Kapitel 38 ࿐ dqruy wzbf
FLORENTINA
Erdrückend heiß war es in der kleinen Kutsche, die Charles und mich zu unserem Reiseziel fuhr. Das erste Mal war es mir etwas unangenehm, in Charles' Armen zu liegen, da ich befürchtete übermäßig zu schwitzen und zu stinken.
Ventilatoren waren noch lange nicht erfunden, sodass mein schlichter, violetter Fächer mithalten musste. Diesen bewegte ich in unregelmäßigen Abständen, um die gewaltige Hitze dieses Junitages zu überstehen.
„Ich bin dafür, dass wir uns duzen sollten", sprach Charles nach einiger Zeit und hob seinen Kopf von dem Meinem. „Findet Ihr nicht?"
„Wieso nicht?", meinte ich daraufhin erschöpft schmunzelnd.
„Soll ich das Fenster öffnen? Euch... - Dir ist wahrscheinlich recht warm, nicht wahr?", fragte mich Charles und schüttelte zugleich mit dem Kopf. „Gott, es ist wirklich schwierig, Euch nicht- Dich nicht mit Euch anzusprechen."
Wir mussten lachen, ehe ich langsam nickte. „Danke... das wäre sehr nett." Charles öffnete das kleine Fenster und eine kleine Brise wehte hinein, woraufhin ich mich wohlwollend an ihn schmiegte.
„C'est mieux comme ça?", hauchte er auf Französisch und ich stimmte mit einem müden Mhh zu, obwohl ich keine Ahnung hatte, was diese Worte bedeutete. Dann kam mir etwas in den Sinn, sodass ich mich - ohne groß nachzudenken - von ihm hinfort drehte, um in meinen Ausschnitt zu greifen.
„Was machst du da?", fragte Charles lachend und legte halb verwirrt, halb amüsiert den Kopf zur Seite, ehe ich ihm das Schreiben, was welches heute morgen auf dem Boden gefunden hatte, reichte.
„Was ist das?" Er zog seine Stirn kraus. Dies ließ ihn so attraktiv aussehen, dass ich mich vorerst fangen musste, um nach einiger Zeit zu antworten: „Ein Schreiben in irgendeiner Geheimsprache. Ein betrunkener Jüngling ließ es fallen und ich hob es auf."
„Hast du es bereits geöffnet?", fragte er mich, während er sich immer noch auf die Buchstaben konzentrierte. Durch das Duzen fühlte es sich an, als würden wir uns schon lange kennen.
„Noch nicht. Ich dachte, wir beide könnten es zusammen tun."
Charles drehte das Schreiben einige Male in seinen Händen und schüttelte mit seinem Kopf. „Dqruy w- das kann ja kein Mensch aussprechen. Darf ich es öffnen?"
Seine braunen Augen fanden den Weg in die Meinen. „Natürlich." Charles fummelte etwas an seinem Gürtel herum und zog schließlich ein kleines, spitzes Taschenmesser mit einem vergoldeten Griff heraus, ehe er den Brief damit aufschlitzte.
Das Papier schien sehr hochwertig zu sein. Dies schlussfolgerte ich durch seine Glätte und Farbe. Die Schrift war recht ordentlich, und die Buchstaben über eine Seite lang allesamt auf einer Höhe angeordnet worden. Jedoch waren sie genauso durcheinander gewürfelt wie der Absender.
„Erkennst du das Siegel?", fragte er mich schließlich und mein Blick wanderte hinunter zu dem getrockneten, roten Wachs-Klecks, in dem das Symbol einer Lilie und eines Adlers eingearbeitet worden war.
Ich schüttelte mit dem Kopf. „Aber erkennst du die Lilie? Das Symbol für die französische Herrschaftsfamilie... Bloß der Adler steht nicht für Frankreich. Dieser verweist auf die Habsburger."
„Also die Österreicher... die Familie meiner Mutter...", schlussfolgerte Charles und strich mit seinem Daumen über das Siegel. „Möglicherweise war es aber auch für dich bestimmt... aufgrund der Lilie."
„Dann wüsste ich jedoch, wie man es entschlüsselt. Und genau das weiß ich nicht." Ein Seufzer verließ meine Lippen.
„Wie wäre es, wenn ich dir heute oder auch notfalls morgen helfe, es zu entschlüsseln?", schlug er mir vor. „Ich hätte Zeit dazu."
„Wenn es dir nichts ausmacht", erwiderte ich schmunzelnd. „Ich habe sowieso nie etwas zu tun. Wenn man das Lernen außen vor lässt."
„Als zukünftige Gemahlin eines Monarchen gehören diese Dinge nun einmal dazu", teilte er mir mit einem entschuldigenden Unterton in der Stimme mit und lächelte schwach. „Auch wenn es ziemlich nervig ist. Mir hat es zumindest stets Spaß bereitet, Sprachen zu lernen."
Die Pferde wieherten und durch das Rufen des Kutschers wurde uns mitgeteilt, dass wir angekommen waren. „Als König Joãos Gemahlin? Wie ich mir mein Leben neben ihm vorstelle, lässt er mich überhaupt nicht mehr aus meinem Gemach. Weshalb sollte ich alle möglichen Sprachen fließend beherrschen, wenn mich niemand zu Gesicht bekommt?"
Meine Mundwinkel zogen sich traurig in die Höhe und ich sah in sein hübsches und markantes Gesicht.
Plötzlich stockte ich jedoch: „Oder meintest du... wenn ich die Gemahlin eines... anderen wäre?"
„Prinz Charles, es gibt ein Problem. Einige Besucher sind am Ufer. Sollen sie fortgeschickt werden?"
Einer von Charles' Wachen meldete sich zur Stelle und unterbrach dadurch unser Gespräch.
„Ich komme sofort." Er drückte kurz meine Hand und hauchte mir einen kleinen Kuss auf die Lippen. „Entschuldige mich, ich komme sofort wieder."
Anschließend öffnete er die Tür und stieg aus der Kutsche.
~*~
Der Tag mit Charles verlief sehr schön und unbeschwert. Vorerst hatte ich geplant, ihn ein weiteres Mal auf meine Frage anzusprechen, bis mir von einer seinen Wachen gesagt wurde, dass er auf mich warten würde. Somit war ich allein hinunter zum See gegangen.
Dort hatte ich ein liebevoll zubereitetes Picknick mit den leckersten Speisen und Getränken auf einer seidenen Decke in meiner Lieblingsfarbe Violett vorgefunden. Blumen hingegen hatte ich nirgendwo entdecken können. Dies empfand ich natürlich nicht auch nur im geringsten als etwas Schlimmes. Stattdessen hatte ich den in der Sonne glitzernden See vor meiner Nase und einen Charles an meiner Seite.
Dieser hatte mir, während ich mit offenem Mund am Ufer gestanden hatte, ein „Überraschung, Mignonne" ins Ohr gehaucht, woraufhin ich ihm dankend in die Arme gesprungen war.
Meine Frage war somit in Vergessenheit geraten und sollte auch fürs erste nicht nicht mehr in meinem Kopf auftauchen.
Gemeinsam lagen wir nun barfuß auf der Wiese und schauten in den wolkenlosen Himmel, während wir uns durch unsere ineinander verschränkte Finger miteinander verbanden.
„Was gefällt dir eigentlich besser? Der Himmel oder das Meer?", fragte ich ihn und genoss das Gefühl von frischem Gras zwischen meinen Zehen. Dies hatte ich schon seit Kindheitstagen nicht mehr verspürt.
„Ich denke... den Himmel. Er ist so weit entfernt und mysteriös. Wir wissen kaum, was dahinter ist und werden es wohl auch nie wirklich erfahren... außer jemand lernt zu fliegen", erwiderte Charles und räusperte sich. „Du bevorzugst eher das Meer."
„Ich würde stets das Meer wählen", bestätigte ich ihn verträumt. „Wenn ich mir beispielsweise aussuchen könnte, ob ich eine Taube oder ein Fisch sein könnte, würde ich ebenfalls den Fisch wählen. Das Meer ist so voller Geheimnisse. Was dort alles verborgen ist... Von Tieren, von denen wir niemals etwas wissen werden, bis zu Schätzen, die sich am tiefsten Grund der Ozeane befinden. Natürlich zeugt der Himmel und das All von vielen anderen Mysterien. Bloß ist das Meer so nah und trotzdem haben wir Angst vor seiner Vielfältigkeit. Es kann wild oder ruhig sein... warm oder kalt. Wenn man sich in ihm aufhält, fühlt es sich an, als würde man schweben."
Ich musste automatisch bei dem Gedanken, wie ich das letzte Mal wirklich geschwommen war, lächeln.
Mein Blick fiel auf Charles, der mich schon die ganze Zeit während meines inneren Monologs angesehen hatte. „Verzeih mir", wisperte ich daraufhin verlegen. „Ich erzähle wieder nur-"
Doch Charles legte mir bloß einen Finger auf die Lippen und beugte sich zu mir vor. „Ich liebe es, wenn du einfach deinen Gedanken freien Lauf lässt, Mignonne. Hör' nicht auf."
Doch ich antwortete nichts darauf, sondern öffnete meine Lippen einen Spalt breit und schloss dann schweratmend meine Augen, um seinen Finger in meinen Mund gleiten zu lassen.
Charles' Augen waren konstant auf meine Lippen gerichtet und das erste Mal amüsierte es mich, was für eine Auswirkung ich auf ihn zu haben schien. Zärtlich saugte ich an seinem Finger, während seine restlichen über mein Kinn strichen.
„Sagtest du nicht eben, dir sei warm?", hauchte er dann und ich erschauderte leicht, da seine Stimme tiefer als sonst klang. Dann schaute er in meine Augen auf. „Der See ist nicht allzu kalt."
~*~
Immer noch bibbernd zog ich mir das Handtuch, welches mir Charles gereicht hatte, über die Schultern und kuschelte mich in die Polster der Kutsche, während ich nun - nach unserem langen Aufenthalt in dem See - doch ganz froh war, dass eine brütende Hitze in der Kutsche herrschte.
Meine Haare waren verfilzt und meine Wangen rötlich gefärbt. Wenn mich mein Vater in diesem Zustand sehen würde, würde er mich höchstwahrscheinlich wieder rücklings einsperren lassen.
„Gibt es einen geheimen Weg in das Schloss hinein?", fragte ich Charles und schniefte. „Vielleicht einer, der mit den Geheimgängen verknüpft ist?"
Der Prinz ließ sich ebenfalls erschöpft, aber mit inzwischen schon getrockneten Haaren gegenüber von mir nieder. „Hattest du nicht deinen Hut dabei? Wenn du ihn aufsetzt, sieht man nicht, dass deine Frisur etwas... zerstört wurde."
Er schmunzelte schelmisch und ich biss mir auf die Unterlippe, während ich an die letzte Stunde zurückdachte. Hoffentlich waren Charles' Wachen weit genug entfernt gewesen und hatten nicht mitbekommen, was wir beide getan hatten.
Dann nickte ich langsam. „Das könnte klappen. Ach, und was ich Euch - jetzt fange ich schon wieder damit an - was ich dir noch erzählen wollte... ich habe am Abend des Balls João alleine aus meinem Zimmer verschwinden sehen... in welchem sich zu dieser Uhrzeit definitiv keine Personen aufgehalten haben."
Charles' Lächeln verblasste und er wurde augenblicklich ernst: „Wie meinst du das?"
„Er schien sehr darauf bedacht zu sein, dass ihn bloß niemand sieht. Der König stahl sich geradezu hinaus. Auch meine Schwester war der Meinung, dass er äußerst komisch auf sie gewirkt hätte. Sicherlich nicht so, als hätte er vorgehabt, mich zu besuchen", erklärte ich ihm und seufzte. „Wahrscheinlich hat er irgendetwas gesucht..."
„Er scheint mir allgemein schon seit länger Zeit sehr unruhig zu sein. Möglicherweise hatte er tatsächlich Angst, dass dir etwas in die Hände gelangt sein könnte, was du auf keinen Fall sehen solltest...", bemerkte Charles nachdenklich. Dann kam mir auf einmal ein Gedanke.
Ihm schien dasselbe in den Sinn gekommen zu sein, denn keine zwei Sekunden sagten wir beide im Chor: „Der Brief!"
━━
Als wir schließlich zum Schloss zurückgekehrt waren, hatten wir das Rätsels Lösung nach wie vor nicht herausgefunden. Die Geheimsprache erschien mir wie allerhöchste Mathematik. Es war, als würde eine dicke Wand in meinem Kopf mich daran hindern, den Code zu knacken.
Zumindest hatte niemand Verdacht geschöpft, dass ich in Wirklichkeit nicht mit Aliénor tausende von wertvollen Schmuckstücken inspiziert hatte, sondern mit Charles baden gegangen war. Das war auch gut so, denn Vater war wieder schlechter Laune.
