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Liv

Leise auf zischend steige ich die Stufen zu unserem Haus hinauf und öffne die Haustüre. „Hallo?! Mum, ich bin zu Hause!", rufe ich durch den Flur und keine Sekunde später steckt Mum ihren Kopf aus der Küche. „Hey, mein Schatz! Na, wie war dein erster Tag?", fragt sie sofort und mustert mich von oben bis unten. Als ich etwas steif auf sie zugehe, zieht sie die Augenbrauen zusammen.

„Es war toll Mum, wirklich! Alle sind supernett und haben mir gleich alles gezeigt. Und ich hatte heute gleich meine erste Reitstunde.", erzähle ich und reibe über meine Oberschenkel. Denn das war die „Überraschung", die Riley für mich hatte. Er kam mit einem braunen Pferd aus dem Stall, gefolgt von Mika, der einen Sattel und allerhand Gurte trug.

„So kleine Madame, das ist Rio. Er ist unser Reitschulpferd und mit ihm werde ich dir jetzt deine erste Reitstunde geben.", verkündete er stolz und bedeutet mir, ihm zu folgen. Gemeinsam mit Mika betrete ich hinter Riley den kleineren Reitplatz. Mika hängt den Sattel und das restliche Zaumzeug über die Umzäunung und wünscht mir viel Glück. Warum er dabei so komisch grinst, weiß ich erst jetzt. Oder viel mehr spüre ich es jetzt!

Aber auch wenn mir jetzt die Schenkel und der Hintern brennen wie die Hölle, muss ich zugebe, dass es mir wirklich Spaß gemacht hat. Riley hat mir gezeigt, wie man ein Pferd richtig sattelt, wie man aufsteigt und wie man reitet. Zu anfangs hatte ich noch etwas Angst, immerhin habe ich noch nie auf einem Pferd gesessen. Doch nach nur ein paar Minuten war diese Angst verflogen. In diesem Moment verstand ich den Satz: „Das Glück der Welt liegt auf dem Rücken eines Pferdes."

Es kam mir gar nicht fremd vor, eher, als wäre man seit langem wieder aufs Fahrrad gestiegen und nach anfänglichem Zögern konnte ich kaum genug davon bekommen. Zuerst ließ Riley Rio nur im Schritt über den Platz laufen. Und erst nach dem gemeinsamen Mittagessen, nahmen wir uns die schnelleren Gangarten vor und zum Schluss löste Riley sogar die Longierleine vom Halfter des sanften Wallachs, sodass ich tatsächlich einige Runden allein das Pferd führen konnte.

Wenn ich an das Gefühl zurückdenke, das sich in meiner Brust ausgebreitet hat, als ich Rio zum ersten Mal allein bewegt habe, nehme ich das Brennen meines Hinterns gerne in Kauf. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so frei gefühlt. Ein wirklich atemberaubendes Gefühl und ich konnte gar nicht mehr aufhören zu Grinsen. Einzig das Mittagessen ließ meine Freude schrumpfen.

Wie Riley mir erklärte, gibt es jeden Mittag ein gemeinsames Essen im haupthaus. Marshall kocht für gewöhnlich, allerdings stand heute Mittag Laura in der Küche. Schon als wir das Haus betraten stiegt mir der köstliche Geruch von Lauras Eintopf in die Nase. Erst da bemerkte ich, wie hungrig ich eigentlich war. Riley hat mir so viel gezeigt, da habe ich die Zeit einfach aus den Augen verloren.

Bei meinem ersten Besuch hier habe ich mich schon gefragt, wie viele Leute an den großen hölzernen Esstisch im Haus der Tellers passen. Die Antwort bekam ich heute: 12. Und es waren sogar noch Stühle frei!

Als Riley und ich hereinkamen, saßen außer Laura bereits alle am Tisch und es herrschte ausgelassene Stimmung. Zumindest bis ich mich gesetzt hatte. Tyler begrüßte mich und überraschenderweise winkte mir auch die kleine Amilya schüchtern aus ihrem Stühlchen neben ihrem Vater zu. Mit einem Lächeln hob auch ich die Hand, erwiderte ihre Geste, bis ein abschätziges Schnauben meine Aufmerksamkeit erregte.

Schon im nächsten Moment schob Grayson am anderen Ende des Tisches seinen Stuhl zurück, schnappte sich seinen Teller und ging zu seiner Mutter in die Küche. Unter Lauras Protest belud er seinen Teller mit Eintopf, schnappte sich noch eine Ecke Brot dazu und verschwand ohne ein Wort hinten aus dem Haus.

Alle am Tisch hatten das Schauspiel beobachtet und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie alle wissen, warum Grayson so reagiert hat. Mir war der Appetit danach gründlich vergangen und ich wollte schon aufstehen, als Sarah neben mir ihre Hand über meine gelegt hat. In ihrem Lächeln lag so viel Verständnis, aber irgendwie auch Mitleid. „Lass ihn. Er wird sich beruhigen und auch einsehen, was für ein wundervoller Mensch du bist.", sagte sie leise und ich musste mich wirklich beherrschen, nicht doch noch in Tränen auszubrechen.

Denn, auch wenn ich gedacht hatte, es würde schon gehen: Graysons abweisende Art tut weh. Ich verstehe ihn, ja. Und ein gewisser Teil von mir schreit, dass ich genau das verdient habe. Doch tief in meinem Innern tut es einfach nur weh. Besonders schmerzt es dem Teil in mir, dem ganz warm wird, wenn Grayson lächelt. In live gesehen, habe ich das nur einmal und es war so schnell verschwunden, dass ich es mir fast eingebildet haben könnte. Und doch geht es mir nicht mehr aus dem Kopf.

Aber für mich wird er wohl nie ein solches Lächeln übrig haben...

Letztlich war es Riley, der sich ebenfalls einen vollen Teller nahm und seinem besten Freund nach draußen gefolgt ist. Mir war immer noch mehr als unwohl, doch nachdem alle am Tisch einfach wieder ihren Gesprächen nachgingen als wäre nichts gewesen, löste sich die Faust um mein Herz langsam wieder, auch wenn sie nicht vollends verschwinden wollte.

Aber dank Sarah neben mir fand ich schnell Anschluss und es wirkte fast so, als wäre es nie anders gewesen. So half ich auch nach dem Essen ohne Frage beim Abräumen und wartete zusammen mit Sarah, Laura und Amelia im Haus, bis Riley irgendwann mit den leeren Tellern zurückkam. Ohne ein Wort über den Zwischenfall beim Essen zu verlieren, grinste er mich an und fragte: „Wollen wir? Oder tut dir der Hintern jetzt schon weh?!"

Diesen Spruch durfte ich mir den ganzen Nachmittag immer mal wieder anhören. Und auch wenn meine Beine tatsächlich beim letzten Absteigen schon verdammt schmerzten, bekam Riley auf seine Frage nur ein zuckersüßes Lächeln. Niemals hätte ich zugegeben, dass er recht hat.

