Im Auge der Schlange
Zu meinen Füßen wandte sich der schmale, geschmeidige Körper. Ihre aalglatte, trockene Haut berührte meine Fessel, während sie zischend auf mich einredete - Ihr Haupt warf einen flackernden Schatten im Schein der Fackeln an die blanken Steinwände des Kerkers.
Sie fanden mich, krochen aus ihren Verstecken im Unterholz und den Mauern hervor, um mir zu folgen. Sie gehorchten mir bedingungslos und ich schätzte dafür ihre Gesellschaft.
„Wann wirst du es tun, Herr?" säuselte die Schlange.
„Bald. Und nun verschwinde." lautete mein ungerührter Befehl. Ich fühlte mich nicht in der Stimmung für lange Gespräche oder Fragen.
Mein Blick folgte der Kreuzotter, als sie sich in schnellen, schlängelnden Bewegungen entfernte und Zuflucht in einer der vielen Ritzen und Rillen im Bauwerk suchte. Einige meiner Hausgenossen hoben erschrocken die Beine und wichen ihr aus. Ein kaltes Lachen ergoss sich über meine Lippen. Sie waren so schwach, gaben sich kampflos ihren Ängsten hin. Die meisten Slytherins fürchteten sich vor meinen reptilischen Freunden und meiner seltenen Fähigkeit, mit ihnen zu kommunizieren. Doch sie wussten es besser, als sich mir in den Weg zu stellen. Trotz ihres Unwohlseins hatte kein Einziger von ihnen jemals gewagt, sich mir zu widersetzen.
Ich streckte mich zufrieden auf der kalten Ledercouch aus und starrte zur steinernen Decke empor. Alte Runen zierten das Gewölbe und immer kehrte ein Symbol wieder; die Schlange. Das Zeichen Slytherins. Wie ironisch, dass sich meine Hausgenossen von ihrem eigenen Wappentier in Furcht und Schrecken versetzen ließen. Keiner von ihnen war mir ebenbürtig, keiner von ihnen hatte jemals mein Interesse geweckt. Ich war besonders, außergewöhnlich - Der Erbe Slytherins, da war ich mir sicher. Der, der bestimmt war, den Wünschen meiner Vorfahren nachzukommen und die Kammer des Schreckens zu öffnen - Den Basilisk freizusetzen und die Schule von allen Unwürdigen zu bereinigen.
So sehr es mir auch widerstrebte dies zuzugeben - Dieses Mädchen, Evangeline Holmwood, hatte mir einen entscheidenden Hinweis gegeben. Ich wollte die Lorbeeren für meine Taten ernten können. Doch wer würde mir glauben, wenn ich behauptete, der Nachfahre Slytherin's zu sein? Natürlich würden meine Mitschüler mich nicht offen herausfordern, doch vielleicht würden sie den Wahrheitsgehalt meiner Behauptungen dennoch schweigend hinterfragen. Das würde ich nicht zulassen können. Sie mussten erfahren, wie mächtig ich bin und welch reines Blut in meinen Adern fließt. Ich brauchte einen Beweis - Ich würde meinen Vater finden müssen. Wenn ich an ihn dachte, empfand ich keinerlei sentimentalen Gefühle. Nein. Seine Existenz war lediglich ein Mittel zum Zweck. Dennoch legte ich große Hoffnungen in ihn. Meine Mutter beschmutze mein Ansehen schon genug - Keiner würde je von ihr erfahren dürfen. Schwach war sie gewesen, hatte sich von meinem Vater das Herz brechen lassen und sich bereitwillig dem Tod hingegeben. Sie war eine Schande und ich verachtete sie zutiefst. Mein Vater ist derjenige, in dessen Adern das Blut Slytherins fließen muss und der mir auf meinem Weg zu unendlichem Ruhm verhelfen wird.
Die Zeit ist reif.
Ich würde mich umgehend auf die Suche nach ihm begeben, mit der Hilfe von diesem Ravenclaw-Mädchen. In ihrem Kopf wären meine Gedanken und Geheimnisse sicher, sie hatte die Okklumentik beinahe so erfolgreich gemeistert wie ich selbst. Vielleicht war sie in Wahrheit ja tatsächlich reinblütig, ihre Begabung ließ es jedenfalls vermuten. Doch letztendlich berührte mich ihr Schicksal nicht - Ich wollte sie kontrollieren, sie für meine Absichten nutzen. Würde sie sich als Enttäuschung erweisen, könnte ich sie in gegebener Zeit wieder loswerden.