Es war bereits Abend und die Sonne stand sehr hoch am Himmel, während meine ganze Familie - ausgenommen von Adelina, die sich wahrscheinlich bei Friedrich August aufhielt - und ich in unserem Salon verweilten.
„Die Lage hatte sich erneut zugespitzt", meinte mein Vater schließlich und ich war überrascht, dass er uns überhaupt über die politische Lage in unserer Heimat aufklärte. Sonst war er stets der Meinung, dass unsere Ohren für solche Informationen nicht bestimmt wären, und es somit unnötig war, uns zu sagen, wie schlimm es in unseren Landen tatsächlich zuging.
„Das bedeutet, dass wir für weitere Zeit Herzog Louis' Gastfreundschaft in Anspruch nehmen müssen. Wir halten uns also noch länger in diesem Sumpf auf." Ich hatte Probleme, mein Lächeln zurückzuhalten und seufzte auf.
„Bist du etwa glücklich darüber?", fauchte mein Vater, der meinen Seufzer wohl als Ausdruck der Erleichterung gedeutet hatte. „Glücklich, dass wir mit deiner Hochzeit noch länger zu warten haben? Glücklich, dass wir noch länger in diesem engen, kitschigen Schloss verweilen müssen?"
„Selbstverständlich nicht", erwiderte ich höflich und versuchte, seinem Blick standzuhalten, sodass er mir glaubte.
Doch es schien ihn nicht zu interessieren und er fragte meine Mutter brummend: „Wie geht es Ferdinando, Christina? Macht er Fortschritte im Reiten?"
„Er hat viel Freude daran und zeigt sich im Großen und Ganzen sehr mutig", erklärte Mama und tätschelte die Schulter meines 5-jährigen Bruders, der ganz und gar nicht so aussah, als würde er ihr zustimmen.
„Das ist neben der Hochzeit Maria Adelinas und Friedrich Augusts auch die einzig gute Nachricht, die wir im Moment zu melden haben. Meine anderen Töchter spielen ja lieber mit den Töchtern dieses Herzogs." Er spuckte diese Bezeichnung, die Charles' Vater gelten sollte, geradezu aus. „Die Eine ist nur noch im Garten und die Andere sieht man gar nicht mehr. Anstatt zu Lesen, tanzt du wohl inzwischen lieber."
Er sah mich missbilligend an und verschränkte schließlich die Hände hinter dem Rücken, ehe er seufzend mit dem Kopf schüttelte. „Hol deine Schwester."
„Wie bitte, Vater?", fragte ich ihn, da ich ihn akustisch wirklich nicht verstanden.
„Du sollst deine Schwester holen!", feuerte er mir entgegen und ich zuckte zusammen. „Sie ist schon seit dem Mittagessen nicht mehr aufgetaucht."
Ich erhob mich langsam. „Wenn Ihr das wünscht."
Zurück auf dem Flur atmete ich tief durch und begab mich schließlich in die Richtung von Linas Räumen. Erneut war ich mir nicht sicher, wie ich aufgrund von Vaters Nachricht reagieren sollte. Glücklich, weil ich mehr Zeit hatte, João zu überführen und bei Charles zu sein oder bedrückt, da täglich Menschen in meinem Land starben?
Ohne zu klopfen, betrat ich Adelinas Gemach, da wir kein Problem damit hatten, wenn die Eine einfach in das Zimmer der Anderen hineinmarschierte. Ich drückte die Tür zu ihrem Schlaftrakt auf.
Sie lag auf ihrem Bett, mit dem Rücken zu mir gewandt. Ihr langes, dunkles Haar, welches dem Meinen glich, fiel über ihren Rücken und die Bettkante.
„Lina, aufstehen, Vater hat dich gerufen!", flötete ich und schob die Vorhänge zur Seite, sodass die letzte Abendsonne ihren Weg hineinfand.
Keine Antwort.
Kopfschüttelnd schritt ich zu ihrem Himmelbett, um sie wachzurütteln. „Linaaa... jetzt ist keine Zeit zum schlafen!"
Ihr Kopf drehte sich zur Seite und mein Herz setzte aus, als mich zwei leblose, braune Augen anstarrten.
Ich schrie.
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Übersetzungen
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( TITEL ) → -
( C'est mieux comme ça? ) → Ist es besser so?
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