Das 'Daleyza-Problem' | 11
Auf halbem Weg zum Speisesaal kommt uns Daleyza entgegen, bei ihr ein dunkelhäutiges Mädchen, das seine langen dunkelbraunen Haare in diesem Moment über seine Schulter nach hinten wirft, als seien sie lästige Fliegen. Nun, so wirklich entgegen kommen die beiden uns nicht, sondern von rechts, wahrscheinlich aus dem Gebäude für Sprachwissenschaften.
Das Erste, was Daleyzas rechte Hand tut, ist mich an Stellen zu begrabschen, die mir doch ein wenig zu privat sind, um sie zu erwähnen - und ich habe andere meiner Körperteile erwähnt, die der Großteil der Bevölkerung als privat einstufen würde, also soll das schon was heißen.
Während ich gestern vielleicht vollkommen damit einverstanden gewesen wäre, werfe ich Connor einen flüchtigen Blick zu, der betreten wegsieht, und zwinge mir schließlich ein überzeugendes Lächeln auf. „Hey", flüstere ich ihr zu und beuge mich ein wenig zu ihr herunter. Eigentlich will ich einfach nur mit Connor verschwinden und herausfinden, was so sinnliche Lippen mit mir anstellen könnten, aber da meine 'Freundin' jetzt aufgetaucht ist, bleibt mir diese Möglichkeit verwehrt.
„Hey." Sie grinst und zeigt mir ihre definitiv gebleichten Zähne. Das Mädchen, ihr Mitbringsel, mustert Connor interessiert, dann schweift ihr Blick zu mir. Ich verstehe nicht ganz, warum, aber ihr scheinen die Augen aus dem Kopf zu fallen. Als so attraktiv hätte ich mich definitiv nicht eingeschätzt - nun, zumindest nicht so, dass ich Leute durch meine Schönheit erblinden lassen könnte -, aber auch heute ist ein weiterer Tag, an dem ich sogar außerhalb des Unterrichtes etwas lerne. Wobei das innerhalb dieses ja nun nicht wirklich der Fall ist.
„Kommst du dann?", fragt Connor und ich kann zum ersten Mal erleben, wie er tatsächlich genervt ist - und ich kann ihn verdammt gut provozieren, das habe ich spätestens gestern Abend bemerkt. Es muss ihn richtig verärgern, dass so ein heißer Kerl, wie ich es bin, an jemanden wie Daleyza vergeben ist. Das hört sich zwar an, als wäre sie der letzte Müll - oder homophob oder so, aber das ist so ziemlich das Gleiche -, dabei meine ich mit an jemanden wie Daleyza eigentlich, dass sie nicht im Besitz von jeglichen Y-Chromosomen ist. Wir können ja tauschen: Daleyza ist single, Connor und ich ein Paar. So einfach ist das aber leider nicht, sonst hätte ich jetzt einen Freund statt einer Freundin.
Ich grinse ihn nur an. „Ungeduldig?", stichele ich und er verdreht die Augen. Als er sich auf den Weg zum Speisesaal machen will, ziehe ich ihn, wie er mich vor ein paar Minuten, zu mir zurück und lege ihm freundschaftlich einen Arm um die Schultern. Dann blicke ich Daleyza an und weise mit meiner freien Hand auf ihre Freundin, immer noch grinsend. „Stell du mir deine Freundin vor und ich erzähle dir, wer das hier ist." Mit diesen Worten klopfe ich Connor auf seinen rechten Brustmuskel - vielleicht zur Verdeutlichung meiner Worte, oder, was sehr viel wahrscheinlicher ist, um zu prüfen, ob er tatsächlich so hart ist, wie er aussieht. Ich werde nicht enttäuscht.
„Das ist Violet. Meine Mitbewohnerin." Jetzt ist Daleyzas Stimme ätzend. Mir wird schlagartig bewusst, dass sie denkt, ich würde diese Violet mit meinen Blicken ausziehen, obwohl ich sie nur mustere und ehrlich gesagt viel lieber den Kerl in meinen Armen ausziehen würde - und damit meine ich nicht nur in meinen Gedanken.