***
„Wohin gehst du?" fragte Ellie Ollivander, als ich mir meinen dunkelblauen Lieblingspullover überstreifte.
„Ich bin mit Tom Riddle in der Bibliothek verabredet, um Hausaufgaben zu machen." eröffnete ich ihr die Halbwahrheit.
Ellie legte sofort ihr Buch über magische Tierwesen beiseite, rutschte vom Bett und wirkte beinahe besorgt. „Bist du dir sicher, dass du so viel Zeit mit Riddle verbringen solltest? Klar, er ist dein Mentor und so weiter... Aber ich habe ein schlechtes Gefühl bei der Sache."
Ich hätte nur zu gerne meine Gedanken und Gefühle mit ihr geteilt, aber das durfte ich nicht. Stattdessen murmelte ich nur etwas Unverständliches in mich hinein und winkte meiner neuen Freundin zum Abschied zu.
Ich achtete sehr darauf, pünktlich in der Bibliothek anzukommen - Ich wollte mir unbedingt einen guten Start mit Tom sichern. Doch obwohl ich zehn Minuten zu früh war, stand der Slytherin schon an eines der Bücherregale gelehnt und studierte mit konzentrierter Miene die ledergebundenen Einbände. Ich begrüßte ihn mit einem zaghaften Lächeln, das zu meinem Erstaunen von Tom erwidert wurde. Seine Augen blieben gewohnt kalt, doch eine neue Emotion schwang in seinem Blick mit; Begierde und eine erregte Anspannung.
„Evangeline Holmwood. Mehr als pünktlich, wie es mir gefällt." begrüßte Tom, seine Stimme erneut so charmant und betörend wie am Abend zuvor. Voller Schrecken fragte ich mich, ob ich darauf hereingefallen wäre, wenn Dumbledore mich nicht gewarnt hätte.
Tom wartete meine Antwort nicht ab, die Ungeduld war ihm an der Nasenspitze anzusehen. „Ich habe bereits eine Vorauswahl an Büchern getroffen - Historische Erzählungen und berühmte Hogwarts-Alumni, Einwohnerlisten von magischen Städten, die Jahrhunderte zurückgehen... Durchsuche sie nach meinem Nachnamen, mein Vater trägt denselben. Achte ganz besonders auf Zusammenhänge mit Slytherin."
„Was ist mit deiner Mutter?" fragte ich vorsichtig. Das schien ein wundes Thema zu sein.
„Sie ist unbedeutend." Antwortete Tom leichthin.
„Wie ist ihr Name?" harkte ich zaghaft nach.
„Merope Gaunt." zischte Tom und damit war das Thema offensichtlich beendet.
Still arbeiteten wir für mehrere Stunden. Tom schien keinerlei menschliche Bedürfnisse zu verspüren; Seine Haltung war gerade und steif, er blinzelte kaum und gähnte nicht ein einziges Mal. Als mein Magen zum wiederholten Mal knurrte, blickte Tom widerwillig von seiner Lektüre auf.
„Hunger..." erklärte ich unnötiger Weise.
Tom nickte ein wenig genervt. „Du darfst gehen."
„Willst du mich nicht zum Abendessen begleiten?" fragte ich angespannt.
Tom schüttelte den Kopf, ohne aufzublicken.
„Ich esse nicht gerne alleine. Keiner wird mehr in der Großen Halle sein. Ich helfe dir... Tu du mir auch einen Gefallen."
Zu meiner Überraschung schlug Tom das Buch, das er grade gelesen hatte, zu und stellte es zurück ins Regal. Diese Geste kam mir halbwegs aufrichtig vor, schließlich konnte er beim Essen kaum ein größeres Ziel verfolgen. Ich grinste ihn dankbar an und obwohl er herablassend den Kopf schüttelte, waren seine Gesichtszüge verhältnismäßig wenig verkrampft.
Als wir gemeinsam die Große Halle betraten, waren die Haustische beinahe leer - Ellie war zum Glück auch schon weg, ich hätte sie nicht beunruhigen und den Eindruck vermitteln wollen, dass ich Tom Riddle zu schnell zu nahe kam.
Tom und ich setzten uns an das äußerste Ende des Slytherin-Tisches, möglichst weit weg von unseren Mitschülern. Es war offensichtlich, dass Tom Gesellschaft bevorzugt vermied und sich offensichtlich auch niemand traute, auf ihn zuzukommen. Sogar seine Freunde hielten sich immer in sicherer Distanz zu ihm auf. Ich konnte verstehen warum. Tom Riddle's Nähe zu suchen fühlte sich so an, als würde man gegen ein Naturgesetz verstoßen. Es war irgendwie... unnatürlich. Beunruhigend. So als würde man sich bereitwillig einem Raubtier ausliefern.
Tom aß keinen Bissen, sondern saß mir regungslos gegenüber und schien mit den Gedanken woanders zu sein. Ich hätte die Gelegenheit gerne dazu genutzt, ihm auf den Zahn zu fühlen, doch ich wollte seine neugefundene Freundlichkeit nicht überstrapazieren.
„Du solltest wirklich etwas essen." gab ich schließlich doch zu Bedenken.
Tom richtete unvermittelt seine schwarzen Augen auf mich, doch dieses Mal traf mich ihre Kälte nicht so heftig, wie sie es zuvor immer getan hatte. Spöttisch zog er eine Augenbraue nach oben, tat sich das erstbeste Gericht auf den Teller und schob sich eine Gabel in den Mund.
„Zufrieden?" fragte er sarkastisch.
„Klar." antwortete ich lachend. „Hattest du denn keinen Hunger?"
„Das ist bloß ein niederes Bedürfnis. Ein Zeichen von Schwäche." erklärte er stur.
„Es ist ein menschliches Bedürfnis." entgegnete ich augenrollend.
„Manche von uns sind zu Höherem berufen, Holmwood." stichelte Tom. Natürlich meinte er diese Aussage ernst, doch trotzdem lag ein Hauch von Humor in der Antwort.
Ich lachte - Nicht sehr laut, da man sich um Tom herum nur sehr schwer unbeschwert fühlen konnte, aber doch ein bisschen. Tom blickte von seinem Teller auf und sah mich beinahe entgeistert an, so erschrocken als hätte ich ihn angegriffen. Ich räusperte ich mich verlegen und wandte den Blick ab. Schweigend beendeten wir unser Abendessen.
„Warum bist du eigentlich so überzeugt davon, dass deine Vorfahren auch Slytherins waren?" versuchte ich das Thema zu wechseln, als wir uns auf den Weg zu unseren Schlafsälen machten.
Tom's Augen begonnen daraufhin zu leuchten. Er schien auf diese Frage gewartet und sie ersehnt zu haben.
„Komm mit mir. Ich werde es dir zeigen." Antwortete er begierig.
Er führte mich quer durch das Schloss, zu einer kleinen, versteckten Holztüre, die ich zuvor nicht gekannt hatte. Als er sie öffnete, blies uns ein frischer Windstoß entgegen. Die Tür führte nach draußen, auf die Ländereien. Es war schon nach zehn und stockfinster. Ich fühlte mich unwohl dabei, Tom Riddle ins Ungewisse zu folgen. Doch ich kämpfte gegen das ungute Gefühl in meiner Magengrube an. Er sprach kein Wort, sondern führte mich schweigend im blassen Schein seines Zauberstabes zum Verbotenen Wald.
„Wir dürften eigentlich garnicht hier sein." flüsterte ich verunsichert, doch Tom winkte mich ungeduldig weiter.
Die Temperaturen waren niedrig, besonders nachts - Beinahe winterlich, dabei war es erst November. Ich war mir sicher, dass bald der erste Schnee fallen würde. Dichte Nebelschwaden umhüllten uns und unsere Schritte knirschten auf dem gefrorenen Gras. Ich begann zu zittern und zu frieren, mein Pullover und der Schulrock mit den Kniestrümpfen waren bei weitem nicht warm genug.
„Was ist das für ein Geräusch?" fragte Tom gereizt.
„N..ur ein w-w-w-eiteres nie..deres B-B-B-dürfnis." stieß ich zwischen hörbar klappernden Zähnen hervor.
Tom warf mir einen verständnislosen Blick zu und löste mit einer eleganten Bewegung seinen Umhang. Er reichte ihn mir wortlos, wandte sich erneut ab und lief auf den Wald zu. Ich wusste, dass er mir den Umhang aus reiner Ungeduld und nicht aus Fürsorge gegeben hatte, doch ich konnte nicht umhin, als dankbar zu sein. Ich schlang den Stoff so dicht wie möglich um meinen Körper und erneut stieg mir der Geruch von Frische und Kälte in die Nase, den Tom zu verströmen schien. Dieses Mal störte ich mich jedoch nicht so sehr daran.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, weil Tom ein Zischen zwischen den Zähnen hervorstieß. Ich erschrak, doch ich hatte die Laute schon früher aus Harry Potter's Mund vernommen. Tom war ein Parselmund. Das hatte ich schon vorher gewusst, schließlich hatte sich Voldemort immer mit der Schlange Nagini umgeben, aber trotzdem klangen die Geräusche fremd und unheilverheißend in meinen Ohren.
„Du bist ein Parselmund!" meine Anspannung war nicht gespielt.
Eine große, moosgrüne Schlange kam aus dem Wald hervorgekrochen. Ich erschrak, denn ihr Leib war fast so dick wie mein Oberschenkel. Sie hätte uns ernsthaft verletzen können. Doch die Zischlaute, die Tom von sich gab, schienen die Schlange in ihren Bann zu ziehen und zu beruhigen. Die Schlange hob ihren dicken Kopf und schmiegte ihn in Tom's ausgestreckte Handfläche, so als sei sie nur ein verschmustes Haustier.
Tom lächelte mich mit überlegenem Stolz an. Er genoss es, mich sprachlos gemacht zu haben und zu beweisen, dass er etwas Besonderes und ein außergewöhnlich mächtiger Zauberer war. Seine schwarzen Augen glitzerten im trüben Schein des Zauberstabes und ließen ihn besessen wirken. Er schien in diesem machtrunkenen Moment unberechenbar und das ängstigte mich - Ihm hingegen gab meine Furcht ein Gefühl von angeregter Überlegenheit. Ich konnte es ihm deutlich ansehen.
„Sie sind meine Spione, im ganzen Schloss verteilt." verkündete er siegessicher. „Sie würden alles für mich tun." Er warf mir einen langen, forschenden Blick zu.
Ich widerstand dem Bedürfnis, einfach wegzurennen. Stattdessen bemühte ich mich, eine gelassene Fassade aufrecht zu erhalten und zuckte nur mit den Schultern.
Tom's Augen verengten sich vor Enttäuschung zu Schlitzen und er erinnerte mich auf so grauenhafte Weise an sein späteres Ich, dass ich doch einen Schritt zurückwich. Auf einmal klang sein Parsel nicht mehr beschwichtigend. Etwas in dem Verhalten der Schlange veränderte sich - Er hetzte sie gegen mich auf. Ich konnte es daran erkennen, wie sie sich nun bewegte und mich ins Visier fasste. Sie wollte angreifen. Ich schüttelte flehend den Kopf und trat noch einen Schritt zurück, doch die Schlange schnappte nach mir und verfehlte mich nur um eine Handbreite. Ich sah die langen, scharfen Fangzähne, hörte das gefährliche Fauchen und schrie in blankem Horror auf. Bei dem verzweifelten Versuch zu entkommen, fiel ich unsanft rücklings ins Gras.
Das kalte Lachen, das über mir erklang, war herzlos und zum ersten Mal mit echter Freude erfüllt. Meine Todesangst bereitete Tom Genuss - Doch das würde ich nicht zulassen. Ich griff nach meinem Zauberstab und schleuderte die Schlange mit einer peitschenden Bewegung durch die Luft und zurück in den Wald. Tom lachte noch immer. Tränen der Wut stiegen mir in die Augen. Ich rappelte mich auf, riss mir seinen Umhang vom Hals, warf ihn vor seinen Füßen zu Boden und rannte zurück zum Schloss.
Tom versucht nicht, mir zu folgen. Doch sein grausames Gelächter begleitete mich noch bis in meine Träume.
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