Kapitel 09 ࿐ dance lesson
FLORENTINA
Den restlichen Tag hatte ich versucht, Charles möglichst nirgendwo zu begegnen. Wiederum war dies auch nicht sonderlich schwierig gewesen, da ich mich einerseits mit meinem Lieblingsbuch in meinem Gemach verkrochen hatte und Charles mich andererseits, wenn er mich beispielsweise beim Abendessen sah, kaum beachtete.
Ein Seufzer verließ meine Lippen, während ich in dem dicken Wälzer blätterte und mit meinen Augen die Wörter aufnahm. Auf die Meerestiere, um die es in meinem Buch ging, konnte ich mich jedoch kaum konzentrieren.
Immer wieder überkam mich meine Traurigkeit aufgrund Charles' Abweisungen. Aber schließlich waren diese doch berechtigt, nicht wahr?
Er war kein Mann, der sich an vergebenen Damen und Mädchen vergriff. Irgendwann hätte von unserer Verlobung und somit von dem geheimen Allianz meines Vaters die ganze Welt und somit auch Charles erfahren.
Möglicherweise war es besser, dass unsere Bekanntschaft jetzt schon ein jähes Ende gefunden hatte (wenn zwischen uns beiden überhaupt etwas existiert hatte).
Am darauffolgenden Tag war es auf ähnliche Art und Weise geschehen. Charles wich meinem Blick aus, und ich versank zurück in meiner alltägige Trauer. Ich war so eine Memme...
Aliénors anderer Charakter zeigte sich dort anders. Sie hatte ebenfalls eine traurige Nachricht von ihrem Liebsten bekommen. Er würde in einer Woche abreisen und zurück nach Frankreich kehren. Dem heimlichem Pärchen blieb somit nur noch wenig Zeit.
Im Gegensatz zu mir war sie jedoch guter Hoffnung, obwohl sie sicherlich niemals mit ihrem Rafael zusammensein könnte. Schließlich war er ein Soldat und sie ein Mitglied des Hochadels.
„Irgendwann wird uns Seine Majestät, der Kaiser, wieder besuchen", hatte sie gesagt. „Oder wir fahren nach Versailles... auch wenn dies eher unwahrscheinlich ist. Aber Papa wird das schon einleiten können..."
Es war eigenartig, dass sie ihren Vater mit Papa ansprach. Mir durfte ein Du meinem Erzeuger gegenüber keinesfalls über die Lippen kommen.
Es klopfte und ich schaute von meinem Buch auf.
„Flora?" Meine Mutter waren erschienen. Sie lächelte schwach und schloss die Tür hinter sich, bevor sie einige Schritte in mein Zimmer tat.
„Mama, ist etwas geschehen?" Ich schob das blaue Buch zur Seite und erhob mich.
„Ach, meine Kleine..." Schnellen Schrittes kam sie auf mich zu und zog mich in meine Ankleide. „Komm, zieh' dich um... der Herzog ruft zur Tanzstunde unter den jungen Leuten auf. Ach, Flora... ist das wieder eines der hässlichen Kleider, die dir dein Vater gekauft hat?"
Ich legte meinen Kopf auf die Brust und sah an mir hinunter. Naja, schön war dieses Gewand tatsächlich nicht. Es besaß einen hässlichen Grauton und war kein Augenschmaus, auch wenn ich es nur trug, wenn ich allein war.
Schnell knöpfte meine Mutter dieses auf und ließ es zu Boden fallen. „Vielleicht das Lilafarbene?", wollte ich wissen und deutete auf jenes.
Mama hob es in die Höhe, legte den Kopf schief und seufzte, ehe sie mir aus dem vorherigen Kleid half und begann, mir das Violette mit den Stickereien überzuziehen. „Das wird reichen..."
Ich blinzelte verdutzt. Waren zu dieser Stunde irgendwelche Götter geladen, oder weshalb musste ich mich in Schale werfen? Der ganze Hof lästerte doch sicherlich über unsere Kleidung. Dieses langweilige Kleid - wenn es auch eine schöne Farbe aufwies - würde daran sowieso nichts mehr ändern können.
Meine Mutter bürstete daraufhin eiligst mein dunkles Haar, steckte dieses einfach zusammen und puderte mein Gesicht nach, ehe sie erschöpft ausatmete.
