Der beige Ordner | 48
Dieses wunderbare Cover ist übeigens von Milablub :D Und ja, ich kann es auch nicht glauben, aber TIP hat nach gut fünfzig Kapiteln auch ein Cover ^^'
Na ja, genug Gerede, das könnt ihr euch ja auch unten noch antun.
Viel Spaß <3
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Begleitet von einem viel zu lauten Knall kollidiert mein Kopf mit der Holztür hinter mir. Er ist so weit in den Nacken gelegt, dass er nach einer Zeit in dieser Position brechen würde, wenn ich ihn bewege. Noch ein bisschen weiter und ich bin mir sicher, mein Genick würde noch ein letztes Knacken von sich geben, bevor schließlich alles vorbei ist. Allzu tragisch wäre das ja scheinbar nicht - für jemanden, der unsterblich ist, zumindest nicht. Es fühlt sich so absurd an, das auch nur zu denken, dass ich am liebsten losgelacht hätte, auch wenn nichts an dieser Situation lustig ist.
Denn wie man vielleicht weiß, bin ich nicht alleine in Nicolas' Arbeitszimmer - meiner Zelle -, sondern habe einen Zellengenossen. Zwar versuche ich es zu vermeiden, zu Connor zu sehen, aber manchmal kann ich mich einfach nicht beherrschen und muss zu ihm herüber starren. Er zieht mich mit allem an ihm einfach an. Als würde er erwarten, dass ich ihm diese Blicke zuwerfe. Damit sollte klar sein: Es ist nicht meine Schuld, dass meine Augen hin und wieder - oder immer öfter - an ihm hängen bleiben, sondern sein.
Wir haben unsere Barrikaden inzwischen fallen lassen; Kriegsfeinde, die zu Verbündeten wurden oder zumindest in eine Vernunfts-Koalition gesteckt wurden. Nun ja, wir verstecken uns wenigstens nicht hinter Mauern und lauern darauf, den anderen zu erschießen, auch wenn Connor das seinem Blick nach zu urteilen ziemlich gern tun würde.
Das Bild, das sich also ergibt, muss von außen ziemlich lächerlich aussehen - oder so, als hätten wir uns zusammen bekifft. Wir sitzen uns gegenüber, ich an der Tür, Connor am Schreibtisch. Unsere Reviergrenze ist ungefähr auf der Höhe des zweiten Regals von ihm aus, da er hinter dem Schreibtisch noch Platz hat. Aber da unser Krieg im Endeffekt aus einem mehrdimensionalen epischen Blickduell besteht, kann Connor ja nicht einfach hinter dem Schreibtisch sitzen - diesen Rückzug würde er nicht in Kauf nehmen.
Wenn sich von Zeit zu Zeit unsere Blicke treffen, vergesse ich wieder, wie müde ich eigentlich bin und dass ich das die ganze Zeit in den Hintergrund dränge, weil die Gefahr besteht, dass Connor mir doch etwas tut, oder so. Natürlich ist es unrealistisch, aber meistens überwiegt in einem Kampf von Angst gegen Vernunft die Angst. Eine Art stummes Abkommen verhindert, dass wir reden und unsere Augen allzu oft in die gleiche Richtung schauen. Denn der Krieg ist kraftraubend und es sind zu viele unschuldige Soldaten - die verstreichenden Sekunden, die das Ticken der riesigen Uhr über meinem Kopf jedes Mal für tot erklärt - draufgegangen und wenn wir weiter so tun, als wäre der andere nicht wirklich existent oder wenn überhaupt ein Hologramm, können wir das zwar nicht verhindern, aber wenigstens ein kleines Bisschen weniger schmerzhaft machen.
Es gibt nichts Nervenaufreibenderes, als mit Connor auf engstem Raum eingesperrt zu sein, der ihn zwingen sollte, mit mir zu reden, und dass er es dann nicht einmal tut. Das ist die Erkenntnis, die ich aus der Zeit - dreiundvierzig Minuten - gezogen habe, in der wir kaum ein Wort gewechselt haben. Langsam, vielleicht um ihn nicht zu verschrecken, hebe ich meine Hand. Er beobachtet die Bewegung genau, die Augen glänzend von der hereinscheinenden - und von einem Teil der Hauswand abgefangenen - Sonne, womit er aussieht wie ein bengalischer Tiger auf der Suche nach Beute. Und Connor besitzt mindestens genauso viel Anmut wie die Großkatze, das lässt sich nicht abstreiten.
Als ich mir über die Nase fahre, erwarte ich, dass er seinen Blick wieder abwendet, so, wie er es immer getan hat, als die Zeit vergangen ist. Aber dieses Mal ruht sein Blick deutlich länger auf mir - man könnte schon behaupten so lange, wie in den letzten Tagen zusammen. Seine Augen sind wachsam, seine Muskeln angespannt. Entweder er ringt mit sich, was er tun soll - Angriff oder Flucht - oder er bereitet sich darauf vor, dass ich derjenige bin, der zuerst zuschlägt. Vielleicht ja auch beides, sicher kann ich mir nicht sein.
Es ist sowieso unklar, was in dem Kopf eines anderen Individuums vor sich geht; man kann immer nur auf die Stirn schauen. Wenn man nun nicht gerade von intimsten Erinnerungen erfährt, wenn man Leute berührt oder anderen Menschen einfach Informationen aus ihren hinterletzten Gehirnwindungen stibitzen kann - also einfach ein ganz normaler Mensch ist -, sollte dem zumindest so sein.
Was ich damit sagen wollte: Ich kenne Connors Intention nicht. Weder, was er zu tun beabsichtigt noch was er tut, bis er es wirklich tut. Ich muss es mit meinen eigenen Augen sehen, sonst kann ich es nicht einordnen. Und in den meisten Fällen werde ich davon überrascht, was er tut. Das liegt in der Natur des Menschen; wir überraschen. Nicht so, wie es ein bengalischer Tiger nach seinem lautlosen Anpirschen zu einem Büffel und dem darauffolgenden Sprung auf seine Beute tut, aber schon so ähnlich. Wir malen einfach nicht so große Kreise um unsere Überraschungen; wir arten nicht aus. Und in den meisten Fällen töten wir auch nicht. Aber 'in den meisten Fällen' schließt nicht alles aus.
Ich senke meine Hand wieder.
Connor hat sich ein wenig aufgerichtet und starrt mich immer noch an. Vielleicht will er ja etwas sagen, also hebe ich meine Augenbraue, um ihn dazu aufzufordern, das doch bitte auch zu tun. Aber er zuckt nur vollkommen verstört zusammen. Er bleibt still, aber ich erwarte auch nichts anderes. Es raschelt, als er sich wieder gemütlicher hinsetzt. So sieht jemand aus, der in den nächsten Stunden nicht vorhat, sich irgendwie vom Fleck zu rühren, nicht einmal, wenn ihm sämtliche Gliedmaßen einschlafen.
Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich in den ersten Minuten immer wieder nach vorn gebeugt und den Kopf nach hinten oben gedreht. Um zu schauen, wie viel Zeit vergeht. Und anfangs habe ich auch noch um die tapferen Soldaten getrauert, aber mit der Zeit ist mir auch das zu langweilig geworden.
Connor sieht mich immer noch an und ich kann den Blick nicht abwenden. Seine Pupillen sind groß, riesig. Wie eine große Murmel im Deckel einer Flasche. Sie sprengen fast den Rahmen, zumindest sieht es so aus.
Ich konzentriere mich auf so ein winziges, unbedeutendes Detail, weil ich sonst auf das große Ganze eingehen müsste. Das will ich nicht. Ich will eigentlich nie wieder darüber nachdenken, wenn ich ehrlich bin. Und ich soll ja ehrlich sein. Aber einige Dinge lassen sich nicht vermeiden und zu diesen Dingen gehört nun mal, dem Mitbewohner über den Weg zu laufen.
Die Sonne geht langsam unter und es wird dunkler im Raum. Unerwarteterweise steht Connor auf und streckt sich ein wenig, meinen Blick erwidert er jetzt längst nicht mehr. Er geht zum Fenster und dreht mir den Rücken zu; wenn ich ihn jetzt wirklich würde angreifen wollen, wäre das die beste Gelegenheit. Eine bessere kommt nicht.
Aber ich bleibe sitzen, die Ruhe selbst. Weil sie von mir Besitz ergriffen hat, wie ein rachsüchtiger Dämon von der Seele eines Menschen Besitz ergreifen würde. So oder so ähnlich stelle ich es mir zumindest vor. In den meisten Fällen ist es unklar, welches aus dem Gemisch an Gefühlen, das mein Gehirn dominiert, das prägendste ist. Manchmal weiß ich auch gar nicht, welche Gefühle überhaupt bei dem Chaos in meinem Kopf dabei sind. Unter Mitwirkende würden die meisten wahrscheinlich nicht einmal eine halbe Sekunde gezeigt werden, da sie auch im realen Leben so schnell von ihrem Thron der Macht über meine Handlungen gestoßen werden.
Connor dreht sich um, als wäre ihm auch endlich aufgefallen, was für ein einfaches Ziel sein ungeschützter Rücken wäre. Aber statt mich anzusehen, blickt er gebannt auf den Schreibtisch vor seiner Nase, hinter dem alles unterhalb seines Beckens versteckt ist. Um seinen gesamten Körper - Jedes. Einzelne. Detail. - betrachten zu können, müsste er also entweder vorkommen oder ich zu ihm nach hinten gehen. Aber da beides in nächster Zeit nicht passieren wird, muss ich mich mit dem abgeben, was ich jetzt habe. Und, verdammt, wie ich das tue.
Erst als ich das Geräusch, das schließlich den Raum erfüllt, mit dem Schaben von Holz auf Holz identifiziere, wird mir klar, dass Connor gerade eine der Schubladen geöffnet hat. Ich reiße die Augen auf. Als ich dann auch noch sehe, wie Connor Ordner aus einer der Schubladen nimmt, scheinen mir meine Sehorgane förmlich aus ihren Verankerungen zu springen.
"Das sind Nicolas' Akten. Ich bin mir nicht sicher, ob wir da 'ran dürfen, Connor." Die ersten Worte seit gut einer Stunde. Ich unterdrücke den Gedanken schnell und konzentriere mich wieder auf das Hier und Jetzt. Dafür stehe ich aber nicht auf, um ihn aufzuhalten. Vielleicht, weil ich nicht in sein Revier eindringen will oder weil ich eigentlich auch bereit bin, zu erfahren, was Nicolas vor uns versteckt. Wäre es da nicht äußerst unvorteilhaft, ihn aufzuhalten?
"Die Bezeichnung des Ordners ist 'THE IMMORTALITY PROJECT'", murmelt Connor und sieht mich an, als würde er ganz genau wissen, dass er mich provoziert. Und das weiß er mit Sicherheit auch. Am liebsten hätte ich ihm zwar die Akten aus der Hand gerissen und selbst ein wenig herumgeschnüffelt, aber das zeige ich ihm nicht.
"Die Akten haben nichts mit uns zu tun, Connor, bitte leg' sie wieder weg." Statt auf mich zu hören, schlägt er den beigen Ordner auf und macht große Augen. So sehr ich auch versuche, mich dagegen zu wehren, ich kann nicht anders, als neugierig zu sein.
"Und warum steht dann da dein Name?"
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Ich erzähle euch mal eine Geschichte: Cliffhanger haben mich so lange bedroht, bis sie in mein Buch gesprungen sind, um euch quälen zu können. Ehm, Ende ^^
Okay, was haben wir denn heute in Petto?
Was zur Hölle ist mit Connor los, dass er einfach so an Nicolas' Akten geht -_-? Er ist einfach gefühlt kriminell geworden :') (für seine Verhältnisse). Sie werden so schnell erwachsen :')
Habe ich schon einmal erwähnt, dass ich es liebe, euch zu quälen? =)
Und jetzt noch die Abschlussfrage: Warum steht denn da Jasiahs Name?
Habt einen schönen Abend <3
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