Versprich es
„Na meine Süße. Du siehst ja schon viel besser aus." Behutsam streiche ich über Gipsys Stirn, bis ich zwischen ihren Ohren angekommen bin. Dort kraule ich sie etwas intensiver, da ich ganz genau weiß, dass das ihre Lieblingsstelle ist.
Es tut gut, die Stute meiner Schwester wieder auf ihren vier Beinen stehen zu sehen. Als Mum mir sagte, Gipsy sei schwer verletzt, hat bei mir jegliche Vernunft ausgesetzt. Ich war völlig durch den Wind. Was selbstverständlich nicht entschuldigt, was mit Liv passiert ist.
Diese Frau stellt meine ganze Welt auf den Kopf. Sie bringt alles durcheinander und doch rückt sie alles wieder an den richtigen Platz.
Die letzte Nacht wird mir wohl noch sehr lange nicht aus dem Kopf gehen. Was aber hoffentlich vergehen wird, ist der Streit mit meinem besten Freund. Riley ist wie ein Bruder für mich und so wie jetzt war es noch nie zwischen uns. Dabei hat er vollkommen recht. Nicht nur mit dem was er sagt, auch das blaue Auge habe ich verdient. Doch jetzt, wo ich endlich klarere sehen kann was Liv angeht, hoffe ich auch, dass ich meinen Bruder zurückbekomme.
Als er heute Morgen bei Liv zuhause aufgetaucht ist, wusste ich nicht wirklich was ich sagen soll. Diese Nacht gehört nur Liv und mir, niemandem sonst. Und doch musste ich es Riley irgendwie erklären. Sein unbändiger Drang, sie zu beschützen ist mir nicht entgangen. Sollte er nachher wirklich vorbeikommen, so wie ich ihn gebeten habe, dann möchte ich es ihm irgendwie begreiflich machen. Denn was zwischen dem blonden Engel und mir vorgeht, kann ich nicht einmal mir selbst erklären. Wie soll ich es dann meinem besten Freund erklären?
„Grayson, da bist du ja!" Als ich über meine Schulter zum Tor schaue, kommt meine Mutter mit schnellen Schritten auf mich zu und schließt mich in eine feste Umarmung. „Wir haben uns Sorgen gemacht! Du kannst doch nicht ohne ein Wort zu sagen verschwinden!", rügt sie mich, doch ihre Umarmung zeigt mir viel mehr ihrer Sorge. „Entschuldige Mum. Aber das war mir alles zu viel und ich musste noch mit jemandem reden.", antworte ich ihr leise und gebe ihr einen Kuss auf die Wange.
Als meine Mutter mich loslässt, lächelt sie mich kurz an und dann wenden wir uns beide Gipsy zu. „Sie sieht schon viel besser aus. Was sagt Odaire?", frage ich sie und streiche nochmals über Gipsys Stirn. „Sie hat nochmal Glück gehabt. Keine Blutvergiftung oder ähnliches. Allerdings sollte sie das Bein nur mäßig belasten. Die Wunde war recht tief.", erklärt mir meine Mutter und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Sie ist aber nicht mein einziges Sorgenkind..."
Ich stütze mich mit meinen Armen an der Stalltüre ab und lasse den Kopf hängen. „Ich weiß... Mum..." Mit geschlossenen Augen schüttle ich den Kopf. In meinem Verstand geht so viel vor, zu viel, um es für sie in Worte zu fassen. Doch das muss ich auch gar nicht. Meine Mutter legt ihren Arm um meine Schultern und lehnt ihren Kopf an meinen. „Ach mein Kleiner. Ich weiß... Du musst nicht mit mir darüber reden. Aber ich mache mir Sorgen. Wir alle machen uns Sorgen um dich. So bist du doch nicht. Wenn du Zeit brauchts... dann nimm sie dir. Wir können auch ein paar Tage auf dich verzichten. Wenn es sein muss, auch ein paar Wochen. Aber so kann es doch nicht bleiben."
Wie recht sie hat. Doch nach letzter Nacht schöpfe ich ein kleines bisschen Hoffnung, endlich aus meinem dunklen Loch heraus zu finden. „Es tut mir wirklich leid Mum. Alles. Aber es ist so verdammt schwer..." Alles was ich ihr gerne sagen möchte, bleibt in meinem Hals stecken, wo sich ein dicker Kloß bildet. Mir kommen erneut die Tränen, wie eigentlich jedes Mal, wenn ich auch nur für eine Sekunde an meine Schwester denke. Doch ich muss diese Worte einfach loswerden.
