🦊 Kapitel 10 - Die Macht eines Ältesten
Still, es war so still. Fast wäre sie wieder eingeschlafen, doch etwas hielt sie wach. Sie konnte immer noch die Konturen ihres einstigen Selbsts sehen.
Luna, die sie anflehte, der schwarze Fuchs, der sie gefangen hielt.
Jetzt konnte sie es spüren, der schwere Duft, holzig aber angenehm und das schemenhafte Pulsieren, das sie umgab. Es war fast, als würde man ihnen das Blut auspumpen.
Dann, ganz leise konnte sie Stimmen hören.
Die tiefe Stimme einer Füchsin drang an ihr Ohr, dann das Keckern ein paar anderer.
"Sucht sie, allzu lang ist sie noch nicht hier. Sobald sie einen Wiederkehrer haben können wir nicht mehr vernünftig angreifen, dass sie dann auch noch die Verräterin haben macht das ganze noch schlimmer. Sie war Ratsmitglied, ihre Fähigkeiten sind noch ausgeprägter, als die normaler Wiederkehrer.
Für die Freiheit aller Füchse!"
Narah konnte es Rascheln hören, zustimmende Rufe. Was sagte sie da nur?
Es war doch grade das Gegenteil, was stimmte.
Wieso verstand das denn keiner?
Sie haben ihr ganzes Leben so gelebt, das ist das einzige was sie kennen und für richtig halten.
Natürlich.
Ihre Augen schienen so schwer, sie konnte sie kaum öffnen.
Die Schemen des Busches, der ihren Bau ausmachte, tauchten vor ihren Augen auf.
Abendlicht schimmerte durch die Zweige.
Sie hatte Glück, dass ihr Bau so abseits lag. Man konnte ihn auch schnell mit Unkraut verwechseln, wahrscheinlich hatte sie deshalb niemand gefunden. Es war aber nur eine Frage der Zeit, bis das passieren würde.
Mühsam richtete sie sich auf. Das war fast wie in ihrem Traum. Hatte sie sich da nicht ähnlich gefühlt?
Lunas Worte halten in ihrem Kopf nach.
"Unsere Tocher", hieß das, Skaiye war Lunas Tochter gewesen?
Eine Welle von Mitgefühl überrollte sie. Sie hatte ihre Ma also auch schon früh verloren.
Ma... Würde sie sie nie wieder sehen?
Es gab ja schließlich keinen Himmel für Wiederkeherer. Gab es überhaupt einen Himmel?
Narahs Aufmerksamkeit hatte sich auf die kleinen Staubpartikel gewandt, die vor ihrer Schnauze durch die Luft schwebten. Wenigstens sie schienen nicht zu schlafen.
Vorsichtig schlich sie voran, doch zuckte dann zurück.
Sie war auf etwas heißes getreten.
Unter ihrer Pfote verlief einer der Riefen. Wie eine Ader schlängelte sie sich aus dem Bau. Sie glühte wie warme Kohlen, gespickt von Orange-roten Partikeln.
Es ließ ihren Pelz unbehaglich abstehen. Was war das für eine Macht?
Narah atmete angestrengt aus und lugte dann vorsichtig unter den Zweigen hervor.
Eine dunkle Füchsin mit silbern schimmerndem Fell saß in der Mitte des Lagers. Ihr Gesicht war schwarz, nur zwei dunkle graue Augen sahen aufmerksam von einer Seite zur anderen.
Durch die ganze Senke zogen sich die schwarzen Adern, hinaus zu dem Baum.
Das war kein einfacher Angriff mehr, das war Krieg. Jetzt wurde es ihr zum ersten Mal wirklich klar.
Die Welt stand kurz von einem verheerenden Krieg und so, wie es aussah lag es an ihr ihn zu stoppen.
Wie damals, dachte sie.
Narah konnte Lunas Anwesenheit spüren. Jetzt verstand sie so vieles.
Luna war immer bei ihr gewesen, hatte mit ihrer Mutter auf sie aufgepasst.
Auch immer mehr Wissen flutete Narahs Geist.
