Kapitel 43 ࿐ broken hearts
FLORENTINA
Es war vorbei.
Mein Körper zitterte und ich hatte Mühe, mich aufrecht zu halten, während ich mich an die kühle Reling klammerte.
Auch wenn alles bekanntlich ein Ende hatte - musste meine Geschichte denn schon so schnell eines nehmen?
Frisch und salzig war die Seeluft, die mich umgab und die meine Lungen füllte. Sie und das Rauschen des Meeres war das einzige, was ich in diesem Moment genießen konnte. Eigentlich hatte ich dies alles mit Charles auskosten, mit ihm erleben wollen.
Mir schien es unmöglich zu sein, ihn irgendwann einmal vergessen zu können. Ich wusste ebenso nicht, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, ihn die letzten Tage nicht besucht zu haben. Wir hatten beschlossen, den Schmerz für uns beide nicht noch unerträglicher zu machen, und hatten damit eine Verabschiedung voneinander vorgezogen.
Nun hatte ich das Gefühl, ihn zu Tode gekränkt zu haben, da ich vorgeschlagen hatte, dass wir uns nicht mehr sahen - wie gesagt, in der Hoffnung, es würde unsere Schmerzen lindern.
Doch nun verspürte ich nur noch so größere Sehnsucht nach Charles. Was er wohl gerade tat? War er nach wie vor eingesperrt, jetzt wo João fort war? War er wohl erzürnt aufgrund meiner Zurückweisung?
Ich hatte mich wie eine Närrin verhalten und ihm indirekt zu verstehen gegeben, dass er einfach aufhören sollte, mich zu lieben.
Und jetzt erfuhr ich am eigenen Leib, dass dies nicht so einfach ging, und mir fiel auf, wie gefühllos dieses Verhalten gewesen sein musste.
Voller Reue blinzelte ich einige Tränen hinfort und sah daraufhin hinunter auf das dunkelblaue und sonst recht stille Wasser, welches durch das Segelschiff, das uns vom Hafen von Savona an den von Neapel bringen sollte, bewegt wurde. Dahin würden wir mit einer Leiche zurückkehren. Übermorgen - direkt einen Tag, nachdem wir ankommen wären - sollte ich heiraten und Joãos Gemahlin werden.
Ich legte meinen Kopf in den Nacken und trat einen Schritt zurück, ehe ich seufzte und versuchte, die Zeit etwas zu genießen.
Nach und nach wurde mir bewusst, dass diese Momente wohl eine der letzten meiner Freiheit sein würden. Bald würde ich die nächste Leiche sein, die über das Mittelmeer zurück in ihre Heimat gebracht werden wird.
CHARLES
„Du bist frei."
Ich ließ meine Augenlider aufflattern und drehte meinen Kopf anschließend in die Richtung, aus der die Stimme meines Vaters gekommen war. Müde hatte ich auf meinem Bett gelegen und Löcher in die Luft gestarrt, nachgedacht und versucht die Dinge, die mich beschäftigten, auf die Reihe zu bekommen.
Meine Stimmung schien am tiefsten Punkt des Ozeans angekommen zu sein. Ich hatte in der letzten Nacht kaum ein Auge zutun können, zu groß war meine Angst um Florence gewesen.
Es verschaffte mir ein schrecklich dumpfes Gefühl, zu wissen, dass ich die Person, die für mich bestimmt war, für immer verloren hatte.
Ich war nicht sonderlich überrascht, als mein Vater mir diese Nachricht überbrachte. Denn Florence, ihre Familie und König João VI. waren vor etwa einer Stunde abgereist. Nun gab es niemanden mehr, der unbedingt darauf bestehen würde, dass ich eingesperrt blieb. Der größte Teil unseres Hofstaates glaubte nicht an meine Schuld, und diejenigen, die es getan hatten, waren nun fort.
Mein Vater lächelte mir aufmunternd zu und warf einen kurzen Blick zu der offenen Tür, durch die er gekommen war. Mir fiel es schwer, diese Geste zu erwidern. Ich richtete mich auf und nickte. „Danke."
„Ich habe nie an deiner Unschuld gezweifelt, das weißt du doch oder, Charles?", sprach er dann, als ich mich daran machte, mir etwas Ordentliches überzuziehen.