Ich atme ein paar Mal tief ein und aus, während meine Mutter sanft meine Schulter streichelt. „Ich fühle mich einfach so allein, Mum. Nicht nur ihr erkennt mich nicht mehr wieder. Aber ich möchte irgendwie wieder leben... Und Liv..." Als ich ihren Namen erwähne wird meine Mutter hellhörig. „Liv?" Mehr sagt sie nicht. Natürlich ist ihr genau das aufgefallen. Doch ich versuche, über ihre mütterliche Neugierde hinweg zu gehen. „Ich habe mich ihr gegenüber verhalten wie ein Arsch. Schlimmer sogar noch! Aber das möchte ich wieder gut machen. Ich war gestern bei ihr und habe mich entschuldigt... danach haben wir lange geredet..."
Das leise Seufzen an meiner Schulter bleibt mir nicht verborgen, doch wenn es meine Mutter glücklich macht, dann sei es so.
Ich hebe den Kopf und schaue zu meiner Mutter auf. „Denkst du... denkst du, ihr könntet nächste Woche wirklich mal ein paar Stunden auf mich verzichten? Und vielleicht auch auf Li... Olivia? Ich würde ihr gerne ein paar Dinge zeigen..." Sofort nickt sie und streicht mir meine Haare aus der Stirn. So hat sie es schon immer gemacht. Eine Geste, die niemals vergehen wird zwischen uns. „Natürlich. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Zola kommt am Mittwoch zurück und die Trainingseinheiten bekommen wir schon verteilt. Aber versprich mir eines." Mum schaut mich ernst an und ich richte mich ein wenig auf. „Sei vorsichtig mit Olivia. Pass gut auf sie auf."
Sofort nicke ich. Nichts läge mir ferner, als das Liv etwas zustoßen könnte. „Selbstverständlich Mum. Was ich ihr bisher angetan habe... ich lasse nicht zu, dass ich oder irgendjemand sonst ihr wehtut.", antworte ich ihr, doch meine Mutter scheint noch etwas auf der Seele zu haben. „Nicht nur deshalb. Grayson, auch wenn es ihr jetzt gut geht... du weißt, wie es war, als dein Vater sich mit seinem neuen Herz übernommen hat."
Wie könnte ich das jemals vergessen.
Auch wenn Dad uns immer weiß machen wollte, es ginge ihm gut, so ist weder Abby noch mir entgangen, wie er oftmals kämpfen musste, um nicht doch zu Boden zu gehen. Und auch, wenn Olivia sich nichts anmerken lässt, so kenne ich die Anzeichen. „Mum, ich weiß. Ich werde auf sie aufpassen. Versprochen." Das ist es wohl, was meine Mutter hören möchte. Sie schließt mich noch einmal fest in ihre Arme und für einen Moment genieße ich ihre Wärme, die mich immer kurz wieder zu dem kleinen Jungen werden lässt, der sich in die schützenden arme seiner Mutter flüchtet.
Doch lange ist mir dieses Gefühl nicht vergönnt, denn meine Mutter schiebt mich eine Armlänge von sich und rümpft die Nase. „Und jetzt mein Lieber, solltest du dringend duschen. Du stinkst schlimmer als ein Brauereipferd!" Und da muss ich ihr leider recht geben!
Nachdem ich mich von meiner Mutter mit dem Versprechen verabschiedet habe, später nochmal vorbeizukommen, mache ich mich zu Fuß auf den Weg nach Hause. Vor ein paar Jahren habe ich ein Cottage bezogen, dass etwas entfernt zum Haupthaus steht. Ich wohne also immer noch auf der Ranch, nah genug, um schnell vor Ort zu sein und doch weit genug vom Trubel entfernt, um für mich zu sein.
Früher wurde es als Gästehaus benutzt, was mir zu Gute kam. Das kleine Häuschen ist top in Schuss, alles an Renovierungen konnte ich zusammen mit Riley oder Dad selbst machen. So habe ich es nach und nach zu meinem Zuhause gemacht. In der kleinen Scheune direkt am Haus habe ich genug Platz, um ein paar Möbel zu restaurieren, die jetzt entweder hier in meinem Haus, in dem von Mum und Dad und auch im Haus meiner Schwester stehen.
Tylers Haus...
Sogar Amylias Wiege haben Ty und ich hier selbst gebaut. Erinnerungen, die für immer mit diesem Ort verbunden bleiben werden...
Der Garten und die Sträucher um das Haus herum sehen noch etwas erbärmlich aus, was Mum jedes Mal wieder schimpfen lässt. Sie liebt die Blumenpracht um das Haupthaus herum, doch hier möchte ich alles nach meinen Ideen gestalten, also hat meine Mutter hier absolutes Pflanz-Verbot. Allerdings sollte ich mich wirklich mal daran machen.
Auf der Veranda drehe ich mich nochmal um und schaue über das Gelände. Von hier vorn kann ich das Haupthaus und auch die Ställe sehen. Auch einen teil der langen Auffahrt zur Ranch kann ich von hier aus überschauen. Dafür habe ich von der hinteren Veranda aus einen unendlich weiten Ausblick auf Wiesen und Felder. Ein Bild, dass mich zur Ruhe kommen lässt.
Doch jetzt muss dieses Bild erstmal warten. Ich brauche dringend eine Dusche und einen Kaffee.
Aber auch dieser Wunsch bleibt mir erstmal verwehrt, denn als ich meine Haustüre öffne, fällt mein Blick sofort auf den großen, massiven Esstisch, der mit Geschenken bedeckt ist.
Gerne würde ich meinen Geburtstag gestern einfach ausblenden, doch der Anblick der zum Teil bunt eingepackten Sachen bereitet mir regelrecht Schmerzen. Geburtstage, Festtage, Jubiläen. Das alles war Abby. Sie liebte es, Feste zu planen, Überraschungen auszuhecken und sich spezielle Geschenke zu überlegen. Meine Schwester ging vollkommen darin auf.
Ohne sie wird es für mich nie mehr dasselbe sein. Genau aus diesem Grund wollte ich gestern auch keine Party, keine Gäste, keine Geschenke, weshalb ich alle Geschenke nehmen möchte, um sie irgendwo außerhalb meines Sichtfeldes zu verstauen. Doch als ich das erste Päckchen nehmen möchte, fällt mir ein kleiner Zettel auf. Ich falte ihn auf und erkenne sofort die Handschrift meines Vaters. Es steht bloß ein Satz darauf, doch dieser eine Satz bringt mich beinahe aus der Fassung.
Hätte Abby das gewollt?
Ich lasse alles so liegen wie es ist und gehe ins Bad. Dort entledige ich mich all meiner Klamotten und steige unter die Dusche. Als ich den Hahn aufdrehe, trifft mich zuerst eiskaltes Wasser, doch das ist mir egal. Schwer atmend muss ich mich an der gefliesten Wand abstützen und versuche, den Kloß in meinem Hals loszuwerden.
Mit steigender Temperatur des Wassers, sinkt meine Selbstbeherrschung. Schließlich kann ich nicht mehr gegen die Tränen ankämpfen und gebe auf. Der Schmerz sitzt so tief in mir, dass ich nicht weiß, was ich tun soll. Und auch wenn mir klar ist, dass ich mit diesem Schmerz werde leben müssen, habe ich keine Ahnung wie ich das tun soll. Abby war immer da. Sie war mein Seelenmensch.
Und sie von jetzt auf gleich zu verlieren, ohne mich bei ihr entschuldigen zu können. Ohne einen Abschied. Es ist einfach die Hölle.
Der vernünftige Erwachsene in mir weiß, dass ich nicht allein leide, doch in Augenblicken wie diesen, fühle ich mich allein.
Ich kann nachts kaum schlafen, weil ich sie immer wieder sehe. Es sind Erinnerungen, Wünsche, aber vor allem immer wieder die letzten Momente, die ich mit meiner Schwester hatte. In denen ich sie angebrüllt habe, sie solle sich aus meinem Leben raushalten. Und jetzt wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass sie hier wäre und sich weiterhin einmischt.
Einzig gestern Nacht konnte ich seit langem wieder ruhig schlafen.
Es war schon eine riesen Erleichterung, als sie mir sagte, dass sie mir verzeiht. Eine noch viel größere Erleichterung war es allerdings, Liv in den Arm zu nehmen.
Das hatte ich nicht erwartet.
Ich wollte sie hassen, wollte ihr die Schuld an Abbys Tod geben und ihr einfach all den Schmerz aufladen, der sich in mir gesammelt hat. Doch als ich diese atemberaubende Frau auf der Veranda meiner Eltern habe sitzen sehen, wollte ich das plötzlich nicht mehr. Noch nie habe ich mich beim Anblick einer Frau so gefühlt. Nicht einmal annähernd. Und jetzt muss ich erst meine Schwester verlieren, um die Frau in meinem Leben zu haben, die mich etwas Derartiges fühlen lässt.
„Dir würde das gefallen, oder?! Wahrscheinlich sitzt du jetzt irgendwo da oben und reibst dir grinsend die Hände.", schniefe ich und muss mir tatsächlich kurz Abby hämisch grinsend auf einer Wolke vorstellen. „Ist es das, was du immer wolltest?! Dafür hättest du aber nicht gehen sollen..."
Die Worte klingen wie eine ungesunde Mischung aus Lachen und Weinen, ich bekomme kaum Luft und meine Sicht ist von meinen Tränen vollkommen verschwommen. Und doch tut es gut. Jeder, der mich jetzt sehen könnte, würde mich für verrückt halten!
Ich stehe hier vollkommen nackt unter der Dusche, heule Rotz und Wasser, rede mit meiner toten Schwester darüber, dass die Frau, die IHR Herz in der Brust trägt, meines erst zum Leben erweckt hat. Doch egal, wie verrückt dieser Moment auch ist, mit jeder Träne wird mein Kopf leerer. Also bleibe ich so lange unter dem warmen Wasserfall, bis all die Anspannung aus meinem Körper gewichen ist und alle Gedanken mit sich genommen hat.
Anschließend schleppe ich mich müde nach oben in mein Schlafzimmer und schaffe es so gerade noch, mir Shorts überzuziehen, ehe ich mich schlapp auf mein Bett fallen lassen. Bevor mir allerdings die Augen zu fallen, greife ich nach meinem Handy und schreibe Liv eine Nachricht.
„Ich bin zu Hause. Du hast keine Ahnung, wie unendlich dankbar ich dir für letzte Nacht bin. Danke für alles. G"
Mehr bekomme ich nicht zustande, denn nach langem bin ich tatsächlich so müde, dass ich ohne weiteres einschlafe.
Geweckt werde ich erst von einer laut zuknallenden Türe, die mich hochschrecken lässt. Als ich auf meinen Wecker schaue ist es schon halb sieben, was bedeutet ich habe den ganzen tag verschlafen. Von unten höre ich Geräusche aus der Küche. Kühlschrank, Vorratsschrank, Glasflaschen. Allein an der Geräuschkulisse erkenne ich, wer in meiner Küche herumgeistert.
Also mache ich mich daran, aufzustehen und mir noch ein Shirt überzuziehen. Bevor ich jedoch nach unten gehe, um mich dem nächsten Gespräch zu stellen, werfe ich einen Blick auf mein Handy. Als ich ihren Namen auf dem Display sehe, muss ich unweigerlich lächeln.
„Gut. Ich hoffe, du und Riley ihr bekommt das wieder hin. Ich möchte nicht Grund für euren Streit sein... Das gestern... ich wünschte, es wäre nie morgen geworden. O"
Kurz schließe ich die Augen. Wie sehr habe auch ich mir genau das gewünscht. Anstatt ihr aber zu antworten, lege ich mein Handy wieder auf meinen Nachttisch zurück. Ich kann Liv erst guten Gewissens antworten, wenn ich mit Riley gesprochen habe. Und genau der wartet unten in meiner Küche.
Ganz wie erwartet steht Riley in meiner Küche und ist dabei, einige Flaschen in den Kühlschrank zu räumen. Auf dem Tisch stehen einige Plastikdosen, die er vermutlich bei Mum mitgenommen hat und in denen sich Mahlzeiten jeglicher Art befinden. Ich trete näher und reiche ihm stumm eine nach der anderen, die er wiederum schweigend in die Kühlung räumt. „Die Grüne nicht.", brummt er lediglich und schlägt die Türe des Kühlschrankes zu. Er hält zwei Flaschen in der Hand mit denen er sich auf den Weg nach draußen macht. Ich nehme mir die grüne Dose, in der ich verschwommen Sandwiches erkennen kann.
Auf der Veranda hinter dem haus setzten wir uns in die Korbsessel und während Riley mir die Flasche mit der Limonade öffnet, nehme ich den Deckel der Dose ab. Schweigend reicht er mir die Flasche und wir stoßen an, ohne uns anzuschauen. In aller Stille essen und trinken wir, beide den Blick starr geradeaus auf die Wiesen gerichtet.
Auch als wir beide nur noch unsere Flaschen in den Händen halten, sagt keiner ein Wort. Doch diese Stille wird unerträglich, weshalb ich es schließlich bin, der das Schweigen beendet. „Es tut mir leid." Riley stößt nu ein spöttisches Lachen aus und zu meiner Schande muss ich ihm recht geben. Etwas besseres konnte mir auch nicht einfallen. „Was genau? Dein Verhalten deinen Eltern gegenüber? Das du deine Trauer und deine Wut an anderen auslässt? Das du ein komplett anderer Mensch geworden bist, den ich kaum noch wieder erkenne? Oder dass du Olivia körperlich angegangen bist?!", zischt er wütend, bei seinen letzten Worten wird er immer lauter.
Ich lasse seine Tiraden über mich ergehen, denn nichts anders habe ich verdient. Und Riley ist noch lange nicht fertig. „Glaubst du, du bist der Einzige, der sie vermisst? Der Einzige, dem sie unglaublich fehlt?! Verdammt Gray, Abby war auch meine für mich eine Schwester! Sie hat mich nach dem Tod meines Großvaters gerettet, das weißt du! Sie hat mehr für mich getan als jemals ein anderer! Ich vermisse sie jeden Tag! Jedes Mal, wenn ich deine Mum oder Amylia sehe, sehe ich ihr Gesicht! Und glaubst du, deine Eltern vermissen sie nicht?! Die beiden mussten ihr eigenes Kind zu Grabe tragen! Und Tyler muss seiner Tochter irgendwann erklären, dass ihre Mutter nie wieder kommt!"
Schwer atmend stockt er, ich traue mich nicht meinen besten Freund anzuschauen Stattdessen schaue ich auf die Flasche in meiner Hand. Kurz überlege ich, ob ich etwas sagen soll, da setzt Riley erneut an: „Und was du mit Olivia abziehst... Alter, ich hätte dich schon viel früher grün und blau schlagen sollen! Sie kann nichts für Abbys Tod, sie kann nichts dafür! Aber du, du machst ihr auch noch ein schlechtes Gewissen, machst ihr weiß, dass sie das Herz nicht verdient hat! Dabei kann Olivia von Glück reden, ein passendes Spenderherz bekommen zu haben! Kannst du dich an die Monate erinnern, die wir um deinen Vater gebangt haben! Oder hast du das alles vergessen?
Grayson, du bist gefährlich für sie! Wer weiß, was du als" Diesmal muss ich ihn lautstark unterbrechen. „Das ist nicht wahr! Alles was du sagst, stimmt und ich habe alle deine Rügen und Beschimpfungen verdient! Aber ich bin keine Gefahr mehr für Liv! Ich will ihr nicht wehtun!" – „Ach, und was hast du bisher getan?!"
Beide schauen wir einander jetzt an, schwer atmend und völlig aufgebracht. „Ich – Ich war gestern bei ihr. Ich will das nicht mehr. Ich möchte nicht mehr so sein, nicht mehr so fühlen! Und Liv, Sie hilft mir.", versuche ich ihm ruhig zu erklären. Doch wie soll ich ihm verständlich machen, was ich fühle, wenn ich es selbst nicht verstehe geschweige denn in Worte fassen kann. „Was soll dieses „LIV"? Seid ihr jetzt plötzlich beste Freunde oder Was?! Keine Ahnung was du ihr erzählt hast, aber dass sie dir so einfach verzeiht... das will nicht in meinen Kopf!", brummt Riley immer noch aufgebracht und völlig in Rage.
Ich versuche immer noch die richtigen Worte zu finden, doch es gelingt mir nicht. Und obwohl die letzte Nacht nur mir und Liv gehört, fange ich an, Riley alles zu erzählen. Denn nicht einmal er weiß, dass Liv mich schon vom ersten Augenblick an aus der Bahn geworfen hat.
„Als sie mit Mum und Dad auf der Terrasse gesessen hat... Da war es schon zu spät. Ich habe sie gesehen und es war wie ein Schlag. Als ich dann begriffen habe, wer sie ist, wollte ich ihr einfach nur weiter die Schuld an allem geben. Irgendjemand... irgendjemand muss doch die Schuld tragen! Jedes Mal, wenn ich sie gesehen habe, wollte ich in ihrer Nähe sein, aber dann hat die Trauer mich überwältigt und ich habe mich grausam verhalten. Immer und immer wieder, und für jedes einzelne Mal hätte ich einen weiteren Faustschlag von dir verdient.
Gestern, da ist alles eskaliert. Erst das mit Gipsy, dann Mums tolle Geburtstagsparty, die ich nicht wollte. Ich war fix und fertig, wollte nur noch weg. Tja, und dann hat Liv alles abbekommen. Als du mit ihr weg bist habe ich mich grauenhaft geschämt. Ich hätte mich am liebsten selbst geschlagen, aber das hast du ja dann erledigt."
Ich schaue kurz zu ihm rüber, doch Riley schaut auf seine Faust, die er gefährlich fest um seine Bierflasche geschlossen hat. Also rede ich weiter. „Mit jedem deiner Worte hattest du recht. Und du hast mich irgendwie wachgerüttelt. Naja... Das habe ich allerdings erst so wirklich heute Morgen begriffen. Denn, nachdem du weg warst, habe ich mir die Flasche Whiskey gegeben, die du hier gebunkert hast." Jetzt schaut er mich doch entsetzt an.
Denn eigentlich rühre ich keinen Alkohol mehr an. Ich war nie ein großer Trinker, hin und wieder mal ein Bier. Doch nach Amylias Gebrut habe ich keinen Tropfen mehr angerührt. Meine Verantwortung als Patenonkel nehme ich sehr ernst. Doch gestern Abend habe ich das Versprechen an mich selbst gebrochen. Und bin anschließend noch mit meinem Wagen zu Liv gefahren. Etwas, für das ich mich selbst mehr verurteile als es jemals ein anderer könnte.
„Ich bin zu ihr gefahren, um mich bei ihr zu entschuldigen. Aber als sie da vor mir stand, so klein und zerbrechlich... und doch so wunderschön... keine Ahnung. Ich konnte einfach nicht mehr gehen. Dass sie mich dann auch noch rein lässt und... und als sie mich in den arm genommen hat... Keine Ahnung Ri. Ich habe wirklich nicht den blassesten Schimmer, was sie mit mir macht. Aber was ich weiß ist, dass ich ihr nicht wehtun möchte. Nie wieder."
Ich kann den Blick nicht heben, bin einfach nicht in der Lage, meinem besten Freund in die Augen zu schauen. Ich meine ihn etwas murmeln zu hören das klingt wie „Fuck", doch ich kann es mir auch eingebildet haben, denn im nächsten Moment lehnt Riley sich schwer atmend in seinem Stuhl zurück und nimmt einen tiefen Zug aus seiner Flasche. Ich tue es ihm gleich und warte auf die Entscheidung. Denn nicht nur Livs Vergebung war mir wichtig. Auch Riley kann ich nicht verlieren. Er ist mein bester Freund, mein Bruder.
„Versprichst du es?", fragt er mit belegter Stimme, woraufhin ich den Blick hebe, nur um zu bemerken, dass er mich seinerseits mit ernster Miene betrachtet. „Versprichst du, ihr nicht wehzutun?", wiederholt er und ich kann nur heftig nicken. „Ich verspreche es! Bei allem was ich habe!", antworte ich mit aller Überzeugung. „Versprichst du mir auch, dass ich endlich meinen besten Freund zurück bekomme? Der Affe fehlt mir nämlich!", brummt er und ich sehe seine Mundwinkel leicht zucken.
In diesem Moment weiß ich, dass ich ihn nicht verloren habe. Auch wenn es mich noch einiges an Arbeit kosten wird, alles bei ihm und auch bei meiner Familie wieder gut zu machen. Fürs erste kann ich aber nur nicken und mit einem festen „Versprochen" meine Flasche gegen die meines Bruders klingen zu lassen.
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