Grinsekater und die Theorien | 35
Nach einer kurzen Zeit des Schweigens sind Geräusche hinter uns zu vernehmen, aber ich habe keine Lust, mich umzudrehen. Wenn jemand der Meinung ist, mich ins Wasser schubsen zu müssen, obwohl mein Smartphone sich in meiner Hosentasche befindet, wird nicht nur sein oder ihr Tag, sondern auch mein eigener gelaufen sein.
Als eine Person ihre Stimme erhebt, drehe ich mich jedoch trotzdem um, nur, um zu erfahren, wer unsere Gespräche stört. "Hey, was macht ihr denn hier? Die Halle ist morgens eigentlich abgesperrt!", ruft uns ein junger Mann, vielleicht Student, vielleicht schon Professor, sicher bin ich nicht, zu. Seinen Kopf ziert eine schwarze Kappe mit dunkelblauen Streifen, die seine Haare unter Verschluss hält, während auf ihr eine kleine Schwimmbrille zu erkennen ist.
"Nun, eigentlich ist nicht gerade das Äquivalent zu einhundert Prozent oder sicher. Ich glaube, Wahrscheinlichkeiten hat man in der achten Klasse, willst du nochmal dorthin zurück?", frage ich grinsend, als ich das Logo der Universität auf seiner eng anliegenden Schwimmhose erkannt und eingesehen habe, dass es sich bei diesem äußerst ... muskulösen Kerl um einen Studenten handelt. Einen Professor hätte ich natürlich niemals so bloßgestellt, auf so eine Idee käme ich gar nicht. Sowieso ist mir schleierhaft, warum sich mein Wortschatz so rapide vermehrt hat. Da pfuscht Daleyza einmal an meinen Synapsen herum und schon habe ich ein verdammtes Wörterbuch in meinem Kopf, als wäre ich ein Müllschlucker und hätte es aus Versehen verschluckt.
Das soll nicht heißen, dass ich vorher nicht auch gute Sprüche auf Lager hatte. Und es bedeutet auch nicht, dass ich vorher praktisch dumm war, auch wenn ich es immer wieder schaffe, es so darzustellen. Ich bin jetzt vielleicht kein Isaac Newton oder so, der aus einem Apfel irgendwelche physikalischen Formeln zieht, seine Frisur aber nicht richten kann - sorry Isaac, aber gab es bei euch keinen Frisör? -, aber ich denke, dass es mir an Allgemeinwissen nicht mangelt.
Nun gut, zurück zu dem Schwimmer-Typen. Dieser glotzt mich nämlich an, als sei ich entweder der heißeste Kerl, den er je gesehen hat - ich muss ihm Connor vorstellen, er wird seine Meinung ändern - oder geistig nicht ganz auf der Höhe. Ich kann seinen Blick einfach nicht ganz zuordnen. Vielleicht hat er ja auch überhaupt nicht verstanden, was ich ihm da gerade an den Kopf geschmissen habe, denn ich selbst habe auch nur höchstens zwei Drittel davon verstanden.
Aber schnell realisiere ich, dass er gar nicht mich, sondern Violet anstarrt. Ersteres wäre okay, damit könnte ich umgehen, und dass er Violet anstarrt, ist jetzt auch nicht das Problem, aber wohin er ihr starrt, weckt in mir das Bedürfnis, ihn unter Wasser zu tunken und nie wieder hochkommen zu lassen. Wobei die eine Gehirnzelle, die ihm nach den ganzen Frauen, die ihn schon verprügelt haben müssen, noch übrig bleibt, eh schnell klein beigeben wird, also kann er kaum noch dümmer werden. Es tut mir leid, aber Typen, die Frauen auf die Brüste starren, als gäbe es dort etwas umsonst zu kaufen, und das noch nicht einmal verstecken, sind für mich auf meiner Hassliste ganz dicht hinter homophoben Menschen. Okay, eigentlich gelten sie dann schon fast als Sexisten und die sind auf der gleichen Stufe mit den anderen Mistkerlen.
Ich schnipse einmal und seine Aufmerksamkeit liegt wieder auf mir. Bevor einer von uns jedoch etwas hätte sagen können - oder Violet, wahlweise auch Peyton, Mister Spanner in der Luft hätte zerbrechen können -, kommt ein Teamkollege von Genanntem in die Halle und klopft ihm freundschaftlich auf die Schultern.