Sie war Wiederkehrerin, ein Ratsmitglied. Sie hatte Macht, mindestens genauso viel, wie der Fuchs, der sie alle in diesen Traumwelten festhielt.
Narah schloss die Augen. Sie spürte wie Kälte in ihren Pelz kroch, wie eine eisige Flüssigkeit zwischen ihre Knochen floss.
Mit einem Mal wurde sie ganz leicht, dass sie die Krallen in den Boden rammen musste um nicht zu taumeln.
Sie wusste nicht, was sie tat, sie tat es einfach.
Einatmen, ausatmen.
Als sie die Augen wieder öffnete war sie nicht mehr im Bau. Sie stand vor dem Lager. Ihre Pfoten schimmerten durchsichtig, ihre Gestalt verfestigte sich immer mehr.
Narah wollte gar nicht wissen, wie sie das geschafft hatte, sie war nur froh, dass sie anscheinend niemand gesehen hatte.
Narah der fliegende Fuchs. Sie kräuselte belustigt die Schnauze.
Leichtpfotig, ohne ein einziges Geräusch zu machen folgte sie der Vene, zielstrebig zu dem Baum.
Hass machte sich in ihr Breit, als sie den schwarzen Fuchs sah. Die Spitzen der einzelnen Haare liefen zu einem dunklen silbergrau an.
Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Sie wusste nicht, weshalb sie so heftig reagierte, aber sie wusste, dass es nicht grundlos war.
Sie musste, Luna musste, etwas wissen, was sie ihn so hassen ließ.
Narah wusste nicht, wie ihr geschah.
Ihr Körper bewegte sich wie von sich selbst, als sie den großen Fuchs beim Nackenfell packte und aus der kleinen Höhle zog.
Ein tiefes Grollen drang aus ihrer Kehle.
Erst rührte er sich nicht, dann regte sich langsam etwas.
Der Fuchs schien aus seiner Trance erwacht, denn er zappelte, rang sich frei und sah sie mit großen goldgelben Augen an. Er schien so schwächlich und alt. Zumindest, wenn man ihn berührte. Von seinem äußerlichen Erscheinungsbild schien er kaum älter als Skaiye. Er sah aus, wie ein junger Fuchs.
Ekel kam in ihr auf. Wie konnte sie das nur einst zugelassen haben? Wie konnte sie mal einer von ihnen gewesen sein?
"Luna?", fragte der Fuchs. Blankes Entsetzen war in seinen Augen zu sehen. "Aber du bist, ich habe dich...", verängstigt legte der Fuchs die Ohren an, wich zurück.
Siegessicher drängte sie ihn zurück. Wie schwächlich, dachte sie. Er stieß an den Stamm, sah sie weiterhin mit großen Augen an, bis plötzlich seine Ohren nach vorne schnellten.
"Du bist dumm wie damals."
Narah wurde zur Seite gerissen. Ihre Kehle schmerzte von dem ruckartigen Aufprall. Brennend heiß spürte sie, wie Krallen ihr über den Rücken kratzten, das noch dünne Welpenfell wie Beute durchtrennte. Sie jaulte auf, zappelt unaufhaltsam.
Die Füchsin mit dem silbernen Fell war aus dem Lager geschossen.
Ihr Meister hatte wohl gerufen. "Du elende Verräterin. Jetzt hast du dich auch noch den Feinden angeschlossen", heuchelte sie mit heißem Atem in ihr Ohr.
"Wie kann nur aus so einer großen Königin so etwas werden?"
Narah knurrte genervt. Das machte doch jetzt nichts mehr zur Sache, wer sie wo mal war.
"Siehst du nicht, was sie tun?", keuchte sie und zappelte, schaffte es letztendlich sich loszureißen.
"Sie tun das für uns, Kind.", bellte sie zur Antwort. "Die Ältesten waren den Frieden. Sie tun Gutes."
Narah schüttelte sich. Ihr Rücken tat weh, ihr Herz klopfte ängstlich. Um sie herum glitten immer mehr Füchse aus den Schatten. Mindestens sechs, nein, sieben.
Selbst wenn sie eine erfahrene Kämpferin war, wie sollte man es mit so vielen Füchsen aufnehmen? Sie schluckte.
