Kapitel 13 ࿐ touches
FLORENTINA
Die Sonne ging bereits unter, als ich mit Adelina über den Steg zurück zum Ufer balancierte. Das Wasser hatte sich durch das Abendlicht violett verfärbt und die Bäume sahen von weitem wie schwarze Schatten aus.
Dieser Tag war mehr als schön gewesen. Wir waren stundenlang über den See geschippert und hatten köstliche Kleinigkeiten zu uns genommen, während wir uns miteinander unterhalten hatten.
Nun gut, ich trug eher wenig zu den Unterhaltungen bei... hatte mich trotz alledem aber recht wohl gefühlt. Der 20-jährige Louis XVII. war ein sehr sympathischer, gefasster und intelligenter Monarch. Wie ich sprach er nicht sonderlich viel. Wenn er etwas von sich gab, strahlten seine Worte jedoch seine Selbstsicherheit aus.
Während die kindliche Aliénor sich kaum über ihn kümmerte, schien ihre ältere Schwester Marie Brienne sehr interessiert an ihrem Cousin zweiten Grades zu sein.
Sie selbst war ebenso eine sehr ruhige Persönlichkeit, die mir selten auch nur einen Blick gewürdigt hatte.
Im Großen und Ganzen war ich jedoch der Meinung, dass die Gesellschaft von gleichaltrigen Menschen mir gut tat.
Am Ufer angekommen sah ich mich um. Insgeheim suchten meine Augen Charles, der nach wie vor mit seiner Schwester auf Deck zu sein schien.
Die Masse an Gästen auf der Terrasse war längst nicht so immens wie am Nachmittag. Hier und da schlenderten Grüppchen von zwei bis drei Personen am Steg umher. Das Orchester spielte leise im Hintergrund. Die Situation erinnerte mich an Neapel. Der Strand, die zwitschernden Vögel und die untergehende Sonne.
„Lina?", fragte ich schließlich nach langem Überlegen meine große Schwester, bevor wir die Treppen erreichten. Sie drehte sich zu mir um und blickte mich erwartungsvoll an. „Ja, Flora?"
Ich trat einen Schritt an sie heran und legte meinen Kopf schief. Dann holte ich tief Luft, nachdem ich gründlich kontrolliert hatte, dass uns auch ja niemand hörte: „Bist du wütend auf mich?"
Ich sah, wie sie eine Augenbraue in die Höhe zog. „Aufgrund der Angelegenheit mit..." Sie senkte die Stimme: „Dem Kronprinzen?"
Dann nickte ich stumm und schaute sie entschuldigend an. Aber sie zuckte bloß mit den Schultern. „Nein... weshalb sollte ich das sein?"
„Na, weil... sagen wir es so: Es wäre besser, wenn Vater nichts darüber weiß. Schließlich mag er es nicht, wenn wir Kontakte zu der savoyischen Familie knüpfen. Schon gar nicht, wenn ich es tue." Adelina begann langsam zu nicken und nahm schließlich ihre Hand in die Meine.
„Ich verstehe. Ich kann Vaters Intention zwar nicht nachvollziehen, da wir nahezu gezwungen sind, mit den Herrschaften unseren Aufenthalt zu verbringen. Aber ja... ich werde kein Wort darüber verlieren", antwortete sie schwach lächelnd.
Dankbar, dass sie die Information für sich behalten würde und mich zudem nicht über Charles ausfragte, lächelte ich zurück und nahm sie in den Arm.
„Danke, Lina", wisperte ich leise und legte meinen Kopf auf ihre Schulter, ehe ich diesen einige Sekunden später anhob. „Ist... ist das Friedrich Wilhelm?"
Meine große Schwester wirbelte augenblicklich herum und suchte mit ihren Augen blitzschnell die Umgebung ab, ehe diese bei einem gut-gekleideten, blonden Mann, der grinsend die Hand zum Gruß hob, stehenblieben.
„Federico!", rief meine große Schwester begeistert und hob ihr Kleid an, um eiligst zu ihren zukünftigen Gatten zu gelangen. Schmunzelnd sah ich zu, wie sie sich in seine Arme warf. „Federico, was machst du denn hier?", sprach sie in schnellem Deutsch.
Langsam begab ich zu den beiden Liebenden und stellte mich neben meine ältere Schwester. „Guten Tag, Hoheit", begrüsste ich ihn und versank in einem Hofknicks.
Adelina war mit dem sächsischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, den sie stets bei der italienischen Version seines Namens ansprach, verlobt. Dass er plötzlich hier und nicht in seinen deutschen Landen war, überraschte auch mich.
„Es ist schön Euch zu sehen, Florentina", sagte er höflich und lächelte, ehe er sich wieder an seine Verlobte wandte: „Kurz vor unserer Hochzeit kam mir die Idee, dich noch ein letztes Mal in deiner Heimat zu besuchen. Der Bürgerkrieg hat alles etwas durcheinandergebracht. In Valençay sagte man mir, dass ihr euch hier in Chenonceau aufhaltet."
„Wie lieb von dir. Wie lange wirst du bleiben?", wollte Adelina strahlend wissen und umschloss seine Hände mit den Ihren.
„Erst war geplant, dass wir in Dresden vermählt werden. Jedoch sprach ich mit deinem Vater, Seiner Majestät, und dem Herzog von Savoyen-Piemont, sodass wir aufgrund der Umstände bereits in zwei Wochen in Turin getraut werden können."
Adelinas Lächeln begann sich weiterhin zu vertiefen. „Tatsächlich? Machst du keine Scherze? S-Schon in zwei Wochen?"
„So ist es. Ich hoffe, dass dies für dich nicht zu schnell ist."
Adelina schüttelte mit dem Kopf, ehe sie ihren Verlobten ein weiteres Mal umarmte und glücklich ausatmete.
Etwas traurig entfernte ich mich langsam, um das Pärchen allein zu lassen. Ich hatte mir oft gewünscht, dass ich ebenso so ein Glück in der Liebe wie meine große Schwester haben könnte. Sie war stets mein Vorbild gewesen... ich wollte so sein wie sie. Mutig, lustig und beliebt. Nicht zuletzt wollte ich einen Ehemann zu haben, der mich und den ich liebte.
Aber wie ich bereits sagte: Liebesheiraten waren in unseren Kreisen eine Seltenheit. Möglicherweise war es mein Schicksal, dass ich mit João vermählt werden sollte.
Während ich am Strand entlang ging, erkannte ich wie Charles mit Aliénor das Schiff verließ. Die Blondine hatte das Kinn angehoben und stolzierte über den Steg, während ihr Bruder ihr mit angespannter Miene folgte. Noch nie hatte ich sonst lebensfrohe Aliénor so empört erlebt. Vielleicht haben sie sich gestritten, kam es mir in den Sinn.
Ich presste die Lippen aufeinander, als ich mich entschied, mich zu Aliénor zu begeben, um sie zu fragen, was geschehen war. Die 14-jährige hatte jedoch keine Augen für mich und schritt die Treppen zu der großen Terrasse hoch.
Der Wind begann meine Haare zu zerzausen und ich strich mir einzelne lose Strähnen Frisur aus dem Gesicht, ehe ich zurück zu Charles blickte, der mitten auf dem Steg stehen geblieben war.
Er sah mich an. Seine Gesichtszüge entspannten sich und er wirkte nun alles andere sauer. Eher schien er besorgt zu sein.
Auch wenn er viele Meter von mir entfernt stand, wurde mir augenblicklich heiß, doch ich konnte meinen Blick nicht von dem gutgebauten, großen Prinzen abwenden.
Ich zog scharf die Luft ein, als er einige Schritte auf mich zuging und senkte den Blick zu dem Sand unter meinen Füßen. Als seine Füße ebenfalls in meinem Blickfeld auftauchten, sah ich mich gezwungen, zu ihm aufzusehen.
„Und wie hat es Euch hier gefallen?", sprach er mit rauchiger Stimme.
Ich sah zu, dass sich meine Augen nicht allzu sehr weiteten, da diese Frage - so belanglos sie auch war - sehr attraktiv geklungen hatte. Meine Knie wurden weich.
CHARLES
„I-Ich weiß nicht... ich denke ganz gut...", flüsterte sie leise stotternd und sah mit ihren großen, grün-braunen Augen zu mir auf.
Alles in allem erinnerte sie mich an ein zerbrechliches Reh. Dabei dachte ich nicht an gefügiges Nichts - eher an ein kleines Wesen, welches beschützt werden musste.
„Das freut mich. Wir halten uns ebenso sehr in dieser Umgebung auf. Es ist hier ähnlich wie in Valençay und doch so anders", entgegnete ich, woraufhin sie langsam nickte. „Ja... es kommt mir beinahe wie an einem richtigen Strand vor...
„Möglicherweise können wir irgendwann die Chance haben, an einem richtigen Strand spazieren zu gehen..."
Ohne groß nachzudenken, streckte ich meine Hand nach ihrem Gesicht aus, um mit der Oberseite meiner Rechten über ihre zarte Wange zu streichen. Sie zuckte unmittelbar zurück und ich erstarrte mit der Hand in der Luft.
Schließlich räusperte ich mich und zog meine Hand zurück. Ihr Atem hatte sich beschleunigt und sie sah mit zusammengepressten Lippen an mir herab. Am liebsten hätte ich mir meine eigene Hand für diese Tat abgehackt. Ich hatte tatsächlich geträumt. Und dabei hatte ich mir doch vorgenommen, sie in Zukunft nicht mehr unnötig anzusprechen und schon gar nicht zu berühren.
Das durfte auf keinen Fall noch ein weiteres Mal passieren.
„V-Verzeiht", sagte ich dann, als etwas Panik in ihr aufzusteigen schien.
„Ich muss zurück zu meiner Familie", sagte sie schließlich leise und trat einen Schritt zurück.
„Selbstverständlich." Ich ließ sie an mir vorbeigehen und seufzte. Irgendwann drehte ich mich zu ihr um, um ihr zuzusehen, wie sie im Schloss verschwand. Dann ließ ich meinen Blick zurück zum See gleiten und verschränkte die Finger ineinander.
~*~
FLORENTINA
Das Abendessen in Valençay zog sich sehr lange hin. Ich bekam keinen Bissen hinunter, während ich nur auf meinen Teller starrte.
Charles verwirrte mich schlichtweg. Während zahlreiche Frauen in Romanen mit ihrem Liebsten schliefen und es für sie etwas Normales verkörperte, sich mit diesem zu unterhalten, begannen meine Gefühle bei einem einzigen Lächeln schon vollkommen verrückt zu spielen.
Ich wusste, dass es nicht richtig war, auf diese Art und Weise zu empfinden und ich hatte eine gewisse Angst davor. Wiederum wäre ich am liebsten nicht zurückgezuckt und hätte somit zugelassen, wie seine Hand über meine Wange strich.
Es war mehr als falsch, dass ich mich nach seinen Berührungen verzehrte. Mein Verlangen nach einer winzig kleinen Intimität war so groß, dass es nicht mehr normal war.
Wie in Trance schlug ich den Weg zu meinen Gemächern ein. Ich merkte nicht, dass ich dabei in den Gang, den ich nie auf mich nahm, da Joãos Gästezimmer auf dem Weg lag, wählte. Dieser Flur war dunkel und wurde nur durch einige Kerzen erleuchtet. Als ich das Zimmer meines Verlobten passierte, vernahm ich eine wütende Stimme.
Ich verweilte für einen kurzen Moment auf der Höhe seiner Tür. Dies hätte ich lieber nicht machen soll, da diese just in diesem Moment aufflog und ausgerechnet mein Verlobter nach draußen trat.
Er trug wie Charles damals ein lockeres Hemd, was an ihm - wie so-gut-wie jedes Kleidungsstück - alles andere als gut aussah. Sein hasserfüllter Gesichtsausdruck wurde bei meinem Anblick noch stärker.
„G-Geht es Euch gut?", wollte ich mit zitternder Stimme wissen und musterte ihn. Aus Angst schlug mir mein Herz schon nahezu bis zum Hals. Ich wusste nicht, wozu er in seiner Wut fähig sein konnte. Unauffällig trat ich einen Schritt zurück.
„Ihr!" Augenblicklich stand er direkt vor mir, hatte eine Hand um meinen Hals gedrückt und sich an mich heran gezogen. „Wegen Euch bin ich verdammt!"
Er schrie mich gerade zu an, während seine beißende Alkoholfahne meine Nasenschleimhäute nahezu wegzuätzen schienen und sich Panik in mir ausbreitete.
Wollte er mich erwürgen? War das nun mein Ende?
Tränen bildeten sich in meinen Augen und ich keuchte unmittelbar auf. „B-Bitte", krächzte ich hilflos. „Bitte..."
„Alles nehmt Ihr mir!"
Was hatte ich ihm denn geraubt? Selbst wenn ich ihm etwas genommen hatte, konnte es doch nicht meine Schuld sein, immerhin-
Seine Hand klatschte gegen meine Wange, sodass mein Kopf zur Seite flog. Keuchend kullerte eine Träne über meine Wange und meine Haut begann an der Stelle, wo er mich geschlagen hatte, zu brennen.
Daraufhin landete seine Faust ebenfalls in meinem Gesicht und fiel zu Boden. Voller Angst zog ich meine Beine an meinen Körper heran und betastete mein Gesicht, da ich nicht mehr in der Lage war, die Stelle unter meinem linken Auge zu spüren.
Ich wollte hier fort. Selten hatte ich jegliche Art von Furcht wie diese verspürt. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust, während ich schluchzend zu ihm aufsah.
Ohne mir noch eines Blickes zu würdigen, atmete er schließlich durch und sah noch einen kurzen Moment zur Wand hinter mir. Dann verschwand er in seinem Zimmer, um mich verängstigt und verletzt auf dem schmutzigen Boden liegen zu lassen.
♚ . ♚ . ♚
┏━━━━━━━━━━━┓
Übersetzungen
┗━━━━━━━━━━━┛
( TITEL ) → Berührungen
━━━━━━━━━━━━━━━━━
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro