Tunnel Memory
Es gibt nicht viele Momente im Leben, an die man sich wirklich erinnern kann. Tatsächlich meint man sich nur an Dinge zu erinnern. Man glaubt, dass alles einst besser gewesen war. Erinnerungsverfälschung nennt man dies.
Ausgerechnet das ging mir durch den Kopf, während ich mein Blut noch immer lautstark in ihren Ohren rauschen hören und meine ersten großen Liebe dabei zusehen konnte, wie sie mit ruhiger Stimme auf Eric einredete: Er solle seine Zähne in dem kleinen Mädchen versenken und ihr Blut trinken!
Mein Gehirn war nicht in der Lage dieses Ereignis Tom zuzuschreiben. Stattdessen fluteten Erinnerungen mein Gedanken.
Erinnerungen sahen Tom, wie er mich über sein Buch hinweg frech angrinste während ich auf dem anderen Ende des Sofas gesessen und mich verzweifelt am Stricken versucht hatte. Ich erinnerte mich, wie Tom mir die Haare zurück gehalten hatte, als ich es den einen oder anderen Abend mit dem Alkohol übertrieben hatte, weil ich die Albträume und Erinnerungen aus meiner Vergangenheit und den Pflegefamilien doch nicht so effizient unterdrücken konnte wie ich immer vorgegeben hatte. Geradezu bildlich sah ich, wie Tom sich schützend vor mir aufgebaut hatte, als James mal wieder am Durchdrehen gewesen war, nachdem ich in unseren kleinen dämlichen Raubzügen nicht den Ertrag zusammen bekommen hatten, den wir gebraucht hatten. Das war mein Tom.
Und jetzt war ich mit dem Bild konfrontiert wie er wollte, dass einem kleinen Kind Schmerzen zugefügt wurden. Mir wurde schlecht.
Natürlich hätte ich mir auch darüber Sorgen machen können, dass Eric nun in dem Glauben war, ich hätte einen aktiven Anteil an der Ermordung seines Schöpfers gehabt, doch es schien im Vergleich mit allem irgendwo irrelevant. Eric sah nicht aus, als würde er sich überhaupt auch nur einen Zentimeter bewegen können. Alles was er tat war knien und knurren. Davon abgesehen war ich mir ziemlich sicher, sollte er schlussendlich doch dem Druck... was auch immer mit ihm geschah, nachgeben, wäre die Frage meiner Zukunft sowieso unwichtig.
Für mich gab es keinen Weg hier heraus.
Jetzt, wo ich mich langsam ein wenig erholt hatte, spürte ich das erlebte dumpf drückend in meinen Knochen widerhallen. Den Schmerz, der durch den Verrat ausgelöst wurde, die Angst um das kleine Mädchen, mich selbst und ja- auch Eric. Und natürlich Tom. Er war ein einziger Klumpen aus wirren Gefühlen, die ich mir gar nicht genauer anschauen wollte. Stattdessen zog ich sorgsam die über die Jahre errichteten Mauern wieder hoch. Stein für Stein schottete ich alle Gefühl ab, bis ich wieder denken konnte.
Ich versuchte dafür die durch den großen Raum hallenden Stimmen der Männer zu ignorieren, die in der Zwischenzeit lautstark zu diskutieren begonnen hatten.
„Ihr habt gesagt, sie sei eine Nachfahrin der Arsinnen.", knurrte Monroe und packte Tom am Hals, „Dabei scheint sie zu nichts besserem zu gebrauchen zu sein, als Dinner."
Ich spürte, wie mein ordentlich in Watte gepacktes Herz schneller zu pumpen begann, halb aus Angst, halb aus diebischer Freude, dass jemand Tom an die Gurgel ging. Jupp, ich war immer noch brennend wütend auf ihn. Anscheinend hatte ich die Emotionen die mich durchfluteten noch immer nicht im Griff. Vielleicht musste ich die Mauer noch verstärken... „Dinner und einen guten fick nehm ich an."