Riley ist wirklich toll. Zwar hat er immer mal wieder ernst gefragt, ob es mir noch gut geht oder ob ich eine Pause bräuchte, doch ansonsten hat er mich behandelt, wie jeden anderen auch. Am Ende des Tages fühlt es sich fast so an, als hätte ich den Tag mit meinem Bruder verbracht. Es war wirklich schön mal nicht behandelt zu werden wie ein rohes Ei. Auch wenn er sich seinen letzten Spruch wirklich hätte sparen können.

Als ich nämlich mit Tabetha zum Auto ging, kam Riley uns hinterher und drückte mir einen Tiegel in die Hand. „Reib dir damit nach dem Duschen die schmerzenden Stellen ein." Gerade als ich mich für diese nette Geste bedanken wollte, schob er nach: „Wir wollen ja nicht, dass deine jungfräulichen Schenkel morgen wund sind." Mein Gesicht verwandelte sich innerhalb von Sekunden in eine überreife Tomate und am liebsten hätte ich ihm eine geknallt. Doch Riley entfernte sich in weiser Voraussicht von mir und warf mir laut lachend einen Luftkuss zu.

Mum beömmelt sich natürlich, als ich ihr das erzähle. „Oh, das hätte ich so gern gesehen!", lacht sie und hält sich den Bauch. „Na vielen Dank Mum!", gebe ich beleidigt zurück, obwohl ich mir selbst auf die Lippe beißen muss, um nicht loszulachen. „Ich sehe schon, du hast bei der Arbeit eine Menge Spaß.", sagt sie und wird im nächsten Moment ernst. „Du bereust es also nicht?", fragt sie und ohne zu zögern kann ich den Kopf schütteln. „Nein Mum. Ich find's toll hier. Ich mag das Haus, die Arbeit auf dem Hof, die Menschen hier... Ich möchte hier gar nicht mehr weg."

Das stimmt zumindest zu 99 Prozent. Das eine Prozent von mir, dass gerne wieder weg möchte, ist der Teil, der Graysons stumme Schuldzuweisung nicht ertragen kann und sie gleichzeitig für Wahr hält. Doch davon erzähle ich Mum nichts, vor allem nicht, nachdem sie begeistert von ihrem ersten Arbeitstag erzählt. Ich glaube, ich habe meine Mutter in zwanzig Jahren noch nie so strahlen gesehen.

„Oh, und es gibt noch Jackson. Ein wirklich netter Kerl, ist sogar in deinem Alter.", hängt sie noch an und ich hebe fragend die Augenbrauen. „Und?! Willst du mich etwa schon verkuppeln?" Das unschuldige Schulterzucken nehme ich ihr nicht ab, denn ihr Grinsen verrät sie. „Mum! Wir wohnen gerade mal drei Tage hier!", gebe ich empört von mir, doch Mum grinst nur weiter, hebt dann aber doch abwehrend die Hände. „Schon gut! Ich meine es doch nur gut!"

Nach dem Abendessen schleppe ich mich die Treppe hinauf nach oben, mittlerweile spüre ich neben meinen Schenkeln auch deutlich die Müdigkeit in meinen Knochen. Lange habe ich keinen so anstrengenden Tag mehr gehabt. Aber was ich jetzt spüre ist eine zufriedene Erschöpftheit. Der Tag war wirklich spannend und ich freue mich tatsächlich auf morgen.

Das Ausziehen der Hose gestaltet sich schon verdammt schwer und als ich unter das warme Wasser der Dusche trete, muss ich einen Schrei unterdrücken. Mein Hinter und meine Oberschenkel brennen furchtbar, doch da muss ich jetzt durch. Wieder gehen mir Rileys dreckige Witze über meine „jungfräulichen Schenkel" durch den Kopf und ich möchte ihn verfluchen.

„Dämliche Arschgeige!"

Obwohl meine Kehrseite sich mehr als beschwert, bleibe ich etwas länger als nötig unter dem angenehmen Wasserstrahl stehen und genieße das entspannende Gefühl. Doch irgendwann wird das Wasser langsam kälter, also spüle ich meine Haare aus und steige aus der Dusche.

Als ich schließlich nackt vor den Spiegel trete, fällt mein Blick heute zum ersten Mal auf meine Narbe. Vom Duschen leicht gerötet teilt sie praktisch meinen Brustkorb in zwei Hälften und auch wenn sie mir nur zeigt, dass ich überlebt habe, hasse ich dieses Ding. Bereits vor der Transplantation musste ich zwei Operationen über mich ergehen lassen. Und auch mehr als einmal wurde ich aufgrund meiner Narben gehänselt.

Schnell streife ich mir mein Schlafshirt über, dessen Ausschnitt zwar eine Schulter entblößt, aber trotzdem meine Narbe für den Moment unsichtbar macht. Auf Dauer ist das aber keine Lösung. Ich habe bereits heute gemerkt, dass es hier ziemlich warm werden kann, da bin ich mit meinen zum Teil hoch geschlossenen Shirts und Hemden schlecht bedient. Wie sehr habe ich mir am Nachmittag gewünscht, ich hätte auf die Blicke der anderen geschissen und ein Tanktop angezogen.

Aber wem mache ich was vor? Mich selbst stört der Anblick oft genug, nein, manchmal widert er mich sogar an. Wie kann ich da die Blicke anderer nicht wahrnehmen?! Jedes Mal möchte ich mich am liebsten verstecken und meine ausladende Oberweite macht es da nicht besser.

Schnell flechte ich mir meine Haare zusammen und verlasse das Bad. Auf dem Flur begegne ich Mum, die gerade mit einem Wäschekorb unter dem Arm nach unten gehen möchte. „Ich kann das machen, dann kannst du schon duschen.", sage ich schnell, doch meine Mutter schüttelt den Kopf. „Du hast für heute genug getan, dir fallen ja schon fast die Augen zu! Geh schlafen Äffchen.", erwidert sie und mit einem Kuss auf die Wange, schiebt sie sich einfach an mir vorbei.

„Gute Nacht Mum. Hab dich lieb!", rufe ich ihr noch hinterher und gehe in mein Zimmer. Hier oben befinden sich nur unsere Schlafzimmer und das große Badezimmer. Groß ist das Haus nicht, aber für uns beide reicht es alle Male. Außerdem ist es wirklich gemütlich und dank Grandmas ständiger Fotografiererei haben wir an allen Wänden Fotos hängen, die dieses kleine Häuschen noch mehr zu unserem Zuhause machen.

Bevor ich mich in mein Bett fallen lassen kann, fällt mein Blick auf den Tiegel, den Riley mir gegeben hat. Ich greife danach und öffne ihn, obwohl ich bei dem Geruch, der mir entgegenschlägt, die Dose lieber gleich wieder zugeschraubt hätte. „Bäh, was ist das denn?!" Ich verziehe das Gesicht, doch letztlich gebe ich mich geschlagen. Ich entledige mich meines Höschens und reibe auf die brennenden Stellen ein wenig von der übelriechenden Salbe. Allein die Farbe ist schon widerlich, aber nachdem ich alle Stellen eingeschmiert habe, ziehe ich eine halblange Hose an, damit mein Bett nicht versaut wird.

Als ich endlich in meinem weichen Bett liege, seufze ich wohlig und kuschle mich tiefer in die Kissen. Sofort schlafen kann ich allerdings nicht, also schnappe ich mir mein Handy und schaue mir die Bilder an, die ich heute gemacht habe. Alles Mögliche auf dem Hof habe ich fotografiert, außerdem hat Sarah während meiner Reitstunde von mir Fotos gemacht. Dazwischen sind auch Fotos von Sarah und mir und auch Mika hat sich hier und da mal auf eines der Fotos geschlichen.

Als letztes habe ich noch ein Selfie von Riley, Sarah, Mika und mir gemacht. Mit allen verstehe ich mich gut, aber ich glaube, die drei sind mir die liebsten. Auch wenn sie alle Jahre älter sind als ich, merkt man das überhaupt nicht. Sie sind so voller Leben und ich glaube, Mika kann so rein gar nichts die Laune verderben.

Ich beschließe, dieses Bild an die drei zu schicken und mich für den tollen ersten Tag zu bedanken. Kaum eine Minute später bekomme ich bereits eine Antwort von Riley.

„Nichts zu danken, kleine Madame! Hat wirklich Spaß gemacht und ich kann mich nur wiederholen: Du bist ein Naturtalent.

Und keine Sorge, den Rest der Woche halte ich dir Grayson vom Hals, da gibt es keine Zwischenfälle... Versprochen!

Gute Nacht!

P.S. Hast du auch brav die Salbe benutzt?!"

Auch wenn mir der Satz mit Grayson bitter aufstößt, muss ich wie eine bekloppte Grinsen.

„Danke! Und ja, ich habe dieses fies stinkende Zeug auf meine Beine geschmiert! Wenn das nicht hilft, kann dich keiner mehr retten!", antworte ich ihm und bekomme kurz darauf einen schockierten Smiley zurück. Es folgt aber noch eine Nachricht.

„Spaß beiseite. Ich weiß, das Zeug stinkt wie die Pest, aber es wirkt. Benutz es so lange, bis sich dein Körper an das Reiten gewöhnt hat, danach brauchst du das nur noch nach einem ganzen Tag im Sattel."

Noch einmal antworte ich ihm: „Vielen Dank Riley. Für alles. Sehen uns morgen, schlaf gut."

Anschließend lege ich mein Handy auf den Nachttisch und zieh mir die Decke bis unter mein Kinn. Mum macht sich immer darüber lustig, dass ich sogar bei dreißig Grad Außentemperatur mit Decke schlafe, aber ohne kann ich einfach nicht! Also rolle ich mich schön in meine Decke ein, höre zwar noch wie mein Handy erneut vibriert, doch mein Körper ist schon ganz schwer und ich werde einfach in den Schlaf gezogen.

So vergeht meine gesamte erste Woche hier in Washington/Texas. Die restlichen Tage begleite ich zum Teil Sarah und die restliche Zeit Mika. Ihm kann ich bei der Pflege der Tiere helfen, was für mich bedeutet: Boxen misten, Futter für jedes Tier passend zusammenführen, Wasser überprüfen, sowie die Pferde striegeln, zäumen oder auf eine der Wiesen bringen. Auch wenn es für mich wirklich anstrengend ist, macht es mir richtig Spaß. Vor allem die Arbeit mit Mika fühlt sich einfach nicht wie Arbeit an.

Mit Sarah darf ich weiter Reitstunden nehmen und ihr bei ihrem Training zuschauen. Es ist beeindruckend, wie diese doch recht zierliche Person diese zum Teil wirklich großen Tiere unter Kontrolle hat und ihnen das beibringt, was sie lernen sollen. Ob es springen über Hindernisse, das Laufen spezieller Figuren auf dem Platz oder aber reines Gehorsam ist, bei Sarah sieht das alles so leicht aus. Doch sie erzählt mir das Gegenteil.

„Nur weil es leicht aussieht, ist es das noch lange nicht. Die Ausbildung solcher Pferde bedarf eine Menge Konzentration und auch körperliche Ausdauer. Lass dich also nicht täusch meine Liebe!"

Ich werde es mir merken, denn immerhin möchte ich auch Ghost irgendwann wenigstens reiten können. Aber das wichtigste ist mir bei ihr, dass sie ihre Angst verliert. Sie kann ja nicht auf ewig allein in ihrem Auslauf stehen und jedes Mal in Panik geraten, wenn einer der Männer zu nah am Auslauf vorbei geht.

Viel Zeit habe ich leider in den ersten Tagen nicht für sie. Doch es ist mir wichtig, mich hier einzufinden und den anderen eine aktive Hilfe zu sein. Außerdem möchte ich nicht jedes Mal nachfragen müssen, wenn ich etwas brauche oder tun möchte. So verbringe ich jeden Tag nur knapp zwei Stunden mit ihr, in denen ich ihren kleinen Unterstand miste und ihr frisches Futter und Heu bringe. Anschließend stehen wir meistens nur da und sie lässt sich von mir streicheln. Doch ich glaube, genauso schaffe ich es, dass Ghost mir ihr Vertrauen schenkt.

Und tatschlich kann nichts meine Laune drücken.

Riley hat sein Versprechen wahr gemacht und ich sehe weder ihn, noch Grayson. Auch Tyler sehe ich nur kurz, meist wenn er bei Laura und Marshall nach seiner Tochter sehen wollte. Es war auch Laura, die mir letztlich erklärt hat, warum die drei so beschäftigt sind. „Grayson, Tyler, Sarah und ich nehmen unter anderem an Cross-Country-Rennen teil. Wir gewinnen auch regelmäßig und letztes Jahr hatten wir die Idee, auch selbst einen Parcours anzulegen. Bisher haben wir mit improvisierten Hindernissen trainiert, aber die Männer hatten ein neues Projekt gefunden und ließen sich nicht mehr davon abbringen."

Allerdings wurde ihr Lächeln etwas traurig und ich traute mich überhaupt nicht nachzufragen. Allerdings hatte ich meine Mimik noch nie wirklich unter Kontrolle und so gab Laura mir eine Antwort auf meine stumme Frage. „Sie haben letztes Jahr auch noch damit begonnen. Aber dann..." Ihre Stimme zitterte leicht, aber sie musste auch gar nicht weitersprechen, ich verstand auch so, zu welcher Zeit das Projekt zum Erliegen kam.

Ich nahm Lauras Hand in meine und drückte sie kurz. „Tut mir leid, ich wollte nicht fragen..." Laura aber hatte sich – zumindest äußerlich – recht schnell wieder gefangen. „Ach schon gut. Ich glaube immer, ich käme irgendwie damit klar und dann gibt es doch Momente, in denen es mich unvorbereitet trifft."

Doch trotz dieses traurigen Moments, in dem ich wirklich dachte, ich sollte lieber abhauen und mich nicht mehr blicken lassen, bin ich jeden Abend mit einem Lächeln eingeschlafen. Und auch, als ich am Samstagmorgen mit Grandma und Grandpa telefoniere, komme ich aus dem Lachen gar nicht mehr raus. Ich erzähle den beiden jede Einzelheit, alles was ich in den letzten fünf Tagen getan habe. Am meisten freut es meine Grandma aber, dass ich Freunde gefunden habe.

„Du hast es zwar nie gesagt, aber du warst einsam meine Kleine. Es ist schon schade, dass es zwanzig Jahre gedauert hat, aber jetzt kann ich dich durch das Telefon strahlen hören!", sagte sie sanft und am liebsten wäre ich ihr um den Hals gefallen. Sie hat recht, Freunde hatte ich eigentlich nie wirklich. Zwar waren da immer Kinder, die mich nicht hänselten oder ausgrenzten, aber wirklich befreundet waren auch die nicht mit mir.

Hier habe ich tatsächlich nach einer Woche mehr Freunde als in den letzten zwanzig Jahren. Und heute Abend feiern wir alle zusammen. Diese Woche hatte Patrick Geburtstag und er hat Mum und mich zu seinem Barbecue heute am späten Nachmittag eingeladen. Auch meine neuen Kollegen sind alle eingeladen, genauso wie einige Kollegen meiner Mum, die zwar für Patrick arbeiten, doch ich habe ja selbst in den letzten Tagen gemerkt, dass hier nicht wirklich auf sowas geachtet wird. Ich freue mich schon richtig darauf. Nicht nur auf die anderen, sondern auch auf das Essen. Schon seit heute Morgen weht ein unglaublich leckerer Geruch zu uns rüber, sodass ich am liebsten schon zum Frühstück ein fettes Steak gehabt hätte.

Da ich also noch ein bisschen warten muss, räume ich ein wenig auf. Mum und ich haben noch ein paar Kartons, die nicht ausgepackt sind und genau diese fallen mir jetzt zum Opfer. Das meiste darin sind noch Haushaltsutensilien, die ich in der Küche und in der Waschküche verstaue. Dabei fällt mein Blick auf die Waschmaschine, deren grün blinkendes Licht mir sagt, dass sie fertig ist. Anstatt die Wäsche in den Trockner zu räumen, stopfe ich alles in den Wäschekorb und wuchte ihn nach draußen. In unserem kleinen Garten sind drei Reihen Leine gespannt, auf die ich unsere Wäsche zum Trocknen hänge.

Als ich gerade dabei bin, den letzten Karton wieder zusammen zu falten, um ihn mit den anderen in der Garage zu verstauen, höre ich wie die Haustüre aufgeht. „Ich bin wieder da!", ruft Mum quer durch das kleine Haus und kurz darauf fallen ihre Schlüssel klimpernd in die Schale auf der Kommode.

Bevor ich antworten kann, kommt sie schon in die Küche, sie trägt immer noch eine ihrer abgewetzten Jeans, die sie hier zur Arbeit trägt. Ja, meine Mum ist nach einer Woche schon so in ihrem Job aufgegangen, dass sie sich an einem Samstag dazu bereit erklärt hat, nach einem Patienten zu sehen. Der Hund ist gestern angefahren worden und Patrick musste ihn operieren. Und Mum wollte natürlich sicher gehen, dass es dem Kleinen auch heute nach der OP gut geht.

„Und, wie wars?", frage ich sie, während Mum erstmal zum Kühlschrank geht und sich eine Flasche Wasser herausnimmt. „Alles Palletti für heute. Das Sorgenkind ist quietsch fidel und wollte gleich herumrennen. Ich werde morgen nochmal nach ihm sehen. Ich hoffe nur, wir finden noch heraus, wem das Kerlchen gehört.", antwortet sie, lehnt sich an die Küchenplatte und nimmt einen Schluck.

Oh ja, Mum ist angekommen, voll und ganz. Für sie könnte es nicht besser laufen und ich bin so froh, dass sie endlich das Leben zu haben scheint, dass sie sich immer gewünscht hat. Schon in den letzten Tagen ist mir aufgefallen, dass sie strahlt wie noch nie zuvor. Eigentlich fehlt ihr jetzt nur noch der richtige Mann und ich hoffe, dass sie jetzt, wo sie sich nicht mehr ständig um mich Sorgen machen und kümmern muss, auch dafür endlich Platz in ihrem Leben hat.

„Hast du alles ausgepackt?", unterbricht Mum meinen Gedankenstrudel und nickt zu dem Stapel gefaltete Kartons. Eifrig nicke ich. „Ja, alles ausgepackt. Somit sind wir offiziell angekommen!", verkünde ich feierlich und bringe Mum damit zum Lachen. „Sag das nicht zu laut, sonst müssen wir ruck zuck noch eine Einweihungsparty schmeißen!" Gespielt geschockt schlage ich mir eine Hand vor den Mund und schaue mich ertappt um, was Mum erneut losprusten lässt.

„Wo wir schon mal bei Party sind. Ich gehe schonmal duschen, dann hast du nachher genug Zeit dich fertig zu machen." Sie zwinkert mir wissend zu, ich allerdings ziehe fragend die Augenbrauen hoch. „Du weißt aber schon, dass ich nie lange brauche, um mich fertig zu machen. Warum sollte das heute anders sein?", frage ich sie ahnungslos und innerlich denke ich darüber nach, ob ich etwas verpasst habe.

„Naja, Jackson wird auch da sein und ich dachte, ihr beide könntet euch doch mal kennenlernen.", eröffnet sie mir ganz unschuldig, als wäre es das normalste der Welt. Stöhnend lasse ich meinen Kopf in den Nacken fallen. „Mum! Lass das!" Auf eine Verkupplungsaktion meiner Mutter habe ich heute so gar keine Lust. Außerdem bin ich im Moment glücklich mit allem, so wie es eben ist. Ein Mann ist zurzeit nicht im Plan inbegriffen. Doch das sieht Mum offensichtlich anders.

„Ach Äffchen! Jackson ist wirklich ein netter Kerl, gib ihm doch eine Chance. Lern ihn erstmal kennen und dann sehen wir, was daraus wird.", redet sie unbehelligt weiter, ignoriert jegliche Proteste. Selbst mein Argument, dass ich vielleicht eher auf die bösen Jungs stehen könnte, wischt sie mit einer Handbewegung vom Tisch. Damit habe ich die Diskussion verloren, aber das heißt nicht, dass ich jetzt irgendetwas anders machen werde als sonst. Schön, ich kann mich ja mal mit diesem Jackson unterhalten. Wer weiß, vielleicht ist er ja wirklich kein übler Kerl und ich werde von einem Gespräch ja nicht gleich tot umfallen.

Wie vorausgesagt bin ich weit vor meiner Mum fertig und dass, obwohl sie lange vor mir geduscht hat. Ich habe es sogar geschafft, meine mittlerweile hüftlangen blonden Haare trocken zu föhnen und sie anschließend zu einem lockeren Zopf zusammen zu flechten. So stehe ich in meinem beigen Sommerkleid unten in der Küche und warte darauf, dass Mum endlich fertig wird. „Mum! Ich verhungere gleich!", rufe ich nach oben, in der nächsten Sekunde höre ich dann endlich Schritte.

Als Mum in die Küche kommt, steckt sie gerade noch einen Ohrring an ihr Ohr. „So, da bin ich doch schon!", antwortet sie, als sein nichts gewesen. Sie trägt einen hellen, bodenlangen Rock und ein lockeres Top. Ihre Haare sind noch leicht feucht, dafür locken sie sich schön. „Du siehst toll aus Mum. Hoffst du, jemand bestimmtes zu treffen?"

Sie reißt ertappt ihre Augen auf und tatsächlich schimmern ihre Wangen in einem leichten Rosa. „Ähm... Nein, niemanden... wie kommst du darauf?", erwidert sie, ihre Stimme dabei eine Tonlage zu hoch. Daher läuft also der Hase. Dabei erinnere ich mich an Matts Blicke und Mums mädchenhaftes Gekicher, als sie sich bei unserem Einzug mit ihm unterhalten hat.

„Ahja. Und dieser Niemand heißt nicht zufällig Matt?!" Die Wangen meiner Mutter werden noch rosiger, aber ehe ich sie erneut aufziehen kann, hat sie sich schon ihre Schlüssel geschnappt und läuft in Richtung Tür. „Komm jetzt, wir wollen ja nicht zu spät kommen!", scheucht sie mich und lachend folge ich ihr. Wie es aussieht, muss ich mir um den Mann keine Sorgen machen.

Drüben bei den Odaires an der Haustüre entdecken wir lediglich einen Zettel, auf dem groß steht: „Einfach um die Garage herum in den Garten!" Wir folgen der Anweisung an der Türe, obwohl die gar nicht nötig wäre. Schon als wir vor der Garage entlang gehen, hören wir laute Stimmen und ich erkenne ganz eindeutig Mikas unverkennbares Lachen.

Als wir in den Garten kommen, ist es auch er, der uns als erstes entdeckt. „Ah, schau an! Die neuen Nachbarn!", ruft er und ich lasse mich in seine Arme ziehen. Auch daran habe ich mich schnell gewöhnt. Die Menschen hier sind einfach sehr viel offener, herzlicher und vor allem auch körperlicher. So lande ich gleich, als ich aus Mikas Armen entlassen werde, in denen seiner Frau.

Sarah sieht einfach toll aus. Auch in Jeans und Shirt sieht sie schon gut aus, aber jetzt steht sie in einem luftigen Sommerkleid vor mir und ihre Mahagoni farbenen Haare fallen ihr in großen Wellen über den Rücken. „Wow Sarah! Du siehst toll aus.", platzt es schließlich aus mir heraus und Sarah dreht sich vor mir einmal grinsend im Kreis. „Hey, meine Frau sieht immer toll aus!", beschwert sich Mika hinter mir und knufft mich leicht in die Seite, ehe er sich Sarah schnappt und sie an seine Seite zieht.

Die beiden sind ein wirklich süßes Paar. Man könnte meinen, sie sind frisch verliebt, dabei sind die beiden schon seit siebzehn Jahren zusammen. Damals war Sarah gerade mal sechzehn und Mika bereits zwanzig. Doch die beiden hielt das wohl von Nichts ab. „Hätten meine Eltern das erfahren, sie hätten Mika eigenhändig zum Sheriff geschleift!", erzählte mir Sarah, als ich sie gefragt habe, wie lange sie schon mit Mika zusammen sei. Dabei erfuhr ich dann nicht nur, wie lange, sondern auch, dass sie bereits seit elf Jahren verheiratet sind. Und trotzdem sind sie noch immer verliebt wie am ersten Tag.

Genau das wünscht sich jedes Mädchen doch, oder?

Ich lasse die beiden Turteltauben allein und gehe zu Patrick, der an seinem Grill steht. Ein riesiges Ding, der Übeltäter, der schon seit heute Morgen diesen unfassbar leckeren Duft durch die Nachbarschaft verteilt. „Das riecht fantastisch!" Patrick dreht sich zu mir und wischt sich schnell seine Hände an der Schürze ab, ehe er sie ablegt und mich zur Begrüßung umarmt.

„Und es schmeckt noch viel besser, glaub mir!", erwidert er. Na, das hoffe ich doch! Schon den ganzen Tag verlangt mein Magen nach Fleisch. Nachdem Patrick auch Mum begrüßt hat, biete er uns etwas zu trinken an und nachdem wir alle versorgt sind, setzten wir uns mit Mika und Sarah an den großen Tisch, der mitten im Garten auf der Wiese steht.

„Wo ist eigentlich Tabetha?", frage ich an Patrick gewandt, nachdem ich einen Schluck meiner Limonade genommen habe. „Sie ist noch in der Küche. Sie hat mich raus gejagt, ich würde ihr sonst nur am Salat herum fuschen,", antwortet mir dieser und bringt damit alle am Tisch zum Lachen. Ich stelle mein Glas ab und erheb mich. „Ich gehe ihr mal hallo sagen."

Drinnen höre ich Tabetha lachen. Ich folge ihrer Stimme und finde sie mit ihrem Sohn Adam in der Küche. Die beiden spießen gerade Käsewürfel und kleine Fleischklöße auf kurze Spieße. „Oh, hi Olivia!" Tabetha begrüßt mich mit einer halben Umarmung, darauf bedacht ihre fettigen Finger nicht an meinem Kleid abzuwischen. Adam steht schüchtern an der Kücheninsel und murmelt lediglich leise: „Hi." Dann macht er sich einfach wieder an die Arbeit.

Mich überrascht seine Reaktion nicht, hat Tabetha uns doch bereits bei unserem Einzug erklärt, dass Adam recht schüchtern ist und seine Zeit braucht, um mit ihm fremden Menschen warm zu werden. Deshalb lasse ich ihn, bedränge den Kleinen nicht und biete stattdessen Tabetha meine Hilfe an. „Ach, wir sind eigentlich schon fertig. Aber es wäre ganz toll, wenn du uns beim Tragen helfen könntest!"

Also schnappe ich mir zwei Schüsseln, während auch Tabetha sich mit zweien belädt und zusätzlich noch Salatbesteckt zu packen bekommt. Adam geht vor uns her und trägt mit höchster Konzentration die Platte mit den Käse und Fleischbällchenspießen nach draußen. Dort ist es deutlich lauter als noch vor ein paar Minuten, denn mittlerweile sind auch Laura und Marshall, sowie Grayson und Riley da. Gerade als Mika mir eine Schüssel aus der Hand nimmt, kommen auch Tyler und Robert mit Amilya hinter der Garage hervor.

