Kräftemessen | 28
Nicolas' Augen sind starr auf die Tür seines Arbeitszimmers gerichtet. Seit er vor etwas mehr als zwanzig Jahren seinen Job im Labor aufgegeben hat - eine gute Entscheidung, auch wenn er das damals nicht so gesehen hat -, lebt er über der Bibliothek. Das liegt einerseits daran, dass früher, als noch mehr Lehrer hier waren, ein paar von ihnen in seiner jetzigen Wohnung lebten, und andererseits kennt er den Direktor.
Es ist jetzt zwanzig vor sechs. Das Ticken der Uhr über der Tür ist so laut, dass es sogar das Rauschen in seinen Ohren übertönt. Er weiß nicht einmal, wann er das letzte Mal geblinzelt hat, denn er kann sich nur darauf konzentrieren, nicht zusammenzubrechen. Schließlich ist es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alles nach Plan läuft.
Seine Liebste befindet sich momentan in seinem Schlafzimmer, sodass sie ihnen vorerst nicht begegnet. Es wäre zu riskant, sie jetzt schon darüber aufzuklären. Dieses Risiko kann und wird Nicolas nicht eingehen - nicht, wenn es um seine Zukunft mit seiner Geliebten geht.
Fünfzehn Minuten vor der abgemachten Zeit verkündet das Anspringen eines Bildschirmes neben seiner Teetasse auf dem Schreibtisch, dass der Fahrstuhl in das Stockwerk unter ihm ‚gerufen' wurde. Er seufzt. Ihm war klar, dass Daleyza die Erste sein würde. Sie betritt den Fahrstuhl und Nicolas sendet die Nachricht, die Martha dazu bringt, die Bibliothek abzuschließen. Okay. Nur ein einzelnes Wort, aber sie versteht. Das muss sie.
Der Fahrstuhl öffnet sich mit einem sanften Ping. Dieses hört Nicolas sogar durch die dicke Holzverkleidung der Tür. Er nickt in die Richtung der Regalreihen und Silver weiß, was zu tun ist. Sie alle wissen es.
Dass Daleyza die Erste war, ist ihre Prüfung. Und der nächste lässt auch nicht lange auf sich warten, denn als die Tür zu Nicolas Arbeitszimmer geöffnet wird, Daleyza eintritt und Silver sich hinter ihrem Rücken zum Fahrstuhl schleicht, springt die Kamera wieder an.
Obwohl Nicolas nicht erwartet hätte, dass er der Nächste ist, hält er seine Gesichtszüge gefasst. Er lächelt - natürlich - nicht, aber Daleyza weiß trotzdem, dass sie näher kommen soll. Nicolas faltet seine Hände ineinander und starrt sie einfach nur an. Sie hält seinem Blick stand, als gäbe es nichts Leichteres und er nickt zufrieden.
Der junge Mann versucht, die Tür des Fahrstuhls zu öffnen, aber durch eine einzelne Berührung hat Silver dafür gesorgt, dass das nicht ohne den Aufwand von sehr viel Kraft möglich ist. Natürlich schafft er es trotzdem, dieses Hindernis zu überwinden - wenn nicht, hätte Nicolas ihn streichen können. Und sein Gedächtnis löschen müssen, also ist er doch schon ganz froh darüber, dass er es geschafft hat.
Silver betritt den Raum, sieht Daleyza aber nicht an. Sie dagegen starrt in die Richtung der langhaarigen Gestalt, die Sil darbietet, als würde sie sie kennen, aber nicht wissen, woher. Nicolas runzelt die Stirn und steht von seinem Sessel auf.
Das Geräusch des Fahrstuhls erklingt erneut und Silver nutzt die Gelegenheit, um in den Schatten der Regalreihen zu verschwinden. Ein dunkelhäutiger Mann betritt hinter Daleyza die Tür und sie sehen sich ein paar Sekunden überrascht an. Natürlich haben sie nicht erwartet, dass sie sich hier treffen würden - wie auch?
Der Bildschirm zeigt an, dass seine Geliebte in genau diesem Moment den Fahrstuhl verlässt und einige Sekunden später wieder betritt. Kurz lässt er sich von ihrer Schönheit ablenken, dann sieht er Daleyza und Peyton an.
Ein weiteres Mal signalisiert der Fahrstuhl das Ankommen von Menschen. Als sich die Tür öffnet, starren sich insgesamt fünf Leute irritiert in die Augen - und Nicolas' Plan ist vollkommen aufgegangen.
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