Aufregung | 20
„Das ist doch sicher nur die Einladung zu diesem Willkommens-Ball. Wir sind Premium-Gäste, weil wir einfach toll sind", habe ich versucht, Connor zu erklären, aber dieser hat nur mit dem Kopf geschüttelt.
„Nein, ich glaube nicht, dass jemand, der eine Einladung verschickt, so lange darüber nachdenkt, ob er es tun soll, oder nicht", hat er erwidert und seine Augenbrauen auf eine sehr attraktive Weise verzogen. Allgemein, ist mir dabei dann aufgefallen, beschreibt das Adjektiv attraktiv so ziemlich alles, was Connor tut und was ihn ausmacht. Das hat mich dann so lange erschüttert, dass ich ihm geschlagene zwanzig Sekunden nicht antworten konnte.
„Vielleicht hat der Absender - oder die Absenderin - einfach überlegt, ob wir nicht doch zu cool dafür sind." Ich habe mit den Schultern gezuckt und ein gleichgültiges Gesicht aufgesetzt. Dann ist mir etwas eingefallen: „Warum diskutieren wir überhaupt darüber? Du hast den Brief angefasst und einen Zwiespalt gesehen - eine schwerwiegende Entscheidung, eine Kreuzung auf dem Weg eines Menschen. Und ich sage, dass das nur eine simple Einladung ist. Können wir die Briefe nicht einfach öffnen und es herausfinden?" Und damit waren unsere Diskussion dann zu Ende und Connor und ich zufrieden.
Nachdem ich ihn also davon überzeugen konnte, schnappe ich mir jetzt grinsend das leichte Papier des Umschlags und fahre einmal fast bewundernd über die Druckstellen, an denen man erkennt, wo der Verfasser des Briefes meinen Namen geschrieben hat. Die Einkerbungen sind nicht tief, also hat man keinen besonders starken Druck ausgeübt. Aber da ich darauf jetzt nicht aus bin - und Verhaltenswissenschaftler noch nicht auf meiner Berufswunschliste steht -, öffne ich vorsichtig den Umschlag. Connor tut es mir im selben Moment gleich, das kann ich durch Schielen, welches sich anfühlt, als würde ich meinen Augapfel in die Richtung meines Mus-Gehirns befördern wollen, herausfinden.
Eine Zeit lang ist nur das Rascheln des Papiers zu hören, weil Connor und ich beide mit dem Lesen beschäftigt sind. Irgendwie irritiert mich das Geschriebene, denn es ist Welten von dem entfernt, was ich erwartet habe. Andererseits ist es an und für sich stimmig, wenn man von den gegebenen Informationen ausgeht: Es widerspricht sich nicht - wie auch, wenn es nur so ein kurzer Text ist - und gibt klare Anweisungen, was zu tun und zu lassen ist.
„Habe ich es nicht gesagt?", fragt Connor dann nach ein paar Sekunden des Schweigens rhetorisch. Sein Lächeln ist gewinnend, aber trotzdem so schön, dass ich einen kurzen Moment einen Stich in meinem Herzen fühle. „Es geht nicht um den Schulball." Inzwischen bedaure ich, dass ich Connor nach seiner Erklärung von seiner Kraft hab auf seine Seite des Zimmers wechseln lassen. So gern hätte ich jetzt nämlich seine Hand gehalten.
„Ja, du hattest recht. Aber es ist trotzdem eine Einladung", versuche ich, mich herauszureden. Sein Lachen geht mir bis ins Mark und ein wohliger Schauer überkommt mich. Unwillkürlich muss ich bei diesem faszinierenden Geräusch lächeln.
„Wenn man das als Einladung bezeichnen kann, dann hattest du zum Teil wahrscheinlich auch recht. Aber ich würde es eher als eine Art Aufforderung sehen. Da steht ja noch nicht einmal bitte oder sowas." Connor hat recht: Den Verfasser scheint unsere Zeiteinteilung herzlich wenig zu interessieren - Hauptsache, wir sind zur gewünschten Zeit, am richtigen Ort und halten uns an seinen Plan.
