Kapitel 14 ࿐ "sick"
FLORENTINA
Den Weg zu meinem Zimmer hatte ich gestern Nacht nur mit Mühe geschafft. Am ganzen Körper zitternd war ich kaum auf die Beine gekommen und hatte zudem vom ganzen Weinen Schluckauf bekommen, während ich wie eine Memme die letzten Meter zu meinem Gemach gestolpert war.
Nachdem ich meine Tür zugeschlagen hatte, war ich direkt auf meine Knie gefallen und hatte weitergeweint. Ich fühlte mich wie das letzte Stück Dreck. Gedemütigt und schuldig.
Geschlafen hatte ich trotz alledem tief, denn der Tag war anstrengend gewesen. Dabei schmerzte mein Körper und ich hätte mich am liebsten übergeben, so mies wie ich mich fühlte.
Als ich also wieder die Augen aufschlug, spürte ich augenblicklich erneut Joãos Fäuste in meinem Gesicht und meine Lippen aufplatzen. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und schüttelte mit dem Kopf.
Jetzt musste ich tapfer bleiben. Alles ist gut. Ich war in Sicherheit und er war einfach ausgerastet... bestimmt würde es sich heute wieder bei mir entschuldigen.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass meine Zofen gleich eintreten würden. Am liebsten wollte ich mich gleich wieder in meinem Bett verkriechen.
Als die Tür schließlich aufging, traten ausgerechnet meine Mutter und eine meiner Zofen herein. Schnell schaute ich hinfort. „Flora, du bist schon wach? Ich hätte nicht gedacht-"
Mama verstummte, und ich wagte nicht, mich umzudrehen. Hatte sie mein Gesicht gesehen? Verflixt, sah ich wirklich so schlimm aus?
„Mademoiselle Sophie, ich werde mit meiner Tochter alleine sprechen." Die Tür fiel zu. Meine Zofe schien den Raum verlassen zu haben. „Flora." Die Stimme meiner Mutter war sanft, und sie ging auf mich zu.
„Nicht, Mama", hauchte ich leise, als sie mein Kinn anhob. Nach wie vor traute ich mich nicht, sie anzusehen, zu sehr schämte ich mich für mein Aussehen.
„Oh Gott, Flora...", flüsterte sie entsetzt und besorgt zugleich. Ich hatte mich nicht im Spiegel betrachtet, und war noch weniger als sonst erpicht darauf gewesen. Wahrscheinlich sah ich sehr verprügelt aus.
„Wer war das?" Ich wusste nicht, ob das wirklich Tränen in ihren Augen waren, als sie mich musterte. Jedoch erzählte mir ihre Stimmlage, wie geschockt und verbittert sie sein musste.
Ich presste die Lippen aufeinander und schüttelte mit dem Kopf. „E-Es ist nicht wichtig..."
„War es König João?"
Ich verharrte einige Sekunden in meiner Position, ehe ich langsam begann zu nicken. Kleine Tränen fanden den Weg über meine Wangen, ehe mich meine Mutter in den Arm nahm. „Es tut mir so leid, meine Kleine", flüsterte sie mit gebrochener Stimme und küsste meinen Kopf, während ich in ihre Halsbeuge weinte.
Meine Mutter fragte nicht, aus welchem Grund er mir diese Leiden hingefügt hatte. Sicherlich war sie sich bereits über die Antwort im Klaren und wusste genau wie ich, dass es nichts brachte, sich über ihn aufzuregen.
„Du bist heute krank, gut? Mal sehen, ob ich etwas gegen deine blauen Flecken machen kann", hauchte sie leise, woraufhin ich nickte und mich an meine Mutter schmiegte.
Ich war froh, eine Bezugsperson wie meine Mutter in diesem Nest von falschen Freunden und Intrigen zu haben. Zwar war Aliénor freundlich und sympathisch; aber ich wusste nicht wie weit man ihr vertrauen konnte. Sowieso würden wir uns, wenn wir in Zukunft nach Neapel zurückkehrten, wahrscheinlich niemals wieder sehen.