So gibt es erneut eine Reihe von Umarmungen, bis ich plötzlich vor Grayson stehe. Ich bin wie erstarrt, weiß nicht wirklich was ich tun soll. Eine Umarmung wäre vollkommen falsch, doch ihm einfach die Hand geben? Mein Puls beschleunigt sich, ich kann ihm kaum in die Augen schauen.

Doch bevor ich weiter nachdenken kann, steht Tabetha zwischen uns und schließt Grayson in ihre arme, während ich mich in Rileys Armen wiederfinde. „Hallo, kleine Madame! Du siehst wirklich schön aus." Er nimmt meine Hand und dreht mich übertriebener Weise einmal im Kreis. Auch wenn es mir etwas peinlich ist, bringt er mich zum Lachen und lässt den kurzen Schockmoment wieder verschwinden.

„Du siehst auch nicht schlecht aus.", erwidere ich und mustere ihn. Tatsächlich sieht er zum Anbeißen aus in seiner Jeans und dem dunklen Hemd, das deutlich über seiner Brust spannt. „Ach, nicht schlecht also?!", fragt er gekränkt doch das Zucken seiner Mundwinkel verrät ihn sogleich. Also verschränke ich meine Arme vor der Brust und betrachte ihn nochmal. „Ja, ja ich würde sagen nicht schlecht."

Ein Schnauben hinter uns lässt mich zusammenzucken. Nur aus dem Augenwinkel sehe ich Grayson, doch es reicht für mich, um mich mit einem entschuldigenden Blick zu Riley von ihm abzuwenden und mich wieder auf meinen Platz zwischen Patrick und Sarah zu setzten. Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, doch als Sarah leicht meinen Arm drückt merke ich, dass ich nicht sehr gut darin bin.

„Also, jetzt erzähl mal! So nach deiner ersten Woche. Gefällt es dir hier?", fragt Sarah und ich bin ihr so unendlich dankbar, dass sie mich ablenkt. Also drehe ich mich auf meinem Stuhl ein wenig in ihre Richtung und antworte: „Es gefällt mir richtig gut hier. Ich glaube, so schnell werdet ihr mich nicht mehr los!"

Den gesamten Abend schaffe ich es nicht, Grayson aus meinen Gedanken zu verbannen. Wie denn auch, wenn sein Lachen auf mich so verdammt anziehend wirkt und ich mich jedes Mal beherrschen muss, nicht in seine Richtung zu sehen. Er sitzt gemeinsam mit Tyler und Riley am anderen Ende des Tisches, Grayson auf derselben Seite wie ich, sodass sich unsere Blicke nicht begegnen können.

Doch seine Stimme, sein Lachen dringen immer wieder zu mir durch und ich verfluche meinen dämlichen Körper, der einfach nicht tun will, was ich ihm sage. Es soll doch nur aufhören zu kribbeln! Aber jedes Mal, wenn ich wieder Graysons tiefe Stimme über die der anderen hinweghöre, kribbelt es noch mehr.

Aber Sarah schafft es immer wieder mich abzulenken. Sie erzählt mir einfach alles über die Stadt, die Leute und obwohl sie kein einziges Bier hatte, wird sie immer redseliger und ihre Geschichten immer schlüpfriger. Ich bekomme vermutlich das ein oder andere Mal rote Wangen, doch es ist einfach viel zu interessant, als das ich Sarah stoppen könnte.

Leider unterbricht uns immer wieder Jackson, der sich, nachdem meine Mutter uns vorgestellt hat, mir direkt gegenüber niedergelassen hat. Mum hat ihn als netten, jungen Mann beschrieben. Das einzig wahre Wort daran ist jung. Jackson ist nicht nett, er ist ein Schleimer. Er versucht ständig mir Komplimente zu machen, quatscht Sarah dazwischen, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen.

Und von Mann wollen wir bei Jackson bitte nicht reden. Würde ich ihm auf der Straße begegnen, käme ich niemals darauf, dass er 21 Jahre alt ist. 15 wäre mir da eher in den Sinn gekommen. So bekommt Mum von mir einen bösen Blick, doch sie ist viel zu sehr in ihr Gespräch mit Matt beschäftigt. Die beiden haben sich einander zugewandt und ich bin mir ziemlich sicher, dass Matt nicht mehr lange seine Hand nur auf der Lehne ihres Stuhles liegen hat.

„Ok Leute!" Patrick erhebt sich und seine Stimme donnert über alle anderen hinweg. Sofort verstummen die Gespräche und alle wenden sich dem Gastgeber zu. „Erstmal danke ich euch, dass ihr alle gekommen seid. Ich will auch gar keine lange Rede halten, deshalb nur danke und guten Appetit!" Alle heben ihre Getränke zum Tost und nachdem jeder den obligatorischen Schluck genommen hat, macht sich Patrick daran, die Leckereien vom Grill zu holen.

Er hat in den letzten Minuten noch Gemüsespieße und Würstchen daraufgelegt, die er jetzt auf eine Platte legt und sie auf den Tisch stellt. Dann geht er nochmal zurück und holt das Prachtstück von der Kohle. Für mich sieht es aus wie ein riesiger Braten, doch es riecht wie das beste Steak. Und genauso schmeckt es auch.

Außer genüsslichem Stöhnen und Lob für Patrick ist in nächster Zeit kaum etwas zu hören. Alle genießen das Essen und auch ich schlage mir ordentlich den Bauch voll. Ich kann mich gar nicht entscheiden, was ich zuerst essen soll und so habe ich mich am Ende durch alles durchprobiert. Irgendwann denke ich aber, dass ich platze, wenn ich noch einen Bissen nehme, also lehne ich mich in meinem Stuhl zurück.

„Patrick, das war fantastisch! Wirklich!", lobe ich den Koch und der grinst breit neben mir, die Backen vollgestopft mit Salat. Nach und nach folgen die meisten meinem Beispiel und die Gespräche gehen erneut los. Leider scheint Sarah einen riesigen Magen zu haben, denn sie isst noch, sodass Jackson seine Chance sieht und mich anspricht.

„Nun erzähl mal Olivia. Was machst du gerne? Also in deiner Freizeit? Irgendwelche Hobbys? Vorlieben?", beginnt er und leider ist niemand gewillt, mich von ihm zu erlösen. Also lächle ich freundlich und antworte: „Ich lese gern. Sonst habe ich eigentlich keine Hobbys. Und du?" Die letzten Worte hänge ich an, ohne darüber nachzudenken. Jackson scheinen sie zu freuen, denn er beginnt mit Feuereifer von seiner Vorliebe fürs Mountainbiken zu erzählen.

Ich höre ihm einfach zu, nicke hin und wieder. Aber ich kann ihn auch nicht unterbrechen, denn er sieht so niedlich aus, wie er da von seinem neuen Bike schwärmt. Er ist wirklich gar nicht mein Fall, aber wenn er sich so knuffig freut, kann ich ihn auch nicht nicht gernhaben.

Zu meinem Glück scheint der kleine Adam auch ein begeisterter Fahrradfahrer zu sein und so überwindet er seine Schüchternheit wenigstens Jackson gegenüber und die beiden sind schon nach wenigen Minuten vollkommen in ein Gespräch vertieft. Ich kann also aufatmen und drehe mich ein wenig zu Sarah, die mittlerweile ebenfalls ihr Besteck weggelegt hat.

„Na, schon einen Verehrer gefunden?" stichelt sie von der Seite und erwachsen, wie ich bin, strecke ich ihr die Zunge heraus. „Bei den zweien scheint es da schon eher zu funken.", sagt sie leise und nickt in die Richtung meiner Mutter. Zufrieden lächle ich, denn als hätte ich es geahnt, liegt Matts Hand mittlerweile auf dem Bein meiner Mum und wenn die beiden sich noch näherkommen, sitzt sie auf seinem Schoß.

Aber sie hat es verdient. Matt ist wirklich ein toller Kerl, auch wenn ich mich frage, wie es sein kann, dass er noch Single ist. Doch ich ermahne mich, nicht nach irgendeinem Hacken zu suchen, sondern den beiden einfach ihr aufkommendes Glück zu gönnen.

„Matt ist ein Guter, vertrau mir." Sarah beugt sich weiter zu mir und ich komme ihr ein wenig entgegen. „Er hat jung geheiratet, seine Frau wurde auch relativ schnell schwanger. Ich weiß, dass sogar meine Mum damals völlig aus dem Häuschen war, weil ihre beste Freundin bereits zum ersten Mal Großmutter wird. Ich war damals gerade mal elf, aber ich erinnere mich daran. Auch an den Tag, an dem er die beiden verloren hat."

Mit großen Augen schaue ich Sarah an, dann huscht mein Blick kurz zu Matt, der meiner Mutter gerade eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht. „Das ist ja schrecklich.", flüstere ich und drehe mich wieder zu Sarah. Diese nickt traurig. „Ja, furchtbar. Er hat sie ins Krankenhaus gebracht, weil die Wehen eingesetzt hatten. Doch es gab wohl Komplikationen und er verlor sie beide. Danach war er am Boden zerstört. Ich weiß noch, dass er wirklich am Ende war. Es hat lange gedauert, bis er sich wieder gefangen hatte, ich kann mich aber nicht mehr daran erinnern, was ihm damals geholfen hat. Aber Elyane ist die erste Frau, die er so nah an sich heranlässt."

Jetzt schauen wir beide zu Mum und Matt rüber, die beide übers ganze Gesicht strahlen und ich bemerke die erneut geröteten Wangen meiner Mutter. Oh, da wird sie sich etwas anhören dürfen! Aber das hebe ich mir für später auf, jetzt genieße ich es einfach, meine Mum endlich mal voll und ganz glücklich zu erleben.

Je später es wird, desto ausgelassener ist die Stimmung. Mittlerweile kenne ich mindestens eine schlüpfrige oder äußerst peinliche Geschichte über jeden hier am Tisch. Und ich habe das Gefühl, je mehr Bier oder, zu später Stunde, Whiskey fließt, desto dreckiger wird es. Gerade hat Mika lang und breit ausgeführt, wie er und Sarah beim Wildvögeln erwischt worden sind und er ohne Hosen jeglicher Art vor dem Sheriff geflohen ist.

Sarah sitzt mit rotem Gesicht neben mir, kann aber ihr Lachen auch nicht unterdrücken. Mir tut jetzt schon das Gesicht vor lauter Lachen weh und ich merke so langsam, dass ich mal austreten sollte, wenn ich bei der nächsten Geschichte nicht eine böse Überraschung erleben möchte. Also erheb ich mich und entschuldige mich kurz, um im Bad zu verschwinden.

Beim Händewaschen werfe ich einen Blick in den Spiegel und bin von mir selbst erstaunt. Meine Wangen haben eine gesunde Farbe, meine Augen funkeln, wie schon lange nicht mehr. Ich fühle mich ein wenig high, dabei habe ich selbstverständlich keinen Tropfen Alkohol angerührt. Mit dem Herzen in meiner Brust und den Medikamenten wäre das fahrlässig.

Mit einem großartigen Hochgefühl verlasse ich das Bad, nur um gleich im Flur mit jemandem zusammenzustoßen. Reflexartig greife ich nach meinem Gegenüber, um nicht schmerzhaft auf dem Hintern zu landen. Ich bekomme Stoff zu fassen, gleichzeitig legen sich starke Arme um meinen Körper, drücken mich näher an eine eindeutig männliche Brust. Für einen Moment halte ich meine vor Schreck zusammen gekniffen Augen noch geschlossen, lasse die angenehme Wärme, die der Mann vor mir ausstrahlt, einfach durch meinen Körper fließen.

Als sich der Herzschlag in meiner Brust wieder etwas beruhigt wage ich es, den Blick zu heben und als ich auf seine tiefen blauen Augen treffe, beginnt meine Haut zu kribbeln und mir wird noch wärmer als zuvor. Meine Burst hebt und senkt sich hektisch, berührt bei jedem Atemzug die seine, die nicht minder bebt. Sein Blick hält mich gefangen, seine Umarmung wird für einen Moment noch fester.

Doch dann ist es, als hätte er sich verbrannt und Grayson zuckt zurück, gibt mich wieder frei und ich muss aufpassen, nicht doch noch zu Boden zu gehen. Die Verwirrung steht ihm ins Gesicht geschrieben, doch ich kann die Abneigung mir gegenüber bereits in seinen Augen aufkeimen sehen.

Mit brennenden Augen senke ich den Blick und will mich schnell an ihm vorbei schieben. „Tut mir leid.", krächzte ich, habe kaum noch Kontrolle über meine Stimme. Diese Worte sind so viel mehr als nur eine Entschuldigung für meine Unachtsamkeit. Es tut mir so unendlich leid, dass er seine Schwester verloren hat. Mir tut es so wahnsinnig leid, dass er so leiden muss. Und es tut mir leid, dass er mich von nun an beinahe jeden Tag sehen muss und dadurch nur noch mehr an diesen schrecklichen Verlust erinnert wird.

Ich bin schon an ihm vorbei, da greift er nach meiner Hand und hält mich auf. „Liv..." Seine Stimme klingt heiser, kratzig und bringt etwas in mir zum Klingen, das mich dazu bringt, ihn noch einmal anzusehen. Doch Graysons Blick liegt auf unseren ineinander liegenden Händen, ganz so, als könne er selbst nicht verstehen, was er da gerade tut. Noch seltsamer wird es, als er mit seinem Daumen sachte über meinen Handrücken fährt und sich von dieser Stelle aus eine Hitze in mir ausbreitet, die mich von innen zu verbrennen droht.

Was ist nur los mit mir? Was ist los mit ihm?

Warum zur Hölle fühlt es sich so unendlich gut an, wenn er mich berührt? Wie kann es sein, dass das Herz in meiner Brust jedes Mal einen Sprung macht, wenn ich seine Stimme höre? Wie kann sich ein Teil von mir nach diesem mir eigentlich so unbekannten Mann sehnen, in dessen Blick ich sonst nur Schmerz, Trauer, Wut und Hass sehe? Und wann zur Hölle hört es endlich auf zu kribbeln?!

Diesmal bin ich diejenige, die zurückzuckt, sich abwendet und flüchtet. Er folgt mir nicht, nur wenige Sekunden später höre ich, wie die Türe zum Bad ins Schloss fällt.

Meine Brust schmerzt, ich bekomme meinen Atem kaum unter Kontrolle. Wenn ich jetzt so da raus gehe, wird Mum mich gleich ins Krankenhaus verfrachten. Aber einfach gehen, ohne etwas zu sagen, kann ich auch nicht. Neben der Hintertüre bleibe ich stehen, versuche verzweifelt mich wieder zu beruhigen.

Nachdem ich mir im Spülbecken der Küche kaltes Wasser über die Handgelenke habe laufen lassen und anschließend etwas von dem kühlen Nass in meinen Nacken spritze, geht es einigermaßen. Zumindest so weit, dass ich nach draußen gehen und mich von allen verabschieden kann. Mum ist natürlich gleich besorgt, will mit mir kommen. Doch sie soll nicht meinentwegen diese Party verlassen und auf die Möglichkeit verzichten, Matt noch etwas näher zu kommen. Sie hat schon zu viel verpasst und das nur meinetwegen.

„Nein Mum, bleib du ruhig. Ich bin nur müde, ich bin so viel Aufregung und körperliche Aktionen einfach nicht mehr gewöhnt. Also bleib hier, wenn doch was ist gebe ich dir Bescheid.", beruhige ich sie und gebe ihr noch einen Kuss auf die Wange. Zum Abschied winke ich noch allen und mache mich dann auf den Weg nach Hause.

Natürlich gehe ich wieder um die Garage herum, denn ich kann Grayson nicht erneut begegnen. Ich bin fast am Haus angekommen, da höre ich jemanden meinen Namen rufen. „Olivia, warte doch mal!" Vor meiner Haustüre bleibe ich stehen und drehe mich um, als Riley gerade die wenigen Stufen hinaufkommt. Er sieht besorgt aus, das kann ich auch hier im Halbdunkeln erkennen.

„Was hat er getan?", fragt er direkt und natürlich weiß ich sofort, wen er meint. Sogleich entsteht in mir der Drang, Grayson in Schutz zu nehmen. Ich schüttle vehement den Kopf. „Nein, er hat gar nichts gemacht. Wirklich nicht Riley.", sage ich leiser als gewollt und somit scheine ich den blonden Mann vor mir nicht zu überzeugen. Er greift nach meinen Schultern und beugt sich leicht zu mir vor. „Olivia.... Er ist kurz nach dir ins Haus, dann kommst du, leichenblass, wieder raus, verschwindest und keine Minute später kommt Grayson nach draußen, nimmt sich ein Bier und spricht nicht mehr."

Seine Hände machen mir das Gewicht auf meinen Schultern erst so richtig bewusst. Ich dachte, ich könnte mit Graysons Verhalten mir gegenüber klarkommen. Doch das gerade... Das war anders. Da war keine Angst, kein Hass, keine Trauer. Da waren bloß diese Nähe, eine unsichtbare Anziehung und dieses gottverdammte Kribbeln.

Doch Riley ist der letzte, mit dem ich darüber reden sollte. Er ist Graysons bester Freund, er sollte für ihn da sein. Abgesehen davon, dass gerade eben, dort in diesem schwach beleuchteten Flur nichts passiert ist. Zumindest nicht das, was Riley denkt. Um ihn also von der Wahrheit zu überzeugen, lege ich meine Hände auf seine Arme, bringe ein müdes Lächeln zustande.

„Wir sind uns zwar im Flur über den Weg gelaufen, aber es ist nichts passiert. Ich habe im Bad wirklich gemerkt wie müde und geschafft ich bin. Denk doch mal nach. Ich habe die ganze Woche gearbeitet, war länger auf den Beinen als sonst. Dann noch der Umzug. Ich habe nicht die Ausdauer einer durchschnittlichen zwanzig Jährigen. Riley... Ich bin wirklich einfach nur müde."

Er betrachtet mich eingängig, doch dann scheint er mir zu glauben. Er schließt mich kurz in seine Arme und drückt mir doch tatsächlich einen Kuss auf meinen Scheitel. „Dann ruh dich aus, Kleines. Wenn du doch noch reden willst, ruf einfach an." Ich nicke an seiner Brust, schaue ihm dann dabei zu, wie er wieder über die Straße geht und mir nochmal zuwinkt, bevor er im Haus der Odairs verschwindet. Erst als ich sicher bin, dass er nicht nochmal zurückkommt, gehe ich nach drinnen und alles was ich noch fertigbringe, ist mich umzuziehen, meine Haare aus dem Zopf zu lösen und mich in mein Bett zu kuscheln.

Doch der ersehnte Schlaf will einfach nicht kommen.

Stattdessen liege ich da, kann nur an Grayson und seine Hand um meine denken. Seine wundervollen blauen Augen verfolgen mich, wollen einfach nicht verschwinden. Krampfhaft versuche ich, die Bilder abzuschütteln, doch es funktioniert nicht. Stattdessen kehrt das Kribbeln zurück und das Herz in meiner Brust stolpert erneut.

Verzweifelt presse ich meine Hand auf meinen Brustkorb, als könnte ich damit das Herz daran hindern, so auszuflippen. Und das wegen Grayson. Der Mann, der mich in gewisser Weise für den Tod seiner Schwester verantwortlich macht. Der mich bisher nur mit Verachtung gestraft hat. Wieso sehnt sich das Herz in meiner Brust dann nach seinem Lächeln, seinen Berührungen, nach ihm?!

Plötzlich kommt mir Abbys Brief in den Sinn. Eigentlich ein einziger Punkt auf ihrer Liste.

Meinem kleinen Bruder zeigen, dass es auch für ihn die wahre Liebe gibt, die sein gebrochenes Herz heilt.

Verzweifelt beginne ich zu lachen, gleichzeitig fließen mir die Tränen über mein Gesicht. Ich muss mich aufgesetzten, kann kaum atmen. „Das ist es, oder?! Du bist das! Aber du irrst dich! Ich bin es nicht! Du liegst falsch!", hauche ich völlig außer Atmen, muss im nächsten Moment über mich selbst lachen. Ich werde verrückt! Jetzt rede ich schon mit einer Toten!

Doch mein Gehirn ist gerade vollkommen überfordert, genauso mein Körper. Weinend rolle ich mich wieder zusammen und gebe einfach auf, lasse mich von meinen Gefühlen einfach übermannen, bis mich der Schlaf irgendwann zu überwältigen droht. In diesem Schwebezustand zwischen Wachsein und erlösendem Schlaf höre ich immer wieder Graysons tiefe, weiche Stimme, die beinahe flehend meinen Namen spricht.

„Liv..."

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