connor und ich auch noch existieren. Dann sehen sie sich plötzlich verschwörerisch an und ich runzele die Stirn. Dieses ganze Theater geht mir ja so auf den Geist - warum können sie nicht einfach mit den Tatsachen herausrücken?
„Einer von uns ist ein Verräter", erklärt Daleyza schließlich, als hätte sie ein Todesurteil gesprochen.
„Was? Wieso-" In dem Moment, als Connor nach dem Grund für diese absurde Behauptung fragen will, vibriert ein Handy und Peyton stürzt sich nahezu darauf, um zu sehen, was Violet geschrieben hat. Als er die Nachricht liest, die sie ihm hinterlassen hat, entfernt sich die Wut aus seinem Blick. Stattdessen wird dieser wieder genauso grimmig, wie sonst auch und ich weiß nicht, ob ich erleichtert sein oder mir Sorgen machen sollte.
„Sie ist drinnen."
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