Kapitel 22 ࿐ faded love
FLORENTINA
Es donnerte.
Regentropfen kullerten über die Fensterläden meines Gemaches und eine dunkle Wolkendecke verdeckte den blauen Himmel. Ein Kronleuchter erleuchtete den Raum, und gelangweilt blätterte ich durch meine Portugiesisch-Unterlagen, schaute mir einige Vokabeln an und lernte die portugiesische Etikette.
Wie ich doch alles, was mit Portugal zusammenhing, hasste. Bestimmt war es ein schönes Land, mit gastfreundlichen Menschen und einer tollen Kultur. Aber seitdem ich João kannte, verband ich mit diesem Königreich nur Traurigkeit, Hass und Ekel.
Da er vor einigen Tagen meine Einsamkeit mit mir geteilt und mir zu verstehen gegeben hatte, dass es ihm eigentlich ziemlich egal war, ob ich mich mit anderen Männern herumtrieb - Hauptsache wir würden heiraten und er würde eine hohe Mitgift erhalten, da mein Vater an dieser schließlich nicht sparen würde, um sich bei João einzuschmeicheln -, hatte dies meine Abneigung ihm gegenüber nur noch vervielfachen können.
Traurigerweise war bis auf den Portugiesen sonst kaum jemand zu Besuch gekommen. Ein weiteres Mal war Aliénor erschienen, um sich mit meinen Wachen anzulegen und anschließend wieder gehen zu müssen. Letztendlich durften meine Mutter, meine Schwester Amalia und sogar der kleine Ferdinando kommen, um mich zu besuchen.
Die Tür flog auf. Ich sah geradezu erschrocken von meinen Papieren hoch. Mein Vater trat einige Schritte in den Raum hinein und musterte mich.
„Wie ich sehe, lernst du fleißig Portugiesisch", stellte er spöttisch fest, ohne mich auch nur auf irgendeine Art und Weise zu begrüßen.
Ich nickte bloß etwas irritiert und sah ihm zu, wie er auf eines der Gemälde an der Wand zuging und es begutachtete. „Ein Ball ist für morgen angesetzt", begann er dann. „Ein Botschafter des Kaisers von Frankreich, der heute eingetroffen ist, wird daran teilnehmen."
Er machte eine Pause und schaute anschließend zu mir. „Der Kaiser von Frankreich erkundigt sich nach deinem Befinden. Sein Botschafter, der aufgrund von politischen Angelegenheiten in Savoyen-Piemont ist, wünscht mit dir zu sprechen."
„Mit mir?", entgegnete ich überfordert. Was wollte der Kaiser von Frankreich denn von mir?
„Ich habe ihm angeboten mit mir zu reden... der ausdrückliche Wunsch Seiner Majestät war jedoch, dass dieses Gespräch nur dir gewährt sei." Er hob eine Augenbraue in die Höhe. „Mir ist es ein Rätsel, weshalb der Kaiser es verlangt. Jedoch habe ich beschlossen, dass du dich frei im Schloss bewegen kannst und ebenso zu dem Ball gehen wirst."
„Tatsächlich?", wollte ich aufgeregt wissen. Fast schon angeekelt über mein glückliches Verhalten seufzte er erschöpft auf.
„Ja", erwiderte er entnervt. „Du wirst mit dem Botschafter reden und mir daraufhin ganz genau berichten, was dieser Herr von dir wollte. Außerdem wirst du deine Verlobung mit König João mit keinem Wort erwähnen, hast du verstanden?"
Ich nickte eiligst und musste ein erleichtertes Aufatmen und Jubeln unterdrücken. Dass mein Vater mir das mitteilen würde, hätte ich in tausend Jahren nicht erwartet, nachdem ich an dem siebten Tag meiner Gefangenschaft nach wie vor an meinem Schreibtisch gesessen hatte.
Adelina, kam es mir zuerst in den Sinn, als mein Vater gegangen war. Schnell rief ich meine Zofe zu mir, sodass sie mich herrichten konnte.
Nun zählte nur noch meine Schwester. Dass ich morgen eine Besprechung mit dem Botschafter Frankreichs hatte, geriet dadurch vorerst in Vergessenheit.
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Es stank stark in dem Gemach meiner großen Schwester. Auch wenn ständig Angestellte herumwuselten, um Adelina Wasser, kalte Waschlappen und neue Handtücher zu bringen, roch es nach Erbrochenen. Dass sie seit über einer Woche nicht mehr gebadet hatte, verbesserte die Luftqualität auch nicht unbedingt.
Trotz alledem befand ich mich zusammen mit meiner Mutter und Adelinas Verlobten, Friedrich August von Sachsen, an ihrer Seite.
„Wasser", keuchte die Brünette unmittelbar auf und schloss erschöpft die Augen. Mitfühlend streichelte ich mit dem Daumen über ihren Handrücken und sah zu, wie eine Magd ihr den Schweiß von der blassen Haut tupfte.
„Ihr drei solltet nicht hier sein", hauchte sie hustend, nachdem sie das Glas in einem Zug gelehrt hatte. „Vor allem nicht du, Flora."
„Ich will nach der ganzen Zeit einfach wieder bei dir sein", erwiderte ich sanft lächelnd. Nach der ganzen Zeit, bevor es zu spät ist.
„Wäre es möglich, dass wir beide für eine kurze Zeit miteinander sprechen, Florentina?", wisperte Friedrich August mir zu, als seine Liebste einen weiteren Hustenanfall erlitt.
„Selbstverständlich." Ich wartete darauf, dass er zu sprechen begann, doch er nickte hinüber zu einem Nebenraum: „Nicht hier. Kommt mit."
Etwas überrascht erhob ich mich und begab mich mit meinem baldigen Schwager in den Vorraum von Adelinas Schlafgemach. Er schloss die Tür hinter sich. „Setzt Euch."
Somit nahm ich gegenüber von ihm Platz und wartete gespannt darauf, was er mit mir zu besprechen hatte.
Er verschränkte die Hände ineinander und beugte sich zu mir hinüber.
„Wir - Ihr und ich - haben sehr viel Zeit in der Woche, in der Adelina und ich uns kennenlernten, miteinander verbracht", begann er und sah auf den Teppichboden herab. „Ich weiß, dass Ihr eine verantwortungsbewusste und ehrliche Person seid, Florentina von Neapel."
Er legte eine Kunstpause ein und sah anschließend zu mir auf: „Und deshalb... und da ich es niemand anderem sonst erzählen könnte - muss ich es Euch sagen... - ach, verdammt!"
Er rieb sich die Augen, ehe er mit gedämpfter Stimme endlich mit der Sprache herausrückte: „Ich habe mich in ein anderes Mädchen verliebt."
Stille.
Man hörte nur das Husten Adelinas aus dem Nebenraum, ehe er fortfuhr: „Eure Schwester ist mir nach wie vor sehr wichtig... bloß fühle ich mich schlecht, da es nicht sicher ist... ob sie diesen Monat überleben wird. Vorgestern wäre unsere Hochzeit gewesen. Ich schwor ihr damals meine unendliche Liebe... und nun ist diese verloschen..."
„Wollt Ihr es meiner Schwester sagen?", war das Erste, was ich zum Gespräch beitrug, nachdem ich meine Sprache wiedergefunden hatte.
„Genau das weiß ich nunmal nicht", seufzte er und sah mich an. Seine Augen spiegelten die pure Verzweiflung und Angst wieder. „Wenn sie... von uns gehen sollte, will ich nicht, dass das das einzige, woran sie denken kann, ist, dass ich sie nicht mehr liebe. Wenn ich es ihr verschweige, lüge ich sie jedoch an. Und dies wäre unverzeihlich... geschweige denn alles, was ich getan hab."
„Es ist nicht unverzeihlich, Friedrich August", entgegnete ich mitfühlend. „Euch trifft keine Schuld, wenn Ihr aufhört habt, Adelina zu lieben."
„Trotzdem hat sie dies nicht verdient", erwiderte er und lehnte sich in seinen Sessel zurück, ehe er verzweifelt die Augen schloss.