Zuletzt schritt sie zur Tür und öffnete diese traurig lächelnd. Als ich dort angekommen war, drückte sie noch ein letztes Mal meine Hand. „Ich wünschte, ich könnte dir eine schönere Aufmachung bieten... mit den wenigen Kleidungsstücken, die du hast, erweist sich dies bloß als äußert schwierig."
Ich schenkte ihr ein dankbares Lächeln. „Keine Sorge, ich finde es perfekt. Danke, Mama."
Dies meinte ich voll und ganz ernst. Ich gab ihr doch keine Schuld, dass mein Vater es verbot, uns schön herzurichten, und freute mich jedes Mal, wenn sie mir half.
Dann zog ich sie in meine Arme und fragte mich, ob ich tatsächlich ein paar Tränen in ihren Augen schimmern gesehen hatte.
„Amüsier' dich gut, Flora. Adelina kann leider nicht kommen... aber ich bin mir sicher, dass es trotzdem spaßig werden wird. Und versuch dem jungen Prinzen nicht zu viele Tänze zu schenken."
Sie schniefte und ich nickte stumm. „Bis später, Mama."
Auf dem Weg zum Tanzsaal rieb ich mir nervös über die Fingernägel.
Hatte meine Mutter wirklich bemerkt, dass ich in Charles' Gegenwart schwach wurde? Riet sie mir nun, es zu unterlassen, da ich sonst Probleme bekommen würde?
Ich schluckte, als ich realisierte, dass Charles ebenso bei der Tanzstunde anwesend sein musste. Nun musste ich ihm gegenüberstehen... wenn er mich denn auffordern würde.
━━
Als ich wenig später im Saal ankam, vernahm ich schon auf dem Gang die laute, ausgelassene Tanzmusik. Ich hob - in der Hoffnung nicht allzu eingeschüchtert zu wirken - mein Kinn an, ehe mir zwei Diener die Türen öffneten.
Ein lautes Stimmengewirr schlug mir entgegen und ich blinzelte. Die Wände des Tanzsaales waren weiß gestrichen und wiesen viele Rokoko-artige Verschnörkelungen an den Wänden auf.
Der Boden hingegen war mit dunklem Parkett ausgelegt, und an den Wänden hingen viele Gemälde von einigen Vorfahren der Familie aus jeder erdenklichen Epoche. Ebenso wurden sie von vielen Spiegel geschmückt, die dazu dienten, dass man sich beim Tanzen bewundern konnte.
Die Räumlichkeit war nicht sonderlich voll, obwohl sie sehr groß war. Recht viele Mädchen tummelten sich in Grüppchen um Aliénor und ihre älteren Schwester Marie Brienne. Meine hellblonde Freundin stand mit dem Rücken zu mir gewandt. Ich bemerkte wie eine rothaarige Freundin oder Hofdame neben dieser abwertend an mir herabsah.
Etwas weiter rechts hatten sich die Männer zusammen aufgestellt. Charles konnte ich allein aufgrund seiner Größe bereits von Weiten erblicken. Ich merkte, wie meine Hände schwitzig wurden.
Andere Höflinge und einige Fürsten, die ich bereits vor einigen Tagen auf dem Willkommensball erblickt hatte - ja, sogar den Kaiser von Frankreich - konnte ich entdecken.
Niemand schien sich um meine Anwesenheit zu kümmern, weshalb ich etwas rat- und rastlos umhersah. Die Herren beachteten mich gar nicht erst und die Mädchen tuschelten wie wild.
Ich entschied mich, mich heute lieber nicht zu Aliénor zu gesellen und setzte mich somit auf eines der rosafarben-gepolsterten Sofas. Daneben war ein kleines Buffet angerichtet worden. Jedoch bediente sich niemand daran.
Glücklicherweise betrat schon wenig später unser Tanzlehrer den Saal und begrüßte uns alle herzlichst. Er war groß und schmächtig, und schritt gefolgt von Herzog Louis II, Charles' Vater, der gutgelaunt durch die Gegend blickte, durch den Eingang bis zur Mitte des Saals.
„Princesses, Marquises et Madames... Seine Majestät... Ducs et Monsieurs... willkommen zu einer weiteren Tanzstunde am Montag", sprach er in schnellem Französisch. „Wie immer bitte ich die Damen sich auf die rechte Seite und die Herren sich auf die linke Seite unseres Saals zu begeben. Zudem haben wir heute einen Ehrengast: Seine Majestät, Louis II., ist heute höchstpersönlich gekommen, um sich ein Bild von Ihrem Können zu machen. Also strengen Sie sich schön an, mes enfants!"