Ich muss zwei Dinge dringend unter Kontrolle bringen: Meine versauten Gedankengänge, was ich alles mit Connor anstellen könnte - wahlweise auch er mit mir, aber das bezweifele ich momentan noch - und andererseits auch noch Daleyzas Eifersuchts-Anfälle. Als würde ich alles vögeln, das nicht bei drei auf dem Baum ist! Nun, okay. Das kommentiere ich jetzt am besten nicht weiter, sonst kommt wieder das Erstgenannte zustande. Oder ich würde mich nur in meinem Vortrag verhaspeln und alles noch schlimmer machen.
„Das ist Connor", sage ich also stattdessen monoton, fast wie sie vorher. „Mein Mitbewohner." Genannter dreht seinen Kopf leicht in Richtung des grasbewachsenen Bodens und scheint darüber nachzudenken, ob er es komisch finden soll, dass ich seinen Namen auf diese Art und Weise ausspreche. Oder darüber, ob er es komisch finden soll, dass ich seinen Namen nicht stöhne, das kann ich nicht ganz sagen. So gut sind meine telepathischen Fähigkeiten dann doch nicht.
Violet streicht sich ein weiteres Mal Haare aus ihrem Gesicht und blickt mich dann aus schokoladenbraunen Augen an. Plötzlich fällt mir wieder ein, dass ich in naher Zukunft ernährt werde und eine Art euphorisches Hoch durchfährt meinen Körper. Ich könnte jetzt tatsächlich vom Dach der Bibliothek springen, nur durch ein Gummiseil von meinem endgültigen Tod getrennt.
Als das Adrenalin - wo immer das gerade herkam - aus meinen Blutbahnen entwichen ist, durchfährt mich ein einschneidender Schauer, der sogar auf Connors Körper übergreift. Dafür ernte ich zwei hochgezogene Augenbrauen, aber nicht einmal einen Kommentar von seiner Seite. Ich kann einen enttäuschten Schmollmund nicht davon abhalten, meine Lippen genau wie meine Laune herunterzuziehen, als hingen Gewichte an ihnen. Wenn er mich jetzt küssen würde, wäre alles wieder gut, aber wie gesagt: Connor ist zu brav, um sich an einen vergebenen Kerl heranzumachen. Einerseits finde ich das niedlich, andererseits ist es genau jetzt sehr deprimierend. Und ich habe Seamus gesehen, da liegt die Messlatte sehr hoch.
„Gehen wir dann jetzt?", fragt dieses Mal Daleyza, als nach ein paar Minuten des Schweigens immer noch niemand etwas gesagt hat. Connor und ich nicken synchron, während Violet stillschweigend losläuft, ohne darauf zu achten, ob wir ihr folgen, oder nicht. Ich habe keine Ahnung, warum, aber irgendwie ist sie mir unsympathisch. Es könnte natürlich daran liegen, dass sie Connor angeschmachtet hat, aber das werde ich bis zu meinem allerletzten Tag abstreiten.
Im Gänsemarsch - na ja, so gut das mit meinem Arm, der sich immer noch auf Connors Schulter befindet, eben geht - folgen wie ihr. Irgendwie habe ich das Gefühl, ich gehöre neuerdings zur Rasse der Schoßhunde und wurde von der Spezies Mensch degradiert. Wobei ich wahrscheinlich eher eine Schoßente bin. Oder eine Schoßgans? Dass ich goldene Eier lege, wie in diesem Märchen beschrieben, ist mir zwar noch nicht untergekommen, aber ich trage ja auch die Bezeichnung Schoßgans und nicht goldene Gans. Also sehen wir es positiv, vielleicht bekomme ich eine Beförderung. Ich würde aber auch nicht den ganzen Tag mit dem Eierlegen und -ausbrüten beschäftigt sein wollen, denn das Kinderkriegen gehört in den nächsten Jahren - und eigentlich meinem gesamten Leben - nicht zu meinem Plan.
Dabei sollten diese Gene eindeutig vererbt werden. Wenn Connor und ich Kinder kriegen könnten, dann würden Menschen von ihrer Schönheit tatsächlich erblinden können - also ist es vielleicht doch besser, das zu lassen. Ob das mit Daleyza und mir so gut funktionieren würde, bezweifele ich - ob sie eine gute Mutter wäre zwar nicht, aber meine Rolle in dieser ganzen Sache muss ich definitiv nochmal überdenken. Denn ich sehe mich einfach nicht als Vater. Meine Kinder hätten gewaltige Minderwertigkeitskomplexe und wären fast so verzogen, wie ich es bin - selbst wenn ich nicht vorhabe, sie so zu verwöhnen, wie es mir in meiner Kindheit zuteilgeworden ist. Um mich herum sind die besten Beispiele zu finden, was infolge einer verwöhnten Kindheit passieren kann, da passe ich dann lieber.
