Alles geht den Bach 'runter | 40
Der Flug war unangenehm, vor allem deswegen, weil ich nicht schlafen konnte. Wir sind wie ganz normale Leute - die wir ja offensichtlich nicht nur aufgrund der Gehaltsklasse unserer Eltern eben nicht sind - in der Economy Class geflogen, was an und für sich ja gar kein Problem ist und hauptsächlich daran liegt, dass es bei diesem Flugzeug gar keine First Class gab. Aber diese verdammten Kinder, deren Eltern schon gewöhnt sind während des lauten Geschreis seelenruhig schlafen zu können, sind schon ein ziemliches Problem. Wenn das nicht gegen sämtliche Gesetze und meine Grundprinzipien verstoßen hätte, wären wir jetzt mindestens fünf Kinder los. Aber nein, stattdessen muss ich mich damit abgeben.
Oder eher musste, denn in dem Jeep, in dem wir jetzt schon seit mehr als zwei Stunden sitzen, gibt es glücklicherweise keine Kinder. Nur schlafende Heranwachsende, Nicolas und Alondra - na ja und mich. Da ich mich nicht zu den schlafenden Personen zähle, ist wahrscheinlich klar, dass meine Augen geöffnet sind, wodurch es mir möglich ist, die endlos karge Landschaft zu betrachten, die an uns vorbeirauscht. Ich wusste gar nicht, dass Oregon so öde sein kann.
„Burns ist nur noch ein paar Minuten entfernt", erklärt Nicolas in diesem Moment. Seine Stimme ist ein wenig gedämpft vom Motoren-Lärm und weil er leise spricht, um die Anderen nicht aufzuwecken. Wie die bei dem Geschaukel des Fahrzeuges überhaupt schlafen können, ist mir schleierhaft, aber ich denke nicht weiter darüber nach, sondern konzentriere mich eher darauf, Connors Gesichtszüge zu studieren. Im Schlaf sind sie weich und entspannt, auch wenn sie das - außer mir gegenüber neuerdings - auch so sind. Aber irgendwie lässt ihn der Schlaf noch sanfter wirken, irgendwie ruhig, als könnte ihn nichts aus der Fassung bringen.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als Nicolas das Auto vor einem Einfamilien-Haus anhält. Erstaunt blicke ich aus dem Fenster des Wagens, da ich mit einem Hotel oder wenigstens einem Motel gerechnet hätte, aber ein Haus? Das schießt über meinen Erwartungshorizont hinaus. Nicolas steigt aus dem Jeep und sagt etwas zu Alondra, das ich nicht verstehe. Sie dreht sich zu mir um und zeigt auf die Anderen. „Wir sollen sie wecken, hat er gesagt", übersetzt sie leise und ich nicke.
Zuerst drücke ich sanft Daleyzas Schulter, die neben mir sitzt und sie kommt noch ein wenig neben der Spur aus dem Reich der Träume zurück. Als sie halbwegs wach ist, habe ich mich schon abgeschnallt und Silver, der sich auf meiner anderen Seite befindet, ebenfalls geweckt. Alondra hat währenddessen die hinteren Türen geöffnet und Daleyza aussteigen lassen, die sich als erstes ausgiebig streckt und die Mittagssonne in ihr Gesicht scheinen lässt.
Da Silver mir hilft und es übernimmt, Connor zu wecken, kann ich mich an seine Bitte halten, auch wenn es mir zuwider ist, dass jemand anderes ihn anfasst. Aber das kriege ich ganz schnell wieder unter Kontrolle, indem ich mich mit dem Aufwecken von Peyton und Violet ablenke. „Aufwachen, ihr Schlafmützen! Es gibt bald was zu essen", erkläre ich, als sie nach dem Schulterrütteln nicht aufstehen wollen. Peyton brummt, öffnet die Augen und steigt dann ohne etwas zu sagen aus dem Jeep.
Da Silver Connor schon aufgeweckt bekommen hat, befinden die beiden sich auch schon im Freien, wodurch Violet und ich allein im Wagen sind. „Ich war mal verlobt", erklärt sie mir ein wenig müde und streckt sich provisorisch auf dem schmalen Sitz. „Er ist vor ein paar Monaten gestorben. Bei einem Unfall. Tragische Geschichte. Ich mag Peyton, weißt du? Er ist lieb und fürsorglich. Aber er ist nicht der Richtige für mich. Der Richtige ist bereits tot. Keine Ahnung, wieso ich dir das erzähle. Vielleicht, weil ich will, dass du dich glücklich schätzt mit dem, was du hast. Sei glücklich, Jasiah. Lebe ein bisschen." Nach diesen Worten verlässt auch Violet das Fahrzeug.
Als ich in die Sonne Oregons trete, die meine Haut direkt erwärmt, werde ich zuerst geblendet, sodass ich erst spät die Frau erkenne, die neben Nicolas steht. Ihre Haare sind kurzgeschoren, auf ihrem Kopf thront eine Militärkappe, aber ihre Gesichtszüge sind interessanterweise weicher, als man das von einer Frau beim Militär erwarten würde. „Das ist Colonel Yuna Harriett." Nicolas weist auf die Frau mit den braunen Augen an seiner Seite. „Die Person, die ich euch vorstellen wollte."
Kurz betrachtet jeder den Fremdkörper der Gruppe, dann entspannt sich die Stimmung ein wenig und einige von uns lächeln sie vorsichtig an. „Guten Mittag", sagt die Frau und nickt uns der Reihe nach zu. Sie steht ein bisschen steif und zu grade da, aber ansonsten wirkt sie ziemlich normal. Ich meine, sie ist sehr muskulös, aber nicht überdurchschnittlich groß oder klein oder anderweitig auffällig. Wenn sie mir in normaler Kleidung und nicht dieser kurzen Camouflage-Hose und dem hellgrünen T-Shirt auf der Straße begegnet wäre, hätte ich schon sehr genau hinsehen und mich vielleicht sogar mit ihr unterhalten müssen, um herauszufinden, dass sie beim Militär ist.
„Wir werden jetzt etwas essen und dann fahren wir weiter zu dem Lager. Nehmt euch aus dem Haus jeder unbedingt eine Flasche Wasser mit - es kann sehr heiß werden", weist Nicolas an und wir folgen ihm brav und geordnet ins Haus, das komischerweise aufgeschlossen ist. Als wir um den Jeep herumgebogen sind, sehe ich einen weiteren Geländewagen unter einem Carport stehen und mir schießt der Gedanke in den Kopf, dass es sich bei diesem Haus vielleicht um das von Colonel Harriett handeln könnte.
Die Inneneinrichtung ist spärlich gehalten, aber wirkt trotzdem gemütlich. Wahrscheinlich macht die Abwesenheit von zu viel Dekoration es gerade so angenehm anzuschauen - ansonsten wäre das Auge ja vielleicht überfordert. Wir werden direkt in ein verhältnismäßig großes Esszimmer geführt, wo schon Töpfe auf dem Tisch stehen, aus denen Qualm empor steigt. Erst als ich das Essen sehe, fällt mir auf, wie hungrig ich eigentlich bin - und wie sehr ich es vermisst habe, gemütlich beisammen sitzen und in Ruhe essen zu können.
Es gibt Chili con Carne und da es ja so faszinierend ist, wenn ich Spanisch rede, wurde ich ungefähr um drei Wiederholungen gebeten, als ich gesagt habe, dass ich dieses Essen sehr mag. Als ich dann erklärt habe, dass das eigentlich texanischen Ursprungs ist, wurde ich nur blöd angesehen und habe einfach angefangen, zu essen.
Und jetzt, da wir wieder in dem Jeep auf dem Weg zum Lager sitzen und Stille sich unter den Anwesenden ausgebreitet hat, kann ich nicht einmal mehr den angeregten Gesprächen der Anderen lauschen. Stattdessen drehe ich meinen Kopf ein wenig nach rechts und sehe aus dem Fenster an der hinteren Tür, wo ich den Geländewagen von dem Colonel ausmachen kann.
Das Lager ist ungefähr eine halbe Stunde von Burns entfernt, obwohl es nur ein paar Meilen sind. Aber dass die Fahrt dorthin so lange dauert, ist verständlich: Es gibt keine betonierten Straßen, nur verstaubte Wüstenwege. Jetzt verstehe ich, warum es ausgerechnet ein Jeep sein musste. Aber wenigstens hat Nicolas sich für ein Modell entschieden, bei dem ich mir nicht jedes Mal den Kopf stoße, wenn sich mal ein Huckel in der Fahrbahn auftut.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die wir meiner Meinung nach vollkommen planlos durch die Wüste fahren, kommen wir an einem Tor an, an dem zwei bewaffnete Männer stehen, die hinter ihren Sonnenbrillen einen richtig ernsten Blick aufgesetzt haben müssen. Ich schlucke hart, obwohl ich weiß, dass wir eingeladen sein müssen.