Charles' Vater machte es sich auf einem der Sessel bequem, und ich tapste schüchtern auf die Tanzfläche. Ganz am Ende der Reihe stand ich nun und lächelte Aliénor schüchtern zu, die mich inzwischen bemerkt hatte und mir aufmunterndes Lächeln schenkte. Die Tänzer vor uns redeten nach wie vor miteinander und alle schienen sich um einen Platz neben Charles zu streiten.
Als der Tanzlehrer, Monsieur Dauberval, um Ruhe bat, wurde es still und das Orchester begann zu spielen.
Ein Menuett, kam es mit gleich in den Sinn. Gut, das konnte ich einigermaßen.
Monsieur Dauberval begann zu zählen und wir versuchten allesamt möglichst synchron den Grundschritt zu üben. Dieser klappte ganz gut, und ich mich überkam etwas Hoffnung, dass sich diese Stunde möglicherweise doch nicht zu einer schlimmen Demütigung entwickeln könnte.
Selbstverständlich konnten die anderen Mädchen viel besser als ich tanzen. Dafür, dass ich jedoch sehr selten tanzte, schien ich mich ganz gut zu schlagen.
„Très bien!", lobte mich unser Tanzlehrer sogar. Dies hatte jedoch zur Folge, dass alle Blicke augenblicklich auf mich fielen. Ich merkte, wie sich meine Wangen rot färbten und machte daraufhin augenblicklich einen Fehler, woraufhin ein Raunen durch die Menge ging.
„Ist das nicht die Tochter Seiner Majestät, des Königs von Neapel?"
„Ja, das glaube ich auch. Dafür, dass Ihr Vater aber ein König ist, scheint ihr Kleid nicht den höchsten Wert aufzuweisen."
„Ruhe, bitte!"
Monsieur Dauberval klatschte in die Hände, woraufhin die Tuschelnden verstummten. Ich presste tapfer meine Lippen aufeinander und blickte auf meine Füße.
Also hatte das Kleid doch nicht gereicht. Die anderen Prinzessinnen, Adeligen und Hofdamen trugen schließlich auch Gewänder von ganz anderen Schneidern. Sie waren in pastellfarbenen Tönen gehalten und wiesen viele Rüschen auf. Wahrscheinlich kamen sie allesamt frisch aus Paris.
Als es schließlich darum ging, die Schritte mit einem Partner auszuführen, wurde ich wieder nervös. Ich sah zu, wie die Mädchen der Reihe nach aufgefordert wurden. Aliénor tanzte mit einem stattlichen Freund von Charles, während dieser ein Mädchen am anderen Ende der Reihe aufforderte.
Irgendwann waren alle Männer vergeben und ich stand ganz allein auf meiner Postion. Schluckend sah ich zu, wie sich die Paare gutgelaunt einen Platz im Tanzsaal suchten. So zog ich mich langsam zu den Sitzgelegenheiten zurück.
Erneut begann das Orchester zu spielen und mein Tanzlehrer gesellte sich zu mir. „Pardon, Prinzessin Florentina", sagte er, ehe er auf ein holpriges, aber selbstbewusstes Italienisch wechselte: „Nächstes Mal fordert Euch sicherlich jemand auf."
Ich lächelte schwach und blickte zu Charles hinüber. Sein Gesicht war wie versteinert, während er mit der Blondine tanzte und ich sah hoffnungsvoll auf, als die Musik verstummte und ich mich erneut erhob.
Jedoch forderte mich niemand auf. Das nächste Mal passierte dasselbe. Geknickt setzte ich mich jedes Mal zurück auf den Sessel.
„Ich würde Euch ja bitten, mit mir zu tanzen, aber ich muss die anderen Damen und Herren leider verbessern", meinte Monsieur Dauberval entschuldigend. „Merci, Monsieur", piepste ich leise. „Aber macht Euch keine Sorgen."
Doch jener schien es gar nicht haben zu können, dass einer seiner Schüler nicht die Möglichkeit bekam zu tanzen, und winkte deshalb dem Orchester zu, sodass dieses zu spielen aufhörte. „Monsieurs... wer von Ihnen würde sich bereit erklären, der Tanzpartner der Prinzessin Florentina zu sein?"