„Ich glaube, es ist besser, es ihr vorerst nicht zu sagen... nicht, solange sie krank ist. Ansonsten wird diese Tatsache nicht zu einer Besserung ihres Zustandes beitragen." Ich schaute hinaus in den Regen. „Ist ihre Krankheit denn ansteckend?"
„Anscheinend nicht. Niemand weiß recht, was ihre Krankheit verursachte. Aber Ihr liegt im Recht. Wir sollten erst einmal abwarten."
Und damit tat Kronprinz Friedrich August von Sachsen das beste, was er in dieser Situation meiner Meinung nach tun konnte. Es war von Nöten, Adelina im Unklaren zu lassen, um sie nicht weiter zu belasten. Im Endeffekt wussten wir beide jedoch ganz genau, dass sie die Wahrheit wahrscheinlich niemals erfahren würde, da es kaum Hoffnung gab, dass Adelina je wieder gesund werden würde.
~*~
CHARLES
„Sehe ich richtig? Du, Aliénor, in der Bibliothek?"
Meine zweitjüngste Schwester verschränkte die Arme vor der Brust, als sie über den Marmorboden zu der Sesselecke der Bibliothek unseres Schlosses schritt.
Dann nahm sie mir mein Buch aus der Hand und las den Titel laut vor: „Philippe d'Orléans und seine Liebe zu dem Chevalier de Lorraine... eine extravagante Liebe, ah ja. Seit wann ließt du Bücher über homosexuelle Beziehungen?"
„Mich interessiert, wie solche Beziehungen zu Stande kommen konnten. Deshalb informiere ich mich über den Bruder Louis XIV. von Frankreich, da jener so eine Vorliebe vertrat", erklärte ich ihr ruhig. „Also... was gibt es, ma petite sœur?"
Sie warf sich auf das gegenüberliegende Sofa.
„In der letzten Woche sind wir nicht dazu gekommen über Flora und dich zu reden, da du erneut viel zu beschäftigt warst. Aber dies spielt nun keine Rolle mehr... es ist einfach so süß, Charles! Ein heimliches Treffen und du kämpfst um sie!"
Ein raues Lachen verließ meine Kehle. „Red keinen Stuss, Aliénor."
„Aber es ist doch so", gähnte sie und stützte ihren Kopf auf der rechten Hand ab.
„Wegen mir ist sie nun weggesperrt... ja, wirklich süß", entgegnete ich ernst, denn so konnte man unsere Beziehung tatsächlich nicht bezeichnen. Mich allein traf die Schuld, dass sie in Schwierigkeiten geraten war. Alles nur, da ich es nicht ertragen konnte, wenn sie nicht in meiner Gegenwart verweilte.
Zudem musste ich zugeben, dass ich es nicht länger unterdrücken konnte. Ich war egoistisch, da ich mit ihr Zeit verbringen wollte und sie nicht in Ruhe ließ, obwohl sie vergeben war.
„Dann schleichst du dich nun einmal zu ihr. Oder du kletterst über den Balkon", schlug sie vor.
„Ich ziehe es in Betracht", erwiderte ich mit einem ironischen Unterton in der Stimme und nahm wieder mein Buch zu Hand.
„Ich sag ja: Feigliiiing", flötete sie und erhob sich. Ich zuckte nicht mit der Wimper, obwohl ich diese Beleidigung nicht mochte. Unsere Diskussion zog sich noch etwas in die Länge, ehe Aliénor endlich ging. Die Nacht setzte ein und das Sommergewitter schien sich zu beruhigen.
Eine Tür wurde geöffnet und ich vernahm, wie jemand über die Fliesen tapste.
Ich hatte bereits eine genervte Bemerkung bezüglich Aliénors erneutem Auftauchen auf den Lippen, als plötzlich Florence in einem Nachtgewand, mit offenen Haaren und einem goldenen Kerzenhalter in der Hand vor mir stand. Meine Augen weiteten sich.
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Übersetzungen
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( TITEL ) → Verblasste Liebe
( ma petite sœur ) → meine kleine Schwester
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