"Mann, Dex, lass' die armen Menschen doch zu dritt ihren Spaß haben." Der dunkelblonde, etwas kleinere Kerl zwinkert uns zu und die Uhr schlägt viertel nach sieben. "Wir haben jetzt 'ne halbe Stunde Training und dann kriegst du deine geliebte Nahrung, Alter. Kein Grund, aggressiv zu sein." Seine Euphorie und das strahlende Lächeln hätten mich irgendwie beeindruckt, wenn er nicht behauptet hätte, Peyton, Violet und ich würden sowas wie einen platonischen Dreier haben. So an sich habe ich ja nichts gegen polygame Beziehungen - oder ebensolche sexuelle Erfahrungen -, aber mit diesen beiden? Das ist, als würde ich meinen besten Freund oder meine beste Freundin vögeln (oder besser gesagt beide zusammen).
Wobei platonisch dann ja wieder ohne sexuellen Kontakt heißt. Das würde ich auch nicht aushalten können. Außerdem ist zu bedenken, dass ich - egal, wie klischeehaft das jetzt auch sein mag - gar keinen besten (da wäre mir doch fast festen herausgerutscht, was für eine Ironie) Freund, sondern nur eine beste und angeblich auch eine feste Freundin habe. Und diese beste Freundin steht nicht auf das Geschlecht, mit dem ich mich identifiziere, blöd gelaufen, Grinsebacke. Na ja, stimmt, er scheint mich ja eher mit Peyton und Violet verkuppeln zu wollen, also würde das für ihn wahrscheinlich kein Problem darstellen.
Um mich nicht weiter mit dem Grinsekater beschäftigen zu müssen, ziehe ich meine Füße aus dem Wasser, nehme mir meine Schuhe und stehe auf, was die anderen beiden mir mit ein wenig Verzögerung nachmachen. Als sie neben mir stehen, fällt mir auf, wie groß Peyton eigentlich ist; gerade mal ein paar Zentimeter kleiner als ich. Violet ist dagegen relativ klein, aber sie ist in jedem Fall für eine Frau groß. Sie hat ihren Arm von meiner Schulter genommen, weil sie nicht mehr ordnungsgemäß herankommt, aber sie sieht kurz zu mir auf und lächelt mich an.
Natürlich ist mir klar, dass sie sich selbst wehren kann, sollte etwas passieren oder jemand sie blöd anmachen, aber Peyton und ich haben sie - wahrscheinlich aus einem testosteron-gesteuerten Beschützerinstinkt heraus - in unsere Mitte gestellt. Sie ist keineswegs schwach und ich will sie auch nicht unterdrücken, aber auf Männer, die Frauen anschmachten, wirken andere, größere Männer leider bedrohlicher als die Frauen, die sie anschmachten. Auch, wenn Violet mich wahrscheinlich mit einem Schnipsen in meine Einzelteile zerlegen könnte und diesen Idioten sowieso.
"Wir hatten gerade vor, zu gehen, verzeih' uns die Störung, Dex." Ich lächele so gemein, wie ich noch nie gelächelt habe. Als ihnen alle Gesichtszüge entgleisen, spüre ich, wie ich vor Ekel mir selbst gegenüber den Würgereiz unterdrücken muss. Ich frage mich, ob der Kerl einen Spiegel hat, der noch nicht von seiner eigenen Kotze bedeckt ist oder ob man sich mit der Zeit an den Ekel, den man im Spiegel erblickt, wenn man sich ansieht, gewöhnt.
Dex scheint mir jedoch wieder nicht zuzuhören. Seine Augen liegen erneut auf Violets Busen, der nun, da sie steht, besser zur Geltung kommt. Sie verdreht die Augen. "Ich hoffe, Nicolas nimmt es uns nicht übel, wenn wir ein bisschen aufräumen", murmelt sie und ich grinse, um sie in ihrem Vorhaben zu bestärken. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Peyton ermutigend nickt.
Langsamen Schrittes geht Violet zu dem Vollspasten hin, der sehr nah am Beckenrand steht. Ohne weitere Umschweife tippt sie ihn mit einem gekrümmten Finger an - sie hätte ihn auch nicht berühren müssen, aber wir sollten uns ja unauffällig verhalten, deshalb muss sie ihn wohl oder übel anfassen - und beginnt zu lächeln, als er nur anhand dessen ins Straucheln gerät und mit einem lauten Klatschen im Wasser aufschlägt. In der Zwischenzeit haben Peyton und ich schon zu ihr aufgeholt und so laufen wir alle gemeinsam zu Dex' Teamkollegen. Da gibt es nämlich noch eine Sache zu regeln.
"Hey", zieht Violet die sowieso schon auf ihr liegende Aufmerksamkeit der jungen Männer auf sich. Diese besitzen Anstand und sehen ihr, Peyton oder mir in die Augen. "Was wisst ihr über den Studenten, der in dieses Chemie-Labor eingebrochen sein soll?", fragt sie, die Augenbrauen in die Höhe ziehend.
"Das war richtig krass", erwidert einer. "Der soll ein Schloss geknackt haben, so mit Zahlencodes und sowas."-"Melissa hat mir erzählt, Jimmy hätte das getan, um in Chemie bei der nächsten Prüfung nicht durchzufallen", erzählt ein anderer. "Nein, das war zu hundert Prozent Owen, Mann. Der ist so ein Technik-Genie, hat aber keine Ahnung von Chemie", erwidert ein weiterer. "Ich sage immer noch, dass es Melissa selbst war, jetzt aber die Schuld auf Jimmy schiebt", behauptet einer. "Und woher willst du das wissen? Du kennst weder Jimmy noch Melissa!", erklärt der erste. "Leute, es war Owen, ich sag's euch." Und so mutieren Schwimmer ganz schnell zu Enten.
"Wer sind Melissa, Jimmy und Owen?", erhebe ich meine Stimme, als es mir zu bunt wird, da jeder so gut wie jeden verdächtigt, die Schwimmer sich sogar gegenseitig. Da das zu nichts führt, muss man sie eben unterbrechen.
Dex streift an uns vorbei, vollkommen durchnässt, und hält seinen Blick gesenkt. Verdient, Mistkerl. "Melissa brennt", sagt dann einer und bekommt einen Schlag auf den Hinterkopf von einem Anderen. Bevor der Erste jedoch berichtigt werden kann, fange ich an, ironisch zu lachen.
"Also wenn Melissa brennt, heißt euer Jimmy bestimmt Carter und war unser neununddreißigster Präsident. Nein, Jungs, wirklich, verarschen können wir uns auch selber. So, jetzt nochmal ernsthaft: Wie heißen die richtig?" Meine Nerven liegen offensichtlich völlig blank von dem Geschnatter der Schwimmer-Enten, aber ich denke nicht, dass man mir das verübeln kann.
"Der Kerl kann ihren Namen einfach nicht aussprechen. Sie heißt Melissa Berend, mit zwei e und einem d am Ende." Der Freund von Dex lächelt uns an, aber diesmal ist das Lächeln anders als vorher. Irgendwie netter. "Jimmy heißt nicht Carter, sondern Yorkville und Owen heißt Dever. Ich hoffe, wir konnten euch irgendwie helfen mit unseren wilden Theorien. Das Thema war eben schon in der Kabine ein Diskussionsherd." Während er gesprochen hat, herrschte absolute Ruhe und ich glaube, dass er der Kapitän ist, denn vor ihm scheinen die anderen Respekt zu haben.
Peyton nickt, genau wie ich und Violet lächelt leicht. "Ja, vielen Dank. Das hilft uns sehr." Dex kriegt von jedem von uns noch einen bösen Blick und dann verschwinden wir, da das Frühstück bald anfängt. „Schreibt das einer von euch auf?", fragt Violet und sieht uns auffordernd an. Schweigend holt Peyton einen kleinen Notizblock und einen Stift aus seiner Hosentasche und ich bin überrascht darüber, dass er zwar schweigsam ist, aber eindeutig mitzudenken scheint.
„Beim Frühstück - bleiben wir da zusammen oder teilen wir uns auf?", will ich an Violet gewandt wissen, da sie ja unsere Anführerin ist. Komisch, normalerweise würde es mir schwerfallen, Befehle oder etwas in diese Richtung von jemandem anzunehmen, aber bei Violet füge ich mich sehr gerne. Sie strahlt die Gewaltigkeit ihrer Führungsqualitäten förmlich aus.
„Wir bleiben zusammen", erwidert sie fast sofort. „Ihr müsst mich ruhigstellen; nächstes Mal haben wir es vielleicht mit einem Exhibitionisten zu tun. Der würde von mir sehr viel mehr kriegen als ein Bad in lauwarmem Wasser."
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Bei der Recherche für dieses Kapitel habe ich einfach herausgefunden, dass das Wort 'Grinsekatze' von der Cheshire Cat aus Alice's Adventures in Wonderland abgeleitet wurde. Das finde ich gerade sehr amüsant xD
Wem ist Violet auch so sympathisch? Was haltet ihr inzwischen so von dem stillen Peyton? Was vermutet ihr, ist seine Geschichte?
Wir lesen uns bald <3
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