Er blickte durch die Menge, und ich wollte am liebsten im Erdboden versinken. Niemand trat vor. „Also ich muss doch bitten, Monsieurs! Noch nicht einmal für den letzten Tanz für den heutigen Tag? Majestät, was sagt Ihr dazu?"
Louis II. kratzte sich am Kinn. „Ich bin mir sicher, dass mein Sohn der Prinzessin sicherlich einen Tanz schenken kann... schließlich ist sie doch unser Gast, n'est-ce pas?"
Alle blickten zu Charles, der schließlich nickte. „Gern', Papa."
gErN. Er sah so aus, als würde er versuchen, sein Mittagessen nicht im nächsten Moment auf dem Parkett zu verteilen, als er auf mich zuging. Ich wollte lieber widersprechen. Tanzen mit Charles? Jetzt? Vor allen? Bitte nicht... Meine Lippen verließ kein Ton.
Der Tanzlehrer gab dem Orchester ein weiteres Zeichen, und Charles verbeugte sich vor mir. Mein Knicks folgte viel zu spät und ich begann damit, irgendetwas zu tanzen. Seine hellbraunen Augen waren auf mich gerichtet und sahen mich ruhig an, während wir langsam aufeinander zugingen. „Ihr müsst mich ansehen, Prinzessin."
Mein Mund klappte auf, doch erneut blieb ich stumm. Charles griff dies als eine Verwunderung meinerseits auf. „Damit Ihr wisst, welche Bewegung ich als Nächstes ausführen werde... und damit wir uns aufeinander abstimmen können."
Ich nickte und versuchte mich irgendwie auf meine Schritte zu konzentrieren, während ich ihn ansah. Wie konnte ein Mann nur so gut aussehen? Diese Wangen, diese Nase, diese Lippen und diese Augen... alles an ihm war so surreal makellos und maskulin.
Als sich unsere Hände und Unterarme schließlich berührten, schien mein Kopf nahezu zu explodieren. Seine Hand war warm und angenehm trocken. Ich war ihm so nah wie noch nie. Die Musik und das Gerede der Menge blendete ich aus. Ich hörte seinen ruhigen Atem, vernahm seinen Geruch und drohte, in seinen Augen zu versinken.
Als sich der Tanz dem Ende neigte, strich seine Hand ein letztes Mal über meinen Unterarm und wir traten auseinander.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Monsieur Dauberval und der Herzog von Savoyen-Piemont zu klatschen angefangen hatten, und senkte schnell meinen Blick.
„Wirklich fantastisch!", rief Louis II. aus und nickte uns allen zu. „Ich freue mich schon auf den nächsten Ball."
~*~
Nachdem ich nach der Tanzstunde schon fast aus dem Saal geflohen war, hatte ich mich zurück in mein Gemach gezogen.
Mir fiel es schwer, meine Gedanken zu ordnen. Ich war zwar glücklich, dass die Tanzstunde, obwohl sie sehr peinlich und beschämend angefangen hatte, irgendwie ein schönes Ende gefunden hatte, zugleich musste ich mir auch eingestehen, dass sich Charles bloß unter dem Befehl seinen Vaters dazu überreden lassen hatte, mit mir zu tanzen. Sonst schien er meine Gegenwart wohl nach wie vor nicht mehr vorzuziehen.
Ich ließ das Abendessen ausfallen und fiel schnell in einen tiefen Schlaf voller wirrer Träume.
Müde stand ich am nächsten Tag auf, um mich an meinen Schreibtisch zu setzen. Ich zog die Stirn kraus, als ich ein kleines Blatt Papier zusammengefaltet auf meinen Büchern bemerkte. Gähnend faltete ich es auseinander, um mir daraufhin schnell die Hand vor den Mund zu pressen.
TREFFT MICH. HEUTE NACHT.
WIE BEIM LETZTEN MAL.
♚ . ♚ . ♚
- was haltet ihr von charles' verhalten? Ist es berechtigt?
┏━━━━━━━━━━━┓
Übersetzungen
┗━━━━━━━━━━━┛
( TITEL ) → Tanzstunde
( mes enfants ) → meine Kinder
( très bien ) → sehr gut
( Pardon! ) → Verzeihung! / Entschuldigung!
( Merci ) → Danke(schön)
( n'est-ce pas? ) → Nicht wahr? / Oder?
━━━━━━━━━━━━━━━━━
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro