"Warst du das?" | 37
Als Karla mir die Tür öffnet, stöhnt sie direkt und reibt sich über die Stirn. „Ich dachte, ich hätte wenigstens diese Woche Ruhe vor dir." Sie verdreht die Augen, aber ich kann sehen, wie sich ein kleines Grinsen anschleicht, als sie mich betrachtet.
„Dir auch einen schönen Nachmittag", erwidere ich. „Wenigstens hast du dich dieses Mal zurückgehalten, das war die netteste Begrüßung, die ich je von dir bekommen habe." Und das ist nicht mal komplett gelogen, denn entweder begrüßt sie mich gar nicht oder sie äußert ihren Unmut darüber, mich sehen zu müssen. Grinsend trete ich durch die geöffnete Tür in ihr Zimmer ein.
Etwa eine Sekunde nachdem die Tür mit einem lauten Knall zugefallen ist, erklärt sie mir ihre Grundprinzipien: „Ich hasse dich." Das sagt sie mit dem süffisantesten Grinsen, das ein Mensch aufsetzen kann, obwohl sie versucht, sich zurückzuhalten.
„Ich hab dich auch vermisst, Karla", erkläre ich ihr, während sie grinsend auf mich zukommt und mich umarmt. Nach ein paar Sekunden löse ich mich wieder von ihr und blicke ihr so ernst es mir möglich ist in die Augen. "Warst du das?", frage ich schließlich vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen.
Sie hebt ihre rechte Augenbraue in die Höhe, ich meine linke. "Was?", hakt sie kurz angebunden nach bevor sie sich verplappert und etwas beichtet, das ich gar nicht meinte. Das passiert in so vielen schlechten Filmen, die wir zusammen geguckt haben, dass wir uns sogar einen Schwur darüber geleistet haben: Bevor man antwortet, erst nachfragen.
Ich halte meinen Gesichtsausdruck ernst und sie versteht, dass ich nicht spaße. Das ist eine der vielen guten Eigenschaften von Karla - sie versteht, wann Schluss mit lustig ist. "Warst du diejenige, die ins Chemie-Labor eingebrochen und Unterlagen gestohlen hat?"
Sie schüttelt nicht den Kopf. "Nein", erklärt sie und das Wegbleiben ihrer Gestik bestätigt meine Vermutung. Sie war es nämlich wirklich nicht, das war irgendwie klar. Natürlich hatte ich meine Zweifel, aber bei Karla kann man sich sowieso niemals sicher sein.
"Habe ich auch nicht wirklich erwartet", grinse ich schulterzuckend, aber sie streicht sich nur ihre dicken, schwarzen Locken hinter ein Ohr und sieht unnachgiebig zu mir auf. Dabei tippt sie sich auf eine Art und Weise ans Kinn, die ihr die perfekte Mischung aus nachdenklich und sexy verleiht und mit der sie schon viele Frauen um den Finger gewickelt hat.
"Das wäre mir viel zu kompliziert. Haben die da nicht so ein ultra krasses Sicherheitssystem? Da würde ich mit meinen IT-Kenntnissen nie dran vorbeikommen. Wieso fragst du?" Der Moment vergeht und sie setzt sich auf ihr Bett. Ihr Zimmer ist genauso aufgebaut, wie meines: Zwei Betten, zwei Schränke mit Spiegel, zwei Schreibtische. Außerdem sehe ich durch die geöffnete Badezimmertür einen Schminktisch, überlege darüber, dass das eigentlich ziemlich sexistisch ist, aber nicht weiter.
"Weil ich neuerdings unsterblich bin und einer Gruppe von Superhelden beitreten musste, die sich um die Campus-Sicherheit kümmern", erwidere ich, so sarkastisch, dass sie mir fast schon wieder Glauben schenken könnte, aber es doch noch nicht ganz reicht, um wirklich überzeugend zu sein. Diese Freundschaft ist von beiden Seiten aus nicht gerade gut Kirschenessen, das merkt man eigentlich, wenn man auch nur ein einziges Gespräch von uns mitbekommt.
Sie schüttelt lachend den Kopf und zeigt mir den Vogel. "Ja, nein, ist klar, Superman. Soll ich den Wecker stellen, damit du aus deinem Traum aufwachst? Vielleicht kannst du dich dann ja gleich von dieser kanadischen Adeligen trennen. Wie heißt sie noch gleich?" Sie blickt übertrieben nachdenklich zur Seite und runzelt ihre Stirn.
"Daleyza", erwidere ich, was sie skeptisch eine Augenbraue in die Höhe ziehen lässt. Ich setze mich neben sie aufs Bett und füge dann noch an: "Und eigentlich sind wir gar nicht zusammen." Das überrascht sie jetzt wirklich, ihr Mund formt einfach ein perfektes O. Irgendwie würde ich jetzt gern ein Foto von ihr machen und das ihren Adoptiv-Kindern zeigen, wenn sie je Kinder haben sollte.
"Du meinst nicht mehr, oder? Hast du dich endlich getrennt? Hat klein Jasiah eingesehen, dass er auf Schwänze steht?" Sie verleiht ihrer Stimme beim letzten Satz dieselbe Tonlage, in der man mit Babys und Kleinkindern spricht und ich verziehe angeekelt das Gesicht. Abgesehen davon, dass ich vorher schon 'eingesehen' habe, dass ich auf Schwänze stehe, lasse ich nicht gern so mit mir reden, nicht einmal Karla darf das. Oder nur ganz selten.
"Ich weiß ja nicht, wie du das siehst, aber du solltest keine Kinder großziehen. Die wären durch die Bank weg verstört." Sie grinst mich an und ich grinse zurück, weil wir schon mal darüber überlegt haben, ob wir nicht zusammen kleine Kinder verstören sollten, indem wir lesbische Mommy, schwuler Daddy und komisches Kind spielen. Die lustigere Version von Mutter, Vater, Kind, in der die 'Eltern' sich nicht gerade darum kümmern, ihre Beziehung zu pflegen und einander lieber fremdgehen. Karla und ich würden richtig schöne Bälger erziehen, totale Ekelpakete. Und dann würden wir damit angeben, wie verzogen sie doch sind.
Doch schnell wird Karla wieder ernst und zieht mich zurück in die Realität. "Nein, aber ernsthaft, ich kann ja verstehen, dass du nicht jedem erzählst, dass du schwul bist. Ich hab mir auch nicht gleich am ersten Tag mein LESBIAN-PRIDE-T-Shirt angezogen. Aber dass du dir eine Alibi-Freundin gesucht hast, als wärst du wieder dreizehn, kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Ich mein', sie sieht echt gut aus, aber die ist doch gar nicht dein- Nein warte, sie ist doch gar kein Typ!"
"Und ab da wird es kompliziert", erkläre ich und wende den Blick von ihr ab, um ihn durch das Zimmer schweifen zu lassen. Wie auch bei uns liegt Wäsche auf dem Schreibtischstuhl, die wir haben waschen lassen - Mittwoch und Samstag sind Waschtage -, das Zimmer ist nicht mehr so einwandfrei aufgeräumt, wie am Anfang, aber trotzdem noch ordentlich.
"Erst ab da?", empört sich Karla. "Ich komme schon die ganze Zeit nicht mit, spätestens seit du behauptet hast, du wärst unsterblich." Ich lache und lege ihr einen Arm um die Schulter, um ihr zu zeigen, dass das nur ein Scherz war, auch wenn es eigentlich keiner war. Trotzdem tut es gut, es jemandem erzählt zu haben, der nicht eingeweiht ist, auch wenn die Person nicht weiß, dass ich das alles ernst meine.
"Sie hat sich als meine Freundin ausgegeben und ich hab' mitgemacht und jetzt bereue ich es", antworte ich auf ihre Frage, weshalb sie mich grinsend ansieht.
Die erste Frage, die ich ihr andersherum auch gestellt hätte, verlässt ihren Mund: "Hast du einen Kerl getroffen, oder was?" Das einen Kerl hätte ich in diesem Fall natürlich durch ein Mädchen ersetzt, das versteht sich von selbst, aber ansonsten hätte ich genau diese Frage auch als erstes gestellt. Daran merkt man, warum wir befreundet sind.
"So in etwa kann man das sagen." Aufgrund der Tatsache, dass ich so geheimnisvoll rede, runzelt sie die Stirn und hakt nochmal nach: "So in etwa? Was soll das heißen?"
Ich verziehe leicht das Gesicht und sehe sie an, als würde ich meine nächsten Worte jetzt schon bedauern. "Es ist noch ein bisschen komplizierter." Sie verdreht leicht angenervt die Augen, grinst aber in meine Richtung, als würde sie hoffen, dass ich die andere Geste nicht gesehen hätte.
"Spuckst du auch andere Wörter aus, als 'kompliziert' oder ist dein Wortschatz verschleppt und von Piraten auf einer Insel begraben worden?" Sie lacht über ihren eigenen Witz und ich bin ein Stück glücklicher. Der Klang ihres Lachens erweckt etwas in mir, von dem ich nicht wusste, dass es geschlafen hat.
"Ha-Ha. Ich lache mich wirklich tot", erwidere ich jedoch ironisch und verdrehe ebenfalls die Augen. Ich kann mir aber ein Grinsen verkneifen, weshalb sie empört die Arme verschränkt. Dann scheint ihr jedoch etwas einzufallen, denn sie grinst plötzlich verschmitzt.
"Siehst du, dann kannst du gleich beweisen, ob du wirklich unsterblich bist. Nein, aber ernsthaft. Stell' dir mal vor, du wärst ein Kaugummi-Automat, der-" Ich unterbreche sie mit einem leisen Murmeln, das eigentlich wie "Das möchte ich mir jetzt nicht vorstellen" klingen sollte, aber eher zu einem Nuscheln geworden ist. Sie verdreht, diesmal ernstlich genervt von der Unterbrechung, die Augen, fährt jedoch fort: "Stell dir vor, du wärst ein Kaugummi-Automat, der immer nur die gleiche Sorte parat hat. Das ist genau das Gleiche, als würdest du ständig kompliziert sagen: Nervig und anstrengend und kraftraubend und einfach nur ätzend!"
Bevor sie sich weiter aufregen kann, erkläre ich meine vorherigen Andeutungen: "Mein Mitbewohner macht mich vollkommen wahnsinnig." Verzweifelt verziehe ich das Gesicht.
"Er bringt dich also richtig auf Touren, ja?" Sie wackelt auffällig und ein wenig - sehr - übertrieben mit ihren Augenbrauen. Ich überlege, was ich darauf erwidern kann, ohne gleich alles zu verraten.
Schließlich entscheide ich mich für die einfachste Methode: "Ungefähr so wie Abby dich." Abby ist Karlas Flamme; die beiden sind nicht so richtig zusammen, haben aber öfter mal Sex. Und der soll laut Karla auch noch richtig gut sein. Entweder sagt sie das, weil ich sie beneiden soll oder weil er tatsächlich gut ist. Ich würde auf eine Mischung aus beidem tippen.
"Wow, dann muss er ja richtig gut sein", grinst sie und starrt verträumt, wahrscheinlich in Gedanken an Abby, an die weiße Decke. Ich lache über ihre Reaktion und klopfe ihr leicht auf die Schulter, als Zeichen, dass ich für sie da bin, oder sowas.
"Das ist er mit Sicherheit auch", erkläre ich nachdenklich nickend. Es ist ziemlich schwer, mich selbst davon abzuhalten, schmutzige Gedanken an Connor zu bekommen, wenn Karla der Meinung ist, unbedingt über ihn reden zu müssen. Aber ich kann mich erstaunlicherweise ganz gut zurückhalten.