Tom und zu meiner Überraschung auch James knurrten beide.
Anhand der Reaktion der Beiden konnte ich lesen, dass Monroes Vorschlag über meinen Verbleib keine leere Drohung war, sondern mehr ein ernstgemeinter Vorschlag.
Nicht gut.
Schnell sah ich zu, dass ich die Emotionen wieder abschüttelte. Du schaffst das Ash, einfach nichts fühlen, sprach ich mir weiter Mut zu.
James beeilte sich zu erklären.
„Freya, die Göttin der Verführung und des Krieges!" ,versicherte er Monroe, welcher Toms Hals noch ein wenig weiter zusammendrückte. Dieser begann zu röcheln (-wohl mehr aus Unbehagen als aus Luftnot. Er war kein Mensch mehr, rief ich mir ins Gedächtnis und schüttelte die Angst um ihn weiter ab).
Monroe schnaubte. „Dass sie euch um den kleinen Finger gewickelt hat, kann ich sehen." Er fauchte angewidert. So langsam fiel mir auf, dass ich mit sehr zivilisierten Vampiren Umgang gepflegt hatte. Nie wurde ich angefaucht, grob mit mir umgesprungen nur wenn ich es wirklich provoziert hatte. Gleiches konnte ich von Monroe nicht behaupten, während sich seine Augen zu animalischen Schlitzen verzogen hatten. „Dabei war euer Job das genaue Gegenteil!"
Ich merkte, wie ich meinen Atem anhielt bei den Worten. Wie war das gemeint?
Monroe schüttelte Tom ein letztes Mal am Hals und warf ihn dann mit Kraft in die nächste Wand. Tom segelte durch die Luft und donnerte gegen die teuer aussehende Vertäfelung.
„Vielleicht habe ich den falschen Bruder mit der Verführung des Johansson Mädchens beauftragt...", sinnierte er. Langsam, ganz langsam aber sicher setzten sich seine Worte zusammen. Ich konnte spüren, wie die Bedeutung dabei war durchzusickern, doch ich war noch nicht bereit dafür sie zu hören. Stattdessen konzentrierte ich mich weiter auf die Worte die am anderen Ende des Raumes gesprochen wurden, während meine Extremitäten dabei waren, kalt zu werden vor Schock.
James schnaubte.
„Klar, Ashley hat einen süßen kleinen Arsch und Feuer, aber meine Fresse, ist sie stur.", grummelte James und zeigte auf Tom. „Ich habe für sowas einfach keine Geduld, ich glaube noch immer, dass es so am Besten war, dass Tom zu ihrem Freund geworden war."
Tom hatte sich langsam wieder erhoben und klopfte sich den Schmutz aus seiner Kleidung. Sein Blick war hasserfüllt auf Monroe und James gerichtet. Dann schwenkte sein Blick zu meinem und er sah, wie ich ihn mit großen Augen anstarrte. In seinem Blick stand die Bestätigung der Worte, welche James gerade vor meine Füße geknallt hatte. Ich war nie mehr als ein Auftrag gewesen. Das war der Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte, die Erkenntnis, dass all dieses, die ganze Situation ein über Jahre abgekartetes Spiel war, brach mein notdürftig geflicktes Herz zerbrach erneut.
Ich schluchzte verzweifelt auf, ein für mich ganz untypisches Geräusch und griff mir an mein Herz, von dem ich sicher war, es schlug nicht länger so sehr wie es schmerzte. Es ging über einen emotionalen Schmerz hinaus und verkrampfte sich physikalisch in meiner Brust. Ich schnappte nach Luft, verkrallte meine Hand in meinem Pullover vor meiner Brust.
In einer einzigen Bewegung war Tom an meiner Seite, besorgt über mich gebeugt und zog mich an sich. „Ash!"
Ich bekam keinen Sauerstoff, atmete mehr ein als aus.
