Unexpected Visitor
Kalt spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.
Wusch.
"Fuck, Johnnson!"
Die Nennung meines echten Nachnamensließ mich innehalten. Ich war gerade dabeigewesen den Arm des auf dem Bauch liegenden Mannes in einem unnatürlichemWinkel weiter auf seinen Rücken zu strecken und auf das entscheidene Ploppen eines rausgesprungen Schultergelenks zu lauschen.
Doch ein Tritt gegen seine Lendengegend brachte ihn stöhnend zum Drehen.
FUCK.
"James?"
Ein erneutes Stöhnen war seine Antwort.
"Oh Gott, James. Tut mir Leid!"
Schnell bückte ich mich auf den Boden und half ihm, sich aufzurichten.
"Miststück!", war seine erste Begrüßung die er hervorbringenkonnte.
Wir hatten schon unfreundlichere Aufeinandertreffen.
"Was TUST du hier?"
James hustete ein trockenes Lachen während er sich den Schmutz aus seiner Jeans klopfte. Sein T-Shirt, welches ehemals weiß gewesen sein musste,war eindeutig ruiniert.
"Kann ein Bruder nicht mal seine Schwester besuchen wollen?"
Ich hob eine Augenbraue.
"Sicher, dass ist ein passabler Grund..."
Ich piekste ihm mit meinem Zeigefinger in die Brust und er fiel erneut nachhinten.
"Nur bist du nicht mein Bruder!"
Erneut das trockene Lachen.
"Zum Glück nicht!"
Die schlüpfrige Art, auf die er mich nun musterte, ließ in mir das Gefühl aufkommen mich unter einer heißen Dusche sauber schrubben zu wollen. Noch immer hing James eher recht als schlecht in halb sitzender Position auf dem Boden und wankte vor und zurück.
War er betrunken?
Ich packte ihn am ausgeleihertem Kragen seines T-Shirts und zog ihn in mein Gesicht. Eine Strähne seiner schwarzen Haare fiel ihm vor die braunen Augen und er schaute mich vernebelt an. Aus diesem Winkel hatte er etwas von einem jungen Johnny Depp - nur weniger hübsch. Jetzt wo er mir so nah war wehte mir tatsächlich eine Wolke nur allzu bekannter Dämpfe entgegen und ich seufzte.
„Schön dich zu sehen Schätzchen! Küsst du mich jetzt?", nuschelte er.
Er hatte sich mindestens eine Woche nicht mehr rasiert, sodass die große Narbe von seinem Ohr bis zu seinem Kinn verdeckt wurde. Hätte man ihn frisch geduscht und vernünftig gekleidet auf der Straße gesehen, hätte man ihn wohl als ansehnlich, ja beinahe schon hübsch bezeichnen können. Kannte man ihn jedoch, sah man nur das rabenschwarz seiner Seele. Ich schlug ihm auf den Hinterkopf, woraufhin sich ein Schwall trockener Staub und Schmutz aus seinen schwarzen Haaren ergoss.
„Ganz die alte Ash!", lachte er und rieb sich die Stelle.
„Und ganz der alte James!" erwiderte ich und wehte mit meiner Hand zwischen uns die Luft auf um den Alkoholgestank zu vertreiben.
„Touché"
Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken ihn einfach auf dem Boden liegen zu lassen und nach Hause zu fahren. Nervös biss ich auf meinen Daumennagel. Eine Angewohnheit, welche ich eigentlich hinter mir gelassen haben wollte. Anscheinend war heute eine Nacht voller Besuche der der Gespenster aus der Vergangenheit.
Seufzend hockte ich mich in einen festen Stand und reichte ihm die Hand um ihm beim Aufstehen zu helfen.
Sobald wir beide wieder auf dem Beinen waren schubste ich ihn erneut. Leichter diesmal, um ihn nicht direkt wieder auf seinen Hintern zu befördern.
„Was um alles in der Welt tust du hier?"
Ich hatte niemandem erzählt wo ich hingehen würde.
Verdammt, ich hatte nicht erwartet das es überhaupt irgendjemanden interessieren würde wo ich hingehe.
Insbesondere nicht Thomas Bruder James. Misstrauisch beäugte ich ihn während er sich mit zusammengezogenen Augenbrauen die Umgebung anschaute und missbilligend schnalzte.
„Das Gleiche könnte ich dich auch fragen!"
Er zeigte auf die Bar, Unglauben in seinem Blick.
"Merlottes? Du bist jetzt Kellnerin?"
Eigentlich hatte ich den Job nur zur Tarnung angenommen, jedoch musste ich zugeben dass er mir mit der Zeit richtig angefangen hatte Spaß zu machen. Sicher, dass Geld könnte besser sein, aber für den Moment ...
„Ich habe dich heute beobachtet. Da steckt doch mehr dahinter..."
James musterte mich intensiv und ich widerstand dem Impuls, mich vor unwohl sein zu winden. Ich versuchte ein Gesicht der Gleichgültigkeit zu tragen, doch in Wahrheit hatte ich Angst. Mit eigenen Augen hatte ich mit ansehen dürfen, zu wie viel Grausamkeit der Mann vor meinen Augen fähig war und ich wusste das er nicht locker lassen würde.
Auch nicht bei mir.
Verdammt, erst recht nicht bei mir.
„Ich brauche das Geld!"
James ängstigte mich zu Tode.
Er musste irgendetwas in meinem Blick gelesen haben, denn unerwartet änderte sich sein Gesichtsausdruck. Weg war der verhangene Blick eines Betrunkenen. Erwacht waren die Augen eines Jägers.
Nicht gut.
„Bullshit. So wie ich dich kenne hast du noch mehr als genug auf der hohen Kante. Das waren knapp 200 Riesen Schätzchen! Du planst was!", schloss er kam näher auf mich zu.
Wie beiläufig strichen seine Finger meinen Arm entlang. Mit der anderen Hand wickelte er eine lose Haarsträhne um seinen Finger und steckte sie hinter mein Ohr. Hoffentlich kaum merklich wich ich zurück.
„Ich glaube nicht, dass unsere Ace nicht einfach so in Rente geht..." ließ er den Satz in der Luft hänge ehe er einen großen Satz nach vorne machte und mir den Mund zuhielt bevor ich ihm widersprechen konnte.
Seine Finger stanken nach Tabak.
"Queen, King, Ace."
Er erwähnte "Jack" die Spielkarte des Buben nicht mal mehr. Als hätte es Thomas, seinen Bruder, nie gegeben. Eine Gänsehaut machte sich auf meiner Haut breit. Ich riss meinen Kopf zurück und meine Hände hoch um ihn am weiterreden zu stoppen.
„Pssssst!"
Er verdrehte die Augen über meine Reaktion, sprach aber nun leiser als zuvor.
„Ach komm schon! Die Raubzüge sind Monate her. Selbst in New York sind sie Schnee von Gestern! Ich bezweifle stark das dein Deckname und unsere „Berühmtheit" es bis in die Südstaaten geschafft hat. Schon gar nicht in dieses kleine Nest..."
Erneut schaute er sich abfällig um und rümpfte die Nase um sein Missfallen zu verdeutlichen.
"Muss echt ein großes Ding sein, dass du dich Monate, also wirklich MONATE, in diesem Kaff hier aufhälst. Suchst du noch Partner?"
„Das liegt hinter mir!"
Ein gefährliches Funkeln erschien in James Augen. Er schnaubte nur. Der Nebel des Alkohols schien nun vollständig verschwunden.
Sein Blick war kalt.
Leer, berechnend, gierig.
„Du bist fertig, wenn wir beschließen das du fertig bist!"
Erneut ergriffen seine Hände meine Handgelenke, stärker jetzt. Unsanft riss er mich nach vorne, sodass sich unsere Gesichter nur noch Zentimeter voneinander trennten. Ich hielt seinen Blick stand.
„Und ich und Lindsey brauchen unser Ass im Ärmel!"
Lindsey und er waren die Spielkarten Queen und King gewesen. Da ich für die Computer und außerdem die Planung unserer Überfälle zuständig gewesen war, hatte ich den Spitznamen Ace für die Karte Ass bekommen. Außerdem ähnelte der Name meinem Spitznamen Ash.
James, Tom's Versager eines großen Bruders war es wichtig gewesen das er und seine Freundin, Platinblond mit einem Hauch zu viel Bodyglitter, King und Queen waren.
Tom hatte sich mit einem Schulterzucken als Jack abgefunden, wobei er als Kundschaftler und Kontaktmann mit mir die meiste Verantwortung getragen hatte. James und Lindsey waren ihre Decknamen immer mehr zu Kopf gestiegen und je mehr die Medien über uns zu berichten begannen, desto verrückter wurde er. Kommandierte uns herum. Wurde brutaler. Gefährlicher.
Tödlich.
Eigentlich wollte ich raus. Nur noch weg von alledem. Mit Tom verschwinden, doch wie auch bei mir, war James Toms einzige noch verbliebene Familie. Egal wie er von ihm behandelt wurde. Ich wollte das er für sein Recht eintrat, James die Stirn bat. Im übertragenden Sinne König wurde.
Doch nur "Mit dir an meiner Seite bin ich doch schon lange König!", war seine Antwort auf meine Frage gewesen, warum er immer alles klaglos an seinen Bruder abtrat.
Wie so oft versetzte mir der Gedanke an Tom einen Stich und nahm mir für den Moment den Atem. Ich schüttelte mich, bevor weitere Gedanken an die Oberfläche dringen könnten. Wohlwollend umfing mich der Mantel des Zorns.
Gerne wäre ich vor seinen stinkenden Ausdünstungen beim Sprechen zurückgewichen, doch dies war nicht der Moment um Schwäche zu zeigen.
„Lindsay und ich!", verbesserte ich ihn.
„Huh? Was ist mit Lindsey und dir?"
Gott, er war so dumm.
„Man sagt nicht ich und Lindsey, sondern Lindsey und ich-„
Bevor ich den Satz zusende sprechen konnte hörte ich das Klatschen. Dann kam der Schmerz. Ich taumelte nach hinten. James hatte mich geohrfeigt. Mir klingelten die Ohren.
„Verbessere mich noch einmal-"
Hatte ich bereits erwähnt das James einen Hang zu Gewalt hatte? Das wir seinetwegen nicht nur wegen Diebstahl gesucht worden, sondern auch wegen bewaffneten Raubüberfalls, Körperverletzung. Und Mord...
Irgendwie echt ironisch. Bereits in frühen Jahren hatte ich eigentlich gelernt, aggressiven undaufbrausenden Menschen mit zu viel Temperament aus dem Weg zu gehen doch irgendwie geriet ich immer wieder an sie. Es war, als wäre ein Magnet für Gewalt.
Zum Gefühlt zehnten Mal spürte ich, wie meine neu erlernten Kampfkünste in meinen Muskeln vibrierten und an die Oberfläche gelassen werden wollten, doch ich hielt mich zurück. Kämpfen zu können wäre in James Augen (wohl zurecht) nur eine weitere nützliche Fähigkeit an mir, die ihm weiterhelfen würde. Alles war ich für den Moment noch wollte, war das James verschwand. Er sollte glauben, dass was mit Tom geschehen war, mich gebrochen hatte. Ich hätte meinen Funken verloren und er müsse ohne mich klarkommen.
Und so biss ich die Zähne zusammen bis es knirschte.
Der Schmerz war bereits dabei abzuklimmen. Ich spürte ihn kaum noch, hatte schon weitaus, aber wirklich um einiges schlimmeres erlebt.
Und so blieb es still.
James pfiff anerkennend durch seine Zähne.
"Vielleicht hast du dich doch verändert Ash..."
Er legte den Kopf schief und grinste widerwertig.
"Früher hättest du dir bestimmt durch deine aufmüpfige Art noch zwei, drei weitere eingefangen bis du endlich Ruhe gegeben hättest."
James zog mich näher an sich. Sehr nah. So nah, dass ich spürte wie sehr ihm die ganze Situation und Gewalt gefielen.
"Fast schon ein bisschen Schade. Dein Kampfgeist zu brechen hat mir gefallen!"
Tief schaute er mir in die Augen und fixierte mein Kinn mit seinen Finger sodass ich nicht wegschauen konnte.
"Mein Bruder war echt ein glücklicher Bastard!", sprach James nun beiläufig über seinen toten Bruder Tom, während er sich über die Lippen leckte und mich unmissverständlich musterte. Ich unterdrückte ein Würgen.
Schwungvoll drehte ich meinen Kopf nach links und löste somit seine Fixierung an meinem Kinn. Er schnallste missbilligend mit der Zunge, ließ jedoch ein wenig lockerer.
"Du bist dabei und damit ist die Diskussion beendet!"
Wie konnte er in den paar Monaten die 200.000 Dollar verbraucht haben? Selbst ich hatte noch Geld übrig und ich hatte teure Privatdetektive, Schmiergelder und Kampfausrüstung kaufen müssen.
Ich öffnete den Mund um ihm zu widersprechen, woraufhin er den Finger hob und mich unterbrach.
"Du wirst uns helfen den nächsten Gig zu planen," verdeutlichte er nochmal mit Nachdruck und verengte seine Augen "oder die Polizei von New York bekommt einen anonymen Tipp wo sich einer ihrer "Most Wanted" aufhält!"
Ich schloss den Mund wieder.
"Das würdest du nicht tun. Damit verrätst du dich doch selber!" pokerte ich hoch und hoffte das Recht hatte. Er stürzte die Lippen.
"Vielleicht nicht. Wir wären zwar schon lange weg wenn sie anfangen würde uns zu suchen, doch ich bin sicher das Risiko willst du trotzdem nicht eingehen, denn was auch immer du hier auch planst, du bist vorsichtig vorgegangen. Sogar mit einem andern Namen. Simmons..."
James lachte freudlos.
„Der Mädchenname unserer Mutter..."
Gott, ich hasste James. Alles musste er ruinieren. Selbst meinen neuen Namen, den Mädchennamen seiner eigenen Mutter, Toms Mutter ließ er mir nicht, ohne ihn ins lächerliche zu ziehen.
"So lange wie du schon an diesem Ort bist vermute ich, dich hält etwas hier. Es ist bestimmt nicht das", er schaute sich erneut um und wedelte mit der Hand durch die Luft um die Umgebung zu gestikulieren " das charmante Ambiente, welches dich zum niederlassen bewegt hat.
Ich knirschte mit den Zähnen.
"Also tippe ich entweder auf einen Freund oder einen Job."
Ich erwiderte nichts, was er als Zustimmung auffasste. Und so führte er weiter fort.
"Und da wir in einer Kleinstadt sind, wäre es ein leichtes deine ... nennen wir es bunte Vergangenheit bekannt zu machen. Ein Flüstern hier, ein kleinen Hinweis dort und schon verbreitet sich deine wahre Identität wie ein Lauffeuer..."
Der Mistkerl hatte mich an meinen metaphorischen Eiern.
Erneut trat er näher an mich ran und legte mir in väterlicher Manier eine Hand an die Wange.
"Oh, nun schmoll doch nicht Aschenputtel!", säuselte er, die Stimme triefend vor Sarkasmus.
„Natürlich muss das alles nicht sein. Du kannst deine neu gewonnene Existenz alternativ natürlich auch behalten. Alles was du tun musst, ist das hübsche kleine Gehirn hinter deinen hübschen unschuldigen blonden Locken für einen klitzekleinen Job zu verleihen und wir sind wieder aus der Stadt bevor du dich an uns gewöhnen kannst."
Schnell überlegte ich, warf die Vor- und Nachteile in meinem Kopf hin und her. Die beste Lösung schien es für den Moment tatsächlich zu sein, mich seinen Forderungen zu beugen.
Ja, ich musste unbedingt unter dem Radar bleiben. Ein Überfall würde dies zwar erschweren, allerdings waren Gerüchte in einer Kleinstadt ebenso zerstörerisch und riskant wie ein gut geplanter "Gig". Ich war nicht so naiv zu glauben, dass ein einzelner Gefallen James genügen würde, aber alles was ich für den Moment tun musste, war es mir Zeit zu verschaffen.
James alkoholgetränkter Atem streifte über mein Gesicht. Er wartete auf meine Antwort. Langsam und widerwillig nickte ich, woraufhin er entzückt in die Hände klatschte.
"Die Playingcards-Gang, auf ein neues vereint!"
Ich unterbrach ihn.
„Auf einen letzten Gig, zum größten Teil widervereint!"
Er verdrehte die Augen, nickte aber.
Unvermittelt packte er mich noch einmal am Hals, würgte mich beinahe.
„Aber ich warne dich! Komm nicht auf irgendwelche dummen Ideen. Sonst..."
Er drückte meinen Hals stärker und ich röchelte.
Panisch nickte ich.
Er ließ mich los und strahlte.
„Wunderbar! Ich habe noch einiges zu erledigen, aber für den Moment scheinst du bestens aufgehoben wo du gerade bist.", er stürzte die Lippen ehe er auflachte. "Mann. Es ist beinahe, als hätte das Schicksal dich geradezu hier platziert..."
Wenn du wüsstest.
„Halte dich bereit. Ich melde mich"
Ein letztes Nicken meinerseits stimmte James zufrieden.
Und mit dieser Geste hatte die Uhr für meinen Plan auf Rache nun offiziell angefangen zu ticken.
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