"Wie jetzt, du weißt es nicht? Hattet ihr etwa noch keinen Sex?" Erstaunt sieht sie mich wieder an, ihre Stimme ist ein wenig lauter geworden. Damit sie sich wieder beruhigt, platziere ich meine Hand, die ich nicht um sie gelegt habe, auf ihrem Knie.
"Warum klingst du empört darüber?" Mein Lachen ist so heftig, dass es mir die Tränen in die Augen treibt, aber sie antwortet ganz ernst: "Weil ich dich kenne, Jasiah, und weiß, dass du es keine ganze Woche ohne Sex aushalten kannst." Sie reißt die Augen auf und das Sprichwort Übertreibung verdeutlicht kommt mir sofort in den Sinn. Denn ganz so ist das jetzt nun auch nicht.
"Hast du Sonntag denn schon was vor?", frage ich statt ihre Aussage abzustreiten, woraufhin sie ein "Sehr witzig" erwidert und die Augen verdreht. Ich lasse jedoch nicht locker, denn ich wäre ja wohl nicht ich, wenn ich mich geschlagen geben würde. "Ich hätte ab vierzehn Uhr Zeit, ungefähr." Einen Blick werfe ich auf die nicht vorhandene Uhr - die habe ich heute Morgen auf meinem Nachttisch vergessen -, um nochmal abzuchecken, ob ich recht mit meiner Aussage habe.
"Leck mich doch", sagt sie dann, aber ich weiß nicht ganz genau, ob sie das jetzt sagt, weil sie komplett genervt ist - wenn das der Fall ist, kann es passieren, dass sie mir heute noch eine scheuert - oder ob sie einfach auf das Thema eingeht. Ich vermute zwar sehr stark ersteres, aber das hält mich natürlich nicht vom Sticheln ab.
"Erotisch oder säubernd? Aber jetzt ernsthaft, das in Zusammenhang mit unserem aktuellen Gesprächsthema zu erwähnen, gehört nicht zu deinen besten Ideen." Ich lache, aber sie sagt einfach nur: "Da hast du recht."
Einen kurzen Moment herrscht Schweigen. Dann will ich wissen: "Warum interessiert dich das mit Daleyza überhaupt?" Sie zuckt als Antwort nur mit den Schultern, aber ich habe das Gefühl, sie würde noch mehr sagen wollen.
"Keine Ahnung", meint sie dann wirklich. "Hat dir denn schon mal jemand gesagt, dass das eine echt blöde Idee war?" Wie aus der Pistole geschossen erhält sie meine Antwort: "Ja." Neugierig starrt sie mich an. "Wer?"
"Meine Schwester." Ich zucke mit den Schultern, sehe Karla aber nicht an. Eigentlich hat Azzurra nicht gesagt, dass das eine blöde Idee war, aber ich habe es in ihrem Blick gesehen. "Diese Langweilerin", meint Karla in übertrieben abgehobenem Ton.
"Hey!", rufe ich verärgert aus und ziehe meine Augenbrauen zusammen. Sofort hebt Karla verteidigend ihre Hände an. "Ist doch so! Sie ist wohl kaum so cool, wie ich." In einer kaum mit einem Adjektiv beschreibbaren Geste wirft sie ihre Haare nach hinten und wir müssen beide anfangen, zu lachen.
"Das ist doch sowieso niemand."
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Das Kapitel ist ein bisschen länger geworden, als geplant ^^' Ich hoffe, die Zeit reicht trotzdem aus :)
Und, was haltet ihr so von Karla? Sympathisch, zu direkt, irgendwie komisch, gut für Jasiah, nicht gut für ihn?
Wir haben jetzt schon mehr als die Hälfte der Lesenacht durch *-* Vielen Dank für eure Support <3
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