„Alles eine Lüge!", hörte ich mich flüstern. Meine Stimme hörte sich weit entfernt an. Es war so offensichtlich. So ganz eindeutig immer gewesen. Wie hatte ich nur so naiv sein können. Niemand hatte mich jemals geliebt. Nicht wirklich. Wieso hätte es bei Tom anders sein sollen.
Heiße Tränen brannten auf meinem Gesicht, ich hatte nicht gespürte, dass ich angefangen hatte zu weinen. „Warum?", hauchte ich, dann brach meine Stimme.
Tom sah mich gequält an. Monroe kam lachend auf uns zu geschlendert.
„Na sieh mal einer an, wer wieder wach ist. Endlich.", er beugte sich vor und flüsterte mir „Ihre Damengesellschaft hat mir hier zwischen den Grobianen schon gefehlt", zu ehe er mir zuzwinkerte. Ich nahm es nur am Rand war und fokussierte noch immer Toms Gesicht, wie er mich ansah, den Blick voller Gefühle.
„Wieso?", fragte ich erneut. Ich bekam noch immer keine Antwort.
„Na wegen des Geldes Schätzchen, war das wirklich eine Frage? Ist es das nicht immer mit euch Menschen?", füllte Monroe die Lücken und setzte sich neben mich auf den Boden in den Schneidersitz, als wären wir bei einem Picknick unter Freunden und nicht in einer Geisel-/Mord-/Verratssituation.
„Du-„, Monroe stupste mir gegen die Nase wie man es bei einem Kind machen würde „Bist etwas ganz besonderes!"
Mit großen Augen sah ich ihn an. Was sollte ich auch sonst tun.Monroe legte seinen Kopf schief und musterte mich. Dann schnalzte er mit der Zunge.
„Naja, oder wenigstens dein Blut." Er leckte sich die Lippen, sein Blick wanderte zu meinem Hals. „Gott, wie gerne würde ich dich kosten. Du riechst nach Honig."
Seine Hand strich meinen Hals entlang, er nahm meine rasende Pulsader zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich erschauderte.
„Nicht, wenn dir dein freier Wille etwas wert ist!", knurrte Tom. Sein Griff um mich wurde enger wobei sich seine Finger schmerzhaft in meinen Oberarm und Oberschenkel bohrten. Bisher hatte ich überrumpelt, misstrauisch und im Unglauben nicht Fähig mich zu bewegen zugehört, doch Toms starken Griff an mir zu spüren, löste mich aus meiner starre.
Bilder, Erinnerungen an Tom und mich im Bett kamen mir in den Sinn, wie er meinen nackten Oberschenkel entlangstreifte, erst sanft, mich dann stärker festhielt. Mein Körper erinnerte sich, bevor ich es tat. Es machte mich krank. Ich ertrug es nicht, ihn in meiner Nähe zu haben und schupste ihn energisch weg. Zu meiner Überraschung gelang es mir und Tom landete, mehr als nur ein wenig überrascht über meine plötzlich gewonnene Stärke, auf seinem Hintern.
„Fass mich nicht an!", fauchte ich und sprang mit neu gewonnener Energie auf und der kleinen Gruppe entgegen. Ich wusste, dass dies wohl meine einzige Chance sein würde zu entkommen, also nutze ich jegliche plötzlich vorhanden seiende Energie, die ich aufbringen konnte um zu sprinten. Den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich zur Tür zu stürmen und raus zu laufen, doch meine dämlichen Füße rannten Eric und dem Mädchen (-und damit einem sehr kranken und starken James) entgegen. Noch nie hatte ich mir Erics ungefragte Hilfe so sehr gewünscht wie in diesem Moment. Ein tausend Jahre alten Vampir auf seiner Seite zu haben, gab einem eindeutig das Gefühl von Macht. Auch wenn dieser tausend Jahre alte Vampir möglichweise gerade nicht auf ihrer Seite war, so würde er doch mit Sicherheit für die Sicherheit des Mädchens sorgen, was mein einziger Lichtblick wäre.
Doch Eric war aus mir unerklärlichen Gründen, noch immer außer Gefecht gesetzt.
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