Kurz redet Nicolas mit einem der beiden und schon bald darauf erhalten wir das Zeichen, dass wir das Tor passieren dürfen. Hinter diesem tut sich noch mehr Wüstenfläche auf, aber hier und dort sehe ich Zelte, dessen weiße Farbe die Sonne reflektiert und mich blendet. Nicolas fährt den Wagen auf eines der größten Zelte zu und bleibt davor stehen, ehe er aussteigt und uns die Tür öffnet.
Der Reihe nach steigen wir aus und folgen Nicolas ein weiteres Mal an diesem Tag blind. Er führt uns in das Zelt und als ich einen Blick über die Schulter zurückwerfe - ich bin der letzte in unserer schicken Reihe -, sehe ich, wie Colonel Harriett gerade aus ihrem Wagen steigt und uns nachläuft.
In dem Zelt, das wie eine Art Hauptquartier wirkt, befinden sich ein paar Leute, hauptsächlich Männer, die sich geschäftig um einen Tisch in der Mitte tummeln. Alle tragen ähnliche Kleidung wie Nicolas' Freundin, aber ich sehe auch einige vollkommen Verrückte, die in dieser Hitze, die trotz des schützenden Zelts durch sämtliche Poren hereinkriecht, schwarze Kleidung tragen. Niemand scheint sich auch nur im Mindesten für uns zu interessieren.
Erst als der Colonel hereintritt, liegt die Aufmerksamkeit auf unserer Gruppe aus Neuankömmlingen. Wir werden mit finsteren Blicken angesehen, als seien wir hier nicht willkommen. Vor allem Nicolas wirkt wie der Staatsfeind Nummer eins, wir Anderen scheinen nur am Rand ihres Blickfeldes zu existieren. „Behandelt unsere Gäste mit Respekt", hebt der Colonel an und blickt einmal warnend in die Runde.
„Peyton, du, Silver und Alondra bleibt hier. Die Anderen müssen mit Colonel Harriett in ein anderes Zelt. Ich bin gleich für euch da", sagt Nicolas, den letzten Satz an Connor, Daleyza, Violet und mich gewandt, den Rest nur an Peyton, da scheinbar alles mit Alondra und Silver abgesprochen ist. Ein wenig aus der Fassung gebracht folgen wir dem Colonel zu viert über die weiträumige Fläche des Lagers, als plötzlich ein Schuss ertönt.
Ich spüre das Zischen der vorbeifliegenden Kugel, kann mich jedoch nicht bewegen oder umsehen, um zu schauen, wer auf uns geschossen hat, da ich hinter mir ein Keuchen höre. Connor, schießt es mir in den Kopf und plötzlich fühle ich mich, wie in Beton gegossen, obwohl eine Menge Adrenalin durch meinen Körper strömt. Ich kann mich einfach nicht bewegen.
Millisekunden später drehe ich mich jedoch um, nur, um Daleyza zu entdecken, deren Oberschenkel stark blutet und nur noch wie der Schatten seiner selbst wirkt. Schlagartig wird mir bewusst, dass der Schuss in den Oberschenkel eine der tödlichsten Schussverletzungen darstellt. Ich kann Daleyza also zwar vom Fallen abhalten, aber nicht davon, endgültig aus diesem Leben zu treten.
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Letztes Kapitel für heute :D
Und, wie hat euch die Lesenacht so gefallen? Lasst mir gerne ein Feedback da ^^ (Auch wenn ihr vielleicht zu spät seid xD)
Tja, Daleyza ist tot, würde ich sagen. Problem gelöst :D Oder?
Okay, okay, wenn ihr es euch unbedingt wünscht, kann ich schon morgen das nächste Kapitel hochladen xD Aber nur, wenn ihr euch das ausdrücklich wünscht HAHAH (Nein, Spaß, es kommt wahrscheinlich so oder so ^^')
Einen schönen Abend <3
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