"Ich kann ihren Angstgeruch bis hier hin riechen", keckerte ein hübscher Rotfuchs hinter ihr.
Großmaul, dachte Narah.
Sie alle sahen viel zu normal aus um böse zu sein. Sie erinnerten sie an Ma und Pa.
Zweifel kamen in ihr auf. Vielleicht war sie ja wirklich die Böse in dieser Geschichte, vielleicht war es falsch der Füchsin vertraut zu haben. Sie hatte nur eine Seite der Geschichte gehört.
"Das ist nicht das, wozu du bestimmt bist, Luna. Du bist Wiederkehrerin des Rates. Du bist Diplomat, kein Krieger.", meinte der dunkle Fuchs, der Älteste. Wie hatte Luna ihn noch genannt? Juno?
Wie ihre Schwester.
Narahs Fell stellte sich unbehaglich auf. Wo war die Zuversicht, die sie eben hatte? Konnte sie sich nicht einfach unsichtbar machen, oder wie eben einfach verschwinden und wo anders wieder auftauchen?
Verzweifelt lauschte sie in den Wind. Aber nichts, Stille. Wo war Luna, wenn man sie brauchte?
Nirgends, sie war alleine.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie einer der Füchse auf sie zuschnellte. Wild schlug Narah mit den Pfoten um sich. Aber was sollte sie schon tun? Es waren einfach zu viele.
Sie spürte Krallen, zu viele um zu zählen, spürte Zähne, Bisse, sah so viele Felle um sie herum, die zu einer großen schlierenhaften Masse verschwommen.
Langsam wurde ihr schummrig vor Schmerz. Vielleicht war es besser einfach zu sterben, es nochmal zu versuchen. Immerhin würde sie ja auf ewig leben, oder?
Sie schloss die Augen, verdrängte alles um sich, so gut wie es ging.
Ihre letzten Augenblicke...
Mit einem Mal wurde das Gewicht auf ihr weniger, die Kratzer wurden weniger und nach kurzem war sie ganz frei. Blinzelnd öffnete Narah die Augen. Aus dem Lager stürmten immer mehr Tiere. Füchse, Katzen, sie konnte Alba sehen, die dem hübschen Großmaul die Krallen ins Fell grub. Selbst der Wolf war aus seinem Bau gekommen. Mit Leichtigkeit hob er die silberne Füchsin hoch, schleuderte sie durch die Gegend, bis sie winselnd das Weite suchte. Es sah aus, als würde er mit einem Moos all spielen.
Narah wollte helfen, richtete sich mit wackeligen Pfoten auf, sah sich um. Skaiye schlug gekonnt den Ältesten in die Flucht.
Sie fühlte sich stolz.
Das war also Lunas Tochter. Von dem, was sie bisher von Luna erlebt hatte, war sie ihr sehr ähnlich.
Narah machte sich daran aus dem Gewirr von Körpern und Blut zu kommen, um sich am Rand in Sicherheit zu bringen. Wie sehr sie auch helfen wollte, sie würde nur stören, so wenig Erfahrung, wie sie hatte. Zudem war sie verletzt.
Nein, sie sollte sich besser um die kümmern, denen es schlechter ging.
Obwohl sie eben unter sieben Füchsen begraben gewesen war, ging es ihr erstaunlich gut.
Ihr Blick fiel auf ihre Beine.
Fasziniert beobachtete sie, wie ein langer Kratzer an ihrem Vorderbein aufhörte zu bluten und binnen ein paar Herzschlägen verheilte.
Dann fiel ihr das Grasbüschel neben ihr ins Auge. So schnell, wie ihre Wunder verheilte, schien es zu vertrocknen.
Die einzelnen Gräser wurden mit jedem Augenblick immer dunkler, dann braun, bis es ganz tot war.
Sie musste schlucken.
Die Macht eines Ältesten.
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1582 Wörter
Geschrieben: 12. Mai. 2020
Überarbeitung 1: 13. Mai. 2020
Überarbeitung 2: 13. Mai. 2020
(Hier könnt ihr den Standort der Geschichte soweit sehen. Haltet einfach nach dem kleinen türkisen Fuchs ausschau. :) )
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