Ebenso war auch auf Adelina immer Verlass. Jedoch würde auch sie bald vermählt werden und in die Landeshauptstadt Sachsens, nach Dresden, zu ihrem Gemahl ziehen. Und Charles... ich konnte nicht definieren, was uns verband.
Falsch war es auf jeden Fall.
Der Gedanke an meine Heimat ließ mich von meiner Mutter lösen. „Ich hole dir etwas zum Kühlen." Sie schniefte kurz und lächelte dann schwach, ehe ich mich wieder in die Kissen fallen ließ.
Als sie wiederkam und mein Gesicht mit einem kalten Tuch abtupfte, um die Schwellungen unter meinem Auge und über meiner Lippe zu beruhigen, fragte ich sie: „Was geschieht eigentlich zu Hause in diesem Moment?"
Meine Mutter seufzte und strich mir einige dunkle Strähnen aus dem Gesicht. „Nachdem die Revolutionäre vor einigen Tagen unseren Palast gestürmt haben, um festzustellen, dass wir geflohen sind, wurden ihre Aufstände von unseren Soldaten niedergeschlagen. Es toben nach wie vor wie Kämpfe in der Hauptstadt. Wir wissen nicht, ob die Revolution auch auf die restlichen Städte übergreifen wird. Wir wissen weiterhin nicht, wie lange es dauern wird. Die ländliche Bevölkerung ist schließlich zufrieden mit ihrem Leben..."
„Also sind die Revolutionäre meistens Studenten, die mit Vaters Politik nicht einverstanden sind, nicht wahr?", fragte ich weiter.
„Das stimmt. Viele Katholiken sind ebenso erzürnt, da Seine Majestät nun eine protestantische Lebensweise ausführt. Sie meinen, dass ein italienischer Monarch ein Katholik sein muss... Aber nun solltest du dir die Ruhe antun und nicht mehr darüber nachdenken. Was sollen wir sagen? Eine starke Erkältung? Lieber keinen Besuch?"
„Adelina und Amalia können mich natürlich immer besuchen, aber sonst ziehe ich lieber keine Gesellschaft vor", entgegnete ich nach wie vor betrübt und schloss die Augen.
„Nun gut. Ich lasse dir einige Speisen bringen und sage deinem Vater Bescheid. Sophie, deine Zofe, wird aufpassen, dass dich auch niemand stört." Ich nickte und nahm ihre Hand in die Meine. „Danke, Mama. Ich danke dir wirklich."
„Ist doch kein Problem, meine Kleine." Erneut schniefte sie und ich schaute betreten zu ihr auf. Ich wollte nicht, dass sie wegen mir traurig war.
~*~
Im Laufe des Tages fiel mir auf, dass wir schon vor über einer Woche aus Neapel geflohen und hier angekommen waren.
In den letzten Tagen hatte ich meinen ersten Ball erlebt, einen Geheimgang erkundet, mich - obwohl ich einen Verlobten besaß - mit Charles ganze vier Male in der Bibliothek getroffen und einen Ausflug zu einem Schloss unternommen, wo ich eine Bootsfahrt erlebt und mit Charles am Wasser gestanden hatte.
Mein Traum war somit an einigen Punkten wahr geworden. Nebenbei hatte mich mein Verlobter geschlagen, und ich konnte nicht aufhören, an den unerreichbaren Bruder meiner Freundin zu denken.
An diese Menge an Trubel war ich nicht gewöhnt. Möglicherweise war es somit auch ganz gut, an dem heutigen Tage für mich sein und aufhören können, mir Sorgen zu machen.
Es klopfte und ich sah von meinem Buch auf, als ich durch ein Herein! meiner Schwester Einlass gewährte. „Guten Morgen, Lina." Diese lächelte schwach und kam mit einem Tablett mit Keksen und Tee auf mich zu.
„Ich habe dir eine Kleinigkeit mitgebracht. Mama erzählte mir, was passiert ist. Und dabei wollte ich dich eigentlich fragen, ob ich für meine Hochzeit ein schulterfreies oder zugeschnittenes Kleid wählen sollte. Aber das ist jetzt nebensächlich."
Sie stellte das Tablett auf meinem Nachttisch ab und setzte sich an meine Bettkante. „Dieser widerliche Mistkerl", fluchte sie anschließend leise, als sie mein Gesicht inspizierte.
Sonst pflegte ich solche Aussagen empört zu kommentieren, doch dieses Mal nickte ich nur schwach. „Mir geht es gut. Und meiner Meinung nach solltest du ein schulterfreies Kleid wählen. Solche Kleider stehen dir besser."
„Ach, vergiss doch mein Kleid. Ich wünschte, ich könnte etwas für dich tun... heute beim Frühstück musste ich tatsächlich aufpassen, mein Rührei nicht auf Seiner Majestät zu verschütten... - er macht mich so wütend!" Sie nahm einen kräftigen Schluck von dem roten Tee.
Ich schmunzelte kurz, ehe ich wieder ernst wurde. „Er war angetrunken und wütend... aus irgendeinem Grund. Sonst hätte er es sicherlich nicht getan..."
Adelina schenkte mir einen irritierten Blick. „Ganz bestimmt nicht... Erst glaubte ich ja, dass er eine freundliche, wenn auch etwas unangenehme Person sei. Aber nun weiß ich endgültig über ihn Bescheid. Er ist nichts als ein Schwein. Und bevor ich es vergesse... ich soll dir etwas von Aliénor ausrichten."
Ich platzierte ein Kissen hinter meinem Rücken. „Worum geht es?"
„Vorerst wünscht sie dir gute Besserung. Zudem bittet sie um Verzeihung aufgrund der Angelegenheit auf dem Schiff am gestrigen Tage. Sie weiß nun, dass sie die Situation falsch gedeutet hat." Meine Schwester seufzte. „Die Gute ist wirklich etwas verwirrt und verwirrend dazu."
Ich nickte bloß und rührte anschließend in meinem Tee herum. Ich war schon kurz davor zu glauben, dass es mir nach der Prügel-Aktion wieder einigermaßen gut zu gehen schien.
Ein Teil von mir sehnte sich erneut danach, Charles zu sehen, auch wenn ich versuchte, nicht darüber nachzudenken. „Denkst du, dass die blauen Flecken übermorgen bei der Geburtstagsfeier von Seiner Hoheit, dem Herzog, wieder verschwunden sein werden?", wollte ich schließlich zaghaft wissen.
Sie sah mich ein weiteres Mal ungläubig an. „Du möchtest kommen?" Ich zuckte bloß mit den Schultern. „Irgendwann muss ich mich wieder unter die Leute begeben. Außerdem plante ich, mich von dem Kaiser zu verabschieden. Er reist an jenem Tage ab, oder irre ich mich?"
„So weit ich weiß... ja." Die Lippen meiner älteren Schwester verließ ein Seufzer. „Am liebsten würde ich dich gar nicht erst in Joãos Nähe lassen. Schließlich hat er dich zusammengeschlagen, Flora. Man kann seine Tat nicht beschönigen."
Es klopfte. „Herein", krächzte ich ein weiteres Mal, bevor ich auf die Bemerkung von Adelina antworten konnte.
Eine Hofdame meiner Mutter trat ein und versank anschließend in einem Hofknicks. „Verzeiht die Störung, Königliche Hoheit. Jedoch lag dieses Päckchen vor Eurem Gemach."
Eine kleine, mit violetten Schleifen verzierte Kiste wurde auf meinen Nachttisch gestellt. Ein kleines Schreiben war angelegt worden. Adelina beäugte neugierig mein Geschenk.
Nachdem ich mich bei der Hofdame bedankt hatte und diese verschwunden war, nahm meine Schwester es aufgeregt in die Hände. „Hm... es ist nicht unbedingt leicht. Darf ich es öffnen?"
Ich nickte etwas gedankenverloren, sodass Adelina den weißen Deckel anhob und ihn zur Seite stellte, ehe ihre Kinnlade herunterklappte. „Ist das schön!", rief sie aus.
Dann griff sie vorsichtig in das Päckchen hinein und hob ein fliederfarbenes, schulterfreies Gewand, welches mit Spitze und vielen Perlen bestickt war, in die Höhe. „Und hier steht in sehr ordentlicher Handschrift verfasst: Verzeiht die Unannehmlichkeiten, Mignonne."
Verwirrt ließ ich den Stoff des edlen Kleides durch meine Finger gleiten. Wer schenkte mir solch ein kostbares Kleid? Schnell begriff ich, dass ich möglicherweise dieses Geschenk gar nicht erhalten hätte sollen.
„Mignonne... so heiße ich gar nicht...", überlegte ich laut und meine Begeisterung verflog. Natürlich schenkte mir niemand solch ein kostbares Kostüm!
„Ach, Flora. Mignonne ist kein Vorname. Es ist ein französischer Kosename und bedeutet Süße. Er klingt meiner Meinung nach recht schön. Definitiv besser als auf Italienisch."
„Ein Kosename?" Ich reflektierte diese Information. „João nennt mich stets Mein Blümchen."
„Ist dieses Kleid von deinem Verlobten? Ob er sich tatsächlich für gestern entschuldigt? Und da er dich nicht besuchen kann, schenkt er dir ein Kleid..." Sie legte den Kopf schief. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass er dies wirklich tut... wahrscheinlich möchte er, dass du es beim Ball trägst... - oh großer Gott."
„Beim Ball? Auf gar keinen Fall!", antwortete ich schneller, als ich nachdachte. Irgendetwas in meinem Inneren weigerte sich strikt, dieses Kleid anzuziehen.
„Du wolltest doch kommen?", meinte sie nun verdutzt. „Na gut, ich würde ihm aufgrund eines unbedeutenden Stück schönen Stoffs auch nicht verzeihen, wenn er mich schlimmer als einen Prügelknaben behandeltet hätte..."
„Ich will es allgemein nicht tragen...", erwiderte ich kleinlaut. Adelina drehte eine dunkle Haarsträhne um ihren Zeigefinger - so wie immer, wenn sie nachdachte. „Möglicherweise solltest du es jedoch tun..."
Nun war ich es, die ungläubig dreinblickte. „Aber du meintest doch, dass es keine Entschuldigung sei, wenn er mir ein Kleid schenkt!"
Meine große Schwester presste die Lippen aufeinander, ehe sie den Deckel des Päckchens zurück auf dessen Partner setzte und sich erhob: „Ich weiß... das meinte ich jedoch auch nicht. Ich vertraue König João nicht und verabscheue ihn für seine Taten... hingegen rate ich dir, das Kleid anzuziehen, um ihm zu zeigen, dass du seine Entschuldigung annimmst. Es ist das beste, was du in dieser Situation tun kannst... es spielt keine Rolle, dass du ihm nicht verziehen hast."
„Das muss schließlich niemand wissen...", murmelte ich bedrückt, woraufhin sie meine Hand drückte und mich entschuldigend ansah.
„Es tut mir wahnsinnig leid, Flora. Versuch' einfach zu tun, was er von dir verlangt. Du musst ihn irgendwann heiraten, Florentina... du wirst seine Königin sein. Ich wünschte zwar, dass es etwas gäbe, womit ich dir helfen könnte; wie schrecklich es auch ist... du wirst damit zurechtkommen müssen."
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Übersetzungen
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( TITEL ) → „Krank"
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