„Denkst du, dass wir die Einzigen sind, die das bekommen haben?", frage ich irgendwann, als wir ein paar Minuten vom Schweigen eingehüllt verbracht haben. Mittlerweile ist die Sonne untergegangen und so sitzen wir in fast völliger Dunkelheit. Lediglich die Straßenlaternen, die die Wege zum oberen Hof beleuchten, spenden ein wenig Licht, das jedoch kaum ausreicht, um seine eigene Hand vor Augen zu sehen. Ein weiterer Grund auf der immer länger werdenden Liste, warum Connor jetzt auf meinem und nicht auf seinem eigenen Bett sitzen sollte.
„Nein, das denke ich nicht. Es gibt sicher noch andere. Aber genau das ist es, was es morgen herauszufinden gilt." Er lächelt mich aufmunternd an und wenn ich stehen würde, wären meine Knie weich geworden. So muss ich mich in diesem Moment davon abhalten, theatralisch aufzuseufzen.
Willst du nicht lieber in meinem Bett schlafen?, hätte ich ihn am liebsten gefragt, aber das kann ich nicht bringen, nachdem ich ihn vorhin abgewimmelt habe. Nun, ich könnte, aber ob das mit meinem Gewissen vereinbar wäre, ist ein anderes Paar Schuhe.
„Du hast recht", antworte ich und muss ein wenig gähnen. „Wir werden es herausfinden." Auch ich lächele ihn an, aber er erwidert es nicht. Einen Moment lang frage ich mich, ob er vielleicht im Sitzen und mit offenen Augen eingeschlafen ist, aber dann blinzelt er konzentriert.
„Das Pulsieren", beginnt er. „Es hat wieder angefangen." Ich runzele die Stirn. Eigentlich habe ich an nichts Besonderes gedacht. Nur daran, wie es wäre, mit ihm intim zu werd- Ich verstehe. Wenn sich meine Theorie bestätigt, bin ich sehr gearscht - vor allem, wenn es dann ans Erklären geht wann genau ich pulsiere.
Ich räuspere mich und mein Gesicht wird heiß. Also warm, im Sinne von 'die Temperatur meines Gesichts ist der Meinung, einfach mal rapide steigen zu müssen, weil mein Gehirn haufenweise über das Blut transportierten Sauerstoff zu sich holt', nicht dieses heiß. Wer will mit mir wetten, dass ich gerade rot werde? Das ist die einzige - oder zumindest fast die einzige - Wette, die ich verlieren wollen würde. Abgesehen davon, dass das Rotwerden meiner Meinung nach nicht zu meinem Teint passt, ist mir das unangenehmerweise sehr peinlich, wodurch noch mehr Blut in mein Gesicht fließt. Was dann natürlich zur Folge hat, dass Connor nicht die einzige Erdbeere in diesem Zimmer ist.
„Du sagtest, dass ich quasi ein flugunfähiger Vogel bin, oder?", hake ich nach, damit ich meine Theorie bestätigen kann - was ich einerseits zwar möchte, um herauszufinden, was hinter dem Pulsieren steckt, andererseits jedoch lieber vermeiden würde, wenn das die Auflösung der ganzen Sache ist.
„Na ja, eigentlich hatte ich da mehr an einen in Ketten gelegten Engel gedacht, aber um die Metapher kann man sich streiten." Er zuckt mit den Schultern, sein Gesicht nun ebenfalls gerötet - und das liegt leider nicht an der erotischen Stimmung, die gerade nicht in unserem Zimmer herrscht.
„Es bedeutet aber, dass ich nicht ausleben kann, wer ich sein will, oder?" Ich glaube, so muss sich ein Wissenschaftler fühlen, wenn er kurz davor ist, das Heilmittel für eine Krankheit zu finden, die schon Millionen von Menschen das Leben gekostet hat. Oder ein Journalist, der etwas ähnlich Unglaubliches erreicht hat, oder eben dabei ist, zu erreichen.
„Ja, so habe ich es zumindest interpretiert. Schwingungen sind immer unterschiedlich und führen auf die verrücktesten Dinge zurück. Sie geben nur undeutliche Zeichen, die ich erst lernen musste, zu verstehen. Es ist komplizierter, als es sich wahrscheinlich anhört; ich weiß nicht einfach so, wer jemand ist. Außerdem heißt es, dass ich eine Szene aus der Vergangenheit einer Person sehen kann, nicht automatisch, dass ich direkt verstehe, was dort vor sich gegangen ist, oder dass ich es mir selbst erklären kann. Es bedeutet nicht, dass ich direkt nachvollziehen kann, warum es eine prägende Erinnerung ist, warum es den Menschen zu dem gemacht hat, was er ist. Alles ist undeutlich und ändert sich manchmal innerhalb von Sekunden." Connor wendet den Blick ab und wieder bin ich der Meinung, dass er an das denken muss, was er in meinem Kopf gefunden hat.