Connor und ich bilden das Schlusslicht unserer kleinen Gruppe, weshalb ich erst spät bemerke, dass ein großgewachsener Kerl - fast so groß wie ich - zu Violet an die Spitze getreten ist und leise mit ihr redet. Vielleicht ihr Zuhälter oder ihr Freund oder etwas in der Art. Ist ja eigentlich auch egal.
Okay, das ist ja mal was ganz Neues. Ich habe gerade tatsächlich die Chance verspielt, einen wirklich, wirklich heißen Kerl anzuflirten. Connor niest leise - was für ein niedliches Geräusch! - und ich verstehe mich urplötzlich: Ich brauche das gar nicht mehr. Wenn Connor denn jetzt wirklich voll und ganz zu mir gehören würde, so wie Daleyza es ja angeblich tut, könnte ich tatsächlich von mir behaupten, glücklich zu sein.
„Gesundheit", lächele ich und Connors Nasenspitze färbt sich augenblicklich rot, ehe er seinen Blick abwendet. Verdammt, was ist nur mit mir los? Ich werde den heutigen Tag doch nicht überleben, wenn das so weiter geht!
„Danke", murmelt er kaum verständlich zurück und löst sich traurigerweise aus meinen Armen, als wir die Tür zum Speisesaal durchqueren. Zu fünft suchen wir uns einen Sechsertisch, an dem Connor und ich sitzen bleiben, damit die anderen sich etwas zu essen holen können. Ob es wirklich eine gute Idee ist, mich mit ihm alleine zu lassen, bezweifele ich, aber selbst mir sind es zu viele neugierige Zuschauer, um Connor gleich hier auf dem Tisch-
„Ihr könnt dann gehen." Ein Bariton unterbricht meinen Gedankengang und automatisch stehe ich auf. Dann blicke ich den jungen Mann, dessen hellbraune Haut - ein wenig dunkler als meine eigene - über haufenweise Muskeln spannt, an. Und ich dachte, Connor wäre athletisch, aber bei ihm ist es lange nicht so übertrieben, wie bei dem Typen vor mir. Während Violet mir direkt unsympathisch war, bewirkt ihr Freund eher ein gegenteiliges Gefühl: Ich mag ihn.
Da ich nicht weiß, warum das so ist, strecke ich ihm die Hand entgegen, die er erstaunlich schnell ergreift, als hätte er erwartet, dass das kommen würde. „Jasiah Blackrose", stelle ich mich vor und er lächelt mich an. Sein Händedruck ist sehr viel fester als Connors, welcher sich gerade an meine Schulter klammert, als hätte er Angst vor Mr Muskelprotz.
„Peyton Roy. Freut mich, dich kennenzulernen, Jasiah." Ich erwidere sein Lächeln, während Connor mit großen Augen hinter meinem Körper hervorlugt.
Er bringt ein einfaches, aber erstickt klingendes „Hi" hervor und zieht mich dann hinter sich her zum Buffet. Also entweder hat er Angst vor Peyton, oder er ist überwältigt von diesen ganzen Muskeln. Aber wie betrachtet er sich dann im Spiegel? Ist er ein Vampir, dass er kein Spiegelbild hat? Oder ist es nur ein Gerücht, dass Vampire kein Spiegelbild haben? Das gilt es momentan noch herauszufinden, aber da ich derzeit nicht in der Lage bin, einen Vampir aufzutreiben, wandern diese Forschungen auf meiner Prioritätenliste direkt weiter nach unten.
„Was war das denn?", frage ich, in der Hoffnung, dass Peyton Connor jetzt nicht scharf gemacht hat. Dann stehen meine Chancen bei ihm nämlich noch schlechter und das könnte ich nicht verkraften.
Connor schüttelt statt einer Antwort einfach nur den Kopf und nimmt sich einen Teller, ehe er mir ebenfalls einen reicht. Dann erwidert er jedoch vollkommen unvermittelt: „Ich will nicht sehen, was er erlebt hat."
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Und? Meinung? Kritik? Was denkt ihr, meint Connor damit? Lasst mich spannende Theorien hören :D
Einen schönen Tag!
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