Crazy Town
Jemand war in meinem Haus gewesen!
Trotz der verrückten Nacht, die ich hinter mir hatte, war das so ziemlich der einzige Gedanke, der mich immer wieder überraschte.
Jemand. War. In. Meinem. Haus. Gewesen.
Während ich geschlafen hatte!
Gut, überraschte war vielleicht weniger der richtige Begriff gewesen. Nach den Monaten die ich gehabt hätte, überraschte mich so gut wie gar nichts mehr. Aber ein Gefühl der Sicherheit löste es auch nicht unbedingt aus, wenn man sich vorstellt, dass jemand ähnlich wie in einem Film von „Scream" über dem Bett gestanden haben musste während man schlief.
Ich musste ziemlich am Ende gewesen sein, dass ich es nicht mitbekommen hatte. Rückblickend war ich es wohl auch. Während ich am nächsten Tag, die Tische im Merlottes abräumte, versuchte ich aus allem einen Sinn zu ziehen.
„Du hast die Pommes vergessen Schätzchen!", rief ein mir unbekannter Mann um die 50 mit zwanzig Kilo Übergewicht in ausgewaschene Jeans und weißen „Muscle Shirt" (Unterhemd) hinterher, während er versuchte mir auf den Arsch zu hauen.
Ich blieb 1 Sekunde stehen und überlegte zu reagieren, entschied dann jedoch, dass es den Stress für den Moment nicht wert war. Stattdessen stellt ich seinen Kumpels einen Tisch weiter die verbrannten Burger hin und ignorierte die Beschwerden.
Von Lafayette, der die Burger nicht hätte anbrennen lassen, fehlte nach wie vor jede Spur, was mich nicht wirklich wunderte. Ich hatte am Morgen vor meiner Schicht bei ihm vorbei geschaut, um mich zu vergewissern, dass es ihm gut ging, doch er hatte mir auch nach lautem penetranten Klopfen und Rufen nicht geöffnet. Kurz hatte ich überlegt das Haus trotzdem zu betreten um sicherzustellen, dass er noch atmete doch als ich kurz darauf sein schlurfen im Gang hinter der Tür vernahm, war mir klar, dass er nur in Ruhe gelassen werden wollte. Also hatte ich ihm schnell eine Nachricht auf einen kleinen Zettel gekritzelt und unter der Tür durch gesteckt:
Lafayette, ich habe gehört was passiert ist, lass es mich wissen ob du Hilfe brauchst!
Mein süßer Arsch ist nur einen Anruf entfernt. Ehrlich.
Melde dich, Ash.
Den ganzen Vormittag war ich bei der Arbeit damit beschäftigt gewesen, mich dreckig zu fühlen. Ich hatte das Gefühl, Lafayettes Zustand wäre meine Schuld. Oder wenigstens meine Mitschuld. Hätte ich nicht ins Hornissennest gepikst, das auf den Namen Northman reagierte, wäre Ihnen Lafayette niemals aufgefallen und er würde weiter fröhlich Glitzer versprühend durch das Restaurant tanzen. Ich würde morgens wunderbar herrlich taub und in Watte verpackt meiner Arbeit nachgehen und nicht durch die Luft schwebend mich in den Mörder meines Freundes verli- äh. Von dem Mörder meines Freundes träumen.
Wie aufs Stichwort war das Bild wieder da. Tom. Im Fahrstuhl. Tod. Blut.
Würde ich die Bilder jemals loswerden?
Mir flog ein dreckiger Tischlappen ins Gesicht den ich gerad noch rechtzeitig abfangen konnte.
„Woah, gute Reflexe!"
Terry, der gerade dabei war die nächste Ladung Hackfleisch auf dem Herd verbrennen zu lassen, hielt mir zwei weitere Teller zum Verteilen unter die Nase, sein Blick leicht besorgt.
„Ich kenne diesen Blick. Du warst vollkommen weggetreten... Warst du zufällig auch in einem Krieg von dem ich nichts weiß?" Ich lächelte falsch und schwach.
"Nein Terry. Nur müde!", er musterte mich noch einmal genauer zuckte dann aber mir den Schultern.
"Sorry Mädchen, ich seh einfach immer überall Geister wo keine sind."
Jetzt wurde sein Gesichtsausdruck leer ehe er sich schüttelte und mir zwei voll bepackte Teller mit Burgern und Pommes durchreichte. "Tisch 7!"
Dankbar, dass Gespräch nicht weiter führen zu müssen, rauschte ich davon, ganz darauf konzentriert, diesmal nicht in Gedanken so abzuschweifen. Und da viel es mir auf.
Ich konnte nicht genau sagen, was es war oder wo es herkam, doch irgendetwas war anders. Die Luft knisterte, die Gäste schaufelten, ja stopften geradezu das Essen in sich hinein. Auf der Suche nach einer Ursache drehte ich mich um, versuchte alles auszublenden und mich auf meine Sinne zu konzentrieren. Wenn man Sookie mal brauchte, war sie natürlich nicht da. Hatte sie nicht gerade Schicht? Bestimmt war ich nur einfach Paranoid...Irgendwie-
"-Weshalb ich nun dringend einen Babysitter brauche! Dir macht das doch nichts aus, oder Schätzchen?"
Mein Kopf schoss hoch, wo mich eine fordernde Arlene mit in den Hüften abgestützten Händen anschaute und auf eine Antwort wartete. Was hatte sie gesagt? Seit wann hatten wir uns unterhalten? Ich konzentrierte mich wieder auf meine Umgebung, wobei alle Nebengeräusche auf einmal auf mich einzuprasseln schien. So musste sich jemand fühlen, der sein Hörgerät wieder einschaltete. Ich verzog das Gesicht.
"Ja?"
Arlene grinste breit und drückte mir ihren Block in die Hand ehe sie began sich ihre Schürze abzubinden.
"Wunderbar, Gott weiß, ich bin dir was schuldig!"
Bevor ich wusste wie mir geschah hatte ich Arlenes Schürze in der Hand und sie war aus der Tür verschwunden. Überfordert drehte ich mich um.
"Was war das gerade?"
Sam kam durch den Durchgang getrottet, auf dem Weg hinter den Tresen.
"Du, liebste Ash, wurdest gerade Arlened!", erklärte er im Vorbeilaufen und räumte ein paar Gläser vom Tresen.
"Arlened?" War das überhaupt ein Wort?
"Arlene hat dich mit Schuldgefühlen dazu gebracht, ihren Willen durchzusetzen sodass du nun auf ihre Kinder aufzupassen darfst."
Meine Augen wurden groß. Ich sollte Babysitten? Ich wusste ja noch nicht einmal was ich mit Kindern anfangen sollte, als ich selber noch ein Kind gewesen war. Kinder waren merkwürdig.
"Weiß sie, wer ich bin?", schoss es mir eine Oktave zu hoch hervor. Sam zog eine Augenbraue hoch.
"Weiß das überhaupt irgendwer?"
Touché.
"Was ist denn mit Sookie? Kann die nicht auf Arlenes Kinder aufpassen? Die macht das doch sonst auch immer!", fragte ich hoffnungsvoll, doch Sam schüttelte den Kopf.
"Geht nicht, die hat sich heute morgen bei mir abgemeldet."
Sam verdrehte die Augen.
"Sie ist wieder auf irgendeiner geheimen Vampirmission unterwegs. Ich glaube wegen des großen Blonden!"
Naaaaatürlich war sie das. Und natürlich machte mich das schon wieder wütend. Ich schnaubte ehe ich mir mit meinen Fingern durch die Haare fuhr.
"Verdammt."
Nun schnaubte auch Sam.
"Ja!"
Obwohl es im Merlottes drunter und drüber ging, setzte ich mich Sam gegenüber und legte meinen Kopf auf meine verschränkten Arme. Eine blonde Haarsträhne viel mir vor die Augen, doch ich ließ sie einfach im Weg und seufzte.
"Ist es zu früh zum Trinken?"
Sam warf einen Blick auf eine hinter dem Tresen angebrachte Uhr.
"Hm, kommt ganz auf die Umstände an..."
Ich schloss die Augen und grummelte vor mich hin während ich Sam hinter der Bar arbeiten hörte.
"Du weißt aber schon noch, dass ich dein Boss bin Ash, oder?
"Hmm?"
Gott, war die Bar bequem. Kein Wunder das so viele besoffene hier regelmäßig einschliefen...
Sam schob mir ein sprudelndes dunkles Getränk in einem normalen Glas zu mir herüber. Ich nahm einen großen Schluck.
"Das ist Cola!", bemerkte ich pikiert und verzog das Gesicht.
"Wo ist der Rum?"
Sam schaute mich tadelnd an.
"Es is 13 Uhr Ash. Du kannst nicht jetzt schon anfangen zu trinken.", erklärte er mir in einem beinahe väterlichen Tonfall und ich stöhnte, während ich mich von meinem Barhocker erhob. Sam legte eine Hand auf meinen Arm. Ich bekam einen leichten Schlag. Schnell zog ich meinen Arm unter seinem Weg und rieb mir die Stelle.
Sam schaute mich überrascht an an.
"Du weißt, dass du mit mir darüber reden kannst!"
"Worüber?"
"Was auch immer dich momentan bedrückt."
Er zeigte auf mein Gesicht mit seinem Finger und kniff die Augen leicht zusammen.
"Mag sein, dass du theoretisch fitter aussiehst als sonst, doch dein Benehmen verrät dich. Du stehst hier im Raum, als könnte der nächste Windstoß dich bereits von den Füßen hauen."
"Ich bekomme einfach nicht so viel Schlaf in letzter Zeit..."
Sam brummte etwas vor sich hin, doch ich hatte das Gefühl dass es ganz gut war das ich ihn nicht verstand. Lauter richtete er sich dann noch einmal an mich, seine Hände an meinen Schultern. „ Also König der schlechten Entscheidungen hab ich nur eine Bitte: Mach einfach keine Dummheiten Ash, okay?"
Eigentlich wollte ich Sam mit einem halben Lächeln und einem Schulterzucken abwimmeln, doch die Intensität mit der er mich anschaute, ließ einen Kloß in meinem Hals entstehen. Ich schluckte hart. Als ich jetzt sprach, war meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.
"Was, wenn es dafür bereits zu spät ist?", fragte ich Sam, nicht in der Lage ihm in die Augen zu schauen. Als er nicht antwortete, hob ich den Kopf. Sam lächelte beruhigend.
"Dann tust du ab jetzt alles, um dich aus deiner misslichen Lage wieder rauszuarbeiten!"
Sein Vertrauen in mich rührte mich und ich schniefte. Gott, seit wann war ich denn so gefühlsduselig geworden? Ich wollte meine Mauern zurück. Meine Mauern aus Wut und Hass die mich vor all diesen Gefühlen beschützt hatten. Schnell nickte ich Sam zu, schüttelte mich und fuhr mir mit der Hand durch die Haare.
"Alrighty, dann wollen wir den feinen Gästen im Merlottes mal weiter ihr Essen servieren."
Vollkommen zerknautscht schreckte ich von der unbequemen Sofa hoch. Wie schnell man sich doch an den Luxus gewöhnen kann - es war mir gruselig. Noch verwirrter über die unbekannte Umgebung war ich über die Uhrzeit.
Es war hell draußen, es war morgens und von Arlene war allem Anschein nach keine Spur. Denn ich war immer noch bei ihr zu Hause. Im Laufe des Abends musste ich dabei auf ihrer Couch eingeschlafen sein. Mühsam hievte ich mich hoch, wobei mir eine Sprungfeder so unangenehm in die Seite bohrte, dass ich schnaufte. Toby, Arlenes Junge saß mit großen Augen in der Küche. Als er mich kommen sah, wurden seine Augen noch größer.
"Mama ist noch nicht wieder da, oder?", fragte er resigniert. Armer Junge.
"Kommt das öfters vor?"
Toby zuckte die Schultern. Ich fühlte mich in meine eigene Kindheit zurück versetzt, wo wir teilweise Wochenlang alleine zu Hause gelassen wurden, mit leerem Kühlschrank in der Mitte vom nirgendwo. Schnell schüttelte ich die dunklen Erinnerungen ab.
"Komm, ich mach dir Frühstück!".
Immerhin war dieser Kühlschrank voll und so zauberte ich im Rahmen meines Könnens Omlette und Pfannkuchen. Als Toby's Schwester in die Küche kam, waren wir bereits mitten am Essen.
"Ist Mama noch nicht wieder da?", fragte nun auch sie als sie mich sah und runzelte die Stirn.
"Ich bin sicher sie kommt bald wieder!", antwortete ich beruhigend. Sie zuckte die Schultern.
"Ich weiß, dass tut sie immer."
Das geht dich nichts an Ash. Du hast getan worum Arlene dich gebeten hatte. Die Kinder sind sauber angezogen, der Kühlschrank ist voll. Arlene ist eine gute Mutter. Meistens. Lade deine Probleme nicht auf die Kinder.
Ich wollte mich raushalten. Wirklich. Nach dem Frühstück stellte ich das restliche Geschirr weg, jedoch nicht ohne vorher sicher zu stellen, dass die Kinder noch genug vorbereitetes Essen für die nächsten Tage im Kühlschrank hatten um es sich schnell aufzuwärmen.
Kurz bevor ich soweit gewesen wäre die Polizei anzurufen, drehte sich ein Schlüssel im Türschloss.
Toby sprang auf.
"Mama!"
Aus dem Flur hörte ich Arlenes heisere Stimme.
"Gute Güte, Toby! Was bist du denn schon wach?!"
Fassungslos lief ich den Kindern hinterher in den Flur. Arlene sah müde und erschöpft aus. Ihre Haare standen in alle Richtungen und sie trug ihre Bluse verkehrtherum. Als Arlene mich mit großen Augen ansah, kochte Wut in mir hoch.
"Hey ihr zwei, Mama muss nochmal eben Ash verabschieden. Sagt auf Wiedersehen und geht Fernsehen!"
Schnell winkten die zwei mir und rauschten ins Wohnzimmer, während ich Arlene anfunkelte.
"What the Fuck Arlene?"
Sie zog den Kopf ein.
"Es tut mir so Leid Ash. Ich habe keine Ahnung was passiert ist!"
Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare, wobei sie einen Stock aus ihnen zog und ihn irritiert anschaute.
"Du hast zwei Kinder zu Hause Arlene, die sich auf dich verlassen! Du kannst doch nicht einfach sang und klanglos die ganze Nacht verschwinden." Je mehr ich redete , desto lauter wurde ich, redete mich in Rage.
"Ich weiß ja Ash, aber ich schwöre-"
Ich schnitt ihr das Wort ab. "Du schwörst was Arlene? Das es nicht wieder vorkommt? Das es ein versehen war und du es nicht weißt wie es passieren konnte? Das ja alles nochmal gut gegangen ist?"
Mein Blut kochte weiter und mir wurde warm. Das Licht im Flur begann zu flackern.
"Nun- ja?", Arlene hielt sich den Kopf. "Gott, bitte Ash, rede leiser, mein Schädel brummt!"
Das Licht flackerte stärker und die Glühbirne begann zu summen. Dann platzte sie und im Flur war es dunkel. Ich atmete tief ein. Was auch immer sich in den letzten Tagen bei mir geändert hatte, ich wollte nicht riskieren irgendwen zu verletzten.
Ein. Aus. Ein . Aus.
Als ich nun erneut sprach war meine Stimme wieder ruhiger.
"Árlene, du solltest duschen gehen. Deine Haare sind wild und deine Klamotten, Schätzchen, trägst du auf links!"
Erschrocken blicke Arlene an sich runter und nickte geknickt.
"Ich schwöre dir Ashley, ich bin sonst nicht so!", versuchte sie sich erneut zu erklären. Ich hob abwehrend die Hand, ich hatte keine Lust mich weiter zu streiten.
"Wir sehen uns bei der Arbeit Arlene!"
Sie verstand, dass das Gespräch für mich beendet war und stapfte die Treppe hoch Richtung Badezimmer. Sobald Arlene oben war steckte Toby den Kopf aus dem Wohnzimmer heraus in den Flur und sah mich wieder mit seinen großen Augen an. Etwas an seinem Blick erinnerte mich an Tom und mein Herz zog sich zusammen.
Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es Zeit war zu gehen, doch während ich den Türknauf in der Hand hielt, zögerte ich. Ich seufzte und drehte mich noch ein letztes Mal um. „Hör zu, ich weiß das alles in Ordnung ist!", ich strich mir nervös eine Haarsträhne hinters Ohr ehe ich fortfuhr. "Doch, solltet ihr irgendwann mal meine Hilfe brauchen, wohne ich nur zwei Straßen weiter!"
Ich kramte einen alten Zettel aus meiner Tasche und schrieb meine Telefonnummer drauf.
"Und falls doch mal was sein sollte, kannst du mich auf dieser Nummer anrufen!"
Toby nahm den Zettel entgegen und nickte. Ich nickte ebenfalls, fühlte mich ein wenig besser und verließ ich das Haus.
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