Anschließend hielt ich inne und blickte in dieselben hellbraunen Augen, die genauso gut die Meinen hätten sein können. „Das weiß ich, Papa. Ich gebe dir nicht die Schuld, dass ich in den letzten Tagen hier eingesperrt war. Zwei Könige haben leider mehr zu sagen, als ein Herzog und sein Sohn." Ich lächelte schwach und knöpfte mir mein Hemd zu, ehe ich nach meinem schwarzen Jackett griff und es mir überzog.
„Du hast sie sehr geliebt, n'est-ce pas?", fragte er nach einiger Zeit. Ich verharrte in meiner Position. In Gedanken an Florence schniefte ich unmännlich auf und nickte dann schließlich. „Ich liebe sie immer noch mehr als mein eigenes Leben, Papa. Und ich kann und will einfach nicht damit abschließen."
Ich spürte, wie er seine Hand von hinten auf meine Schulter legte. „Ich bin stolz auf dich, mein Sohn."
Verwirrt und bekümmert zugleich, drehte ich mich zu meinem Vater um. „Dass ich es verbockt habe, Florence zu helfen, dem König zu entkommen? Ich habe ihr im Endeffekt nur Kummer zugefügt."
Traurig zog er einen Mundwinkel in die Höhe und legte dann seine zweite Hand auf meine andere Schulter.
„Natürlich seid ihr beide gekränkt", begann er dann mit sanfter Stimme. „Ich kann mir gut vorstellen, wie das sein muss. Als ich deine Mutter vor deiner Geburt für einen längeren Zeitraum nicht sehen konnte, da es nicht klar war, ob ich sie oder eine spanische Prinzessin heiraten sollte, konnten wir uns eine halbe Ewigkeit nicht treffen. Es quälte mich ungemein. Der Schmerz zu wissen, dass deine Liebste vergeben ist, ist jedoch etwas ganz Anderes... das weiß ich..."
Er stieß einen Seufzer aus. „Aber ansonsten hast du ihr doch schöne Tage beschert, soweit ich das sehen konnte..."
„Schon... unsere Zeit zusammen war wunderschön", entgegnete ich leicht verträumt. „Nur war ich der Auffassung, nicht gut genug für sie zu sein. Deshalb habe ich ihr stets Zeichen der Zuneigung und dann des Desinteresse gegeben. Ich war ein Dummkopf... zuletzt weil ich zuließ, dass König João unseren einzigen Beweis verbrannte."
„Ihr hattet einen Beweis für seine Schuld?", wollte mein Vater ungläubig wissen.
Ich nickte erneut. „Einen Brief, in dem stand, was er vorhat. Aber - wie gesagt - trifft mich erneut die Schuld, dass er vernichtet wurde."
„Charles..." Er atmete tief durch. „Du bist ein würdiger Thronfolger, der dazu ein mutiger, intelligenter und gerechter Mann ist. Vergiss nicht, dass du die Prinzessin zum Lächeln brachtest und sie damals vor diesen Mördern rettetest. Auch wenn ich es dir damals nicht sagte: Es hat mich stolz gemacht, dein Vater zu sein und das tut es immer noch..."
Ohne groß nachzudenken, schloss ich meinen Vater in die Arme. „Danke, Papa."
„Ach, Charles..." Wir verharrten einige Zeit in unserer Stellung, ehe er mich von sich fort drückte, die Stirn in Falten gelegt. „Nur, was plant Seine Majestät nun eigentlich genau?"
„Erinnere mich nicht daran..."
Verbissen rieb ich mir die Augen und legte dann den Kopf in den Nacken. „Er will sie benutzen, um einen Thronfolger zu bekommen. Anschließend will er sie töten lassen, wie schon seine erste Gemahlin zuvor."
Mein Vater nahm die Nachricht überraschend ruhig auf und ich überlegte schon, ob er eine solche Art von Plan möglicherweise vorgeahnt hatte. Jedoch kam er meinen Gedanken zuvor: „Wenn sie in Lebensgefahr schwebt... was tust du dann noch hier?"
Ich sah ihn perplex an und wollte schon etwas erwidern, als ich stockte. Es war zwar vollkommen hirnrissig und unüberlegt, da ich aufgrund der vielen Soldaten, die es auf mich abgesehen hatten, niemals lebendig auch nur zehn Meter an Florence herankommen könnte... und doch:
Die Idee hatte sich in mein Gehirn gebrannt.
~*~
FLORENTINA
Mit einem Knarzen schwang meine Zimmertür auf. In meinem Gemach war es warm und stickig, dunkel und staubig. Wahrhaftig sah es aus, als hätte hier seit Jahrhunderten niemand mehr gelebt. Ich hustete, während ich zum Fenster schritt, um die schwüle Seeluft hineinzulassen.
Ich warf einen Blick hinunter in unseren spärlichen Garten, so wie ich es an jedem Tag meines Lebens getan hatte.
Auch in Savoyen-Piemont hatte ich jeden Morgen aus dem Fenster gesehen und hatte die Sammlung von exotischen Pflanzen, Springbrunnen, Hecken und Bäumen bestaunen können. Jedes Mal hatte ich etwas Neues entdeckt. Obwohl ich mich weniger für Gewächse interessierte, hatte diese kleine Anlage mich fasziniert und liebevoll und ungewöhnlich auf mich gewirkt.
Und nun war ich wieder hier, in Neapel, im sterilen, öden Palast von Caserta.
Die Vorbereitungen für meine Vermählung am morgigen Mittag liefen. Ich war gespannt, was für eine Art von Hochzeitskleid ich tragen würde. Wahrscheinlich handelte es sich erneut um eine ungemein schlichte Aufmachung, sodass ich aussehen würde, als würde ich eine Tischdecke tragen.
Seufzend drehte ich mich um mich selbst und sah mir dabei die Möbeln und den wenigen Schmuck an den Wänden an. Es war der Ort, an dem ich groß geworden war und fünfzehn Jahre meines Lebens verbracht hatte. Und doch erschien mir dieser Ort fremd.
In Valençay hingegen hatte ich nur sieben Wochen verbracht und es fühlte sich so an, als hätte ich mein halbes Leben in diesem Anwesen gewohnt.
Ein stechender Schmerz machte sich in meiner Brust breit. War das etwa das Gefühl von Heimweh? Ich war noch nie von zuhause weg gewesen und wusste somit nicht, wie es sich genau anfühlte. Da ich mich sehr nach dem ruhigen Landleben, nach den Menschen, dem Tanzen, dem Essen, der Atmosphäre, Aliénor und zuletzt Charles sehnte, war ich mir ziemlich sicher, dass es sich darum handelte.
Ich hatte tatsächlich Heimweh. Heimweh nach dem Ort, an dem ich die letzten zwei Monate verbracht hatte.
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Wenig später saß ich an meiner Klippe und strich über das vertrocknete Gras, welches auf dieser spärlich wuchs. Mein Vater hatte mir ein letztes Mal erlaubt, diesen Ort aufzusuchen. Kaum war ich hier angekommen, hatte ich begonnen zu schluchzen und war vor dem Abgrund auf die Knie gefallen, um mein Gesicht voller Verzweiflung und Kummer in den Händen zu vergraben.
Vor meinem inneren Auge hatte ich meinen Traum, wie ich Charles das erste Mal unten am Ufer sah, abspielen sehen. Anschließend sah ich, wie ich genau an dieser Stelle den Joãos Blumenstrauß in die Fluten warf und daraufhin von Charles gerettet wurde.
Ich schluckte schwer.
Immer hatte ich geglaubt, dass dieser Traum etwas bedeutet hatte. Diese Vermutung war dadurch bestätigt worden, dass auch Charles mir geglaubt und es nicht als Hirngespinst oder Aberglaube abgestempelt hatte.
Für mich war es unsere erste Begegnung gewesen. Jetzt war es nur noch ein schöner Mädchentraum, eine Traumvorstellung, die ich damals von meinem zukünftigen Gemahl gehabt hatte.
Es fühlte sogar noch so an, als könnte ich seine Stimme hören, seine Finger auf meiner Haut spüren. Mit zitternden Händen zog ich ein Taschentuch hervor und trocknete die Tränen, die meine Wangen hinunterliefen, ehe ich mich wohlwollend meinen Erinnerungen hingab und mir vorstellte, Charles Stimme zu hören: „Ich bin hier, Florence. Ich bin jetzt hier, hab' keine Angst."
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Übersetzungen
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( TITEL ) → Gebrochene Herzen
( n'est-ce pas? ) → Nicht wahr? / Oder?
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