Wenn es jetzt also genau das bedeutet - dass ich nicht sein kann, wer ich sein will - ergäbe es schon Sinn, dass ich ausgerechnet dann pulsiere, wenn ich ... Fantasien mit Connor habe. Ich will ausleben können, dass ich schwul bin - eben weil ich es ja bin, oder wenigstens zu 95 Prozent -, muss mich aber mit heimlichen Fantasien zufriedengeben. Eigentlich klingt das sehr plausibel und je mehr Puzzleteile ich zum großen Ganzen hinzufüge, desto überzeugter bin ich von meiner Theorie.
Am liebsten hätte ich den Fortschritt jetzt mit Connor geteilt, aber allein beim Gedanken daran, mit ihm darüber zu reden, wie ich über ihn denke, treibt mir wieder die Röte ins Gesicht. Es ist nicht so, dass es mir peinlich ist, darüber Scherze zu machen, aber das ist ein wirklich ernstes Thema, deshalb würde ich das gern, so weit es geht, vermeiden.
Statt also weiter darüber zu philosophieren, stehe ich auf und ernte dafür verwirrte Blicke von Connor. Als ich dann aber beginne, mich fast stripperhaft auszuziehen, kann ich den Ah-Moment in seinem Gesicht sehen - genau wie eine weitere Ladung Blut, die ihn rosig erscheinen lässt. Betreten sieht er weg, aber ich lache nur. Ich bemerke, dass das Lachen ein wenig rauer ist, als es eigentlich wäre und stelle es schnell wieder ein.
Dafür grinse ich ihn an, als er seinen Blick vorsichtig wieder anhebt und unsere Augen aufeinander treffen. „Hatten wir das nicht schon durch?" Dass er eigentlich nur höflich ist - vor allem, da ich ihn erst heute zurückgewiesen habe -, lasse ich außer Acht, denn es ist mir wichtig, jede Gelegenheit zu nutzen, ihm die Röte ins Gesicht zu treiben.
„Ja, schon aber-" Er kratzt sich am Nacken und ich muss wieder lachen. Dann bringe ich meine schmutzigen Sachen ins Bad - zweimal die Woche kommt jemand und wäscht unsere Wäsche -, ehe ich mich auf meinem Bett ausstrecke.
Dann nehme ich das Papier ein weiteres Mal zur Hand und lese die Zeilen, die mit schwarzer Farbe und in einer ordentlichen Handschrift - der gleichen, wie auf dem Umschlag - zu Papier gebracht wurden.
Jasiah,
steht in dem Brief geschrieben,
komm Morgen um achtzehn Uhr in den dritten Stock der Bibliothek. Du wirst erwartet, bring aber dieses Schreiben mit, zur Sicherheit, weil die Bibliothek früher geschlossen wird. Man wird dann wissen, dass du zu mir gehörst. Außerdem lege ich Wert auf absolute Diskretion. Verhalte dich weiterhin unauffällig.
Nicolas
----
Ob ich es absichtlich spannend gemacht habe? Ja.
Gut, ich probiere jetzt einfach aus, wie das bei euch ankommt, deshalb habe ich mal wieder ein paar Fragen:
Erstens würde ich gern wissen, ob ihr feste Update-Tage haben wollt, oder ob es okay für euch ist, wenn ich einfach 'frei nach Schnauze' update.
Dann interessieren mich natürlich eure Theorien; denkt ihr, Jasiah hat mit seiner Vermutung recht, oder hat das Pulsieren doch einen anderen Grund? Gibt es wirklich mehr als Jasiah und Connor oder will Nicolas nur sie beide sprechen? Wenn es mehr gibt: Wen habt ihr da in Petto? Nicolas sagte, dass er 'ihnen' erzählen will, wer sie sind. Was denkt ihr, meint er damit?
Nun gut, ich glaube, dass waren genug Fragen :3
Einen schönen Tag/Morgen/Abend euch allen <3
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro